Unfertiges Mosaik

Die Website „Making the History of 1989“ über den Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa

Anmerkungen

Making the History of 1989. The Fall of Communism in Eastern Europe
(https://chnm.gmu.edu/1989/)

Startseite „Making the History of 1989“

Um Genaueres über die friedliche Revolution in der DDR zu erfahren, muss man nicht lange in Büchern suchen; für viele Fragen reicht der schnelle Klick ins Internet. Sofort stößt man auf eine Reihe deutschsprachiger Themenportale, die auf hohem Niveau Auskunft geben – sowohl über die Chronologie der Ereignisse vom Herbst 1989 in der DDR als auch über die Faktoren, die zum Umbruch führten. Einige dieser Portale bieten sogar eine große Fülle an Bildern und Dokumenten.1 Hier zusätzlich fremdsprachige Internetportale zu bemühen ist nicht unbedingt erforderlich.

Der Umbruch von 1989/90 bzw. das Ende des Kalten Krieges waren jedoch bekanntlich internationale Vorgänge – ein ereignisgeschichtliches Mosaik, zusammengesetzt aus mehr oder weniger stark miteinander verwobenen nationalen Wende- und Revolutionsgeschichten. Interessiert man sich für diese kompilierende globale Perspektive, dünnt sich das Informationsangebot im Internet deutlich aus, obwohl sich das Medium gerade für die Darstellung der vielfältigen Verknüpfungen eigentlich gut eignet. Neuerdings stößt der Suchende unweigerlich auf das Portal „Making the History of 1989. The Fall of Communism in Eastern Europe“. Dahinter verbirgt sich eine Internet-Plattform des Center for History and New Media (CHNM) der George Mason University in Fairfax, Virginia. Das Projekt wird von einem Team um den Geschichtsprofessor T. Mills Kelly realisiert und von prominenter Seite unterstützt (u.a. vom Cold War International History Project, vom German Historical Institute Washington und vom National Security Archive der George Washington University). Ausgangspunkt des Vorhabens war die Feststellung, dass der Zugang zu englischsprachigen Dokumenten und Quellen zum Ende des Kommunismus in Osteuropa für (US-amerikanische) Lehrer und Studierende bisher schwierig ist. Dieses Defizit soll mit Hilfe der Website abgebaut werden, die auch Angebote für den didaktischen Umgang mit dem Material umfasst. Die Site gliedert sich in fünf Segmente: „Introductory Essay“, „Primary Sources“, „Scholar Interviews“ sowie „Teaching Modules“ und „Case Studies“. Das Material ist übersichtlich präsentiert; die interne Verlinkung der Texte und Dokumente geschieht auf nachvollziehbare Weise.

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Der gegenwärtig (im Herbst 2009) rund 300 Dokumente umfassende Teil „Primary Sources“ – das Herzstück der Plattform – behandelt insgesamt 21 Länder. Die Zuordnung verrät eine lockere Herangehensweise: Die beiden deutschen Staaten werden als „East Germany“ bzw. „West Germany“ bezeichnet, die Sowjetunion ist neben den drei baltischen Staaten, Georgien und der Ukraine gesondert aufgeführt. Zur Slowakei und zur Tschechoslowakei gibt es jeweils einen eigenen Button. Der Link zur Türkei, die als Nachbarland Bulgariens interessanterweise auch vertreten ist, enthält bislang kein Dokument. Wird die Dokumentenzuordnung zu einem der beiden deutschen Staaten schwierig – wie beispielsweise beim Thema „geteilte Nation“ – wurden den Länderblöcken jeweils dieselben Dokumente zugeteilt. Das ist prinzipiell logisch, aber nicht immer nötig. So hat beispielsweise die Rede von US-Präsident Ronald Reagan vor dem Brandenburger Tor am 12. Juni 1987, in der er die berühmten Worte rief: „Mr. Gorbachev, open this gate! Mr. Gorbachev, tear down this wall!“, trotz der räumlichen Nähe zu Ost-Berlin eher einen bundesdeutschen bzw. amerikanisch-sowjetischen als einen DDR-Bezug. Eindeutig uneindeutig wird es dann im Falle der Sowjetunion: Hier werden die Dokumente über die baltischen Republiken, Georgien oder die Ukraine nicht noch einmal im Länderblock UdSSR präsentiert, und einige Dokumente stehen schlicht beim falschen Land.

Das Material ist ansonsten breit gefächert; es reicht von Regierungserklärungen und Strategiepapieren über Interviews und Videos bis zu Plakaten und Abbildungen von Objekten. Die Macher sind um Anschaulichkeit bemüht. Zur DDR etwa liegen nicht nur Leipziger Demonstrationsbilder und Auszüge von Günter Schabowskis Pressekonferenz vom 9. November 1989 zur Ansicht bereit, sondern auch ein Bild nebst Erklärung zum DDR-Automobil Trabant als „one of the symbols of the economic differences between Eastern and West-ern Europe“. Der jeweilige Länderspezialist wird zwar für sein Fachgebiet kaum auf überraschende Dokumente stoßen. Doch ermöglicht ihm die große Ländervielfalt, außerhalb seiner Spezialisierung weniger Bekanntes zu entdecken. Für Experten dürfte darin die eigentliche Qualität der Website liegen, die in ihrem Umfang bislang einzigartig ist. Die Herkunft der ausschließlich in englischer Sprache bzw. Übersetzung präsentierten Quellen ist völlig unterschiedlich. Neben den bereits erwähnten, kooperierenden Archiven stammt das Material aus Zeitungen, Interviewprojekten, zahlreichen (in der Regel US-amerikanischen) Bibliotheken oder kleineren nationalen Archiven wie dem „Archiv der DDR-Opposition“ der Robert-Havemann-Gesellschaft in Berlin.

Jeder Quelle ist eine kontextualisierende Erläuterung beigefügt. Eine Einordnung in größere Zusammenhänge wird allerdings an anderer Stelle versucht, und zwar im Block „Introductory Essay“. Dabei handelt es sich um drei übergreifende und acht länderspezifische Einführungstexte rund um die Jahre 1989/90. Diese decken zwar Ostmittel- und Südosteuropa ab, doch fehlt das entscheidende Land: die Sowjetunion. Die nächste Enttäuschung ist, dass bislang erst die Hälfte der geplanten länderspezifischen Einführungstexte vorhanden ist. Und diejenigen, die bereits eingespeist sind, fallen kurz bzw. sogar extrem kurz aus – die Einführung zur Tschechoslowakei etwa beschränkt sich auf die Tage vom 17. bis 20. November 1989 und kann mit 389 Wörtern die angestrebte Kontextualisierung natürlich nicht leisten. Andere Beiträge holen bis zum Beginn der 1980er-Jahre aus, bleiben aufgrund der Kürze aber zu allgemein. Es sind Schlaglichter auf die jeweilige Landesgeschichte, die die Dokumente jedoch nur schwerlich rahmen können. Hier werden mindestens zwei Probleme deutlich: Erstens ist das Portal noch im Aufbau begriffen; zweitens bleibt etwas unklar, welche Zielgruppe angesprochen werden soll. Zwar geben im Block „Scholar Interviews“ fünf Hochschullehrer verschiedener amerikanischer Universitäten (Bradley Adams, Maria Bucur, Padraic Kenney, Vladimir Tismanianu und Gale Stokes) neben ihren persönlichen Erinnerungen an das Jahr 1989 auch Gedanken zur Stoffvermittlung in ihren Seminaren wieder, doch bewegen sich die meisten Textanalysen im Gegensatz zu den ausgebreiteten Dokumenten eher auf Schulniveau. Davon profitiert nur, wer über kein oder wenig Wissen zum Thema verfügt.

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Im Segment „Teaching Modules“ werden konkrete inhaltliche und dazugehörige methodische Handreichungen zu sechs Themen geboten, angefangen von einer Wissenseinführung über die passende Quellenauswahl bis zu Stundenplan und Unterrichtsfragen. Eine jeweilige, aus vier bis fünf Büchern bestehende Kurzbibliographie gibt weiterführende Lektürehinweise, die sich meist allerdings auf Publikationen amerikanischer Verlage beschränken. Das Segment „Case Studies“ ergänzt dies um Lehrerfahrungen zu zwölf weiteren Themen. In beiden Blöcken wird jeweils sehr Unterschiedliches in den Blick genommen. Auffällig ist das Bemühen, nicht nur politische Geschichte zu vermitteln, sondern auch Alltags- bzw. Milieugeschichte. Damit soll Studierenden klargemacht werden, was die Menschen aus verschiedenen Ländern Osteuropas antrieb, 1989 auf die Straße zu gehen, und warum sie sich so schnell und radikal von der alten Regierungsform verabschiedeten. Der thematische Reigen reicht bei den Lehrmodulen von „Nationalities in the USSR“ über „Catholic Church in Poland“ bis „Economies in Transition“, bei den Fallstudien von „Consumerism in Poland“ über „Women in Romania“ bis „Czech Independence Day Speech“. Da nicht klar ist, inwiefern noch weitere Themen hinzukommen, fällt es schwer, dieses Potpourri zu bewerten. Schaut man aus der Vogelperspektive und deutet die einzelnen kommunistischen Regime als osteuropäisches Gesamtphänomen, dann unterstützt die Themenvielfalt die Absicht, den Kommunismus und seinen Zusammenbruch zu beschreiben. Legt man allerdings mehr Wert auf die Feststellung, dass es sich bei den kommunistischen Staaten Osteuropas um eine ziemlich heterogene Gemeinschaft handelte, die länderweise unterschiedlich erodierte, dann bekommt die Themenauswahl eher den Akzent des Zufälligen. So mutet es beispielsweise seltsam an, „The Fall of Communism“ zu thematisieren, ohne explizit die 1989er-Ereignisse in Ungarn und in der DDR sowie die damit verbundene Auflösung der Systemgrenzen zu erörtern. Da sich dies bei einer Website im Aufbau aber noch ändern kann, sind diese kritischen Anmerkungen möglicherweise bald obsolet.

Die einzelnen Lehrmodule selbst sind inhaltlich reich ausgestaltet und bieten für Schul- und Hochschullehrer tatsächlich Anregungen zum Umgang mit dem Stoff. Insofern kann man das Portal trotz der genannten Unzulänglichkeiten zum Beispiel geschichtsinteressierten Englischlehrern aus Deutschland zur Unterrichtsvorbereitung empfehlen. Sieht man sich die achtstellige Zahl der bisherigen Seitenaufrufe an (seit dem Start im August 2008), so erfreut sich die Website offenbar einer größeren Beliebtheit. Diese Resonanz sollte für die Betreiber ein Ansporn sein, das Portal weiter zu verbessern.

Anmerkungen: 

1 Z.B. <http://www.chronik-der-mauer.de>, <http://www.revolution89.de>, <http://www.chronikderwende.de>, <http://www.89-90.sachsen.de>; zu aktuellen Kontroversen: <http://friedlicherevolution.de>.

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