Auf der Suche nach ökonomischen Alternativen

Ernst Friedrich Schumachers »Small is Beautiful« (1973)

Anmerkungen

Ernst Friedrich Schumacher, Small is Beautiful. A Study of Economics as if People Mattered, London: Blond & Briggs 1973; Small is Beautiful. Economics as if People Mattered, New York: Harper & Row 1973 (Tb.-Ausg. 1975); dt.: Die Rückkehr zum menschlichen Maß. Alternativen für Wirtschaft und Technik. »Small is Beautiful«. Deutsch von Karl A. Klewer, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1977; Tb.-Ausg.: Small is Beautiful. Die Rückkehr zum menschlichen Maß, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1985 (und öfter).
Ernst Friedrich Schumacher, Small is Beautiful. A Study of Economics as if People Mattered, London: Blond & Briggs 1973; Small is Beautiful. Economics as if People Mattered, New York: Harper & Row 1973 (Tb.-Ausg. 1975); dt.: Die Rückkehr zum menschlichen Maß. Alternativen für Wirtschaft und Technik. »Small is Beautiful«. Deutsch von Karl A. Klewer, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1977;
Tb.-Ausg.: Small is Beautiful. Die Rückkehr zum menschlichen Maß,
Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1985 (und öfter).

Ernst Friedrich Schumachers vor 50 Jahren erschienenes Buch »Small is Beautiful« wurde in den 1970er-Jahren schnell zu einem Standardwerk der Technikkritik und der Debatten um alternative Wirtschaftsformen im globalen Zusammenhang. Vor allem im expandierenden Feld der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Bürgerinitiativen wurde Schumacher zu einem wichtigen Stichwortgeber. Bis heute wird das Buch als Referenz für alternative Konzepte von Wirtschaft und Gesellschaft angeführt – vom »Green New Deal« über die »Donut-Ökonomie« bis zur »Postwachstumsgesellschaft«.1 Gerade im Kontext der ökologischen Krisen der Gegenwart und der kritischen Sicht auf Wachstumsziele als Selbstzweck ist Schumachers Plädoyer für eine »Rückkehr zum menschlichen Maß« hoch aktuell. Von den Traditionen des ökonomischen Denkens des 20. Jahrhunderts geprägt, scheint sein Buch in besonderem Maße geeignet, Anknüpfungspunkte für das Wirtschaften »in einer endlichen Welt«2 zu liefern. Aber es sind auch andere, stärker historisierende Lesarten möglich.

Das Buch war eher eine Gelegenheitsschrift, die aus zum Teil nur lose miteinander verbundenen Aufsätzen und überarbeiteten Vorträgen der Jahre 1961 bis 1972 entstanden war. Der Erfolg während der 1970er-Jahre erklärt sich in erster Linie aus dem zeitgenössischen Kontext, in dem Schumachers Problemdiagnosen und Lösungsansätze auf besondere Resonanz stießen. »Small is Beautiful« war Teil eines boomenden Sachbuchmarktes, auf dem vor allem nach dem Erscheinen der Studie des Club of Rome zu den »Grenzen des Wachstums« ein gesteigertes Interesse an Deutungsangeboten einer von verschiedenen Seiten ausgerufenen »postindustriellen Gesellschaft« bestand.3 Schumachers britischer Verleger Anthony Blond – auf den auch der vielzitierte Titel zurückgeht – konzipierte das Buch recht bewusst mit Blick auf diese neue Zielgruppe. Schumacher war hierfür ein idealer Protagonist: In Fachkreisen hatte er sich durch zahlreiche Vorträge und Aufsätze einen Namen gemacht; so konnte er zugleich als Insider und Outsider eines ökonomischen Fachdiskurses agieren.

Ernst Friedrich Schumacher wurde 1911 in Bonn geboren. Der Sohn eines Professors der Nationalökonomie schlug selbst bald eine erfolgreiche Karriere als frühes akademisches Wunderkind ein. Er ging 18-jährig nach Cambridge, wo er mit John Maynard Keynes in Kontakt kam und in dessen Kolloquium aufgenommen wurde. 1930 erhielt er ein Rhodes-Stipendium für Oxford und wechselte zwei Jahre später an die Columbia University in New York. Für kurze Zeit kehrte er nach Deutschland zurück, siedelte 1937 aber endgültig mit Familie nach England über, wo er zunächst in ein Internierungslager kam, recht bald jedoch seine Karriere an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politikberatung fortsetzen konnte. Er schrieb für die Fabian Society und war eng beteiligt an dem von William Beveridge erarbeiteten Bericht »Full Employment in a Free Society« (1944). Zwei Jahre später erhielt er die britische Staatsbürgerschaft und wurde kurz darauf Economic Advisor am neu gegründeten National Coal Board, das die Aufgabe hatte, die nach dem Zweiten Weltkrieg verstaatlichte Kohleindustrie zu verwalten. In Schumachers Vita spiegelte sich also bis hierhin eine äußerst erfolgreiche transnationale Expertenkarriere, die ihn in eine der Schlüsselinstitutionen des damaligen Planungsoptimismus brachte.4

Parallel zur Arbeit an Statistiken und Verbrauchsprognosen für das National Coal Board entwickelte Schumacher in den Nachkriegsjahren vielfältige weitere Interessen, die von biologischer Landwirtschaft bis zu fernöstlicher Religiosität und Spiritualität reichten.5 Ein Schlüsselmoment war ein dreimonatiger Aufenthalt in Burma, für den sich Schumacher als Economic Advisor der Vereinten Nationen hatte freistellen lassen. Hieraus ging unter anderem ein zunächst unveröffentlichter Text mit dem Titel »Buddhist Economics« hervor, der später unter dem Titel »Economics in a Buddhist Society« zu einem wichtigen Kapitel von »Small is Beautiful« wurde. Weitere Reisen führten Schumacher Anfang der 1960er-Jahre auch nach Indien, wo er stärker als in Burma mit dem Phänomen städtischer Armut konfrontiert war, die er als Folge der ungeplanten technischen Entwicklung und rapiden Urbanisierung des Landes interpretierte.

Nicht zuletzt aus dieser Erfahrung ging eine Initiative hervor, die auch für die Entstehung von »Small is Beautiful« eine wichtige Rolle spielte: die Intermediate Technology Development Group. Die von Schumacher gegründete Gruppe versuchte, »mittlere Technologien« zu entwerfen, mit denen Phänomene der Massenarbeitslosigkeit und der Landflucht in den »Entwicklungsländern« eingedämmt werden sollten. Ziel war es, unter dem Konzept der »angepassten Technologien« Entwicklungspfade aufzuzeigen, die nicht von vornherein am westlichen Modell forcierter Modernisierung und Industrialisierung orientiert waren. Die Intermediate Technology Development Group entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten zu einer wichtigen NGO im britischen Entwicklungshilfemilieu und existiert bis heute unter dem Namen Practical Action. Über den Begriff »Appropriate Technology« wurden die dort mitformulierten Ansätze in den 1970er-Jahren auch transnational zu einem wichtigen Bereich der Entwicklungspolitik.6

»Small is Beautiful« war nicht zuletzt ein Produkt dieser gesellschaftlichen und politischen Aktivitäten des Autors. Die einzelnen Texte waren oft direkt aus den konkreten Initiativen und Vortragsverpflichtungen entstanden, die Schumacher in den Jahren zuvor parallel zu seiner regulären Anstellung übernommen hatte. Sie spiegelten die vielfältigen Interessen eines Public Intellectual, der in seinen Themen und Fragen weder Grenzen noch eine klare Systematik kannte.

Dementsprechend griff das Buch zahlreiche zeitgenössische Themenfelder auf – von Umweltschutz und Technikkritik bis zur Bildungspolitik, von der Futurologie bis zur Humanisierung der Arbeitswelt, von der Agrarpolitik bis zur Atomkraft, von der Stadtplanung bis zu Fragen von Lebensstil und Lebensqualität. Auch wenn Schumacher seine Quellen und wissenschaftlichen Referenzen nicht immer explizit macht, stand das Buch doch im Kontext zahlreicher Veröffentlichungen anderer Autor:innen, die sich zu dieser Zeit in betont »kritischer« oder »alternativer« Perspektive mit den genannten Themen auseinandersetzten. Auf der einen Seite lässt sich Schumacher dabei einer Gruppe heterodoxer Ökonom:innen wie Joan Robinson, Ezra J. Mishan oder Herman E. Daly zuordnen, die sich kritisch mit dem Wachstumsparadigma der zeitgenössischen Wirtschaftswissenschaften auseinandersetzten.7 Auf der anderen Seite war das Buch auch Teil eines sich in den Nachkriegsjahrzehnten etablierenden Kanons alternativer Gesellschaftsdiagnosen, die damals große Aufmerksamkeit fanden. Hier ließe sich an Robert Jungk, Ivan Illich oder Leopold Kohr denken, deren Schriften in dem Zeitraum ähnlich verbreitet waren. Reihen wie »rororo aktuell« oder »fischer alternativ« etablierten dieses Genre endgültig auf dem westdeutschen Buchmarkt, vielfach mit Übersetzungen.

Schumacher gelang es, die erwähnten Themen als miteinander verbundene Problemlagen darzustellen, ohne sie notwendigerweise in ein systematisches Theoriegebäude einzufügen. Sein Buch »Small is Beautiful« ist in vier Teile gegliedert, die aber nur eine sehr grobe Orientierung geben: Teil I »Die moderne Welt«, dessen Kapitel sich vor allem mit der »Rolle der Wirtschaftswissenschaft« und des ökonomischen Denkens beschäftigen; Teil II »Aktivposten«, in dem Fragen von Wissen, Bildung und Technologie behandelt werden; Teil III »Die Dritte Welt«, wo Schumacher seine Konzepte von Entwicklungspolitik und insbesondere die Ansätze der Intermediate Technology Development Group darstellt; sowie Teil IV »Organisation und Eigentum«, der sich mit neuen Formen ökonomischer Ordnung jenseits von Plan- und Marktwirtschaft auseinandersetzt.

Das Buch lässt sich dementsprechend nicht auf eine einzige leitende These herunterbrechen – am wenigsten auf die, dass »small« immer »beautiful« sei. Wollte man in dem weit ausgreifenden Panorama doch eine Kernidee festhalten, so findet man sie am ehesten in dem nicht weniger pointierten Untertitel – »A Study of Economics as if People Mattered« (auf Deutsch mit etwas anderem Akzent: »Die Rückkehr zum menschlichen Maß«). Der Ausgangspunkt von Schumachers Analyse war die Kritik an einer den Diskurs dominierenden Wirtschaftswissenschaft, die sich allein auf das Ziel der Profitmaximierung kapriziere und auf diese Weise gegen jede äußere Kritik immunisiere. Fragen danach, ob es überhaupt gewünscht und sinnvoll sei, so viel Profit wie möglich zu generieren, Dinge so arbeitssparend wie möglich zu produzieren oder so viel Öl und andere Ressourcen wie möglich abzubauen, würden auf diese Weise als ebenso irrelevant und »unwirtschaftlich« abgetan wie Fragen nach dem Eigenwert von erfüllender Arbeit, der Rolle von Kultur und Religion oder der individuellen Selbstverwirklichung und Zufriedenheit. Da sich eine in dieser Weise verengte Wirtschaftswissenschaft gleichzeitig zur gesellschaftlichen Leitwissenschaft entwickelt habe, so Schumachers Diagnose, würden grundlegende Fragen nach einer guten Gesellschaft fast vollständig aus dem politischen Diskurs ausgeschlossen. Schumachers Projekt lässt sich in diesem Sinne als ein Gegenmodell zu dem von ihm diagnostizierten ökonomischen Zeitgeist verstehen: Während die Wirtschaftswissenschaften in den 1960er-Jahren begonnen hatten, ihre Theorien auf gesamtgesellschaftliche Phänomene wie Diskriminierung, Kriminalität, Religion oder Familie auszudehnen8 – und die Etablierung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften im Jahr 1969 dieser Deutung der Ökonomik als Leitwissenschaft auch öffentliche Legitimation zu geben schien –, plädierte Schumacher dafür, die Wirtschaft als Teil der Gesellschaft zu verstehen und sie damit wieder für gesellschaftspolitische Kontroversen zu öffnen.

Diese Kritik an der Selbstdarstellung der Ökonomik als wertfreier Wissenschaft, die ihre impliziten Wertsetzungen von Innovation, Wachstum und Konkurrenz zu vermeintlich »natürlich« gegebenen oder anthropologisch gesetzten Phänomenen erklärte, war auch in den frühen 1970er-Jahren nicht völlig neu. Bei Schumacher kam die Kritik jedoch von einer Person, die durch eigene wissenschaftliche Beiträge Autorität besaß. Und so war seine Kritik zwar oft scharf und polemisch, aber selten pauschal – und setzte sich damit von der zeitgenössischen Kapitalismuskritik ab (oder auch von vielen aktuellen Formen der Neoliberalismuskritik). Der erste Teil des Buches gehört daher zu den spannendsten und bis heute anschlussfähigen Abschnitten, weil sich Schumacher hier mit der Herausforderung auseinandersetzt, wie sich in der Öffentlichkeit eine Sprache für die gemeinsame Diskussion von Zielen, Zwecken und Wertmaßstäben jenseits neoklassischer ökonomischer Metriken etablieren ließe. Das vielleicht bekannteste Kapitel des Buches – über »Buddhistische Wirtschaftslehre« – ist dabei besonders interessant, nicht weil der Autor dem westlichen Wirtschaftssystem eine »bessere« Alternative gegenüberstellen würde, sondern weil er an dem Beispiel zeigt, wie stark wirtschaftliche Systeme und Kriterien von den jeweiligen kulturellen Ansichten und Gegebenheiten abhängig sind – und eben keine hiervon abgeschlossenen, neutralen Wissensbestände darstellen.

Im Kern bezog sich Schumachers Kritik auf die Forderung, entgegen der Vorstellung einer wertneutralen Ökonomik die Diskussion über individuelle und gesellschaftliche Werte neu zu beleben und unvoreingenommen zu fragen, was als eine »gute Gesellschaft« anzusehen sei. Dieser Logik folgten auch die weiteren Abschnitte des Buches. Am deutlichsten lässt sich das beim zweiten Kernthema erkennen, dem Bereich von Bildung, Technik und Technologie. Auch hier griff das Buch etablierte technikkritische Diskurse der 1960er- und 1970er-Jahre auf – und hat diese selbst maßgeblich mitbeeinflusst. Doch spiegelten sich in dem Abschnitt auch Schumachers praktische Erfahrungen, die er im Kontext der Intermediate Technology Development Group gesammelt hatte. Statt einer undifferenzierten Kritik verfolgte Schumacher daher das Ziel, durch einen anders strukturierten Technologietransfer neue Pfade zu erschließen. Damit positionierte er sich sowohl kritisch gegenüber modernisierungstheoretisch fundierten Entwicklungsutopien als auch gegenüber einer zeitgenössisch verbreiteten Kritik von Entwicklungshilfe und Technologietransfers als bloßen Formen des Neokolonialismus.

Globale Zirkulation: Hier das etwas beschädigte Cover einer britischen Ausgabe (London: ABACUS 1974, Reprint 1983), die auch in Indien verkauft wurde (Bombay: India Book Distributors). Das gezeigte Exemplar befand sich zu DDR-Zeiten in der Bibliothek der Hochschule für Ökonomie Bruno Leuschner (Berlin-Karlshorst).
Globale Zirkulation: Hier das etwas beschädigte Cover einer britischen Ausgabe (London: ABACUS 1974, Reprint 1983),
die auch in Indien verkauft wurde
(Bombay: India Book Distributors).
Das gezeigte Exemplar befand sich zu
DDR-Zeiten in der Bibliothek der
Hochschule für Ökonomie Bruno Leuschner (Berlin-Karlshorst).

Das Buch hat eine langanhaltende Rezeption erfahren. Bis heute hat es eine verkaufte Auflage von etwa 700.000 Exemplaren erreicht und wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt.9 Die erste deutsche Übersetzung erschien allerdings erst 1977 – im Todesjahr Schumachers und vier Jahre nach der Originalausgabe. Dabei rückten die Herausgeber den Titel »Small is Beautiful« zunächst in den Hintergrund, was zeigt, dass sich dieser im deutschsprachigen Raum noch nicht als Schlagwort etabliert hatte. Seitdem hat das Buch jedoch auch in Deutschland regelmäßige Neuauflagen erfahren – zuletzt 2019 im Oekom-Verlag mit einem Vorwort von Nico Paech.10

Dies verweist auf die Debatten und Forschungsfelder, in denen das Werk bis heute einflussreich geblieben ist. Vor allem im angloamerikanischen Raum ist Schumacher weiterhin eine wichtige intellektuelle Figur, nicht zuletzt dank einer zielstrebigen Bewahrung und Fortführung seines Erbes durch Archive, Studienzentren, Annual Lectures (seit 1981) sowie die erwähnte NGO Practical Action, die an die Arbeit der Intermediate Technology Development Group anknüpft. In diesen Zusammenhängen wird Schumacher heute vor allem als Pionier des Nachhaltigkeitsdiskurses sowie der Suche nach ökonomischen Alternativen und einer Kritik moderner Technologien rezipiert.

Aus zeithistorischer Perspektive jedoch sind manche Aspekte von »Small is Beautiful« besonders interessant, denen man nicht sofort eine »verblüffende Aktualität« (Paech)11 als Vorläufer heutiger Debatten zuschreiben kann. Eine zeitgeschichtliche Relektüre ist vielmehr gerade dort lohnend, wo sich nach Differenzen zur Gegenwart fragen lässt. Aus dieser Perspektive erscheint das Buch als ein intellektuelles Dokument jener Ära, in der zahlreiche Probleme der heutigen Zeit entstanden, aber in ihren Folgen noch nicht vollständig abzusehen waren. Das gilt beispielsweise für das Themenfeld der Ökologie. Es ist durchaus plausibel, in Schumacher einen Protagonisten des beginnenden Diskurses der Nachhaltigkeit zu erkennen. Und doch ist es an vielen Stellen des Buches faszinierend zu beobachten, wie randständig die Beschäftigung mit konkreten Fragen der Ökologie in dem Text letztlich bleibt. Vorrangig kamen solche Fragen als Beispiele der physikalischen Grenzen des ökonomischen Wachstums in den Blick, die Schumacher an vielen Stellen seiner Kritik des Wirtschaftssystems anführte. Konkret ging es dabei vor allem um die prognostizierten Restbestände natürlicher Ressourcen, deren Berechnung auch zu Schumachers Aufgaben in seiner Arbeit beim National Coal Board zählte. Die Natur erschien hier in erster Linie als eine natürliche Kapitalbasis, mit der sparsam umzugehen sei, der aber kaum ein relevanter Eigenwert zugeschrieben wurde. Hierzu gehörten auch Emissionen und Verschmutzungen, für die es natürliche Grenzen gebe (wobei die Klimaerwärmung bereits erwähnt wird, ohne aber größere Aufmerksamkeit zu erlangen). Mangelndes Interesse an diesen Fragen kann man Schumacher mit Sicherheit nicht vorwerfen. Vielmehr lässt sich sein Buch als ein Text lesen, der genau an der Schwelle zur »Ära der Ökologie«12 steht und deren Themenfelder überhaupt erst für eine ökonomische und gesellschaftsgeschichtliche Analyse in den Blick rückt.

Eine ähnliche Ambivalenz lässt sich auch in Bezug auf die Diskussion und Reflexion neuer globaler Handlungsstrukturen und Herausforderungen der 1970er-Jahre feststellen. Zweifellos ist Schumachers Buch Teil einer damals wachsenden Aufmerksamkeit für weltumspannende Interdependenzen. Zugleich aber bleibt seine Per­spektive in hohem Maße eine Sicht vom Zentrum in die Peripherie. Zwar verweist Schumacher in seinen intellektuellen Referenzen mit gleicher Selbstverständlichkeit auf Mahatma Gandhi und J.C. Kumarappa wie auf John Maynard Keynes, doch ist der Grundtenor des Buches dennoch von der festen Annahme geprägt, dass sich die globalen Probleme weiterhin von einem Zentrum her – letztlich auch aus einem Cottage in North London – erfassen und lösen ließen. Dieser Gestus ist heute zu Recht fragwürdig geworden.

Am größten ist das Gefühl des Unzeitgemäßen aber vielleicht in Bezug auf das Buch selbst. »Small is Beautiful« war schon in den 1970er-Jahren ein verblüffender Bestseller, heute wäre er in dieser Form wohl unmöglich. Mit seinem ständig wechselnden, assoziativen Stil, in dem brillante Ideen kurz angesprochen, aber dann nicht weitergeführt werden, bildet das Buch eine ebenso faszinierende wie enervierende Lektüre. Ein »umsichtiges Lektorat«, wie man so gern sagt, hätte dem Buch gutgetan – und ihm vermutlich einen Großteil seiner Faszination genommen.

»Small is Beautiful« ist damit nicht nur das Produkt eines blühenden Sachbuchmarktes der 1970er-Jahre, der zahlreiche überraschende Bestseller hervorbrachte.13 Es steht auch im Kontext eines spezifischen Diskursfeldes der damaligen Zeit, in dem unter anderem durch die aufscheinenden ökologischen Problemlagen neue Ansätze zur Revision des modernisierungsoptimistischen Nachkriegskonsenses an Aufmerksamkeit gewannen, die sich nicht mehr so eindeutig wie zuvor in eine Dichotomie von Markt- und Planwirtschaft einordnen ließen. Neue gesellschaftliche Spannungen jenseits sozialer und ökonomischer Konflikte rückten in den Fokus. Aus heutiger Perspektive liegt die anhaltende Faszination des Buches nicht zuletzt darin, dass hier ein Autor schreibt, der von einer relativen Offenheit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation ausgeht, die in der Gegenwart so nur noch selten für möglich gehalten wird. In dieser Hinsicht bleibt »Small is Beautiful« eine willkommene Provokation.


Anmerkungen:

1 Für direkte Referenzen zu Schumacher siehe nur exemplarisch: Ann Pettifor, The Case for the Green New Deal, London 2019, S. XII (dt.: Green New Deal. Warum wir können, was wir tun müssen. Aus dem Englischen von Ursel Schäfer, Hamburg 2020); Kate Raworth, Doughnut Economics. Seven Ways to Think like a 21st-Century Economist, New York 2017, S. 42 (dt.: Die Donut-Ökonomie. Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört. Aus dem Englischen von Hans Freundl und Sigrid Schmid, München 2018, aktualisierte Studienausg. 2023); Nico Paech, Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, München 2012, S. 116.

2 Tim Jackson, Prosperity without Growth. Economics for a Finite Planet, London 2009 (dt.: Wohlstand ohne Wachstum. Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt. Hg. von der Heinrich-Böll-Stiftung. Aus dem Englischen von Eva Leipprand, München 2011).

3 Siehe exemplarisch für die beiden Kontexte: Nils Freytag, »Eine Bombe im Taschenbuchformat«? Die »Grenzen des Wachstums« und die öffentliche Resonanz, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 3 (2006), S. 465-469; Ariane Leendertz, Schlagwort, Prognostik oder Utopie? Daniel Bell über Wissen und Politik in der »postindustriellen Gesellschaft«, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 9 (2012), S. 161-167.

4 Zu Schumachers Leben siehe detailliert die von seiner Tochter verfasste Biographie: Barbara Wood, E.F. Schumacher. His Life and Thought, New York 1984. Die wichtigsten Stationen kurz zusammengefasst bei: David Simon, Fifty Key Thinkers on Development, New York 2006, S. 218-223.

5 Genauer hierzu Robert Leonard, der dies – vielleicht etwas zu apodiktisch – als Ausdruck einer »double existence« beschreibt, die Schumacher mit der Publikation von »Small is Beautiful« und der Kündigung seiner Stelle beim National Coal Board gelöst habe: Robert Leonard, E.F. Schumacher and the Making of »Buddhist Economics«, 1950–1973, in: Journal of the History of Economic Thought 41 (2019), S. 159-186.

6 Zu Schumachers Pionierrolle siehe Robert Leonard, Between the ›Hand-Loom‹ and the ›Samson Stripper‹. Fritz Schumacher’s Struggle for Intermediate Technology, in: Contemporary European History 31 (2022), S. 525-552.

7 Joan Robinson, Essays in the Theory of Economic Growth, London 1962; Ezra J. Mishan, The Costs of Economic Growth, London 1967; Herman E. Daly, Toward a Steady-State Economy, San Francisco 1973.

8 Zu diesem Bereich des »Economics Imperialism« siehe vor allem die einflussreichen Arbeiten von Gary S. Becker, der hierfür 1992 mit dem Nobelpreis geehrt wurde: Gary S. Becker, Human Capital. A Theoretical and Empirical Analysis, with Special Reference to Education, New York 1964; ders., The Economics of Discrimination, Chicago 1957 (und öfter).

9 Simon, Fifty Key Thinkers (Anm. 4), S. 218.

10 Ernst Friedrich Schumacher, Small is Beautiful. Die Rückkehr zum menschlichen Maß. Aus dem Englischen von Karl A. Klewer. Mit einer Einführung von Nico Paech, München 2019.

11 Ebd., S. 20.

12 Joachim Radkau, Die Ära der Ökologie. Ein Weltgeschichte, München 2011.

13 Siehe für diesen Kontext in etwas anders gelagerter Perspektive: Philipp Felsch, Der lange Sommer der Theorie. Geschichte einer Revolte 1960–1990, Frankfurt a.M. 2015.

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