Gerichte statt Geschichte?

Das Museum des Zweiten Weltkrieges in Gdańsk

  1. Eine kurze Entstehungsgeschichte
  2. Das Museum soll verhindert werden
  3. Ein Blick in die Ausstellung
  4. Die fehlende inhaltliche Auseinandersetzung

Anmerkungen

Außenansicht des Museums,
das im März 2017 eröffnet wurde
(Wikimedia Commons, Adam Kumiszcza,
Muzeum II Wojny Światowej w Gdańsku, CC BY-SA 4.0)

Blickt man vom Ufer der Motława in Gdańsk Richtung Norden, schiebt sich ein Bauwerk in den Blick, das sich deutlich von seiner Umgebung abhebt: ein schräg stehender langgestreckter Quader, der dem Anschein nach gleich umkippen wird. Statisch droht zwar kein Unglück, die Schieflage des Gebäudes verdeutlicht aber im übertragenen Sinn, wie es um das Innenleben des Bauwerkes steht. Es beherbergt das Museum des Zweiten Weltkrieges. Kein anderes Museum in Polen hat in den vergangenen Jahren mehr Kontroversen ausgelöst als das Projekt in Gdańsk. Obwohl in Polen zu Recht von einem Museumsboom gesprochen werden kann und es durchaus weitere Steine des Anstoßes gegeben hätte, ist nur der Streit um das Museum in Gdańsk so eskaliert.1 Wie weitreichend dieser Konflikt ist, symbolisiert nicht zuletzt das Cover des Buches von Paweł Machcewicz, der die Einrichtung bis 2017 leitete. In der polnischen Originalausgabe trägt der Band den schlichten Titel »Muzeum«, darunter ein Protestplakat mit der unmissverständlichen Botschaft »Politiker! Hände weg von der Ausstellung!« Eine nähere Bestimmung, um welches Museum es sich handelt, ist für die polnische Leserschaft überflüssig. Der politische Konflikt um die Einflussnahme auf Inhalte und Intentionen der Ausstellung hat mittlerweile zur Entlassung von Machcewicz und der Neuberufung eines regierungsnahen Direktors geführt. Mit ihrem Titel »Der umkämpfte Krieg« trägt die deutsche Übersetzung von Machcewiczs Buch deutlich mehr zur Kontextualisierung der Auseinandersetzung bei, was für das Verständnis im Nachbarland hilfreich ist.2

Trotz dieses langanhaltenden Konflikts konnte das Museum am 23. März 2017, nach fast zehn Jahren Arbeit an der Ausstellung, eröffnet werden. Bis November 2018 zählte die neue Dauerausstellung eine Million Besucher/innen.3 Dazwischen lag jedoch eine erbitterte Auseinandersetzung, die sich nach dem Wahlsieg der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) vom Oktober 2015 zuspitzte. Unser Beitrag gibt eine kurze Übersicht zur Entstehungs- und Abwicklungsgeschichte des Museums(konzeptes) und geht exemplarisch auf den Inhalt der Ausstellung ein. Es wird argumentiert, dass der massive geschichtspolitische Streit eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Ausstellung selbst bisher an den Rand gedrängt hat.

1. Eine kurze Entstehungsgeschichte

Die Anfänge des Museums reichen in die Jahre 2007/08 zurück. Machcewicz schildert, dass der Gründungsgedanke aus einem Unbehagen herrührte: Während die ökonomische und politische Integration Polens in die Europäische Union (nach der Aufnahme des Landes im Mai 2004) damals weitgehend positiv verlief, war die Kluft der unterschiedlichen Erinnerungen und historischen Interpretationen des Zweiten Weltkrieges im östlichen und westlichen Europa nach wie vor sehr groß. Auch die deutsch-polnischen Beziehungen waren zu dieser Zeit in schlechter Verfassung, Polen reagierte sensibel auf mögliche Verschiebungen des deutschen Geschichtsdiskurses hin zu einem opferzentrierten Narrativ. Die Diskussionen um ein Berliner Museum zum Thema Flucht und Vertreibung waren in vollem Gange. Noch während seiner ersten Auslandsreise nach Berlin im Jahr 2007 kündigte der damalige Ministerpräsident Donald Tusk von der Partei Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO) den Bau eines Museums des Zweiten Weltkrieges in Gdańsk an. Seither wird das Museum als politisches Projekt der damaligen liberalkonservativen Regierung wahrgenommen, obwohl Tusk nie persönlich in die inhaltliche Gestaltung der Ausstellung eingriff. Einzig für den Standort Gdańsk, das auch seine Heimatstadt ist, machte er sich stark.

2008 legten Paweł Machcewicz und sein Kollege Piotr M. Majewski die programmatischen Grundrisse für die geplante Ausstellung vor.4 Nicht die Militärgeschichte des Krieges, sondern die Erfahrungen der Zivilbevölkerung weltweit sollten im Zentrum stehen. Gleichzeitig sollten die Kriegsschauplätze in Ostmitteleuropa und speziell in Polen ins Bewusstsein der Besucher/innen gerückt werden. Schon hier deutete sich an, dass die Erzählung trotz museologisch neuartiger Ansätze inhaltlich nah am Konsens polnischer Nationalgeschichtsschreibung angelehnt sein würde: »Beabsichtigt wird, ein Museum mit einer universalen Botschaft einzurichten, in dem die Ereignisse, die in Polen stattgefunden haben, Teil eines größeren Bildes sind. Dabei ist sich der [wissenschaftliche] Programmrat [des Museums] bewusst, was für eine schwierige und sensible Aufgabe es ist, die Proportionen zwischen den polnischen und den ›fremden‹ Erfahrungen so abzuwägen, dass nicht der Eindruck entsteht, die universale Aussage des Museums relativiere die Frage der Verantwortung für den Krieg oder verringere das Leid und die Beiträge der Polen.«5

Obwohl die polnischen Museumsmacher damit allgemein akzeptierten Deutungen ihres Landes folgten, war die Kritik rechtskonservativer Politiker und Historiker, allen voran von Oppositionsführer Jarosław Kaczyński, scharf. Der Hauptpunkt bestand darin, dass ein polnisches Museum die eigene nationale Perspektive, also polnische Heldentaten an allen Fronten des Krieges sowie die Bestätigung des polnischen Opferstatus, klar in den Vordergrund rücken müsse. Schon 2008 attackierte Kaczynski die Museumskonzeption mehrmals öffentlich als ein »Instrument der Desintegration der polnischen Nation«.6 Die Gegner des Museums befürchteten von Anfang an, dass die Universalisierung der Kriegserfahrung zu einer Verwischung der Grenzen zwischen Opfern und Tätern führen werde. Durch die Betonung der Leiden von Zivilisten würden die deutschen Täter zu Opfern verklärt und somit deutsche Verbrechen relativiert. Diese Kritik kulminierte in der Annahme, das Museumskonzept sei ein deutscher oder europäischer Versuch, die polnische Geschichte von außen zu diktieren und umzuschreiben. Mit dem Fokus auf die universale Leidenserfahrung der Zivilbevölkerung unterscheidet sich das Museum in Gdańsk in der Tat massiv von anderen musealen Narrationen zum Zweiten Weltkrieg.7 Prominente Beispiele sind die beiden Museen in Moskau (»Zentralmuseum des Großen Vaterländischen Krieges«, 1995 eröffnet) und in New Orleans (»National World War II Museum«, 2000 eröffnet), die sich durch Schlachtenpanoramen und kollektive Heldenepen auszeichnen.8

2. Das Museum soll verhindert werden

Die Einstellung der seit 2015 regierenden PiS-Partei zum Museum des Zweiten Weltkrieges ist geprägt vom Wunsch der Abrechnung mit dem politischen Gegner Donald Tusk, weil er das Museum initiiert und gefördert hatte. Zugleich steht seither eine neue Geschichtspolitik auf der Agenda und mit ihr die grundsätzliche Frage, ob Geschichte deutungsoffen dargestellt werden kann oder als geschlossene nationale Meistererzählung vermittelt werden muss. Das Museum mit seinem universalen und internationalen Ansatz liegt quer zu den geschichtspolitischen Vorstellungen der PiS-Politiker.9

In ihren Augen ging mit der Regierungsübernahme auch die Möglichkeit einher, die Ausstellung zu verändern bzw. in ihrer geplanten Form zu verhindern. Die Versuche dazu waren vielfältig und einfallsreich. So gründete das polnische Ministerium für Kultur und Nationales Erbe am 22. Dezember 2015 das »Museum der Westerplatte und des Krieges 1939«. Die Westerplatte ist ein im polnischen Geschichtsdiskurs symbolisch aufgeladener Ort und steht für die unbeugsame Verteidigung der polnischen Sache im weitesten Sinne. Auf der Halbinsel in der Gdańsker Bucht hatten polnische Einheiten Anfang September 1939 sieben Tage erbitterten Widerstand gegen den Angriff des nationalsozialistischen Deutschlands geleistet. Das neue Museum war jedoch nur ein Vorwand – noch im März 2016 hatte es keinen einzigen Mitarbeiter. Außerdem bestanden auf der Westerplatte zum Zeitpunkt der Neugründung bereits zwei vom Weltkriegsmuseum konzipierte Freilichtausstellungen sowie eine vom Historischen Museum der Stadt Gdańsk betriebene Ausstellung.

Im April 2016 kündigte Kulturminister Piotr Gliński an, das Museum des Zweiten Weltkrieges mit dem Museum der Westerplatte unter einem neuen Namen zu verbinden. Er begründete dies mit Verbesserungen beim Erhalt nationaler Traditionen und mit Sparzwängen: »Wir brauchen keine zwei Museen in ein und derselben Stadt. Das kostet Polen sehr viel«,10 sagte Gliński, der ja das zweite Museum wenige Monate vorher selbst gegründet hatte. Als der Stadtpräsident von Gdańsk, der damals der Bürgerplattform (PO) angehörte, daraufhin ankündigte, das von der Stadt kostenfrei zur Verfügung gestellte Baugrundstück im Wert von 13 Millionen Euro für das Museum des Zweiten Weltkrieges zurückzufordern, lenkte Gliński zunächst ein, gab sich aber nicht geschlagen. Ganz im Gegenteil: Im Juli 2016 veröffentlichte das Ministerium nach einigem Zögern und auf öffentlichen Druck drei Rezensionen zur Dauerausstellung, die von Journalisten und Historikern verfasst worden waren. Zwei von ihnen hatten bereits seit 2008 keinen Zweifel an ihrer kritischen Meinung zum Museum gelassen. Alle drei Rezensenten machten sich nicht die Mühe, die Museumsbaustelle persönlich aufzusuchen – sie urteilten bloß anhand eines Konzeptpapiers, das sie offenbar auch nur lückenhaft gelesen hatten. So bemängelten sie fälschlicherweise, dass die ukrainische Gewalt gegenüber Polen in Wolhynien unerwähnt bleibe. Erwartungsgemäß fielen die Rezensionen negativ aus und führten aufgrund ihres Stils auch nicht zu einer sachlicheren Debatte. Im Verlauf der Auseinandersetzung wurden zudem Vorwürfe des Missmanagements und der Geldverschwendung gegen Machcewicz erhoben.

Die Baustelle des Museums, Juli 2015
(Foto: Irmgard Zündorf)

Für die Museumsmitarbeiter spitzte sich die Lage immer mehr zu, und letztlich handelte es sich seit 2015 um einen Wettlauf mit der Zeit: Machcewicz und sein Team versuchten, vollendete Tatsachen zu schaffen und die Dauerausstellung fertigzustellen, bevor das Museum von anderer Seite übernommen werden konnte. Die Hoffnung, dass ein so komplexes Konstrukt wie eine große Ausstellung auch nach einer institutionellen oder personellen Veränderung nur schwer zu modifizieren ist, hat sich seitdem durchaus bewahrheitet.

Die Zwischenkriegszeit in Polen wird mit einer typisierten Straße dargestellt.
(Foto: Andrzej Hoja)

Zwar erlebte Machcewicz die Eröffnung am 23. März 2017 noch als Direktor.11 Kurz darauf wurde das Museum des Zweiten Weltkrieges jedoch mit dem Westerplatte-Museum zusammengelegt und dadurch formell aufgelöst. Machcewicz schreibt dazu: »Es musste mich noch nicht einmal jemand entlassen, da die Institution, deren Direktor ich gewesen war, schlicht und einfach verschwand.«12 Seither leitet der 34-jährige Historiker Karol Nawrocki das Haus. Ein Großteil des ursprünglichen Leitungs- und Kuratorenteams verließ das Museum unter unmittelbarem oder mittelbarem Druck. Seit Februar 2018 hat es auch einen neuen Beirat, der im Gegensatz zum früheren kaum noch Internationalität aufweist. Das Gremium besteht nun ausschließlich aus polnischen Männern, unter anderem den drei vorherigen Rezensenten. Gegenwärtig (Anfang 2019) ist das weitere Schicksal der Ausstellung schwer abzusehen: Es ist nicht klar, wie tiefgreifend die neue Museumsführung in die bisherige Schau eingreifen will. Fraglich ist auch, inwiefern sie die Grundausrichtung überhaupt verändern kann, die mit rund 2.000 Objekten eine breite empirische Basis aufweist. Die Entscheidung darüber obliegt jedoch zurzeit nicht der neuen Museumsdirektion, sondern einem Gericht in Gdańsk. Hier ist eine Klage auf Urheberrecht an der Ausstellung und ihrer Konzeption anhängig, die vom ursprünglichen Leitungs­team des Museums angestrengt wurde.13 Beide Seiten wurden bislang gehört, ein Urteil steht allerdings noch aus.

3. Ein Blick in die Ausstellung

Im Ausstellungsteil zum September 1939 werden unter anderem die Bombardierung der polnischen Zivilbevölkerung, die Massaker an Zivilisten und die massenhafte Flucht vor der Front aufgegriffen.
(Foto: Andrzej Hoja)

Die unterirdisch gelegene Ausstellung ist in 18 Räume gegliedert. Der Beginn des Krieges wird mit dem Aufstieg totalitärer Diktaturen in Europa erklärt. Den ersten inhaltlichen Schwerpunkt bildet der September 1939: Polen wird als Opfer seiner übermächtigen totalitären Nachbarn Deutschland und Sowjetunion dargestellt. Nach diesem chronologischen Einstieg, der auch den italienischen Faschismus, den japanischen Imperialismus und den spanischen Bürgerkrieg einbezieht, überschreitet der Besucher das erste Mal die Mittelachse, den zentralen Korridor der Ausstellung. Dieser ist ausschließlich dem Kriegsalltag der Zivilbevölkerung gewidmet und vermittelt seine Botschaft mit originellen Objekten.

Die Hauptachse des Museums ermöglicht einerseits das Betreten der unterschiedlichen an ihr liegenden Ausstellungsteile, andererseits wird dort der Kriegsalltag in Europa dargestellt.
(Foto: Andrzej Hoja)

Ein Brautkleid aus japanischer Fallschirmseide und ein Puzzle mit den Flaggen der Anti-Hitler-Koalition gehören zu den eindrücklichsten Beispielen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Korridors wird der Kriegsalltag britischer, polnischer, deutscher und amerikanischer Soldaten dargestellt. Auch hier sieht man wenig Heldentum, dafür viel Not, körperliche Anstrengung und eine eintönige Männerwelt. In den folgenden Räumen werden Ereignisse und schreckliche Konsequenzen des Krieges ausgeführt. Hierzu zählen etwa der durch die Deutschen verursachte Tod von über drei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, die Belagerung Leningrads und das Leben in bombardierten Städten wie Tokyo, Warschau, London oder Dresden.

Den Ausstellungsteil zum »Terror« (sowjetischer und deutscher Terror gegen die polnische Zivilbevölkerung, sowjetische und deutsche Deportationen, nationalsozialistische Zwangsarbeit sowie Konzentrationslager und Holocaust) betritt der Besucher durch die Buchstaben TERROR.
(Foto: Andrzej Hoja)

Nach diesen summarischen Teilen muss der Besucher förmlich durch das in großen rostbraunen Buchstaben aufgestellte Wort »Terror« hindurchgehen, um in die wohl wichtigste Sektion des Museums zu gelangen. Im Begriff »Terror« werden die nationalsozialistische und die stalinistische Gewalt miteinander verklammert. Deutsche wie sowjetische Deportationen, deutscher wie sowjetischer Terror gegen die Zivilbevölkerung, etwa die deutschen Massenmorde an der polnischen Intelligenz, oder die Morde des NKWD in Katyń werden nebeneinandergestellt, ohne gleichgesetzt zu werden. Zwangsarbeit, das System der Konzentrationslager und der Holocaust bilden in dieser Reihenfolge die negativen Höhepunkte des deutschen Terrors. Doch die Rede ist auch vom Pogrom in Jedwabne, wo polnische Bürger 1941 unter den Augen der Deutschen ihre jüdischen Nachbarn ermordeten, und von den wolhynischen Dörfern, wo ukrainische Nationalisten 1943 zehntausende Polen umbrachten. Das Ausmaß der Gewalt steht hier im Zentrum, verbunden mit lokalen Perspektiven, aber auch der Universalisierung des Leides der Zivilbevölkerung. Einen Fokus auf Generäle, Schlachtenimpressionen und Kampfstrategien gibt es nicht. Die Verantwortung für das Ausmaß der Verbrechen schreiben die Kuratoren eindeutig dem Deutschen Reich und der Sowjetunion zu. Gleichzeitig wird das universale Moment von Gewalt und Terror deutlich, das jenseits nationaler Schuldzuweisungen liegt.

Der Ausstellungsteil über Katyń im Kapitel zum sowjetischen Terror gegen die polnische Bevölkerung
(Foto: Andrzej Hoja)
Der Einstieg in den Holocaust wird beschrieben mit Hilfe von Raul Hilbergs Trias der Täter, Opfer und Bystander. Diese Unterscheidung zieht sich durch den gesamten Ausstellungsteil zum Holocaust.
(Foto: Andrzej Hoja)
Das Pogrom von nichtjüdischen Polen an jüdischen Nachbarn in Jedwabne (10. Juli 1941) wird an zentraler Stelle mit symbolischen Objekten thematisiert – hier eine zerstörte Lenin-Statue, die zu erschossenen Juden in ein Massengrab geworfen wurde.
(Foto: Andrzej Hoja)

Einen thematischen Konterpart zum Terror setzen die Ausstellungsmacher mit ihrem Schwerpunkt auf Widerstand. In hellgrau statt rostbraun steht das Wort »Opór«, polnisch für »Widerstand«, vor der nächsten Sektion. Der polnische Untergrundstaat dominiert dabei die Vielfalt der anderen europäischen Widerstandsbewegungen, wie die französische Résistance, sowjetische und jugoslawische kommunistische Partisanen oder serbische Tschetniks. Diverse Aufstände in Warschau bis hin zur Selbstbefreiung in Prag und Paris werden ebenso thematisiert wie die Atombombe und die Versuche, die Welt nach der Katastrophe zu ordnen und den Konflikt justiziabel zu machen.

Der juristischen Aufarbeitung – und gleichzeitig der begrenzten Gerechtigkeit – ist ein Raum am Ende der Ausstellung gewidmet.
(Foto: Andrzej Hoja)
Die polnische Straße vom Anfang der Ausstellung wird am Ende als Bild der Zerstörung wieder aufgegriffen. In der Mitte steht ein sowjetischer T-34 – Symbol für Befreiung wie für neue Unterdrückung in Ostmitteleuropa.
(Foto: Andrzej Hoja)

Am Ende der Ausstellung steht das Bild eines Kontinents in Schutt und Asche. Farbfotos des zerstörten Warschau schlagen in der letzten Galerie eine Brücke in die Gegenwart. Einen weiteren greifbaren Gegenwartsbezug hatte die ursprüngliche Version der Ausstellung: Sie entließ die Besucher/innen mit schnell aufeinanderfolgenden medialen Sequenzen zur Nachkriegsgeschichte, aber auch zu Kriegen und Konflikten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis in die Gegenwart – zur Musik von »The House of the Rising Sun«.14 Diese Filmsequenzen spitzten mit ihrer emotionalen Ansprache die Hauptthese der Ausstellung am Ende zu: Der Zweite Weltkrieg hat die ganze Welt erschüttert und Millionen Leben gekostet; ein Ende von Krieg und Gewalt brachte er jedoch nicht. Der neuen Museumsleitung war diese Botschaft zu pazifistisch. Der Film wurde als eines der ersten Ausstellungselemente entfernt und durch eine filmische Animation ersetzt. Auch an anderen Stellen wurden Veränderungen vorgenommen, die das Leiden der Polen und katholisches Märtyrertum stärker hervorheben oder etwa die Rettung von Juden durch Polen betonen. Verließen die Besucher/innen die Ausstellung vorher mit einem Impuls zum Nachdenken über die Folgen von Zerstörung und Gewalt, so feiert der neue Clip nun in Videospielästhetik das Heldentum polnischer Kämpfer für die Freiheit des Landes.15

Das verweist auf den Kern der Vorwürfe gegen die ursprüngliche Museumskonzeption. Diese sei nicht polnisch, sondern europäisch und kosmopolitisch. Außerdem thematisiere sie eben nicht nur die Erfahrungen des heldenhaft kämpfenden Polens, sondern auch diejenigen anderer Nationen. In den Augen seiner Kritiker sollte das Hauptziel des Museums jedoch sein, zu zeigen »[...] who we are today, and why we are what we are: loving freedom, Catholic, patriotic, etc. and most of all – proud of our history«.16 Mit seiner Ausstellung gefährde das Museum die polnische Identität und den polnischen Patriotismus. Machcewicz sieht in diesem Umgang mit dem Museum und seinen Inhalten ein »im Grund autoritäres Vorgehen. Die historischen Museen in Polen sollen die Sicht der Regierungspartei widerspiegeln, für andere kann es im öffentlichen Raum keinen Platz mehr geben.«17

Partisanenbewegungen werden in ihrem europäischen Ausmaß gezeigt – hier etwa mit Verweis auf die Sowjetunion, Frankreich, Polen, Jugoslawien.
(Foto: Andrzej Hoja)

4. Die fehlende inhaltliche Auseinandersetzung

Die mediale Fokussierung auf den Streit um das Museum verhinderte bisher eine nähere Auseinandersetzung mit dessen Inhalt und Form.18 Vor der Eröffnung hatte das damalige Beiratsmitglied Timothy Snyder gefordert, die Ausstellung unverändert zugänglich zu machen. Ähnlich wie die Museumsmacher betonte er: »Tell­ing a global history of the war is essential to showing the full extent of Poland’s plight and the Polish resistance.«19 Doch kann diese Annahme einer Analyse tatsächlich standhalten?

Bereits unsere kurze Zusammenfassung hat gezeigt, dass das übergreifende Narrativ des Museums die klassischen Stränge polnischer Nationalgeschichte wiederholt. Dabei werden zwar stetig transnationale Verbindungen und Vergleichsmöglichkeiten angeboten. Das Schicksal der Zivilbevölkerung ist zudem multiperspektivisch aufbereitet. Dennoch macht gerade diese internationale Rahmung polnische Besonderheiten eindringlich greifbar: Das gilt für den polnischen Untergrundstaat und den Warschauer Aufstand ebenso wie für den Ghettoaufstand, für die Anzahl derjenigen, die in Polen Juden gerettet haben, ebenso wie für jene, die unter deutscher wie sowjetischer Herrschaft deportiert und ermordet wurden.

Andererseits lassen sich in der Ausstellung auch kontroverse Deutungen der Vergangenheit finden. So behauptet etwa der erste Text des Museums, dass die Ursachen für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beim Deutschen Reich und der Komplizenschaft der Sowjetunion lagen: »The Second World War [...] was launched by the totalitarian regimes of Germany and the Soviet Union, which cooperated with each other. They committed acts of unimaginable cruelty and crimes in the name of lawless ide­ologies.« Aus dieser angeblichen gemeinsamen Verantwortung folgt, dass der in Westeuropa so umstrittene Begriff des Totalitären »nicht problematisiert, sondern gesetzt« wird.20 Die Rolle der Roten Armee bei der Niederschlagung Deutschlands wird wiederum kaum thematisiert oder erklärt; so bleibt am Ende der Ausstellung merkwürdig offen, »wie der Krieg in Europa schließlich gewonnen wurde«.21

An vielen Stellen gerät auch das Selbstbild der Polen trotz (oder gerade wegen) des internationalen Ansatzes der Schau zu positiv, wie Joachim von Puttkamer beobachtet hat. »Die Botschaft lautet: Zwischenkriegspolen war über weite Strecken ein von Militärs geführtes, im Grunde jedoch ziviles Gemeinwesen. Wer den Unterschied zu den beiden übermächtigen Nachbarn anschaulich machen will, darf hier wohl ein wenig idealisieren.«22

Auch der Kritik der Kulturwissenschaftlerin Kornelia Sobczak ist durchaus etwas abzugewinnen, wenn sie anmerkt, dass entgegen der Meinung Timothy Snyders das Museum die Wahrnehmung des Krieges keineswegs ändere. Für Sobczak bleibt die Ausstellung einer polnischen – nationalen wie staatlichen – Logik untergeordnet, ergänzt mit neuen Zutaten: »[…] zu den kanonisierten Helden geben wir die normalen Menschen, zu den Polen die Juden, zu den V1-Raketen Tee-Ersatz.« Ein Paradigmenwechsel in der Betrachtung des Zweiten Weltkrieges sehe wohl anders aus.23

Zwar haben die angeführten Beispiele nur Stichprobencharakter, eine eingehende Diskussion dieser Reibungspunkte wäre allerdings wünschenswert. Der historiographische Anspruch des Museums, sein museologischer Ausdruck, der internationale Vergleiche nicht scheuen muss, die allgemeine Anerkennung der Museumsmacher als Fachleute – all das hätte eine anregende Debatte über die ausgestellten Inhalte erwarten lassen. Diese böte die Chance, die polnische Perspektive, selbst in Form eines polnischen Master-Narrativs, ernstzunehmen. Sie könnte somit als Korrektiv zu manchen auf europäischer Ebene eingeübten Deutungsweisen fungieren, die Konflikte eher verschütten, statt sie produktiv zu nutzen.24 Möglicherweise wären die Diskutanten gar aus den eingefahrenen Mustern von »West« und »Ost« herausgekommen.

Anstelle einer solchen Debatte warten wir heute auf ein Gerichtsurteil, das zu unserem Geschichtswissen nichts beitragen kann. Für die Verständigung über geschichtskulturelle Fragen dürfte dies schlicht kontraproduktiv sein, da eine gemeinsame Diskussion über geteilte Geschichte innerhalb und außerhalb Polens durch juristische Urteile keineswegs einfacher wird.

Anmerkungen:


1 Eine Zusammenfassung zu den bisherigen Entwicklungen gibt Florian Peters, Polens Streitgeschichte kommt ins Museum. Wie neue Museen in Danzig und Warschau die polnische Geschichtskultur verändern, in: Zeitgeschichte-online, Februar 2015. Zum Museum des Zweiten Weltkrieges siehe Daniel Logemann, Streit um das Museum des Zweiten Weltkriegs in Gdańsk. Wie soll man »polnische Geschichte« zeigen?, in: Zeitgeschichte-online, April 2017. Daniel Logemann war von 2010 bis 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Museums des Zweiten Weltkrieges und hat die Ausstellungsteile zu Zwangsarbeit, Konzentrationslagern und Holocaust mitkuratiert.

2 Paweł Machcewicz, Muzeum, Kraków 2017; dt.: Der umkämpfte Krieg. Das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig. Entstehung und Streit, Wiesbaden 2018 (aus dem Polnischen übersetzt von Peter Oliver Loew). Siehe dazu auch die Rezension von Monika Heinemann, in: H-Soz-Kult, 31.7.2018.

3 Die Website des Museums gibt an, dass am 24. November 2018 der millionste Gast das Museum besuchte: <https://muzeum1939.pl/milionowy-gosc.html>. Machcewicz schreibt, dass bis zum 17. Mai 2017 rund 100.000 Besucher die Ausstellung gesehen hätten, und ein halbes Jahr nach Ausstellungseröffnung seien es schon 300.000 gewesen. Machcewicz, Der umkämpfte Krieg (Anm. 2), S. 227.

4 Auf Deutsch: Paweł Machcewicz, Das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig. Die polnische und europäische Idee, die gemeinsame Geschichte zu erzählen, in: Polen-Analysen Nr. 56, 1.9.2009, S. 2-8.

5 Ebd., S. 4.

6 Zit. nach Machcewicz, Der umkämpfte Krieg (Anm. 2), S. 1.

7 Vgl. zu Osteuropa etwa Ekaterina Makhotina u.a. (Hg.), Krieg im Museum. Präsentationen des Zweiten Weltkriegs in Museen und Gedenkstätten des östlichen Europa, Göttingen 2015.

8 Darauf verweist Joachim von Puttkamer, Europäisch und polnisch zugleich. Das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig, in: Osteuropa 67 (2017) H. 3, S. 3-12. Auch Machcewicz bezieht sich in seinem Buch auf bisherige Ausstellungen zum Zweiten Weltkrieg; vgl. Anm. 2.

9 Zur Vertiefung des Folgenden siehe auch Logemann, Streit (Anm. 1).

10 Zit. nach Machcewicz, Der umkämpfte Krieg (Anm. 2), S. 129.

11 Vor der Zusammenlegung hatte das Warschauer Oberverwaltungsgericht erklärt, zu keinem rechtlichen Urteil befähigt zu sein, und hatte die Entscheidung in die Hände des Ministeriums zurückgelegt. Dieses führte daraufhin die Museen zusammen und löste das Museum des Zweiten Weltkrieges de facto auf. Machcewicz strengte im Anschluss eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg an, die sich auf die Artikel 6 (Recht auf einen fairen Prozess) und Artikel 10 (Recht auf freie Meinungsäußerung) der Europäischen Menschenrechtskonvention berief. Die Klage ist noch immer anhängig.

12 Machcewicz, Der umkämpfte Krieg (Anm. 2), S. 4.

13 Neben Paweł Machcewicz sind dies Piotr M. Majewski, Rafał Wnuk und Janusz Marszalec.

16 Jan Żaryn, Inside Review. Functional and Content Programme of the Main Exhibition. Museum of the Second World War in Gdańsk, 24.3.2016, URL: <http://www.cultures-of-history.uni-jena.de/fileadmin/editorial/articles/Logemann_Museum_WWII/Review_prof.Zaryn_ANG_.pdf>.

17 Machcewicz, Der umkämpfte Krieg (Anm. 2), S. 238.

18 Eine Ausnahme bildet u.a. Andrzej Hoja, An Engaged Narrative: the Permanent Exhibition of the Museum of the Second World War in Gdańsk, in: Cultures of History Forum, 24.7.2017.

19 Timothy Snyder, Poland vs. History, in: New York Review of Books, 3.5.2016.

20 Puttkamer, Europäisch und polnisch zugleich (Anm. 8), S. 5.

21 Ebd., S. 10.

22 Ebd., S. 5.

23 Kornelia Sobczak, Bezradność liberałów. Muzeum II wojny, in: Dialog 12, Dezember 2017, S. 5-23 (Übersetzung: Daniel Logemann).

24 So etwa im Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel. Siehe dazu Andreas Fickers, Kompromissgeschichte, serviert auf dem »Tablet«. Das Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 15 (2018), S. 173-183.

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