Der Aufsatz entwirft eine Zeitgeschichte der Vorsorge, die sich für den hygienepolitischen Übergang von Praktiken der Intervention und Krisenbewältigung zu Praktiken der Prävention interessiert. Am Beispiel der Pestvorsorge in der Sowjetunion wird erstens ein Prozess der Institutionalisierung, Professionalisierung und Verwissenschaftlichung dargestellt. Zweitens werden die Eigenheiten des sowjetischen Falls herausgearbeitet. Die dortige Pestbekämpfung war bis in die 1930er-Jahre von Interventionen geprägt, die aus einem Repertoire repressiver, im Kontext der Zwangskollektivierung etablierter Maßnahmen schöpften. Der Umgang mit der Pest war nicht mit Aufklärung verknüpft, sondern mit Geheimhaltung. Die Einrichtung eines Netzwerks wissenschaftlicher Forschungsstätten führte zu einem Wandel im Umgang mit der Seuche. Dies war eingebettet in parallele Diskurse über administrative Grenzen und geographisches Wissen. Der Aufsatz stützt sich auf Quellen aus Staats- und Partei-Archiven in der Russischen Föderation und der Republik Aserbaidschan.
∗ ∗ ∗
The paper examines expertise and policy in the field of plague prevention in the Soviet Union from the 1920s to the 1950s. It argues that anti-plague schemes underwent significant transformations during that period due to the gradual development and establishment of new research institutions and practices. During the early years of Bolshevik power, reactive intervention figured as the core strategy in anti-plague policy. In cases of plague epidemics, the state intervened in the daily lives of people using brute methods, similar to those of the forced collectivisation. Military and police forces as well as medical experts played a key role in the early history of anti-plague policy. After World War II, prevention became the strategy of choice. As a network of research institutions developed, new representations of the plague emerged. Plague, which had been considered as an alien disease for a long time, now became acknowledged as an endemic burden. The paper presents sources from state and party archives in Russia and Azerbaijan.
Der jugoslawische Sukzessionskrieg der 1990er-Jahre ist fälschlich als Prototyp einer in aller Welt beobachtbaren Form des „neuen Krieges" gedeutet worden. Er kann jedoch weder hinsichtlich seiner Ursachen noch in Bezug auf seine äußere Gestalt als „neuartig" bezeichnet werden. Charakteristische Motive, Instrumente und Ausdrucksformen des Konflikts waren bereits während der Balkankriege 1912/13 sowie im Zweiten Weltkrieg gang und gäbe. Jedoch hat die besondere Medialisierung dieses ersten bewaffneten Konflikts auf europäischem Boden nach 1945 die Merkmale „informeller" Kriegsführung stärker in das Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit gerückt. Nicht die Gestalt des Krieges an sich war neu, sondern die Art, wie er von außen wahrgenommen und später interpretiert wurde.
∗ ∗ ∗
A number of analysts have viewed the Yugoslav war of succession of the 1990s as the prototype of a generation of "new wars" distinct from earlier forms of conflict. However, this article argues that this war did not significantly differ from earlier wars in the South Slav area, in terms of its protagonists, objectives, economic structures and the human impact of the conflict. Methods of warfare resemble those employed during the Balkan wars in 1912/13 and during the Second World War. Therefore, it was not the Yugoslav war as such, but the high degree of attention that international media devoted to reporting about this first military conflict on European soil after 1945 that produced new ways of perceiving and interpreting the conflict.