In konfessionsvergleichender Perspektive behandelt der Beitrag das Verhältnis der christlichen Großkirchen zu den sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik. Genauer untersucht werden die Interaktionen mit den frühen Protestbewegungen, der Studentenbewegung, der „Dritte-Welt“-Bewegung sowie der Friedensbewegung. Die Abgrenzungs- und Transferprozesse zwischen Kirchen und Bewegungssektor werden als Reaktionen des kirchlich verfassten Christentums auf die Wandlungsprozesse der bundesdeutschen Gesellschaft verstanden. Es wird gezeigt, dass die beiden Kirchen aus strukturellen, kirchenpolitischen und theologischen Gründen bei ähnlichen Herausforderungen verschieden agierten. Als Bindeglieder zu den sozialen Bewegungen werden die Bewegungsgruppen innerhalb und am Rande der Kirchen ausgemacht, die oft transkonfessionell handelten. Sie beförderten innerhalb der Bewegungen eine Moralisierung der Politik und in ihren Kirchen eine Politisierung der Religion.
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The following essay is a comparative study of relations between the main Christian confessions and social movements in West Germany. Interactions of the churches with early protest movements, student activism, the ‘Third World’ movement as well as the peace movement are examined in detail. Demarcation and transfer processes between churches and movements are considered in terms of reactions of Christian confessions to transformation processes in West German society. As will be shown, the two main churches, though confronted with similar challenges, have operated rather differently with respect to structural, ecclesiastic political and theological considerations. Movements within the churches and on the periphery of churches, which often operated ‘transconfessionally’, are perceived to provide links to social movements. They have been promoting the moralisation of politics within movements and a politicisation of religion within their churches.

Anknüpfend an Hans Rothfels` klassische Definition der Zeitgeschichte als „Epoche der Mitlebenden und ihre wissenschaftliche Behandlung“ wird das Verhältnis der auf analogen Aufzeichnungsverfahren basierenden audiovisuellen Medien zur heutigen Zeitgeschichtsforschung diskutiert. Die Durchsetzung des sozialen Gebrauchs dieser Medien ist Teil des Übergangs zur Konsumgesellschaft im 20. Jahrhundert. Zu fragen ist: Wie verändert sich die Kategorie der „Mitlebenden“, wenn sie als Menschen zu denken sind, deren Realitätsbezüge und Erinnerungen in hohem Ausmaß durch den alltäglichen Gebrauch von audiovisuellen Medien bestimmt sind? Die Ausbreitung dieser Medien beendete die Hegemonie der schriftlichen Kommunikation, die auch der akademischen Disziplin „Zeitgeschichte“ zu Grunde lag. Um ihre gesellschaftliche Kompetenz zu bewahren, muss Zeitgeschichte die audiovisuellen Medien daher umfassend in ihre Praxis integrieren - von der Forschung über die öffentliche Kommunikation bis hin zur Lehre.
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Departing from Hans Rothfels` classic definition of contemporary history (Zeitgeschichte) as "epoch of the contemporaries (Mitlebende) and its scientific treatment", the article discusses the relationship between audiovisual media based on techniques of analog recording and nowadays contemporary history research. The establishment of the social usage of these media was part of the making of consumer society in the 20th century. Therefore our understanding of "contemporaries" has to be reconsidered, since these have to be conceived as human beings whose relations to reality and whose memories are highly dependent on the everyday usage of audiovisual media. The implementation of these media ended the hegemony of written communication underlying also contemporary history as an academic discipline. In order to maintain its competence within society, contemporary history will have to integrate audiovisual media into its wholesale practice, i.e. in its research, public communication and academic teaching.

In Nürnberg formulierten die Alliierten 1945 erstmals das völkerrechtliche Prinzip, dass allgemeine Menschenrechte über nationalem Recht stehen. Damit wurde es möglich, staatlich sanktionierte Verbrechen zu ahnden – in diesem Fall die deutschen Verbrechen der NS-Zeit und des Zweiten Weltkriegs. Seit den 1990er-Jahren haben diverse vergleichbare Prozesse stattgefunden, etwa zu den Ereignissen in Jugoslawien, Ruanda und Kambodscha. Dass das Führungspersonal eines Landes für Kriegsverbrechen und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ strafrechtlich belangt werden kann, war im 20. Jahrhundert stark umkämpft und ist bis heute nicht vollständig durchgesetzt. Der Aufsatz stellt die drei wichtigsten Etappen im Überblick dar: die Leipziger Prozesse nach dem Ersten Weltkrieg, die Prozesse von Nürnberg und Tokio nach dem Zweiten Weltkrieg sowie die Debatte um die Entstehung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Strittig war und ist vor allem, inwieweit auch Großmächte wie die USA bereit sind, universellen Menschenrechten und einer supranationalen Autorität gegenüber herkömmlichen nationalen Souveränitätsrechten einen Vorrang einzuräumen.
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In 1945 in Nuremberg, the Allies advocated the new principle that human rights take precedence over national law, according to the idea that states should be held accountable for their deeds by means of justice. In this case, Nazi Germany was to be held responsible for crimes committed during the Second World War. Since the mid-1990s, further trials based on this rule have taken place in Rwanda, Yugoslavia and Cambodia. The trial of state elites for war crimes and ‘crimes against humanity’ in court has been very controversial and is still not accepted in many parts of the world today. This article presents the three main stages leading to transitional justice: first, the failed trials in Leipzig after the First World War; second, the International Military Tribunals in Nuremberg and Tokyo; third, the debate about the ratification of the International Criminal Court in Den Haag and the strong opposition to it in the USA, which has continued since 2002. Criticism focuses on the degree to which states are prepared to hand over parts of their national sovereignty, especially in justice, to supranational organisations.

Angela Davis war eine der intellektuellen Leitfiguren der afroamerikanischen Bewegungen für Freiheit und Gleichheit in den USA. Als sie von 1970 bis 1972 inhaftiert war, gab es in der DDR eine breite Solidaritätskampagne, initiiert von der SED-Führung und mobilisiert durch die Massenorganisationen. Diese Kampagne verweist auf eine transnationale Dimension in der Geschichte der DDR; Davis wurde als „unsere Genossin“ vereinnahmt. Der Beitrag zeigt, welche Bedeutung die Kampagne im Rahmen der internationalen Anerkennungsbestrebungen der DDR hatte, welchen Stellenwert sie aber auch innenpolitisch gewann. Nach ihrer Freilassung besuchte Davis 1972 und 1973 die DDR und wurde als sozialistische Heldin präsentiert. Dies ist nicht allein als Ausdruck propagandistischer Steuerung zu verstehen, sondern zugleich als Teil einer genuinen Alltagskultur des Kalten Kriegs in der DDR.
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Angela Davis was one of the leading intellectual figures in the African American movement for freedom and equality in the United States. When Davis was imprisoned between 1970 and 1972, the GDR organized a broad solidarity campaign for her, which was initiated by the SED regime and mobilized by its mass organizations. This campaign illustrates an important transnational dimension in the history of the GDR, in which Davis was appropriated as ‘our comrade’. The paper shows the significance the campaign attained in the context of East German efforts for international recognition as well as internal legitimacy. After her acquittal, Davis visited the GDR in 1972 and 1973 and was staged as a socialist heroine. However, this should not only be understood as an expression of propagandistic efforts, but also as part of a genuine Cold War everyday culture in the GDR.

Der Aufsatz geht der Frage nach, welche Formen von Armut es in der DDR in den Jahrzehnten nach dem Mauerbau gab und wie über sie kommuniziert wurde. Sozialhistorisch rekonstruiert wird die Unterversorgung zweier ausgewählter Armuts-Gruppen: Rentner und kinderreiche Familien. Auf der Basis von Akten, zeitgenössischen wissenschaftlichen Arbeiten und Medienberichten wird zudem betrachtet, welche Images von „Armut“ zirkulierten. Zwar galt Armut im Selbstverständnis des SED-Staats als überwunden. Dennoch war offenkundig, dass es soziale Ungleichheiten, ja Notlagen auch in der DDR gab, und diese fanden in der damaligen Sozialforschung ein breites Interesse. Die Einkommens- und Wohnverhältnisse von Rentnern, besonders von Rentnerinnen, waren häufig prekär, so dass viele von ihnen eine zusätzliche Arbeit aufnehmen mussten – was mit dem Bild des „rüstigen“ Alten beschönigt wurde. Bei Kinderreichen wurde differenziert zwischen den „würdigen“, „wohlorganisierten“ und den „liederlichen“, „dissozialen“ Familien. So ging es im Hinblick auf beide Gruppen nicht allein darum, ihre Armut zu lindern. Das vorrangige Ziel war vielmehr, sie mit positiven Images zu versehen und abweichendes Verhalten zu sanktionieren.
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The article explores various forms of poverty that existed in the GDR in the decades after the building of the Berlin Wall, and how social inequality was communicated and mediated in GDR society. Making use of political, scientific and media sources of information, the article seeks not only to reconstruct the plight of two specific social groups (pensioners and families with many children), but also to illuminate the predominant social images of their situations. Taking into account that poverty was officially considered eradicated, it was nevertheless always obvious that social difficulties were ubiquitous in the SED state. While the poor living conditions of the elderly (especially women) were extenuated by images of the ‘sprightly pensioner’, families with many children were classified into ‘worthy’, ‘well-organized’ people on the one hand and ‘disorderly’, ‘slatternly’ or ‘dissocial’ on the other hand. Hence, the aim of social and symbolic policies was not merely to overcome the poverty of both social groups, but rather to create positive images and to penalize deviant behaviour.