Der Aufsatz geht der Frage nach, wie Hörerinnen und Hörer in der SBZ/DDR und in Polen über Radio, Schallplatten und Live-Musik Zugang zu Jazzmusik erhielten. In beiden Gesellschaften entwickelte sich die Jazzszene in einem charakteristischen Spannungsfeld: Einerseits bezeichneten die sozialistischen Regime Jazz mit Beginn des Kalten Kriegs als „amerikanisch-imperialistische Musik“ und versuchten den „Jazztumult“ aus dem öffentlichen Raum und dem Rundfunk zu verdrängen. Andererseits war es mit Hilfe persönlicher Kontakte zu Menschen im Westen sowie vermittelt über die Programme der US Information Agency weiterhin möglich, sich Zugang zu Jazzmusik zu verschaffen. Der Vergleich der DDR mit Polen zeigt dabei, dass sich die bis dahin ähnlichen Kulturpolitiken beider Staaten ab 1956 wesentlich unterschieden. Polen öffnete sich für Jazz und unterstützte zum Teil die Szene wie auch die Musiker; an den Konzerteinnahmen verdienten die Kulturfunktionäre mit. In der DDR agierte das Regime dem Jazz gegenüber zunächst weiter ablehnend, bis der Beat zum neuen musikalischen Feindbild avancierte.
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This article enquires into the way in which listeners in East Germany and Poland acquired access to jazz music via radio, records and live performances. Jazz music flourished in both countries after the Second World War, even though socialist authorities labelled jazz as ‘American imperialist’ music and tried to suppress it after the onset of the Cold War. Personal contact with people living in the West and cultural programmes of the United States Information Agency became key sources of jazz music for enthusiasts living in the East. From 1956 onwards, the cultural policies regarding jazz began to differ significantly in the two Soviet satellites. Poland adopted a more open policy towards jazz and jazz musicians, and party officials even profited from the entrance fees to concerts, whereas the GDR tightened restrictions on jazz for years to come, until the Beat Generation supplanted jazz as the new musical enemy.
In der gegenwärtigen Debatte über Imperien wird die konstitutive Bedeutung des Raumes hervorgehoben. Seine Repräsentation in Gestalt von Karten wird aber bisher selten zum Forschungsgegenstand gemacht, obwohl Untersuchungen zum British Empire auf den Zusammenhang von kognitiven und materiellen Karten für die Ausbildung eines Raumbewusstseins innerhalb des Imperiums und in Bezug zur Welt verweisen. In der Sowjetunion war die Produktion und Verbreitung von Karten von Anfang an ein grundlegender Bestandteil imperialer Politik, weil das dokumentierte Wissen über das Territorium, seine Strukturen und Bewohner eine Voraussetzung für eine umfassende Sowjetisierungspolitik darstellte. Einer der sowjetischen „Vermesser“ war der ungarische Kartograph Alexander (Sándor) Radó, der seit den 1920er-Jahren an der Produktion sowjetischer und europäischer Atlanten beteiligt war. Die Karten sind in mehrfacher Hinsicht Dokumente eines imperialen Konstruktionsprozesses, weil sie einerseits als Projektionsfläche genutzt wurden und andererseits die innenpolitische Entwicklung in der Sowjetunion spiegelten und beeinflussten.
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Recent debates have emphasised the crucial importance of space for the construction and imagination of empires. Yet the representation of imperial spaces on maps has played only a minor role in research about empires, even though studies on the British Empire have analysed the interdependence of mental and material maps during the formation of spatial consciousness both within the Empire and regarding its relations with the rest of the world. The production and distribution of maps was a fundamental element of imperial policy from the early years of the Soviet Union. Documented knowledge about the territory, its structures and inhabitants was a precondition for a comprehensive policy of ‘Sovietisation’. One of the Soviet surveyors was the Hungarian cartographer Alexander (Sándor) Radó, who, from the 1920s, was involved in the production of atlases for Soviet and European readers. These maps document the imperial construction of space in several ways. Radó used them both to project an image of an imperial future and to reflect and influence Soviet domestic politics.
Am Beispiel des Russischen Bürgerkriegs untersucht der Aufsatz kollektive Gewalthandlungen in staatsfernen Räumen. Gewalt war dort nicht nur Mittel zum Zweck, sondern auch sinnstiftendes Medium. Die Aufzeichnungen des ehemaligen zarischen Offiziers Govoruchin bieten ungewöhnlich detaillierte Einblicke in die Geschehnisse in der ukrainischen Kleinstadt Gajsin. Bei mehreren Pogromwellen des Jahres 1919 ermordete die Truppe des Atamanen (Warlords) Volynec fast die gesamte jüdische Bevölkerung des Ortes. Antisemitismus war dafür nur ein Faktor neben anderen - die neuartige Pogromgewalt hatte vor allem Sinn und Bedeutung für die Kämpfergemeinschaft selbst, die eine Kultur der Gewalt ausbildete. Gewalthandlungen können als Kommunikationsformen verstanden werden, die Gemeinschaft, Autorität und Identität konstituieren. In der historischen Situation des Russischen Bürgerkriegs reproduzierte sich die Gewalt selbst und tendierte zur Entgrenzung. Der 25-jährige Volynec verdankte seine Führungsrolle einem gewissen Organisationsgeschick, vor allem aber einer schrankenlosen Gewaltbereitschaft.
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This article examines acts of collective violence in non-state spaces. Violence is not only a means to achieve certain ends, but also a medium of cultural meaning. The memoirs of the former tsarist officer Govoruchin offer insight into the events that took place in the little Ukrainian town of Gajsin during the Russian civil war. In a series of pogroms the troops of the ataman (warlord) Volynec almost completely annihilated the Jewish population of Gajsin. Antisemitism, however, was only one motivation for this mass killing, for the violence itself also lent meaning to the soldiers’ sense of community, allowing a culture of violence to evolve within a non-state space. Violent actions can be interpreted as forms of communication which produce group cohesion, authority and identity. In the context of the Russian civil war, violence was therefore self-perpetuating and tended towards excess - a process in which the twenty-five-year old Volynec played a leading role on account of his organisational skills and his tendency to indulge in unrestrained violence.
Am Beispiel von Gustav Krukenberg (1888–1980), der zunächst in den 1920er-Jahren Sekretär des deutsch-französischen „Mayrisch-Komitees“ war, dann 1933 für kurze Zeit den Reichsrundfunk leitete und am Ende des Zweiten Weltkriegs zum „Inspekteur“ der französischen SS-Division „Charlemagne“ wurde, um schließlich in den 1960er-Jahren als führendes Mitglied des „Verbands der Heimkehrer“ für eine deutsch-französische Versöhnung im europäischen Rahmen einzutreten, werden drei verschiedene Typen von Verständigungs- und Europapolitik skizziert, die sich eher einer konservativ-autoritären als einer liberal-demokratischen Europa-Konzeption verdanken. Bei seiner regen Vortragstätigkeit vor allem während der 1960er-Jahre stützte sich Krukenberg auf ein christlich-abendländisches Geschichtsbild, das die Jahre 1933–1945 völlig ausblendete. Die Berufung auf „Europa“ konnte also in sehr unterschiedlichen politischen Konstellationen als verbindendes Stichwort dienen und ermöglichte ein erstaunliches Bewusstsein der Kontinuität.
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This article deals with the career of Gustav Krukenberg, who was first a secretary of the Franco-German ‘Mayrisch Committee’ in the 1920s, then headed German Radio in 1933, and became a supervisor of the French SS division ‘Charlemagne’ at the end of the war, before advocating Franco-German reconciliation as a leading member of the association of German Heimkehrer (repatriated former prisoners of war) in the 1960s. This article sketches three different types of European and rapprochement policy which owed more to a conservative and authoritarian conception of Europe than to a liberal and democratic one. Krukenberg held numerous lectures especially during the 1960s in which he drew on a Christian and occidental view of history which completely overlooked the period from 1933 to 1945. His appeal to ‘Europe’ functioned as a connecting element in very different political constellations and gave rise to an astonishing awareness of continuity.
Der Bau der neuen UNESCO-Gebäude in Paris war in den 1950er-Jahren von Konflikten begleitet, die auf die schwierige Genese einer neuen internationalen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg verweisen. Der Aufsatz knüpft an jüngere Forschungen zur internationalen Geschichte sowie zu internationalen Organisationen an. Im Hinblick auf die UNESCO interessieren erstens die Etappen der Auseinandersetzung und zweitens die Bauten selbst. Drittens geht es um Gebrauchsweisen und Lesarten des Gebäudeensembles. Die Analyse beruht auf der These, dass die durch die Architektur geschaffene räumliche Ordnung und die verwendeten Materialien als bedeutungstragend zu verstehen sind. Allerdings deckte sich das realisierte Gebäude nicht völlig mit den Programmen und Wunschvorstellungen seiner Initiatoren. Die zeitgenössischen Kritiken sowie heutige Analysen geben den Blick frei auf nicht weiter explizierte Annahmen und Hierarchien, die die Organisation als politische und soziale Ordnung in den 1950er-Jahren prägten – und sie möglicherweise nach wie vor bestimmen.
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The article takes up the case of the construction of the new UNESCO buildings in Paris in the 1950s. Drawing on new research in international history and the emerging field of the history of international organisations, it first looks at the different stages of this conflict and then at the buildings themselves; finally, the article deals with the uses and interpretations of the building ensemble. The author argues that the architecture as well as the construction materials created a meaningful spatial order. However, in the end the constructions did not entirely correspond with the programmatic ideals of those who initiated them. The criticism at the time as well as more recent analysis clearly point towards some of the underlying, implicit assumptions and hierarchies that significantly shaped the organisation’s political and social order in the 1950s – and perhaps even continue to do so.