Für »unsere Menschen«?

Materielle Barrieren und deren Abbau im Alltag von Menschen mit Behinderungen in der DDR

  1. Eine Untersuchung über das »Lebensniveau Geschädigter«
    in Karl-Marx-Stadt
  2. Ein »Fußgängerboulevard« in Halle an der Saale
  3. »Mit eigener Motorkraft die Stufen überwinden« –
    Selbsthilfe in Karl-Marx-Stadt
  4. Ein Haus ohne »Behindertenmerkmale« in Greifswald
  5. Resümee

Anmerkungen

»Unsere Menschen« – dies war in der DDR ein häufig verwendetes Wortpaar, das in ideologisch fundiertem Paternalismus die umfassende Daseinsvorsorge des sozialistischen Staates für »seine« Bürgerinnen und Bürger, ob mit oder ohne Behinderung, zum Ausdruck bringen sollte. Allerdings rief die mit »unser« verbundene und meist von Parteikadern verwendete Einwohnerbezeichnung1 bereits zeitgenössisch sowohl inhaltliche als auch sprachpolitische Nachfragen hervor, die durchaus von prominenter Seite kommen konnten. So kritisierte Günter Kertzscher 1973 im SED-Parteiorgan »Neues Deutschland«, dessen stellvertretender Chefredakteur er war, den »falschen Ton« in dem »merkwürdigen Ausdruck ›unsere Menschen‹«. »Wessen Menschen eigentlich?«, fragte der Journalist und wollte wissen, wieso der Sprechende sich selbst nicht dazu zähle, also gleichsam eine Position außerhalb des »Wir« einnehme.2 Ebenso deutlich fiel die Kritik am offiziellen Sprachgebrauch in einem Leserbrief aus, den die »Neue Deutsche Presse« 1975 abdruckte: »Was soll das eigentlich heißen, wenn von ›unseren Menschen‹ gesprochen wird? Wem gehören sie eigentlich? Uns? Was verstehen wir unter ›uns‹?«3

Folgt man den Ausführungen von Edda S., die beim Ministerium für Gesundheitswesen im Oktober 1971 für die Gründung eines »Verbandes für Schwerstkörperbehinderte« warb, dann gehörten »behinderte« Menschen weder zu »uns« noch zum »Wir«. Mit ironisch-drastischen Worten schilderte Frau S., die sich nach eigener Aussage mit einer spinalen Muskelatrophie »amüsierte«,4 die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und nicht zuletzt architektonischen Bedingungen, die die Betroffenen zu gesellschaftlichen Außenseiterinnen und Außenseitern hatten werden lassen: »Laut Gesetz muss zwar jeder Betrieb soundsoviel % Schwerbeschädigte beschäftigen. Wenn er dabei aber die Wahl zwischen einem, sagen wir, Querschnittgelähmten und einem Fußamputierten hat, wird er sich garantiert für den Letzteren entscheiden (was man ihm nicht mal verübeln kann). Für den – um bei dem angeführten Beispiel zu bleiben – Querschnittgelähmten bleibt entweder ein, mit einer Rente gekröntes, untätiges Herumsitzen zu Hause oder aber, wenn er viel Glück bzw. sogar eine Berufsausbildung besitzt, eine Heimarbeit plus Rente. Er ist also damit schon einer der ›Größten‹ unter seinesgleichen. Er hat eine Arbeit, die ihm mehr oder weniger das Gefühl vermittelt gebraucht zu werden und nicht sinnlos zu leben und – er ist finanziell ausreichend versorgt. Zugegeben, das ist sehr viel. Es langt aber noch nicht, um wenigstens die unterste Stufe auf der Leiter der Zufriedenheit erklimmen zu können. Jeder Mensch, auch der behinderte (und der vielleicht sogar noch mehr), braucht den Umgang mit anderen Menschen. Er braucht die Freude, den Ärger (den auch!) mit ihnen, sonst wird er das Gefühl des Isoliertseins nie ganz los. Da naturgemäß kein Stadtplaner o. dgl. daran denkt, zur Theater-, Restaurant-, Straßenbenutzung usw. ›Rollstuhlfahrer‹ einzuplanen, hat es unser […] Querschnittgelähmter äußerst schwer, einen Weg aus seinem mehr oder weniger stillen Kämmerlein zu finden.«

Bereits die wenigen hier zitierten Stimmen verweisen auf das komplexe Spannungsfeld, in welchem das Thema »Behinderung« in der DDR verankert war. Einerseits sollten alle Bürgerinnen und Bürger des SED-Staates zur »sozialistischen Gemeinschaft« gehören, andererseits konnten sich viele Menschen mit Behinderungen – trotz verfassungsmäßig garantierter rechtlicher Gleichstellung5 und stets wiederkehrender staatlicher Willensbekundungen – nicht als gleichwertige Bürgerinnen und Bürger »unserer DDR« fühlen. Dies räumte die Direktorin der Hauptabteilung Soziale Betreuung im Ministerium für Gesundheitswesen, Elfriede Garreis, in ihrem Antwortschreiben an Frau S. auch offen ein: »Unverkennbar gibt es Schwierigkeiten bei der Einbeziehung Schwerstkörperbehinderter in die Gesellschaft und bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß.« Zugleich verwies sie auf das »unablässige« Bemühen von Staat und Gesellschaft, »bei der Überwindung der Schwierigkeiten jegliche Unterstützung zu geben«. Es mangele in »unserer sozialistischen Gesellschaft […] nicht an den geeigneten Institutionen und Organisationen, die sich für diese Probleme interessieren und verantwortlich fühlen«. Es komme »lediglich darauf an, die gesellschaftlichen Kräfte zur Lösung der spezifischen Fragen zusammenzuführen« – Garreis verwies hier auf die Gesellschaft für Rehabilitation in der DDR (GfR).6

Der Zeitungsartikel, der Leserbrief und das Schreiben von Frau S. fielen in die Phase des Fünfjahrplans 1971 bis 1975, mit dem die im Juni 1971 gefassten Beschlüsse des VIII. Parteitages der SED zur Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik und die damit erhoffte Steigerung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus aller Bürgerinnen und Bürger der DDR umgesetzt werden sollten.7 Eine Folge dieser Politik waren mehrere Verordnungen, die sich explizit auf Menschen mit Behinderungen bezogen. In der Verordnung von 19768 wurde gefordert, deren gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeiten zu verbessern, etwa durch die Erweiterung von Bildungs- und Betreuungsangeboten, Hilfen zur beruflichen Wiedereingliederung usw. Verantwortlich waren die »Räte der Gemeinden, Städte, Stadtbezirke, Kreise und Bezirke« sowie die »Leiter der Betriebe und Einrichtungen bzw. Vorstände der sozialistischen Berufsgenossenschaften«. Noch im selben Jahr erschien als konkretisierende und »erste staatliche Vorgabe«9 die »Komplexrichtlinie für die städtebauliche Planung und Gestaltung von Neubaugebieten«, welche als wichtigstes Ziel den Bau rollstuhlgerechter Wohnungen vorsah.10 1977 wurde die Planungs- und Projektierungsrichtlinie »Wohnungen und Wohnhäuser für ältere Bürger und Körperbehinderte« veröffentlicht.11 Drei Jahre später folgte die Planungs- und Projektierungsrichtlinie »Bauliche Maßnahmen für Körperbehinderte in gesellschaftlichen Bauten«, mit deren Hilfe unter anderem Rathäuser, Kinos, Theater, Warenhäuser, Sporthallen, Schulen, Universitäten und Hotels12 rollstuhlgerecht umgestaltet werden sollten. Betont wurde, dass die Beseitigung baulicher Barrieren auch zur »Verbesserung der Bedingungen für die Nicht-Behinderten« beitragen werde.13 Ebenfalls 1980 erschien die von Rolf Bollmann verfasste »Richtlinie für die Planung und Projektierung baulicher Maßnahmen für Körperbehinderte bei Straßen und Wegen«.14 Diese Handreichung sollte dazu beitragen, von vornherein barrierefrei oder wenigstens barriereärmer zu planen und zu bauen, was nicht zuletzt viel kostengünstiger war als nachträgliche Umrüstungen von Wohnungen und Gebäuden. 1981 veröffentlichte Bollmann den Band »Behinderte in der Umwelt. Bauliche und verkehrstechnische Einrichtungen«, in welchem er mit detailreichen Zeichnungen darstellte, wie der öffentliche Raum – Verkehrsanlagen, gesellschaftliche Einrichtungen, Außenbereiche – sowie der Arbeitsplatz und die Wohnung für Menschen mit körperlichen Behinderungen zugänglich gestaltet werden könnten.15

Skizzen eines rollstuhltauglichen Gästezimmers und eines Münztelefons (aus: Rolf Bollmann, Behinderte in der Umwelt. Bauliche und verkehrstechnische Einrichtungen, Berlin [Ost] 1981, S. 59)
Skizzen eines rollstuhltauglichen Gästezimmers
und eines Münztelefons
(aus: Rolf Bollmann, Behinderte in der Umwelt.
Bauliche und verkehrstechnische Einrichtungen,
Berlin [Ost] 1981, S. 59)
Rollstuhlfahrerin in Berlin-Marzahn auf abgesenktem Bordstein, Juli 1979 (picture-alliance/ddrbildarchiv/Manfred Uhlenhut [1941–2018])
Rollstuhlfahrerin in Berlin-Marzahn auf abgesenktem Bordstein, Juli 1979
(picture-alliance/ddrbildarchiv/Manfred Uhlenhut [1941–2018])

Die Räte der Städte, die Stadtarchitekten und -architektinnen sowie die Wohnungsbaukombinate waren gehalten, solche Verordnungen und Empfehlungen bestmöglich umzusetzen. Damit wurde der Architektur die Aufgabe übertragen, durch planerische und bauliche Maßnahmen Menschen mit (Geh-)Behinderungen den buchstäblichen Weg in die sozialistische Gemeinschaft und damit zur gesellschaftlichen Teilhabe zu ermöglichen. Hinzu kam eine weitere, seinerzeit wohl weniger bedachte Funktion der Architektur, nämlich jene, »Behinderung« zwar nicht unsichtbar zu machen, aber durch barrierefreie Orte soziale Räume zu eröffnen, in denen Betroffene nicht zuerst als »Behinderte«, sondern als Konzertbesucherinnen, Kunden, Fahrgäste oder Restaurantbesucher, kurz als Teil der »Normalbevölkerung« wahrgenommen werden konnten und auf diese Weise Akzeptanz erfuhren.16 Dem architectural fix sollte somit auch die Aufgabe eines socialist community fix zukommen.17

Diese These soll am Beispiel der Arbeit der Kreisrehabilitationsstelle zur Lage von körperbehinderten Menschen in Karl-Marx-Stadt, der Umgestaltung einer Hauptverkehrsstraße in Halle an der Saale und der eigenständigen Anfertigung eines »Treppensteigers« ebenfalls in Karl-Marx-Stadt näher untersucht werden. Darüber hinaus wird anhand einer Hausgemeinschaft in Greifswald, die sich gegen den Bau einer Rampe stellte, die Frage nach der gesellschaftlichen Verankerung der »komplexen Rehabilitation«18 von Menschen mit Behinderungen analysiert.

1. Eine Untersuchung über das »Lebensniveau Geschädigter«
in Karl-Marx-Stadt

Die Gesellschaft für Rehabilitation nutzte die veränderte politische Lage und die in Aussicht gestellte Verbesserung des Lebensniveaus aller Bürgerinnen und Bürger der DDR Anfang der 1970er-Jahre für ihr Ziel, rehabilitative Anliegen gesellschaftlich tiefer zu verankern. Bereits am 24. Juni 1971, nur fünf Tage nach dem Ende des VIII. Parteitages, griff GfR-Mitglied Helga Ulbricht die von Erich Honecker postulierten wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele auf: »Insbesondere geht es […] jetzt darum, dafür Sorge zu tragen, daß bei der Aufgabenstellung und Planung von Gestaltungselementen der Arbeits- und Lebensbedingungen den Belangen der Behinderten von vornherein als Belangen eines Teils der Bevölkerung Rechnung getragen wird, ihre Berücksichtigung im Denken der Menschen zur Selbstverständlichkeit wird.«19

In ihrem mit Karlheinz Renker, dem Vorsitzenden der GfR, verfassten Abschlussbericht über ein Leipziger Seminar zu Rehabilitationsfragen vom November 1971, an dem neben 33 Vertreter:innen aus der DDR auch Fachleute aus Polen, Jugoslawien, Ungarn und der Tschechoslowakei sowie aus Schweden, der Schweiz, den Niederlanden und Österreich teilgenommen hatten, betonte Ulbricht zugleich die Notwendigkeit, das Wissen um die Lebenssituation von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen zu vergrößern: »Untersuchungen über das Lebensniveau Geschädigter werden notwendig a) gezielt direkt, b) einbezogen in Untersuchungen über Arbeits- und Lebensbedingungen insgesamt, um

  • gezielter sozialpolitische Aufgaben ableiten zu können,
  • die notwendigen Maßnahmen für die Sozialplanung zugänglich zu machen, damit die Geschädigten nicht von den gesellschaftlich wachsenden Voraussetzungen der Persönlichkeitsentwicklung unserer Menschen ausgeschlossen werden,
  • die Relation zwischen medizinischem Aufwand (finanziell, materiell, personell) und sozialen Ergebnissen überprüfen zu können und Hinweise für Verbesserungsmöglichkeiten der Effektivität zu erhalten.«20

Die Anregung, mehr über das »Lebensniveau Geschädigter« zu erfahren, machte sich Edith Burkhardt zu eigen, Leiterin der Kreisstelle für Rehabilitation in Karl-Marx-Stadt und Mitglied der »AG Architektonische Barrieren« der GfR. 1973 setzte sie eine umfangreiche Untersuchung in Gang, die sich unmittelbar an »Gehunfähige« wandte, worunter sie auch »Schwerstgehbehinderte« subsumierte.21 Zunächst wollte die Medizinerin erfassen, wie viele Menschen in Karl-Marx-Stadt wohnten, die »wegen ihrer Gehbehinderung durch die baulich gestaltete Umwelt, die Verkehrswege und Verkehrsmittel an der Wahrnehmung ihrer in der Verfassung fixierten Rechte weitgehend gehindert wurden«. Das ihr vorliegende Datenmaterial – Zahlen von behinderten Kindern und Jugendlichen nach der Meldeordnung vom Mai 1954, Rehabilitationsverfahren von Bürgerinnen und Bürgern im erwerbsfähigen Alter sowie Vergabelisten von Krankenfahrzeugen der Sozialversicherung – bewertete sie kritisch.22 Vergleiche mit internationalen Angaben, unter anderem aus Großbritannien, Schweden und Westdeutschland,23 hatten nämlich ergeben, dass der Anteil der Gehbehinderten in Karl-Marx-Stadt »in keinem Verhältnis« zu den westlichen Vergleichsmeldungen stand. Mit anderen Worten: Der Leiterin der Rehabilitationsstelle von Karl-Marx-Stadt kamen die für ihre Stadt vorliegenden Zahlen zu niedrig vor. Daher forderte sie mithilfe der örtlichen Presse alle gehbehinderten Bewohnerinnen und Bewohner von Karl-Marx-Stadt auf, sich bei ihr zu melden.24 Das Ergebnis war beeindruckend: »Innerhalb weniger Wochen meldeten sich etwa viermal so viele Bürger wie uns bereits bekannt waren.«25

Um weitere Informationen und konkrete Einblicke zu gewinnen, wurden zunächst nicht die älteren »Gehunfähigen« besucht – diese erhielten Fragebögen zugesandt –, vielmehr wurden die unter 70-Jährigen persönlich befragt. Allerdings wurden die »wirklich Schwerstbehinderten [von den über 70-Jährigen] nachfolgend ebenfalls hausbesucht«. Neben ihren personenbezogenen Daten wurden auch Auskünfte zur schulischen und beruflichen Bildung erbeten, zum aktuellen Arbeitsverhältnis, zur medizinischen Diagnose, zur ärztlichen und physiotherapeutischen Behandlung, zu den benötigten Hilfsmitteln, zu »Umfang der Pflegebedürftigkeit und Anzahl der Pflegepersonen« sowie zur Betreuung durch Betriebe, Organisationen und »caritative Bereiche«, also konfessionelle Einrichtungen. Darüber hinaus sollten die Befragten über ihre »Teilnahme am öffentlichen Nahverkehr«, über ihre »Wohnverhältnisse« und ihre »Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben« berichten. Besonders die in ihrem häuslichen Umfeld besuchten Frauen und Männer seien, so Burkhardt, »angenehm überrascht« gewesen, »daß man ein Ohr für ihre Probleme« gehabt habe.

Die systematische Auswertung der gewonnenen Daten erfolgte 1974. Ermittelt wurden »0,14 Prozent Gehunfähige« bezogen auf die Gesamtbevölkerungszahl von Karl-Marx-Stadt aus dem Jahr 1972. Nachdem sich aber weitere Betroffene gemeldet hatten, mussten für die Folgejahre neue Berechnungen angestellt werden. 1976 galten bereits 0,165 Prozent der Einwohnerschaft von Karl-Marx-Stadt als »gehunfähig«. Darüber hinaus trug die Untersuchung dazu bei, das weit verbreitete Bild des »traumatisch Querschnittsgelähmten« als des »Prototyps des Gehunfähigen« zu korrigieren. Es hatte sich nämlich gezeigt, dass der Anteil der durch entzündliche oder degenerative Prozesse Eingeschränkten mit 36,2 Prozent am höchsten war, gefolgt von Menschen mit halbseitiger Lähmung (9,6 Prozent), Amputationen (8,6 Prozent), Frakturfolgen (7,9 Prozent) und Multipler Sklerose (7,2 Prozent). Erst danach folgten Querschnittsgelähmte mit 4,3 Prozent.26 Daher könne »nicht der Querschnittsgelähmte als Modell für die Gestaltung der Umweltbedingungen der Rollstuhlfahrer genommen werden«, folgerte Burkhardt, die zugleich darauf hinwies, dass viele chronisch kranke »Geschädigte« anders als Querschnittsgelähmte häufig nicht in der Lage seien, ihre »nicht geschädigten Körperabschnitte« zu trainieren, weil deren Erkrankungen ihren Körper meist in umfassender Weise einschränkten. Zugleich wies die Ärztin darauf hin, dass es »leider nicht möglich« gewesen sei, herauszufinden, in welchen Fällen die »schwere Bewegungsbehinderung durch das Leiden allein« und wo diese »durch unzureichende medizinische Rehabilitation mit verursacht« war. Dass Burkhardt dieser Frage Interesse schenkte, dürfte daran gelegen haben, dass 445 Befragte, rund 92 Prozent, »ohne jede aktivierende Behandlung«27 leben mussten. Nur 8 Prozent (39 Personen) hatten physiotherapeutische Behandlungen erhalten.

Weiter zeigte sich, dass eine unbekannte Zahl von arbeitswilligen und arbeitsfähigen »Gehbehinderten« nicht erwerbstätig waren, weil sie die Wege zu einem möglichen Arbeitsplatz nicht bewältigen konnten.28 Dies traf sogar auf die Werkstatt der Kreisstelle für Rehabilitation zu, obwohl sie über zwei Kleinbusse zum Transport verfügte; auch die Werkstatt selbst war frei von bautechnischen Barrieren. Allerdings gab es keine Hilfskräfte, »die in der Lage gewesen wären, täglich mehrere Rollstuhlfahrer aus ihren Obergeschosswohnungen auf die Straße und wieder zurückzutranspor­tieren«.29 In der Tat wohnte ein großer Teil der 484 Befragten, nämlich 173 Personen (35,7 Prozent), in Obergeschosswohnungen, während nur 28 Männer und Frauen, also 5,8 Prozent, angaben, in ihren Bedürfnissen angepassten Eigenheimen oder in Wohnungen mit einem Aufzug zu leben.30 Aber selbst wenn die arbeitsfähigen Betroffenen ebenerdig wohnten und ihre Wohnung ohne fremde Hilfe verlassen konnten, bedeutete dies nicht, dass sie auch problemlos in der Lage waren, ihren Arbeitsweg anzutreten. So gaben nur 6,4 Prozent (31 Befragte) an, dass sie die öffentlichen Verkehrsmittel ohne Hilfe benutzen könnten. Immerhin für 87 Personen (18 Prozent) war dies mit einer entsprechenden Unterstützung durch andere möglich.31 Der überwiegenden Mehrheit (75,6 Prozent, 366 Befragte) war das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs aber verschlossen, sei es, weil sie den Weg zur Haltestelle nicht bewältigen konnten, sei es, dass sie nicht in der Lage waren, in einen Zug, Bus oder in die Straßenbahn einzusteigen.

Diese Ergebnisse boten die Basis, auf der sich Burkhardt und ihre Mitarbeiter:innen nun daran machten, die Lebensbedingungen der Betroffenen zu verbessern. Intensiv setzte sich Burkhardt für die Beschaffung von technischen Hilfsmitteln ein, um die Mobilität der gehbehinderten und gehunfähigen Frauen und Männer zu erhöhen. Dabei wies sie die (Fach-)Öffentlichkeit ausdrücklich darauf hin, dass ihre Kreisrehabilitationsstelle mit den vorhandenen knappen Ressourcen sorgsam umgehe: »Wir stimmen dem Antrag nur dann zu, wenn die Unterbringung des Fahrzeuges in erreichbarer Nähe abgesichert ist und der Behinderte ohne Schwierigkeiten zu seinem Fahrzeug gelangen kann. Wir überzeugen uns in jedem Fall durch Hausbesuch, daß die Versorgung mit einem Versehrtenfahrzeug notwendig ist, und geben bei Elektrofaltfahrern an Hand des Katalogs an, welcher Typ mit welchem Zubehör benötigt wird. In Zweifelsfällen veranlassen wir die Überprüfung der Verkehrstauglichkeit.«32

Ein »Krause-Duo«, ein »Versehrtenfahrzeug« mit Bauteilen des Mopeds Simson Schwalbe, auf einem Parkplatz in Karl-Marx-Stadt. Das Fahrzeug verfügte über keinen Rückwärtsgang.  (picture-alliance/zb/Paul Glaser [1941–2022]; Foto von 1990)
Ein »Krause-Duo«, ein »Versehrtenfahrzeug« mit Bauteilen des
Mopeds Simson Schwalbe, auf einem Parkplatz in Karl-Marx-Stadt.
Das Fahrzeug verfügte über keinen Rückwärtsgang.
(picture-alliance/zb/Paul Glaser [1941–2022]; Foto von 1990)

Insgesamt befürwortete die Kreisstelle für Rehabilitation 29 Anträge für Elektrofaltfahrer (Elektrorollstühle). 14 Personen erhielten die Zusage für ein »Krause-Duo«, ein motorisiertes dreirädriges »Versehrtenfahrzeug«, oder konnten sich über einen Zuschuss zum Umbau eines bereits vorhandenen Autos freuen. Jedoch wurden nicht alle Antragsteller:innen berücksichtigt – sechs gingen einstweilen leer aus. Vergleichbares galt für die Verbesserung der Wohnsituation. Auch hier konnten nicht alle Wünsche erfüllt werden, was vor allem daran lag, dass es kaum »behinderten­gerechten« Wohnraum gab. Nur 17 der insgesamt 29 Antragsteller:innen bezogen in der Folge eine »bessere, wenn auch keine angepasste Wohnung«.33 Immerhin, so Burkhardt, habe die Situation der Befragten mit einigen Verbesserungen in ihrem häuslichen Lebensumfeld erleichtert werden können, etwa durch die Anschaffung einer Badewanne oder eines Heizgerätes sowie durch kleinere Umbauten in der Wohnung.

Unterfahrbare Spülbecken und niedriger gehängte Küchenschränke erleichterten Menschen im Rollstuhl die tägliche Hausarbeit, wie hier in einer Wohnung in Ost-Berlin (1979). (picture-alliance/ddrbildarchiv/Manfred Uhlenhut)
Unterfahrbare Spülbecken und niedriger gehängte Küchenschränke
erleichterten Menschen im Rollstuhl die tägliche Hausarbeit,
wie hier in einer Wohnung in Ost-Berlin (1979).
(picture-alliance/ddrbildarchiv/Manfred Uhlenhut)

Erkennbar war das Bemühen, den Betroffenen mit Hilfsmitteln und baulichen Maßnahmen passende Wege zur gesellschaftlichen Teilhabe zu ermöglichen. Indes bildeten die begrenzten wirtschaftlichen Ressourcen des SED-Staates neuerliche, oftmals nur mit viel Geduld zu überwindende Hürden. Aber auch der tatsächliche Abbau von materiellen Hürden konnte neue hervorrufen, wie das nachfolgende Beispiel anschaulich demonstriert.

2. Ein »Fußgängerboulevard« in Halle an der Saale

Bereits in den 1950er-Jahren wurden unter anderem in Dresden, Ost-Berlin, Magdeburg und Karl-Marx-Stadt Fußgängerbereiche geschaffen.34 Bis 1977 waren diese in 26 DDR-Städten entstanden. In Halle an der Saale war im Vorfeld einer 1973 stattfindenden Stadt- und Bezirksdelegiertenkonferenz der SED eine »Konzeption zur weiteren Entwicklung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Bevölkerung der Stadt Halle« erarbeitet worden.35 Hierzu gehörten ganz prominent die Rekonstruktion der sehr angegriffenen Altbausubstanz36 sowie die Umgestaltung der Klement-Gottwald-Straße (heute: Leipziger Straße) in einen weitgehend barrierefreien und verkehrsberuhigten Fußgängerbereich.37 Als Grundlage hatten entsprechende Ausarbeitungen gedient, die bereits Ende 1970 durch das Büro des damaligen Stadtarchitekten Gerhard Kröber entwickelt worden waren.38 Innerhalb von nur knapp sieben Monaten wurde der untere Bereich der Klement-Gottwald-Straße, der vom Markt bis zum Leipziger Turm führte, komplett umgebaut. Die Verwandlung der traditionsreichen Geschäftsstraße in einen »Boulevard des modernen Handels und der Erholung«,39 an dessen Straßenseiten sich rund 25 Prozent des innerstädtischen Einzelhandels konzentrierten,40 ging mit Sanierungsarbeiten einher, in die Orte der Kunst und Kultur, vor allem aber die Wohnsubstanz, einbezogen wurden.41 »Für die [siebenhundert] Anwohner bedeutet es zusätzlichen Gewinn, dass allein im Zeitraum 1974/75 annähernd zweihundert Wohnungen instand gesetzt bzw. modernisiert wurden.«42 Die baulichen Anstrengungen wurden zeitgenössisch gelobt. Verbannt seien nunmehr »schmutziges Grau« und »Verkehrslärm«. Der neue Boulevard fand – wie es hieß – die »ungeteilte Zustim­mung«43 der Bürgerinnen und Bürger; er galt schnell als die schönste Straße in Halle.

Die Klement-Gottwald-Straße in Halle an der Saale nach ihrer Umgestaltung in einen »Fußgängerboulevard« (Werner Schönfeld, 1979; Stadtarchiv Halle, Inventarnummer BK 4777)
Die Klement-Gottwald-Straße in Halle an der Saale
nach ihrer Umgestaltung in einen »Fußgängerboulevard«
(Werner Schönfeld, 1979; Stadtarchiv Halle, Inventarnummer BK 4777)

Aus Sicht von Menschen mit Gehbehinderungen bedeuteten die Beseitigung bzw. die Absenkung der Bordsteine und die Schaffung eines »durchgehenden«,44 meistenteils ebenen Bodenbelages eine gewisse Erleichterung sowie eine Verbesserung ihrer Mobilität. Gingen sie an Krücken, war nun eine etwas gefahrlosere Fortbewegung möglich. Dagegen war die Benutzung eines Rollstuhls schwierig, da die insgesamt 840 Meter45 lange Klement-Gottwald-Straße ab dem Leipziger Turm in Richtung Markt ein »starkes Längsgefälle« aufwies und einen höheren Kraftaufwand bei handbetriebenen Rollstühlen erforderte. Aus ästhetisch-architektonischer Sicht wurde das Längsgefälle jedoch begrüßt, habe dieses in »Verbindung mit der geschwungenen Straßenführung« doch »interessante Blickbeziehungen und gut überschaubare Erlebnisbereiche« hervorgebracht.46

Ein weiteres Problem waren die für den Fußgängerbereich verwendeten Materialien, die zwar ansprechend aussahen, jedoch Unebenheiten aufwiesen, die zu Stolperfallen werden konnten, ähnlich wie die ebenfalls verbauten, grob behauenen Natursteine. Auf mögliche negative gesundheitliche Folgen beim Befahren von unebenem Bodenbelag etwa mit »Faltrollstühlen«47 (d.h. handbetriebenen Rollstühlen) wies 1987 Herbert Kunath hin, ein Dresdener Ingenieur, der selbst auf einen Rollstuhl angewiesen war: »Aufgrund der Konstruktion eines Falt-Rollstuhls ist zunächst eine möglichst ebene Verkehrsfläche wichtig, denn sowohl die Vorwärtsbewegung als auch das Bestimmen und Einhalten der Fahrtrichtung erfordern eine Bodenberührung aller vier Räder. […] Unebene Verkehrsflächen, wie sie z.B. Klein- und Großpflasterdecken aus Naturstein aufweisen, sind außerdem ungeeignet, weil Faltrollstühle im Prinzip ungefedert sind. Alle Unebenheiten werden auf den Fahrer übertragen, was im speziellen Fall noch zusätzlich eine ungünstige Beanspruchung der Wirbelsäule bedeutet.«48 Im Verbau von Naturstein sah Kunath einen weiteren Nachteil für eine gefahrlose Mobilität bei handbetriebenen Rollstühlen: »Da mit Muskelkraft gefahren wird, spielt der Rollwiderstand eine große Rolle. Aus diesem Grund sind Naturstein-Pflasterdecken höchst ungeeignet.« Da der Belag der Klement-Gottwald-Straße aber nicht durchgehend aus Naturstein bestand, stellte sich der Rollwiderstand dort als nicht so gravierend dar wie in der »Straße der Befreiung« in Dresden, die Kunath als ein besonders negatives Beispiel anführte. Erwähnt werden muss auch, dass viele Geschäfte am neu gestalteten Boulevard in Halle nach wie vor keinen ebenerdigen Eingang besaßen oder so schwergängige Türen hatten, dass Rollstuhlfahrer:innen viel Kraft aufwenden mussten oder Hilfe benötigten, um in die Läden hineinzugelangen.

Für die Gruppe blinder oder sehschwacher Menschen brachte die bauliche Umgestaltung der Klement-Gottwald-Straße ebenfalls Schwierigkeiten mit sich, wenn auch anderer Art. Sie waren nun herausgefordert, sich mit ihrem Langstock in einem Raum ohne durchgehende bzw. regelmäßig auftretende bauliche Orientierungspunkte, vor allem Bordsteine,49 bewegen zu müssen. Die Lampen, die bis dahin an den Straßenrändern gestanden hatten, waren versetzt worden und konnten – da sie »einzeln an Hauswänden oder auf einfachem Strahlrohr inmitten der Pflanzbeete montiert bzw. auf mehrfache Weise kombiniert« worden waren50 – nicht mehr mit dem Langstock ertastet und abgezählt werden.

Durch den Wegfall von Straßenbahnhaltestellen konnte der neue Fußgängerbereich außerdem nur noch von zwei Haltepunkten aus erreicht werden. Da diese jeweils am Ende des Fußgängerboulevards lagen, ergaben sich »sehr lange Fußwege«.51 Weil die individuelle Zufahrt mit dem Auto in die Klement-Gottwald-Straße ausschließlich den Anwohnerinnen und Anwohnern sowie dem Lieferverkehr vorbehalten war, standen auch für gehbehinderte Autofahrerinnen und Autofahrer längere Wege an. Das Vorhalten von »490 Stellplätzen (200 m Einzugsbereich)« konnte den tatsächlichen Parkplatzbedarf in der Nähe des Boulevards letztlich »nur unzureichend« befriedigen.

Immerhin war die Zahl der Sitzgelegenheiten (Außengastronomie und öffentliche Bänke) in der Klement-Gottwald-Straße auf 1.090 erhöht worden.52 Die Umwandlung in eine Fußgängerzone wurde – sicher zu Recht – als Steigerung der Lebensqualität insbesondere der schwächeren gesellschaftlichen Gruppen gewertet: »Der Grüne Winkel in Halle sowie Spielplätze in Rostock und Dresden bieten einiges von dem, was sich Kinder wünschen. Alte Menschen und Behinderte sind nicht nur für die Sicherheit besonders dankbar, die durch die Herausnahme des Fahrverkehrs entstanden ist, sie finden – wie zu beobachten ist – im Sommer hier einen angenehmen Aufenthaltsort.«53

Die Umgestaltung der Klement-Gottwald-Straße mit ästhetischem Vorbildcharakter für weitere Bezirksstädte trug ihren Planern und Gestaltern etliche staatliche Auszeichnungen ein.54 1975 gewannen sie sowohl den Architekturpreis als auch den Kunstpreis der Stadt Halle sowie den 1. Preis im Wettbewerb der Zeitschrift »Architektur in der DDR«. 1977 wurde dem Kollektiv »Städtebaulich-architektonische Planung und Gestaltung des Fußgängerbereichs Klement-Gottwald-Straße« der Nationalpreis der DDR III. Klasse für Kunst und Literatur zuerkannt.55

Elf Jahre später, im Juni 1988, strahlte das DDR-Fernsehen einen Beitrag der Sendung »Prisma« zum Thema »Behinderte in Halle – Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer« aus. Dem Kamerateam zeigte Ingelore Biernat, die auf einen Rollstuhl angewiesen war, die architektonischen Barrieren, mit denen sie sich in der Klement-Gottwald-Straße nach wie vor konfrontiert sah: »Alles, was neu gebaut wird, wird oft mit Stufen gemacht. Also, es wird wenig an die Rollstuhlfahrer und die Gehbehinderten gedacht […] und ältere Leute. Und für diese ist so eine hohe Stufe oft ein großes Hindernis. […] Wir stehen immer draußen. Wir stehen draußen, wir sind auf Hilfe anderer angewiesen, wissen eigentlich jetzt als Frau, Mutter [nicht]: ›Ja, was ist im Handel?‹ […] [Wir] müssen fragen: ›Was haben Sie?‹ und können im Grunde genommen dann nur unsere Wünsche äußern. Wir können nicht begutachten, wir kaufen die Katze im Sack.«56

Im Frühsommer 1988 besuchte ein Fernseh-Team der Sendung »Prisma«
Halle an der Saale, um sich der besonderen Probleme von Menschen mit Gehbehinderungen anzunehmen. Gezeigt wurden architektonische Barrieren im öffentlichen Raum, die für die Betroffenen den Alltag erschwerten. Inhaltlich getragen wurde der Film unter anderem von Ingelore Biernat (in der Sendung irrtümlich »Gisela« genannt), die mit 23 Jahren an Multipler Sklerose erkrankte und schon bald auf einen Rollstuhl angewiesen war. Da sie ihren Beruf als Bauingenieurin nicht mehr ausüben konnte, arbeitete sie ab 1987 als Sekretärin für einen der wenigen in der DDR erlaubten Selbsthilfezusammenschlüsse, die »Betreuungsgruppe MS-Kranker« (BMSK) in Halle an der Saale. Die inhaltliche und organisatorische Arbeit der BMSK trugen die Betroffenen; die Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen beim Rat der Stadt finanzierte und kontrollierte deren Aktivitäten. Während ihrer Tätigkeit als Sekretärin der BMSK hat sich Frau Biernat große Verdienste erworben. So hielt sie im Rahmen von Mitgliederversammlungen Vorträge über die in der DDR weitgehend unbekannte Erkrankung, beriet Betroffene in der ganzen DDR und setzte sich für mehr Barrierefreiheit in Halle ein.
(Ausschnitt aus der Sendung »Prisma«, 9. Juni 1988;
Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv.
Die Verfasserin dankt Andreas Biernat herzlich für die Genehmigung, diese Filmsequenz verwenden und seine Mutter namentlich nennen zu dürfen.)

3. »Mit eigener Motorkraft die Stufen überwinden« –
Selbsthilfe in Karl-Marx-Stadt

Das nächste Beispiel beschäftigt sich mit der Frage, wie sich Bürgerinnen und Bürger behalfen, wenn die staatlichen Stellen ausfielen. Die Versorgung körper- und sinnesbeeinträchtigter Menschen mit körpernahen oder körperfernen Hilfsmitteln (z.B. Prothesen oder Rollstühlen) geschah in der DDR nach den Regeln der Planwirtschaft. Konkret bedeutete dies, dass die Sozialversicherung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB), die mehr als 90 Prozent aller »Werktätigen« und ihre unterhaltsberechtigten Angehörigen betreute, den jeweiligen Bedarf ermittelte, die Produktion veranlasste und teilweise auch die Verteilung der benötigten Hilfsmittel übernahm. In den Anfangsjahren der DDR trug die Sozialversicherung des FDGB lediglich die Kosten für »körpernahe, also vom Patienten direkt am Körper zu tragende Hilfen«, »nicht aber für körperferne Hilfsgeräte für Wohnung und Haushalt, wie sie für das Erlangen der Selbstständigkeit oft ausschlaggebend waren«, erinnerte sich Wolfgang Presber, Leiter der führenden Rehabilitationsklinik der DDR in Berlin-Buch und der dort angeschlossenen »Leitstelle für Rehabilitation«. Er und seine Mitarbeiter hätten daher der Sozialversicherung für jedes von ihnen »entwickelte Hilfsgerätemodell, das wir in kleinen Serien herzustellen begannen«, eine Grundsatz-Zustimmung zur Kostenübernahme abringen müssen. »Solange die nicht vorlag, trugen wir die Kosten.«57

Oft mussten die Betroffenen lange auf ihre Hilfsmittel warten, was vor allem an Materialengpässen lag.58 Diese versuchte die Rehabilitationsklinik Berlin-Buch mit der Wiederverwendung gebrauchter Teile zu überbrücken. Schadhafte Geräte wurden ausgeschlachtet, ein Vorgehen, das in Presbers Wahlsprüchen »Aus Alt mach’ Neu« und »Aus Drei mach’ Zwei« zum Ausdruck kam.59 Mitunter griffen Bürgerinnen und Bürger auch zur durchaus einfallsreichen Selbsthilfe. Dies war insbesondere dann der Fall, wenn es um spezielle Hilfsmittel ging, die in der DDR (noch) nicht verfügbar waren. Solcher Bedarf konnte sich ergeben, wenn es zum Beispiel stark gehbehinderten Menschen nicht möglich war, das Haus zu verlassen, weil sie Treppenstufen zu bewältigen hatten und ihnen weder ein Aufzug noch eine Rampe zur Verfügung stand.

So erging es 1976 dem 33-jährigen Sohn von Helmut B. in Karl-Marx-Stadt. Der junge Mann war seit 1966 gelähmt, konnte aber als »Grenzfall«60 noch einen Elektro-Rollstuhl selbstständig bedienen. Das größte Problem indes war, den rund 80 Kilo schweren jungen Mann die Treppen des Wohnhauses hinauf- und hinunterzutragen. Aus eigener Kraft schafften die Eltern dies nicht mehr, was dazu geführt hatte, dass der Sohn nunmehr vom öffentlichen Leben abgeschnitten war und zunehmend unter seiner Isolation litt. Daraufhin hatte Helmut B. einen Treppensteiger konstruiert, der seinen Zweck voll und ganz erfüllte und zudem nur wenig Platz im Treppenhaus einnahm.61 Krankheitsbedingt war Herr B. nicht in der Lage, den Treppensteiger selbst anzufertigen, sodass »befreundete Kollegen« – wohl aus Herrn B.s ehemaligem Betrieb – einsprangen. Sie hatten die notwendigen Einzelteile besorgt bzw. angefertigt und schließlich den Treppensteiger zusammengebaut.

Gern wollte Herr B. seine Erfindung nun auch anderen Betroffenen zugänglich machen. Daher wandte er sich im Juli 1976 an Klaus Slesazeck, den Beauftragten für technische Hilfen der Rehabilitationsklinik Berlin-Buch, der Herrn B. in Karl-Marx-Stadt besuchte. Helmut B. überließ Slesazeck seine Konstruktionspläne, die als Grundlage für »neue vollständige Zeichnungen« dienen sollten. Konkret ging es darum, den Treppensteiger bis hin zur »Schutzgüte«, also für eine serienmäßige Produktion, weiterzuentwickeln. Im Interview erinnerte sich Klaus Slesazeck nicht direkt an die Begegnung mit Herrn B., jedoch an einen anderen Versuch der Mobilitätsverbesserung: »Also ich weiß, es war ein Herr, der einen Elektroantrieb an einen einfachen mechanischen Rollstuhl angearbeitet hatte. Wir hatten dann versucht, über den Produzenten eine Realisierung umzusetzen.« Die Weiterentwicklung von Hilfsmitteln habe aber im Grunde nur dann »etwas gebracht, wenn man die Produktion gleich im Hinterkopf« gehabt hätte. Mit anderen Worten: Von Anfang an wurde ein mögliches neues Hilfsmittel danach beurteilt, ob es hierfür die entsprechenden Bauteile gab und ob es kostengünstig, also möglichst ohne den Einsatz von Valuta, hergestellt werden konnte. Hinzu kam, dass sich Helmut B.s Erfindung auf einen Elektro-Rollstuhl bezog, den aber nur die wenigsten Betroffenen erhielten. Es hätte daher nur eine sehr kleine Gruppe von dem Treppensteiger profitiert.

Helmut B. berichtete auch der bereits erwähnten Edith Burkhardt von seiner Erfindung. Sie zeigte sich so angetan, dass sie 1976 in den »Beiträgen zur Orthopädie und Traumatologie« über den »Vater eines völlig bewegungsunfähigen Rehabilitanden« schrieb, der nicht mehr in der Lage gewesen sei, »den E-Faltroller mit seinem Sohn über die üblichen Stufen zwischen Straßenebene und Erdgeschoss zu transportieren« und daraufhin eine Vorrichtung konstruiert habe, »auf deren Schienen mittels eines Zahnradantriebes der E-Faltfahrer mit eigener Motorkraft diese Stufen überwinden kann«.62 Auch ein Foto des Treppensteigers kam in den »Beiträgen« zum Abdruck.

Selbstgebauter Treppensteiger (»Elektro-Faltfahrer«) (aus: Edith Burkhardt, Untersuchungen über die Arbeits- und Lebensbedingungen gehunfähiger und schwerstgehbehinderter Bürger, in: Beiträge zur Orthopädie und Traumatologie 23 [1976], S. 511-518, hier S. 518)
Selbstgebauter Treppensteiger (»Elektro-Faltfahrer«)
(aus: Edith Burkhardt, Untersuchungen über die
Arbeits- und Lebensbedingungen gehunfähiger und schwerstgehbehinderter Bürger, in: Beiträge zur Orthopädie und Traumatologie 23 [1976], S. 511-518, hier S. 518)

Burkhardts Artikel weckte das Interesse des stellvertretenden Kreisarztes beim Rat der Stadt Halle. Herr Michael erbat sich sehr wahrscheinlich von Frau Burkhardt die Adresse von Helmut B. und nahm Kontakt mit ihm auf. Daraufhin erkundigte sich Michael im August 1977 bei Slesazeck, »ob schon mit der Bearbeitung dieses Projektes« begonnen worden sei. Zudem bat der Mediziner Herrn Slesazeck um »nähere Einzelheiten, z.B. technische Daten, Kostenvoranschlag usw., damit auch unseren Rehabilitanden geholfen werden kann«.63 Soweit recherchierbar, ist der von Helmut B. konstruierte Treppensteiger nie in Serie produziert worden.64

Ob die Kollegen von Herrn B. einen weiteren Treppensteiger anfertigten, muss offen bleiben. Beeindruckend war deren Hilfsbereitschaft, die man wohl auf den zumeist hohen Grad der gegenseitigen Unterstützung von Bürgerinnen und Bürgern bei der Bewältigung ihres Alltags in einer Mangelwirtschaft zurückführen kann. Doch ist auch von erschreckenden Ausnahmen zu berichten.

4. Ein Haus ohne »Behindertenmerkmale« in Greifswald

Während der 1980er-Jahre wurde in Greifswald ein erbitterter Rechtsstreit um den Bau respektive den Abriss einer Rampe für eine Rollstuhlfahrerin geführt.65 Betroffen war eine schwerst gehbehinderte ehemalige Krankenschwester der Deutschen Reichsbahn, die nach ihrer Scheidung mit ihren drei Kindern in einem Wohnkomplex in Schönwalde II, Lubminer Heide, lebte. Dort hatte man Teile des Kellers für sie »behindertengerecht« hergerichtet. Die Rampe auf der Rückseite des Gebäudes war jedoch zu steil für den Rollstuhl der Frau, die deshalb ihre Kellerwohnung nicht verlassen konnte. Ihre minderjährigen Kinder erledigten nach der Schule die Einkäufe und sämtliche anderen notwendigen Gänge.

Hinrich Kuessner, von 1979 bis 1988 Geschäftsführer des Diakonischen Werks der Evangelischen Landeskirche Greifswald, kannte die Familie und wandte sich an den Hauseigentümer, den VEB Gebäudewirtschaft. Er warb für den Bau einer Rampe am vorderen Hauseingang. Der Zement der Rampe war noch nicht getrocknet, da wurde diese von Bewohnern des Hauses so stark beschädigt, dass sie nicht genutzt werden konnte. Daraufhin fand eine Hausversammlung statt, an der die eingeschüchterte Bewohnerin nicht teilnahm. Stattdessen vertrat das Ehepaar Kuessner die behinderte Frau. »Eine Ärztin und ein Polizist waren die Wortführer der Hausgemeinschaft. Sie sprachen sich energisch gegen die Rampe aus. Sie wollen in keinem Haus mit Behindertenmerkmalen wohnen. Wenn es der Familie hier nicht gefällt, dann soll sie ausziehen«, erinnerte sich Hinrich Kuessner, der zugleich darauf hinwies, dass außer seiner Frau und ihm niemand der Hausversammlung widersprochen habe. In der Folge reichten die Ärztin und der Polizist Klage ein und verlangten den Abriss der teilzerstörten Rampe am Haupteingang. Das von ihnen angerufene Gericht entschied zu ihren Gunsten, und zwar ohne die gehbehinderte Frau zuvor gehört zu haben. Deren äußerst schwierige Lebenssituation, die mit einer geeigneten Rampe zumindest etwas hätte erleichtert werden können, hatte bei der richterlichen Entscheidung überhaupt keine Rolle gespielt. Unberücksichtigt geblieben war auch das stets wiederholte Bekenntnis des SED-Staates, möglichst alles dafür zu tun, dass auch »schwergeschädigte Bürger« gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen konnten.

Herr und Frau Kuessner, die erst nach dem Urteilsspruch von dem Prozess erfuhren, beauftragten daraufhin den Anwalt Wolfgang Schnur66 mit der rechtlichen Vertretung der Betroffenen. Als Schnur einen seiner Mitarbeiter für die Akteneinsicht zum Gericht schickte, sei dort, wie Herr Kuessner sich erinnert, »Unruhe« ausgebrochen: »Der Gerichtsdirektor rief mich an und fragte, ob wir das nicht anders lösen können. Er schlug vor, dass in der gleichen Instanz der Prozess noch einmal durchgeführt wird. Nach DDR-Recht war das eigentlich nicht möglich. Aber ein langer Berufungsprozess wäre für die behinderte Frau eine große Belastung geworden. Darum stimmte ich dieser Lösung zu. Dieser Wiederholungs-Prozess fand dann im Trockenraum des Wohnhauses statt. Alle Bewohner wurden befragt, ob sie für oder gegen die Rampe sind. Alle waren jetzt für die Rampe. Sie waren wohl vorher eingenordet worden, wie man das so in der DDR machte, wenn man eine Zustimmung von einhundert Prozent erreichen wollte. Als wir das hörten, bekamen wir einen Schreck und dachten, dass die Familie der behinderten Frau jetzt nicht mehr in diesem Haus wohnen kann.«

Kuessners Sorge speiste sich nicht nur aus der beschädigten Rampe, sondern auch aus vorangegangenen Sabotageakten. So war der Meyra-Elektro-Rollstuhl der Betroffenen immer wieder schwer beschädigt worden. Unbekannte hatten die Batterie des Rollstuhls gestohlen und dessen Reifen zerschnitten. Angesichts der chronischen Materialknappheit in der DDR bedeuteten diese Zerstörungen eine weitere schwerwiegende Einschränkung im Alltag der dreifachen Mutter. »Wie sollte es zu einem vernünftigen Miteinander in so einer Hausgemeinschaft kommen?«, fragte sich Kuessner, der dann überrascht feststellte, dass sich die Sache völlig »anders« entwickelte: »Auf einmal entstand ein freundliches Miteinander. Man redete miteinander. Sie halfen der Familie. Es gab keine Probleme mehr. Die Rampe entstand. Auch für Mütter mit Kinderwagen war das eine Hilfe.«

Folgt man Kuessner, dann hatte die Rampe, die mehr Bequemlichkeit für alle schuf, zum Einstellungswandel gegenüber der gehbehinderten Mitbewohnerin geführt. Offen bleibt die Frage, wieso eine Ärztin, der ein gewisses Verständnis für die Belange körperlich beeinträchtigter Menschen unterstellt werden kann, und ein Polizist, also ein Vertreter der Staatsmacht, die sich die »komplexe Rehabilitation« auf die Fahne geschrieben hatte, sich gegen das architektonische Hilfsmittel ausgesprochen hatten.

5. Resümee

»Fragen nach [gesellschaftlicher] Zugehörigkeit werden immer auch über den Körper verhandelt«,67 hat Annelie Ramsbrock festgestellt und in diesem Zusammenhang auf die Kategorien Geschlecht, Hautfarbe und Gesundheit sowie die »Inszenierung des Körpers« verwiesen, hier verstanden als die optisch-normative Attraktivität eines Menschen. Zu ergänzen wäre, dass die gesellschaftliche Teilhabe »verkörperter Anders­heiten«68 darüber hinaus und ganz grundlegend von der baulichen Umwelt abhängt. Entspricht diese nicht den Anforderungen hinsichtlich spezifischer körperlicher und/oder sinnlicher Beeinträchtigungen, dann werden Menschen isoliert und, weil sie zum Beispiel ihre Wohnung nicht verlassen können, mehr oder weniger unsichtbar.

Die DDR-Führung erklärte die Integration von Menschen mit Behinderungen in die sozialistische Gesellschaft ab den 1970er-Jahren zu einem wichtigen politischen Ziel. Die Umsetzung geschah vorrangig über die (Wieder-)Eingliederung in den Arbeitsprozess und hierüber vermittelt in gesellschaftliche Massenorganisationen.69 Für die Integration der Betroffenen mussten aber in vielen Fällen erst einmal die baulich-materiellen und technischen Möglichkeiten geschaffen werden. Dies bedeutete, wie die vorstehenden Beispiele belegt haben, unter anderem die Überwindung vorhandener Barrieren mittels baulicher Maßnahmen (Rampe) sowie eine von vornherein geplante und realisierte Barrierefreiheit des öffentlichen Raumes (Fuß­gängerzone).70 Vor diesen und weiteren Maßnahmen stand, wie das Beispiel der Kreisrehabilitationsstelle in Karl-Marx-Stadt zeigte, die aufwendige Beschaffung von gesicherten Informationen über die Lebensbedingungen von Menschen mit Beeinträchtigungen.

Aufgrund des Material- und Personalmangels gelang es dem SED-Staat und dem ihn tragenden Organisationen trotz erkennbar guten Willens nicht, mittels eines architectural fix das soziale Problem »Behinderung« zu lösen. Auch der Erfindungsreichtum und der Durchsetzungswillen engagierter Bürgerinnen und Bürger (beim Treppensteiger in Karl-Marx-Stadt, beim Rampenbau in Greifswald) vermochten die angestrebten Ziele der »komplexen Rehabilitation« nur begrenzt einzulösen. Indes sind diese und viele andere Selbsthilfemaßnahmen zur Überwindung von Behinderung in ihrem unmittelbaren Nutzen für die Betroffenen nicht hoch genug einzuschätzen.71

Der Frage, ob und in welchem Maße dieses Engagement zugleich systemstabilisierend war, muss noch weiter nachgegangen werden. Ebenfalls zu überprüfen ist die These, dass die für Mangelgesellschaften typische sozial-nivellierende Tendenz dazu beigetragen habe, Menschen mit Behinderungen »das Gefühl [zu geben,] eingegliedert zu sein«.72 Letztlich schuf der Abbau materieller Barrieren neue Hürden, etwa für blinde oder sehbehinderte Menschen. So blieben baulich-architektonische Bemühungen ambivalent und verweisen auf den immanenten Konflikt zwischen Inklusion und Exklusion, der nicht vollständig aufzulösen war bzw. ist – weder unter sozialistischen noch unter kapitalistischen Bedingungen.73 Die DDR-spezifische Rede von »unseren Menschen« behauptete allerdings eine Homogenität der »sozialistischen Gemeinschaft«, die den Alltagserfahrungen behinderter Menschen und ihrer Familien oft nicht entsprach. Noch 1988 fiel der Satz »Wir stehen immer draußen« – aber dies konnte zumindest im Fernsehen gesendet werden.74


Anmerkungen:

2 Günter Kertzscher, Das Wörtchen WIR. Eine sprachlich-politische Betrachtung, in: Neues Deutschland, 10.3.1973, S. 9. Zit. nach Marzahn, Deutschlandbegriff (Anm. 1), S. 151.

3 Horst Thieme, Unsere Menschen, in: Neue Deutsche Presse Nr. 19/1975, S. 29. Zit. nach Marzahn, Deutschlandbegriff (Anm. 1), S. 150.

4 Edda S. an Dr. Helmut Pielasch, Ministerium für Gesundheitswesen, Hauptabteilung Soziale Betreuung, 6.10.1971, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BArch), DQ 1/23913, S. 1. Dort auch das folgende Zitat. Ich danke Elsbeth Bösl herzlich für die Überlassung dieser Quelle. Frau S. schlug auch vor, besondere Wohnanlagen für Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Dabei bezog sie sich interessanterweise auf ein »Dorf für etwa 300 an Muskeldystrophie erkrankte, jüngere Personen«, das in den Niederlanden gebaut worden war. Ebd., S. 2. Gemeint war das in den 1960er-Jahren mit Spendenmitteln errichtete »Het Dorp« bei Arnhem in der Provinz Gelderland/Niederlande.

5 Auf die rechtliche Stellung von Menschen mit Beeinträchtigungen in der DDR kann hier nicht näher eingegangen werden. Verwiesen sei auf die zeitgenössischen Beiträge des Ministeriums für Gesundheitswesen/Akademie für Ärztliche Fortbildung der Deutschen Demokratischen Republik (Hg.), Schwerbeschädigtenbetreuung und Rehabilitation. Rechtliche Bestimmungen und Arbeitsmaterialien, Berlin (Ost) 1981, 4. Aufl. 1987; Hans Lange, Zum rechtlichen Schutz Geschädigter, in: Heilberufe 33 (1981), S. 36-37; Joachim Mandel, Schwerbeschädigte – betreut und gefördert, Berlin (Ost) 1984, 2., überarb. Aufl. 1988; Diana Ramm, Die Rehabilitation und das Schwerbeschädigtenrecht der DDR im Übergang zur Bundesrepublik Deutschland. Strukturen und Akteure, Kassel 2017. Siehe außerdem die Überblicksbeiträge »Rehabilitation und Hilfen für Behinderte« von Marcel Boldorf, in: Christoph Kleßmann (Hg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 9: Deutsche Demokratische Republik 1961–1971. Politische Stabilisierung und wirtschaftliche Mobilisierung, Baden-Baden 2006, S. 449-469, sowie in: Christoph Boyer/Klaus-Dietmar Henke/Peter Skyba (Hg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 10: Deutsche Demokratische Republik 1971–1989. Bewegung in der Sozialpolitik, Erstarrung und Niedergang, Baden-Baden 2008, S. 433-450.

6 Elfriede Garreis, Direktorin der Hauptabteilung Soziale Betreuung, an Edda S., 9.11.1971, BArch, DQ 1/23913. Die Anregung von Frau S., eine »Versehrtenorganisation« zu gründen, beschied Garreis übrigens abschlägig, da »auch ein Verband […] kaum in der Lage sein [dürfte], die noch offen stehenden Probleme zu lösen«.

7 Nach dem IX. Parteitag der SED (18. bis 22. Mai 1976), auf dem die Lebensbedingungen schwerbehinderter Menschen explizit thematisiert wurden, erging am 29. Juli 1976 – als gemeinsamer Beschluss des ZK der SED, des Bundesvorstandes des FDGB und des Ministerrates der DDR – eine »Verordnung zur weiteren Verbesserung der gesellschaftlichen Unterstützung schwerst- und schwergeschädigter Bürger«. Es sei ein »Anliegen des sozialistischen Staates«, den »schwerst- und schwergeschädigten Bürgern und ihren Familien durch gezielte Maßnahmen eine immer bessere Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen«. Dies war eine fast wörtliche Übernahme der Ausführungen von Erich Honecker anlässlich des IX. Parteitages 1976. Der X. Parteitag (11. bis 16. April 1981) diente der Darstellung der bis dahin erreichten Leistungen auf dem Gebiet der Rehabilitation »geschädigter Bürger«. Der XI. Parteitag (17. bis 21. April 1986) stand im Zeichen eines internationalen Vergleichs der Rehabilitation. Vgl. Christian Mürner, Werktätige in geschützter Arbeit. Ein Überblick über vierzig Jahre berufliche Rehabilitation in der DDR, Frankfurt a.M. 2000, S. 121f.

8 GBl. I/33/1976. Im Folgenden zit. nach Edith Burkhardt, Die Bedeutung der baulich gestalteten Umwelt für die erfolgreiche Rehabilitation Behinderter, in: Zeitschrift für die gesamte Hygiene Nr. 2/1981, S. 132-134, hier S. 132. Erste Anfänge eines größeren Interesses an der sozialen Lage von Menschen mit Behinderungen sind ab den späten 1960er-Jahren nachweisbar. Vgl. hierzu Marcel Boldorf, Rehabilitation und Hilfen für Behinderte, in: Dierk Hoffmann/Michael Schwartz (Hg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 8: Deutsche Demokratische Republik 1949–1961. Im Zeichen des Aufbaus des Sozialismus, Baden-Baden 2003, S. 453-474.

9 Burkhardt, Die Bedeutung der baulich gestalteten Umwelt (Anm. 8), S. 133. Dort auch die folgenden Ausführungen und Zitate.

10 Zum Vergleich: In der Bundesrepublik wurde im Januar 1972 die DIN 18025 »Wohnungen für Schwerbehinderte. Planungsgrundlagen, Blatt 1 Wohnungen für Rollstuhlbenutzer« veröffentlicht. Vgl. Elsbeth Bösl, Politiken der Normalisierung. Zur Geschichte der Behindertenpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Bielefeld 2009, S. 328f. Vorbild war u.a. eine entsprechende Schweizer Norm. Im Juli 1974 folgte Blatt 2 »Wohnungen für Blinde und wesentlich Sehbehinderte«. Vgl. ebd., S. 329.

11 Hans Karl/Karin Koven/Herwig Loeper, Wohnungen und Wohnhäuser für ältere Bürger und Körperbehinderte. Planungs- und Projektierungsrichtlinie, Berlin (Ost) 1977.

12 1980 waren von 905 im »Hotelführer der DDR« verzeichneten Beherbergungsbetrieben nur 26, mithin 2,7 Prozent, »behindertengerecht« erreichbar und entsprechend eingerichtet. Vgl. Burkhardt, Die Bedeutung der baulich gestalteten Umwelt (Anm. 8), S. 133. In der Bundesrepublik war die DIN 18024 »Bauliche Maßnahmen für Behinderte und alte Menschen im öffentlichen Bereich. Planungsgrundlagen, Blatt 1 Straßen und Plätze« im November 1974 ergangen. Im April 1976 erschien »Blatt 2 Öffentlich zugängliche Gebäude«. Vgl. Bösl, Politiken der Normalisierung (Anm. 10), S. 321f., S. 329f.

13 Bauakademie der DDR (Hg.), Planung und Projektierung baulicher Maßnahmen für Körperbehinderte in gesellschaftlichen Bauten. Richtlinie, Bauforschung, Baupraxis Nr. 51, Berlin (Ost) 1980, S. 5.

14 Rolf Bollmann, Wege für Körperbehinderte, Berlin (Ost) 1980.

15 Ders., Behinderte in der Umwelt. Bauliche und verkehrstechnische Einrichtungen, Berlin (Ost) 1981.

16 Marie-Theres Modes, Raum und Behinderung. Wahrnehmung und Konstruktion aus raumsoziologischer Perspektive, Bielefeld 2016, S. 14.

17 Die Forschungen zum socialist community fix als Kompensationsinstrument für staatliches Versagen in der DDR stehen noch am Anfang. Erste Gedanken hierzu haben Elsbeth Bösl und die Vf. anlässlich des interdisziplinären Seminars »Disability and Community. Exploring the Boundaries of ›Independent Living‹ in Research and Practice« an der Universität Leiden/Niederlande am 22. Juni 2022 angestellt. Eine Veröffentlichung des Vortrags ist geplant.

18 Ab etwa Mitte der 1950er-Jahre entwickelte sich in der DDR ein neues Verständnis darüber, wie die Situation »Geschädigter« verbessert werden könnte. War es zunächst vor allem darum gegangen, die Betroffenen möglichst gut in den Arbeitsprozess zu integrieren, war das Ziel nunmehr die Verbesserung ihrer gesamten lebensweltlichen Bezüge. Für die Ergänzung und Erweiterung der bis dahin praktizierten produktiven Fürsorge steht hier paradigmatisch die »komplexe Rehabilitation«, in der medizinische, pädagogische, berufliche und soziale Maßnahmen einander ergänzen sollten. Idealerweise sollten sich alle Maßnahmen zu einer »lückenlosen Kette« verbinden, und zwar so, dass sie sich »in ihrer Wirkung potenzierten«. Zitate nach Christa Seidel, Rehabilitation in der ehemaligen DDR, in: Rehabilitation Nr. 30/1991, S. 199-204, hier S. 200. Die 1957 gegründete Forschungsgruppe »Rehabilitation« betonte zudem, dass diese Arbeit auf einer »wissenschaftlichen Grundlage« zu entwickeln sei, die »die Erkenntnisse der anderen beteiligten Wissenschaftsdisziplinen und Fachgebiete zusammenführte«. Zitate nach Helga Ulbricht, Stand und Entwicklungstendenzen der Rehabilitation und der sozialen Sicherheit Geschädigter, in: Josef Bernard/Rolf Fleck/Hans-Jürgen Gericke (Hg.), Ergebnisse und Aufgaben der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik, Halle (Saale) 1985, S. 102-129, hier S. 106. Da zunächst viele Mediziner:innen beteiligt waren, lag der Schwerpunkt anfangs noch deutlich auf der medizinischen Rehabilitation, was sich im Laufe der Jahre aber änderte.

19 Helga Ulbricht, Entwurf und erste Überlegungen für Thesen zum Nationalen Seminar mit internationaler Beteiligung über Soziale Aspekte der Rehabilitation (Leipzig, 2. bis 5. November 1971), 24.6.1971, S. 1-6, hier S. 5, Archiv Oberlinhaus Potsdam, unverzeichnet (Datei: 1971–1972, Leipzig, Berlin, Rom, Warschau). Helga Ulbricht war Dozentin an der Karl-Marx-Universität in Leipzig, Sektion Politische Ökonomie.

20 Karlheinz Renker/Helga Ulbricht, II. Inhaltliche Angaben über das Seminar mit internationaler Beteiligung über soziale Aspekte der Rehabilitation, 2. bis 5. November 1971 in Leipzig (entsprechend Formblatt 6, Teil II), Anlage eines Schreibens von Helga Ulbricht an Karlheinz Renker, 19.1.1972, Archiv Oberlinhaus Potsdam, unverzeichnet (Datei: 1971–1972, Leipzig, Berlin, Rom, Warschau). Ulbricht sprach hier auch von »unseren Menschen«, sie dürfte diese Formulierung aber eher floskelhaft verwendet haben.

21 Edith Burkhardt, Untersuchungen über die Arbeits- und Lebensbedingungen gehunfähiger und schwerstgehbehinderter Bürger, in: Beiträge zur Orthopädie und Traumatologie 23 (1976), S. 511-518, hier S. 511, Stadtarchiv Halle (StaH), A 3.15, Nr. 218. Dort auch die folgenden Zitate.

22 Zu erwähnen wären noch die seit 1965 jährlich erscheinenden Statistiken »Das Gesundheitswesen der DDR« des Instituts für Sozialhygiene und Organisation des Gesundheitsschutzes der DDR, die aufgrund uneinheitlicher Erhebungstechniken der Kreise nur bedingt aussagekräftig waren.

23 Großbritannien: 0,3 Prozent; Schweden: 0,12 bis 0,2 Prozent, Bundesrepublik Deutschland: 0,41 Prozent der Wohnbevölkerung. Burkhardt, Untersuchungen (Anm. 21), S. 511f.

24 Ob die Umfrage in Karl-Marx-Stadt Vorbilder hatte bzw. selbst zu einem Vorbild wurde, wäre eine eigene Untersuchung wert. Mary Fulbrook weist darauf hin, dass im »Lauf der Zeit« und mit wachsender internationaler Anerkennung des SED-Staates die DDR-Bürger:innen »ausdrücklich aufgefordert« worden seien, ihre Meinung zu etlichen gesellschaftlichen Fragen zu äußern, wenn auch in kontrolliertem Rahmen. Mary Fulbrook, Ein ganz normales Leben. Alltag und Gesellschaft in der DDR. Aus dem Englischen von Karl Nicolai, Darmstadt 2008, S. 29.

25 Burkhardt, Untersuchungen (Anm. 21), S. 512. Dort auch die folgenden Zitate.

26 Tabelle 3 »Ursachen der Bewegungsbehinderung«, in: ebd., S. 513.

27 Ebd., S. 514. Die Zahlenangaben sind der Tabelle 4 »Medizinische Betreuung der Besuchten« entnommen (ebd.).

28 Vgl. auch Bertold Scharf/Sebastian Schlund/Jan Stoll, Segregation oder Integration? Gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in der DDR, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 70 (2019), S. 52-70. Siehe auch die Dissertation »Behinderte Leistung? Problematisierungen von Arbeit und Behinderung in der DDR« von Bertold Scharf, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (Publikation in Vorbereitung).

29 Burkhardt, Untersuchungen (Anm. 21), S. 514.

30 Zahlen nach Tabelle 9 »Bauseitige Gestaltung der Wohnung«, in: ebd., S. 516. 1980 sprach Burkhardt gar von »95 Prozent der Untersuchten«, die keine ihren Beeinträchtigungen angepasste Wohnung hätten. Edith Burkhardt, Zur Gestaltung einer barrierefreien Umwelt, in: Mitteilungen I/1980 »Soziale Rehabilitation«, S. 18-21, hier S. 18. Die »Mitteilungen« waren die Zeitschrift der Gesellschaft für Rehabilitation in der DDR.

31 Zahlen nach Tabelle 6 »Benutzung öffentlicher Nahverkehrsmittel durch den befragten Personenkreis«, in: Burkhardt, Untersuchungen (Anm. 21), S. 515.

32 Ebd., S. 517. Dort auch die folgenden Zahlenangaben.

33 Ebd.

34 In den Quellen findet sich der Ausdruck »Fußgängerzone« nur selten. Nachfolgend werden der Begriff »Fußgängerbereiche« und der eher in Westdeutschland gebräuchliche Begriff »Fußgängerzone« synonym benutzt.

35 Klaus Andrä/Renate Klinker/Rainer Lehmann, Fußgängerbereiche in Stadtzentren, Berlin (Ost) 1981, S. 36.

36 Für eine luzide Schilderung der divergierenden Interessenlagen von Stadtentwicklungspolitik und Denkmalschutz vgl. Hans-Hartmut Schauer, Aufgaben und Methoden der städtebaulichen Denkmalpflege am Beispiel von Sachsen-Anhalt (ehemalige Bezirke Halle und Magdeburg), in: Jörg Haspel/Hubert Staroste (Hg.), Denkmalpflege in der DDR. Rückblicke, Berlin 2014, S. 207-223. Schauer arbeitete von 1963 bis 1976 als Stadtplaner im Büro für Städtebau des Bezirks Halle.

37 Halle fügte sich dabei in den generellen Beginn der vermehrten Einrichtung von Fußgängerbereichen ab den späten 1960er-Jahren ein. Thomas Topfstedt, Städtebau in der DDR 1955–1971, Leipzig 1988, S. 60.

38 Für die an der Erarbeitung der genannten Konzeptionen beteiligten Institutionen siehe Andrä/Klinker/Lehmann, Fußgängerbereiche in Stadtzentren (Anm. 35), S. 36. Gerhard Kröber war von 1968 bis 1983 Stadtarchitekt von Halle.

39 Ebd., S. 13.

40 Ebd., S. 29.

41 Die Aufnahme kultureller Stätten (Kinos, Theater, Konzerthäuser, auch Kirchen) in den Fußgängerbereich war dem Wunsch geschuldet, den neu geschaffenen Stadtraum attraktiv zu gestalten, indem man dessen Umfeld belebte – auch nach Geschäftsschluss. Derlei Fragen wurden bereits 1966 in der DDR diskutiert; vgl. Johann Greiter/Werner Rietdorf, Fußgängerbereiche in Stadtzentren, in: Deutsche Architektur 15 (1966), S. 592-597, hier S. 593: »Wesentlich für die Attraktivität von Fußgängerbereichen kann auch die Frage sein, welche Beziehungen solche Bereiche zu anderen publikums- oder arbeitskräfte­intensiven Bereichen des Stadtzentrums haben, zum Beispiel zu kulturellen Einrichtungen und Verwaltungskomplexen, aber auch zu Grünanlagen und Erholungsbereichen in der Nähe des Stadtzentrums (Uferzonen, Hafenbecken u.a.).« Diese und andere Fragen würden, so die Autoren, »bei der sozialistischen Umgestaltung der Stadtzentren in der DDR in Zukunft immer häufiger zur Diskussion stehen«.

42 Andrä/Klinker/Lehmann, Fußgängerbereiche in Stadtzentren (Anm. 35), S. 86. Dort auch die folgenden Zitate.

43 Klaus Andrä u.a., Fußgängerbereiche in Stadtzentren. Rostock, Wismar, Dresden, Zeitz, Halle, Sömmerda, Gotha, Weimar, Teil 1 (Analyse der Beispiele), Berlin (Ost) 1977, S. 36.

44 Josef Münzenberg/Gerhard Richter/Peter Findeisen, Architekturführer DDR, Bezirk Halle, Berlin (Ost) 1976, S. 20.

45 Andrä/Klinker/Lehmann, Fußgängerbereiche in Stadtzentren (Anm. 35), S. 26.

46 Ebd., S. 31.

47 Anders als der Begriff suggeriert, konnten »Faltrollstühle« nicht zusammengelegt werden.

48 Herbert Kunath, Erfahrungen eines Rollstuhlfahrers, in: Die Straße. Zeitschrift für Forschung und Praxis des Straßenwesens 27 (1987) H. 4, S. 106-108. Dort auch das folgende Zitat. Anm. der Red.: Zur politischen Bedeutung von Rollstühlen und ihren Nutzer:innen im öffentlichen Raum siehe in diesem Heft auch den Beitrag von Nicholas Watson.

49 Die verbliebenen Bordsteine waren auf rund drei bis vier Zentimeter abgesenkt worden.

50 Andrä u.a., Fußgängerbereiche, Teil 1 (Anm. 43), S. 32.

51 Ebd., S. 34. Dort auch die folgenden Zitate.

52 Ebd., S. 30. Hinzu kamen weitere 750 »Freisitzplätze« (ebd.).

53 Andrä/Klinker/Lehmann, Fußgängerbereiche in Stadtzentren (Anm. 35), S. 21. Der »Grüne Winkel« war eine Grünanlage an der oberen Klement-Gottwald-Straße, auf der ein Kinderspielplatz, Pergolen und ein »Plastikgarten« angelegt werden sollten. Zugleich wurde dort ein »wichtiger Durchgang zum Klubhaus der Gewerkschaften und zu einem geplanten Neubaugebiet« realisiert. Auch Wasserspiele waren geplant. Vgl. Gerhard Kröber/Hans Christian Riecken, Fußgängerboulevard Klement-Gottwald-Straße in Halle, in: Architektur der DDR 24 (1975), S. 521-529, hier S. 527f.

54 Andrä/Klinker/Lehmann, Fußgängerbereiche in Stadtzentren (Anm. 35), S. 178. Dort auch die folgenden Angaben.

55 Neues Deutschland, 8.10.1979, S. 4.

56 Bettina Ruprecht/Ellis Lander, Behinderte in Halle – Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer 1, Prisma, 9.6.1988, Transkript. Ich danke Sebastian Balling herzlich für die Weitergabe dieses Dokuments.

57 Wolfgang Presber, Rehabilitation in der DDR 1957–1984. Ein- und Wiedereingliederung Physisch- bzw. Psychisch-Geschädigter. Erfahrungen und Erinnerungen, Teil II, 1955–1984, Berlin o.J. [2001], S. 61.

58 Besonders Zubehörteile für Rollstühle waren Mangelware, wie sich Klaus Slesazeck erinnert, seit November 1976 Beauftragter für technische Hilfen der Rehabilitationsklinik Berlin-Buch: »Vor allen Dingen die Reifenbeschaffung! Ich kann mich an Zeiten erinnern, wo die halbe Jahresproduktion von VEB Krankenfahrzeuge Leipzig auf den blanken Felgen stand.« Interview der Vf. mit Klaus Slesazeck, 15.7.2020.

59 Presber, Rehabilitation in der DDR 1957–1984 (Anm. 57), S. 61.

60 Helmut B. an Dr. Bernd Michael, Abt. Gesundheits- und Sozialwesen beim Rat der Stadt Halle, 1.8.1977, StaH, A 3.15, Nr. 218. Dort auch die folgenden Zitate. Wieso sich Herr B. an Dr. Michael gewandt hatte, konnte nicht geklärt werden.

61 Bei dem Elektro-Rollstuhl handelte es sich um einen »Elektrofaltfahrer« der westdeutschen Firma Meyra mit Tischsteuerung (Modell 3.423), der durch Adaptionen (vermutlich in Achsflucht montierte Zahnräder) in die Lage versetzt worden war, auf speziellen, aufstellbaren Schienen aus eigener Motorkraft Steigungen zu überwinden. Freundliche Mitteilung von Klaus Slesazeck, 10.8.2021.

62 Burkhardt, Untersuchungen (Anm. 21), S. 518. Dort S. 517 auch die folgenden Ausführungen.

63 Dr. Bernd Michael an Klaus Slesazeck, 10.8.1977, StaH, A 3.15, Nr. 218.

64 Freundliche Auskunft von Klaus Slesazeck, 22.7.2021. Die Versorgung mit Hilfsmitteln jeglicher Art blieb bis zum Ende der DDR schwierig. 1989 kritisierten Slesazeck und die Nachfolgerin von Wolfgang Presber, Christa Seidel, das nach wie vor unbefriedigende »Angebot an technischen Hilfen, ihrer Einsatzmöglichkeiten und des Verfahrensweges«. Zugleich monierten sie, dass dieser Mangel mit einer »Unkenntnis der Besonderheiten behinderter Menschen« einhergehe, die man bei »Ärzten und mittleren medizinischen Fachkadern« beobachten könne. Christa Seidel/Klaus Slesazeck, Rehabilitationshilfen, in: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung 83 (1989), S. 989-990, hier S. 989. Ich danke Christa Seidel herzlich für wichtige Hintergrundinformationen.

65 Zum Folgenden: Hinrich Kuessner, Körperbehindertentreff »Teilen macht reich«, 2019 (unveröffentlichtes Manuskript). Ich danke Hinrich Kuessner herzlich für seine telefonischen Auskünfte und für die Überlassung des Manuskriptauszugs.

66 Wolfgang Schnur bekleidete in der DDR verschiedene prominente Funktionen innerhalb der Evangelischen Kirche. So war er Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Mecklenburg, zeitweise der Synode der Evangelischen Kirche der Union (EKU) und Synodaler des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR. Zudem arbeitete er als Rechtsbeistand für Wehrdienstverweigerer, Dissi­dent:innen und Bürgerrechtler:innen. Parallel zu seinem gesellschaftskritischen Engagement wurde Schnur seit Mitte der 1960er-Jahre bis kurz vor dem Ende der DDR als Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit geführt.

67 Annelie Ramsbrock, Körperpolitik als Sozialpolitik. Die »Entstellungsfürsorge« in der Weimarer Republik, in: Westfälische Forschungen 65 (2015), S. 131-147, hier S. 131.

68 Bösl, Politiken der Normalisierung (Anm. 10), S. 11.

69 So z.B. der »Beschluss des Präsidiums des FDGB vom 12. Januar 1979 zu den gewerkschaftlichen Aufgaben auf dem Gebiet der Rehabilitation«. Vgl. Gunnar Winkler, Sozialreport DDR 1990. Daten und Fakten zur sozialen Lage in der DDR, Stuttgart 1990, S. 352.

70 Gleiches gilt für die Bundesrepublik Deutschland, wo sich auch erst ab den 1970er-Jahren die Absenkung von Bordsteinen, barrierefreies Bauen und andere bauliche Maßnahmen nach und nach durchsetzten. Vgl. hierzu Elsbeth Bösl, Behinderung, Technik und gebaute Umwelt. Zur Geschichte des Barriereabbaus in der Bundesrepublik Deutschland seit dem Ende der 1960er Jahre, in: Anja Tervooren/Jürgen Weber (Hg.), Wege zur Kultur. Barrieren und Barrierefreiheit in Kultur- und Bildungseinrichtungen, Köln 2012, S. 29-51.

71 Vgl. hierzu Ulrike Winkler, Materielle Barrieren im Leben von Menschen mit Behinderungen am Beispiel von Halle und Halle-Neustadt von 1949 bis 1990, Halle (Saale) 2023 (Arbeitstitel, in Vorbereitung).

72 Barbara Vieweg, Utopie und Wirklichkeit. Sozialismus und Behinderung – ist das ein Thema, welches uns heute interessieren könnte?, in: die randschau. Zeitschrift für Behindertenpolitik 9 (1994) H. 4, S. 25.

73 Beispielhaft zum Problem der Beschulung: Uwe Becker, Die Inklusionslüge. Behinderung im flexiblen Kapitalismus, Bielefeld 2015, 2. Aufl. 2016.

74 Siehe Anm. 56.

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