1/2005: Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg

Aufsätze | Articles

Die amerikanische Aggression in Vietnam ist in Europa und Nordamerika als „der Vietnamkrieg" bekannt. Sinnvoller wäre es aber, den Konflikt im Kontext von nationalen Befreiungskriegen als „Indochinakonflikt" zu bezeichnen. Es handelte sich um mehrere Kriege, die miteinander verwoben sowie durch lokale, metropolitane und internationale Faktoren geprägt waren. Der Indochinakonflikt verdeutlicht die Handlungsautonomie von Klientelsystemen im Kalten Krieg; er verweist auf die ideologische und machtpolitische Fragmentierung des so genannten kommunistischen Blocks. Unterhalb der Ebene der globalen Auseinandersetzung war das System des Kalten Krieges multipolar konfiguriert.
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In Europe and North America, the American aggression in Vietnam is best known as the "Vietnam War". However, it would be more appropriate to place the conflict in the larger context of wars of national liberation and thus call it the "Indochina Conflict". It was a conflict in which several distinct wars intertwined and which was shaped by local, metropolitan, and international factors. The Indochina Conflict demonstrates the freedom of action of clientele systems during the Cold War, and reflects the fragmentation of the so-called communist bloc in terms of ideology and power politics. Below the level of the global struggle, the Cold War system was multipolar.

Kein Staat der Welt hat während des Kalten Krieges öfter Krieg geführt als Großbritannien. Obwohl das Königreich ein Hauptakteur des Ost-West-Konfliktes und die größte Kolonialmacht der Erde war, erklären sich diese „heißen Kriege" im Kalten Krieg weder aus der Blockkonfrontation noch aus der Logik eines kolonialen Freiheitskampfes wirklich hinreichend. Man kann diese Kriege nur verstehen, wenn man sie als Resultate einer auf die Weltmachtrolle und das Selbstverständnis als Imperialmacht zentrierten Kollektivmentalität in den politischen und militärischen Eliten des Mutterlandes begreift. Die „heißen Kriege" waren in erster Linie ein Ausfluss globalstrategischen Sicherheitsdenkens. Der Artikel zeigt dies am Beispiel der Emergencies (Ausnahmezustände) in Malaya und Kenya, die für die strategische Verteidigung der Indikregion bedeutsam waren.
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In the Cold War era, no country in the world was at war more often than Britain. Even though the United Kingdom was one of the main protagonists of the Cold War and ruled over the largest colonial empire on earth, these "hot wars" cannot be adequately explained as a result of the bloc confrontation. Nor do they fall completely within the logic of colonial wars of liberation. They can only be understood if interpreted as a consequence of the collective mentality of metropolitan political and military elites focused on their role as a world power and sense of imperial power. The "hot wars" were, above all, a result of global strategic thinking. The article shows how the Emergencies in Malaya and Kenya were fought as integral elements of the strategic defence of the Indian Ocean Rim.

By discontinuing their war against Israel in the late 1970s, the surrounding Arab states made room for the resumption of a different, new/old war, which first erupted prior to the Arab-Israeli interstate war: the civil war between the Jewish-Zionist settler society and Palestinian Arabs, a war over Palestine. The Arab-Israeli conflict is not one, but rather two conflicts, both of which are complexly and inextricably linked in a number of ways. Zionist Jews in Palestine (or the pre-1948 Jewish autonomy in the country) and later the state of Israel have been a permanent party to these conflicts. In contrast, the "Arabs" – or the Palestinians and the Arab states surrounding Palestine – have been changing parties to the overall conflict and its many different wars.
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Indem sie ihren Krieg gegen Israel beendeten, ermöglichten die umgebenden arabischen Staaten seit Ende der 1970er-Jahre die Wiederaufnahme eines anderen, neuen und zugleich alten Kriegs, der schon vor den zwischenstaatlichen Kriegen mit Israel geführt worden war: des Bürgerkriegs zwischen der jüdisch-zionistischen Siedlergesellschaft und den palästinensischen Arabern, eines Kriegs um Palästina. Der arabisch-israelische Konflikt bildet nicht einen, sondern eher zwei Konflikte, die auf komplexe und untrennbare Weise miteinander verbunden sind. Zionistische Juden in Palästina und ab 1948 der Staat Israel sind durchgängig eine Seite dieser Konflikte gewesen. Die „Araber" – oder besser: die Palästinenser und die arabischen Staaten, welche Palästina umgeben – sind veränderliche Parteien des Großkonflikts und seiner vielen Teilkriege gewesen.

Der jugoslawische Sukzessionskrieg der 1990er-Jahre ist fälschlich als Prototyp einer in aller Welt beobachtbaren Form des „neuen Krieges" gedeutet worden. Er kann jedoch weder hinsichtlich seiner Ursachen noch in Bezug auf seine äußere Gestalt als „neuartig" bezeichnet werden. Charakteristische Motive, Instrumente und Ausdrucksformen des Konflikts waren bereits während der Balkankriege 1912/13 sowie im Zweiten Weltkrieg gang und gäbe. Jedoch hat die besondere Medialisierung dieses ersten bewaffneten Konflikts auf europäischem Boden nach 1945 die Merkmale „informeller" Kriegsführung stärker in das Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit gerückt. Nicht die Gestalt des Krieges an sich war neu, sondern die Art, wie er von außen wahrgenommen und später interpretiert wurde.
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A number of analysts have viewed the Yugoslav war of succession of the 1990s as the prototype of a generation of "new wars" distinct from earlier forms of conflict. However, this article argues that this war did not significantly differ from earlier wars in the South Slav area, in terms of its protagonists, objectives, economic structures and the human impact of the conflict. Methods of warfare resemble those employed during the Balkan wars in 1912/13 and during the Second World War. Therefore, it was not the Yugoslav war as such, but the high degree of attention that international media devoted to reporting about this first military conflict on European soil after 1945 that produced new ways of perceiving and interpreting the conflict.

Debatte | Debate

  • Jan-Holger Kirsch

    Militärgeschichte als Zeitgeschichte

    Vorwort

  • Jutta Nowosadtko

    „Gewalt – Gesellschaft – Kultur“: Ein Ersatz für „Krieg – Staat – Politik“?

  • Matthias Rogg

    Militärgeschichte der DDR – mehr als eine Fußnote?

  • Karl Prümm

    Die Historiographie der „neuen Kriege“ muss Mediengeschichte sein

  • Dirk Bönker

    Military History, Militarization, and the „American Century“

Quellen | Sources

  • Andrew Spicer

    What Cannot Be Said

    „Silent Dust“ (1949) and the Malevolent Veteran

  • Lars Klein

    Vom „Enthauptungsschlag“ zum Fall der Saddam-Statue

    Der jüngste Irak-Krieg in der Medienberichterstattung

Besprechungen | Reviews

Websites

  • Cordula Dittmer

    Neue oder alte Kriege?

    Die Website der „Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung“

Filme

  • Michael Wildt

    „Der Untergang“

    Ein Film inszeniert sich als Quelle

Neu gelesen

  • Uta Gerhardt

    Bestandsaufnahme mit Zeitwert

    Ein nachträglicher Blick auf das Kompendium „Public Opinion in Occupied Germany“

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