- Material Matters: Zum Stand der historischen Dingforschung
- Material Powers: Soziale Asymmetrien aus dinghistorischer Perspektive
- Material Values: Dingliche Dimensionen von Werten und Wertsetzungsprozessen
- Material Outlooks
In den heutigen »wissens- und technologieintensiven« Zeiten, so könnte man annehmen, drehen sich Wirtschaft und Gesellschaft immer mehr um Immaterielles. Manche hoffen sogar, dass diese post-industrielle Revolution der Weltwirtschaft den Schub geben wird, den sie braucht, um weiterhin auf einem Wachstumspfad zu bleiben und – dieses kleine Detail bleibt oft unerwähnt – weiterhin eine asymmetrische Verteilung von Produktivität und Einkommen sicherzustellen. Warum sollte sich also ein Themenheft der »Zeithistorischen Forschungen« ausgerechnet jetzt mit dem »Wert der Dinge« beschäftigen, wo diese doch gerade zusammen mit der industriellen Produktion an Bedeutung zu verlieren scheinen? Gewählt haben wir dieses Thema nicht primär aufgrund der Konjunktur, welche die dinglichen Dimensionen der Vergangenheit momentan in der Geschichtswissenschaft genießen, sondern eben aufgrund der Rede vom Bedeutungsverlust des Materiellen. Sie macht es notwendig, den vermeintlichen Gegensatz zwischen Dingen und Menschen oder zwischen Stoffen und Gedanken neu zu fassen.[1]
Bereits Karl Marx hat den engen Konnex zwischen materiellen und immateriellen Herstellungsprozessen betont, der für den Kapitalismus konstitutiv sei: Der Arbeiter, heißt es im ersten Band des »Kapitals«, »hat gesponnen, und das Produkt ist ein Gespinst«.[2] Ebenso wie die Annahme, dass die reale Fabrikation unabhängig sei von gedanklichen Vorstellungen, geht auch die umgekehrte These, dass die informations- und wissensbasierte Ökonomie sich von materiellen Bedingungen löse, auf gefährliche Weise in die Irre. Forschungen zur Infrastruktur für die Übermittlung von Daten zeigen, wie sehr auch und gerade angeblich immaterielle Formen des Wirtschaftens auf Kabel, Relais und deren regelmäßige Wartung angewiesen waren und sind.[3] Wenn ein hungriges Eichhörnchen in Connecticut das richtige Kabel anknabbert, müssen die Börsen ihren elektronischen Handel einstellen.[4] Auch das Speichern von Daten ist eng mit materiellen Bedingungen und Effekten verknüpft, denn es geschieht – anders als man glauben möchte – nicht in den Wolken, sondern in geerdeten Servern, deren Betrieb Strom verbraucht und Wärme generiert. Entsprechend werden sogenannte Serverfarmen zunehmend dort errichtet, wo ausreichend Wasserkraft und kalte Luft zur Verfügung stehen, nämlich in der Nähe des Polarkreises.[5] Selbst in den (scheinbar) immateriellsten Phänomenen zeigt sich auf mitunter überraschende Weise die Relevanz materieller Wirklichkeiten.
Deshalb sollten auch und gerade Zeithistoriker_innen dem Wert der »Dinge« nachgehen, hier verstanden als konkrete und handhabbare Manifestationen des Materiellen. Es gilt, ihren analytischen Wert zu erkennen und ernstzunehmen. Die Einbeziehung der gegenständlichen Dimensionen der Vergangenheit ermöglicht nicht nur ein umfassenderes, sondern auch ein besseres Verständnis sozialer Praktiken und historischer Prozesse. Rückt man die Materialität politischer, gesellschaftlicher, ökonomischer und kultureller Dynamiken ins Zentrum des Interesses, dann erscheint die Frage nach Agency in einem neuen Licht. Denn diese hängt dann nicht mehr nur von den Intentionen der Akteure ab, sondern auch von materiellen Bedingungen wie etwa dem Vorhandensein eines Mobiltelefons, das Handlungsmacht – je nachdem – erzeugt, verstärkt oder einschränkt. Ebenso schärft die empirische Fokussierung auf Dinge den Blick für die Konstitution von und die mitunter unerwarteten Verbindungen zwischen lokalen, nationalen und globalen Handlungsräumen.[6] So ermöglicht die mit der Zerstörung bestimmter Landstriche verbundene Gewinnung seltener Erden die Herstellung von tragbaren Kommunikationsgeräten mit immer mehr Funktionen, die wiederum die Versteigerung von Mobilfunk-Lizenzen zu einem lukrativen Geschäft für nationale Regierungen machen.
Solche Perspektiven belegen das analytische Potential dinghistorischer Ansätze auch und gerade auf klassischen Feldern der Geschichtswissenschaft und in der Auseinandersetzung mit etablierten Fragen. Unser Heft löst sich deswegen von der bisher vorherrschenden kulturhistorischen, eher volkskundlichen Annäherung an Dinge und plädiert stattdessen für eine materialitätensensible Auseinandersetzung mit wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Themen. Die Betonung der Gleichrangigkeit von Dingen und menschlichen Akteuren als Koproduzenten von Wirklichkeit bringt lange vernachlässigte Formen der Hierarchisierung und der Machtausübung in den Blick. Neben dem analytischen Wert der Dinge im Allgemeinen stehen daher die Fragen nach ihrem ökonomischen Wert und nach ihrem funktionalen Wert bei der Herstellung gesellschaftlicher Asymmetrien im Zentrum der Beiträge.
Die Auseinandersetzung mit Dingen kann helfen, die mitunter als übertrieben empfundene Betonung der diskursiven Herstellung von Wirklichkeit im Sinne des Cultural Turn zu überwinden, ohne dessen Einsichten gänzlich aufzugeben. Deswegen sollen Dinge hier nicht nur als isolierte Teile einer materiellen Kultur auf ihre symbolische Bedeutung hin befragt werden, wie manche volkskundlichen oder archäologischen Forschungen es tun.[7] Deren Erkenntnisse und Forschungstraditionen sind zwar, wie Stefanie Samida in ihrem Essay betont, für den Umgang mit Dingen als Quellen unverzichtbar, aber eine Verengung auf diesen Aspekt verfehlt die Polyvalenz des Materiellen. Eine breiter angelegte Geschichte der Dinge interessiert sich sowohl dafür, wie Menschen Dinge nutzen und begreifen, als auch dafür, wie umgekehrt Dinge – einzeln oder als Assemblagen – menschliche Praktiken und Beziehungen prägen, wobei zumindest teilweise eine eigene, von kulturellen Sinnstiftungen unabhängige dingliche Logik ihre Wirksamkeit entfaltet.[8] Deshalb kommen als Quellen auch keineswegs bloß die Dinge selbst in den Blick. Um deren Bedeutungen als Bestandteilen des Sozialen auf die Spur zu kommen, sollte vielmehr das gesamte Quellenspektrum der Geschichtswissenschaft genutzt werden. Die Zeitgeschichte kann von Forschungen zur materiellen Kultur daher zwar viel lernen, sie geht in deren Ansätzen aber nicht auf.
Dinghistorische Perspektiven sind dazu geeignet, scheinbar unverrückbare Gewissheiten über wirtschaftliche Dynamiken und gesellschaftliche Ordnungen produktiv zu verunsichern. Das vorliegende Heft soll auch diejenigen vom analytischen Potential einer Geschichte der Dinge überzeugen, die sich bislang nicht mit ihr auseinandergesetzt haben – weil ihnen Bruno Latours Terminus des »Aktanten« als Ausdruck einer aufgeblähten Geheimsprache ohne erkenntnisgenerierenden Mehrwert erschien; weil sie die Annahme eines vermeintlich eigenständigen »Handelns« der Dinge irritierte; oder weil sie glaubten, die Geschichte von Menschen sei interessanter als diejenige einer Cola-Dose oder des Betons.[9] Diese Skepsis beruht indes auf Missverständnissen. Die Rede von »Aktanten« impliziert nicht die ebenso plumpe wie falsche Behauptung, statt der Menschen würden nun die Dinge handeln. Vielmehr reagiert die Wortschöpfung auf die von Anhänger_innen der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) und verwandten Ansätzen vertretene These, dass sich die komplexen Beziehungen zwischen Menschen und Dingen nicht auf eine einfache Hierarchie zwischen allmächtigen (menschlichen) Akteuren und passiven Objekten reduzieren lassen.[10] Deswegen muss Dinggeschichte betreiben, wer Menschengeschichte begreifen will.
Inwiefern sich diese Aufwertung der Dinge in der historischen Forschung bisher niedergeschlagen hat, skizziert der folgende Abschnitt. Danach beschäftigen wir uns mit der Dinglichkeit sozialer Asymmetrien und ökonomischer Wertsetzungsprozesse. Diese beiden Teile verorten auch die einzelnen Beiträge des Hefts im Rahmen breiterer theoretischer Debatten und zeigen, warum es lohnt, sich als Zeithistoriker_in eingehend mit Babyfläschchen, Fertigbauhäusern, Apparaten zur Analyse von Gemälden und Arbeitsamtscomputern zu beschäftigen.
1. Material Matters:
Zum Stand der historischen Dingforschung
Als Jean-François Lyotard 1985 in seiner Ausstellung »Les Immatériaux« im Pariser Centre Pompidou den Veränderungen im Verhältnis von Mensch und Ding nachging, kontrastierte er die Immaterialität neuer Technologien mit deren manifester Präsenz, ob nun in Form von IBM-Rechnern oder Robotern. Damit verwies Lyotard als Vertreter der Postmoderne darauf, dass die virtuelle Informationsgesellschaft »geerdeter« ist, als es auf den ersten Blick erscheint, und konstatierte zugleich eine Destabilisierung im Verhältnis von menschlichen Akteuren und Dinglichkeit. Neuerdings interessieren sich auch Historiker_innen für die »Immaterialien«.[11] Die Zeitgeschichte beginnt mit der Historisierung der Postmoderne und wendet sich zugleich den Dingen zu. Von einem Material Turn zu sprechen erscheint übertrieben, aber die dinglichen Dimensionen historischer Prozesse finden gegenwärtig große Aufmerksamkeit. Von der Frage danach, wie »das Heroische« mit materiellen Objekten verflochten ist, bis hin zu der Forderung, sich eingehender mit »gendered objects« zu befassen: Schon der oberflächliche Blick in aktuelle Konferenzankündigungen zeigt, wie sehr sich Historiker_innen derzeit für Dinge interessieren – ein Untersuchungsfeld, das früher der Alltags- und Konsumgeschichte sowie der Historischen Anthropologie vorbehalten blieb.[12] Damit folgen sie anderen kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen, die schon länger die Bedeutung des Materiellen für soziale Praktiken hervorheben.
»Perhaps, then, when we look at the social, we are also looking at the production of materiality. And when we look at materials, we are witnessing the production of the social.«[13] Solche soziologischen und philosophischen Perspektiven sind eng mit den Arbeiten Latours sowie weiterer Vertreter_innen der ANT verknüpft.[14] Diese fordern eine analytische Überwindung der scharfen Trennlinie zwischen einer materiellen Welt der Dinge und einer sozialen Welt der Menschen. Handlungen und Interaktionen bestehen demzufolge nicht allein im Aufeinandertreffen menschlicher Akteure, sondern ergeben sich vielmehr aus dem historisch variablen Zusammenspiel von Menschen und Dingen. Apparate, Produkte und Ressourcen sind nicht bloße Objekte menschlichen Handelns, sondern sie vermitteln, ermöglichen oder beschränken Handlungen – und verfügen in diesem Sinne über Handlungsmacht. Sie übernehmen soziale Aufgaben, überwachen den Gesundheitszustand von Kranken, ermöglichen die Kommunikation über weite Distanzen oder regeln den Verkehr. Das, was gemeinhin das Soziale genannt wird und sich auf Formen des menschlichen Zusammenlebens bezieht, ist deswegen nicht ohne Dingliches zu denken. Kurz: Dinge sind (auch) sozial, und das Soziale ist (auch) materiell.[15] Weil sie das Soziale als Netzwerk oder Beziehungsgeflecht interpretiert, das humane ebenso wie nicht-humane Akteure oder Aktanten umfasst, gilt die ANT manchen als ein »posthumanistischer« Ansatz. Ihre Vertreter_innen konzentrieren sich weniger auf Zeichen oder Diskurse, sondern eher auf Praktiken, Relationen und Interaktionen; sie heben hervor, dass Agency stets auf Mensch-Ding-Geflechte verteilt ist.
Dass der Blick auf die Koproduktion von Materiellem und Sozialem etablierte Narrative ändern und neue Fragen aufwerfen kann, demonstrieren insbesondere Forschungen aus der Wissenschafts- und Wissensgeschichte sowie die globalhistorisch erweiterte Technik-, Umwelt- und Ressourcengeschichte. Ausgehend von den Laboratory Studies und den Science and Technology Studies zeigt die Auseinandersetzung mit Formen der Wissensproduktion, wie instruktiv eine praxeologisch fundierte Materialitätsforschung sein kann. Indem sie sich auf die »Hardware« wissenschaftlicher Arbeit konzentrieren und von den Techniken und Geräten her die Produktion und (globale) Zirkulation von Wissen erschließen, verschieben solche Ansätze den Fokus von den Ergebnissen der Forschung auf deren Durchführung.[16] Als ausschlaggebend erscheinen so weniger die Ideen der einzelnen Wissenschaftler_innen als vielmehr die benutzten Geräte und Praktiken.
Dieser Fokus auf die Produktion von Wissen wurde in den letzten Jahren globalhistorisch erweitert. Denn auch die Zirkulation von Wissen hängt ganz entschieden mit dessen konkreter materieller Form zusammen. Dementsprechend haben die Science and Technology Studies (STS) das Labor längst verlassen und sind in andere Sphären vorgestoßen. Dass die sexuelle Revolution der 1960er-Jahre eng mit der Erfindung der Pille verknüpft war, ist ein ebenso etabliertes Narrativ wie der Hinweis darauf, dass Kondom und Spirale (Intra-Uterine Device, IUP) im 20. Jahrhundert zu zentralen Instrumenten der Bevölkerungspolitik und Entwicklungshilfe wurden. Die Materialität dieser Techniken blieb allerdings eine Art Black Box, bis sich STS-inspirierte Studien dem konkreten Gebrauch und der Verbreitung dieser Dinge zuwandten.[17] Sie setzten dem gängigen Fokus auf einen von Expert_innen und großen Erfindungen angestoßenen sozialen Wandel die Vielfalt lokaler Praktiken entgegen und eröffneten neue Perspektiven auf globale Verschiebungen im Umgang mit Familie, Fortpflanzung und Sexualität.
Die Forschung zu Ressourcen – oft in globalhistorischer Perspektive und beeinflusst von den Postcolonial Studies – belegt ebenfalls das Potential dinghistorischer Ansätze.[18] Ob anhand einer Geschichte des Urans, der Baumwolle oder des Goldes: Mit ihrer Analyse globaler Stoffströme zeigen Forscher_innen, dass der Abbau und die Verarbeitung von Ressourcen sowie die um spezifische Rohstoffe gruppierten Ökonomien nur als ein Wechselspiel von Interessen, Praktiken und spezifischen Materialitäten verstanden werden können. Zugleich können Studien zur Zirkulation von Ressourcen die Vernetzung unterschiedlicher Lokalitäten unabhängig von politischen Grenzen betrachten.[19] Schließlich erweisen sich die »Stoffgeschichten« auch als kluge Erzählstrategien, die abstrakte Zusammenhänge wie die globalen Dimensionen des Kapitalismus sowie die damit verknüpften Macht- und Ungleichheitsbeziehungen anschaulich machen, indem sie den Dingen folgen.
2. Material Powers:
Soziale Asymmetrien aus dinghistorischer Perspektive
Von »Material Powers« ist in Diskussionen über die Anwendbarkeit der ANT für die Kultur- und Geschichtswissenschaft die Rede.[20] Aus historischer Perspektive gerät dabei in den Blick, wie Infrastrukturen und Technologien Machtverhältnisse stabilisieren und perpetuieren können. So zeigt die interdisziplinäre Stadtforschung, die sich seit geraumer Zeit für die »Hardware« urbanen Lebens interessiert – für Kanalisation, Strom- und Verkehrsnetze –, wie das Materielle dem Städtischen Beständigkeit verleiht und wie urbane Infrastrukturen koloniale Machtverhältnisse auch nach der Dekolonisation aufrechterhalten.[21] Neuere Studien zu »urbanen Assemblagen« überwinden zum einen die Vorstellung von der Stadt als klar definierter und homogener Einheit; sie konzentrieren sich stattdessen auf die Herstellung simultan existierender Praxisordnungen.[22] Zum anderen untersuchen sie urbane Situationen als Assoziationen zwischen Materialitäten und Akteuren, körperlichen Erfahrungen und sozialen Praktiken. Auf diese Weise tragen dinghistorische Perspektiven dazu bei, ein genuines Ziel der Geschichtswissenschaft zu erreichen: Sie zeigen die Prozesshaftigkeit, mit der Institutionen und Interaktionen entstehen – wie Familie oder Herrschaft –, wie sie stabilisiert, verstetigt oder eben brüchig werden. Das verdeutlicht auch Verena Limper mit ihrem Beitrag zu diesem Heft: Sie zeigt anhand des westdeutschen und des schwedischen Falls, wie der Gebrauch von Babyfläschchen und industriell produzierter Babynahrung zwischen 1945 und 1980 Geschlechterverhältnisse und Familienbeziehungen transformierte.
Dinghistorische Perspektiven auf Macht und Ungleichheit[23] erweisen sich dann als besonders fruchtbar, wenn man die voraussetzungsreiche Formel der sozialen Ungleichheit durch den offeneren Begriff der sozialen Asymmetrien ersetzt. Letzterer denkt Macht dynamischer und berücksichtigt Wechselwirkungen und Widersprüche zwischen verschiedenen Gender-, Class- und Race-basierten Asymmetrien beim Zugang zu oder der Verfügung über Handlungsmöglichkeiten und Ressourcen.[24] Ein solcher Ansatz ermöglicht einen Dialog zwischen der Ding- und der Sozialgeschichte, die sich ja schon lange mit sozialen Asymmetrien beschäftigt, während die Kulturgeschichte das Thema gerade erst entdeckt.[25] Wie ergiebig dieser Dialog sein kann, verdeutlicht Wiebke Wiede im vorliegenden Heft: Sie schildert, wie die Computerisierung der westdeutschen und der britischen Arbeitslosenverwaltung in den 1970er- und 1980er-Jahren den Umgang mit Erwerbslosigkeit prägte und bestimmte Modi der Subjektivierung förderte.
Gerade die Betonung von Praktiken in der Dingforschung ermöglicht solche kulturhistorisch inspirierten Auseinandersetzungen mit sozialen Asymmetrien. Insofern geht der Vorwurf ins Leere, die ANT und andere Ansätze der Materialitätenforschung würden die Dimension der sozialen Ungleichheit vernachlässigen. Vielmehr eröffnen sie fruchtbare Perspektiven, indem sie die Existenz von Hierarchien nicht voraussetzen, sondern sich stattdessen auf deren situative Herstellung konzentrieren. Deswegen fordert Latour, heuristisch immer von einer »flachen« Welt auszugehen beziehungsweise »den sozialen Bereich vollkommen flach« zu halten – also die Existenz strukturell geronnener Asymmetrien nicht vorauszusetzen.[26] Dieser Ansatz verwirft zudem die grundlegende Prämisse der klassischen »Soziologen des Sozialen«, dass soziale Kräfte allein von Menschen gemacht und damit genuin gesellschaftlich seien.[27] Latour beschreibt diese Annahme als eine Selbstermächtigungsstrategie, die es Soziologen seit dem späten 19. Jahrhundert erlaubt habe, ihre eigene Expertise als überaus relevant zu vermarkten. Deshalb hätten sie die ominöse »Gesellschaft« künstlich von der »Natur« abgespalten.[28] Latour dagegen beharrt auf der Wirkungsmacht nicht-menschlicher Dinge in der Herstellung von Asymmetrien.
Latours Entwurf ist damit auch als eine gegen Pierre Bourdieu gerichtete Positionierung im intellektuellen Feld der französischen Soziologie zu verstehen. Denn für Latour erschöpft sich die Wirkmächtigkeit der Dinge nicht darin, dass die ihnen zugeschriebenen Symbol- und Repräsentationswerte das alltägliche Spiel auf der Klaviatur der »feinen Unterschiede« ermöglichen.[29] Diesen Hahnenkampf sollte die Geschichtswissenschaft jedoch eher untersuchen als fortführen – und sich stattdessen der anspruchsvollen Aufgabe widmen, die Perspektive einer »flachen« Welt in die Analyse sozialer Asymmetrien zu integrieren, ohne deren Konturen aufzulösen. Zu diskutieren bleibt vielmehr: Ist es hilfreich, sich für die Untersuchung sozialer Asymmetrien eng an der ANT zu orientieren? Oder ist es sinnvoller, den analytischen Blick nicht fundamental zu verschieben, sondern ihn lediglich zu weiten, indem man den Dingen einen prominenteren Platz einräumt als bisher üblich?[30] Mit diesen Fragen beschäftigt sich das vorliegende Heft, das insgesamt dafür plädiert, verschiedene Methoden flexibel auszuprobieren oder sie bewusst miteinander zu kontrastieren, und dessen Autor_innen deswegen vielfältige Strategien verfolgen.
In jedem Fall betonen die Beiträge, dass soziale Asymmetrien nicht nur in Beziehungen zwischen Menschen hergestellt werden, sondern auch zwischen Menschen und Dingen. Daher reicht es nicht aus, die Rolle von materiellem Besitz und Vermögen schlicht zu konstatieren, sondern es kommt darauf an, die spezifischen Eigenschaften dieser Dinge und der Praktiken, die sich um sie herum gruppieren, eingehend zu analysieren. Dass etwa das Korsett im 18. und 19. Jahrhundert oder der Privatjet im 20. Jahrhundert etwas über Einfluss und soziale Stellung aussagten, ist offensichtlich. Aber inwiefern stellen diese Dinge soziale Asymmetrien »eigenwillig« her? Welche neuen Perspektiven auf die Produktion gesellschaftlicher Unterschiede sich aus der Fokussierung auf Dinge und Mensch-Ding-Verhältnisse ergeben, zeigen die Analysen von westdeutschen Jugendzimmereinrichtungen bei Monique Miggelbrink, einer privaten Objektsammlung aus der DDR bei Katja Böhme und Andreas Ludwig sowie automobiler Sounds des Sozialismus bei Luminita Gatejel in diesem Heft. Wie dicht muss man an die Dinge heran, um zu verstehen, wie sie Handlungen, Deutungen und Erfahrungen beschränken, stimulieren oder produzieren? Inwiefern schließlich sind wechselnde Gesellschaftsordnungen mit sich wandelnden Dingarrangements verbunden: der Fordismus mit dem Fließband und die Wissensgesellschaft mit dem Internet? Und wie hängt – im Zeitalter des globalisierten Kapitalismus – die Macht »durch« Dinge mit ihrem ökonomischen Wert zusammen?
3. Material Values:
Dingliche Dimensionen von Werten und Wertsetzungsprozessen
Viele globalhistorische Studien und Untersuchungen zur Geschichte der Globalisierung beleuchten die Handlungsmacht der Dinge, indem sie die weltweiten Wege von Rohstoffen und Waren verfolgen und diese als Aktanten und Medien ökonomischer Transfers und wirtschaftlicher Integration oder Desintegration analysieren.[31] Geschichten von Kaffee, Baumwolle oder Sojabohne sind aber nicht nur deswegen reizvoll, weil sie menschliche und dingliche Protagonist_innen rund um die Welt verfolgen, sondern auch, weil sie das gesamte Spektrum wirtschaftlichen Geschehens einbeziehen, dessen Teile sonst oft getrennt voneinander verhandelt werden. Diese Studien analysieren Produktion, Handel und Konsum in ihrer Verzahnung; sie beobachten, wie sich dieses Zusammenspiel zu unterschiedlichen Zeiten gestaltete und welche Konflikte daraus resultieren konnten.
Wenngleich die Dinge damit ihren festen Platz in der Wirtschaftsgeschichte haben, wird ihre Rolle in ökonomischen Praktiken nur selten theoretisch genau erörtert. Meist bleibt unklar, ob Dinge lediglich als dem Menschen unterworfene Objekte gedacht werden, oder ob und in welchem Maße ihnen eigene Handlungsmacht zukommt. Um diese Fragen zu klären, bedarf es einer intensiveren Beschäftigung mit den Interaktionen zwischen Menschen und Dingen sowie zwischen verschiedenen Dingen, die – beispielsweise beim Etikettieren – zu Ensembles zusammentreten. Wertsetzungsprozesse bilden eine wesentliche Dimension solcher Wechselwirkungen, weswegen ihre Analyse besonders aufschlussreiche Einsichten ermöglicht. Martina Heßlers Auseinandersetzung mit Michael Thompsons »Müll-Theorie« (in der Rubrik »Neu gelesen«) zeigt das ebenso wie Johannes Gramlichs Aufsatz, der untersucht, wie neue Analyseapparate und Konservierungstechniken im Lauf des 20. Jahrhunderts die Materialität und die Bewertung von Kunstgegenständen und damit auch den Kunstmarkt einschneidend veränderten.
Danach zu fragen, wie und wo Wert entsteht, gehört zu den Kernthemen ökonomischen Denkens und hat eine lange Tradition. Bereits Aristoteles erklärte den Wert von Dingen über den Markt und damit stets in Relation zu anderen Dingen und Menschen.[32] Die Naturwertlehre der Physiokraten des 18. Jahrhunderts betonte dagegen die materielle Dimension ökonomischer Werte, indem sie sie mit der Landwirtschaft und dem Boden verknüpfte.[33] Die klassischen politischen Ökonomen wie Adam Smith, David Ricardo und Karl Marx verkoppelten den Wert der Dinge stattdessen mit dem Produktionsprozess und machten die für das Entstehen einer Ware eingesetzte Arbeit zum entscheidenden Maß.[34] Während diese Theorien den ökonomischen Wert der Dinge intrinsisch und objektiv zu erklären versuchten, propagierten Neoklassiker und Grenznutzentheoretiker seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein immaterielles Modell. Sie entkoppelten den Wert von den Waren und verlagerten seine Entstehung in die menschliche Psyche: Wert gehe aus Präferenzen und subjektiven Bewertungen hervor.[35]
Jenseits objektiver und subjektiver Werttheorien entwirft die neuere Wirtschaftssoziologie eine relationale Werttheorie. Ihr zufolge ist der Wert der Dinge sozial konstituiert und beruht auf gesellschaftlich modulierten Präferenzen.[36] Wert entsteht mithin in einem mehrdimensionalen Spannungsfeld, das sich, erstens, zwischen Individuen, sozialen Gruppen und institutionellen Ordnungen wie Märkten bewegt. Einen zweiten Bewertungsmaßstab liefert die temporale Spannung zwischen unmittelbarem Gebrauch und langfristiger Investition. Die dritte Dimension beruht schließlich nicht auf der materiellen Funktion von Waren, sondern auf der qualitativ-symbolischen Bedeutung bestimmter Dinge für bestimmte Akteure. Dieser Ansatz befragt Wertsetzungsprozesse also in konkreten Konstellationen und berücksichtigt ihre soziale Einbettung in eine Vielzahl gesellschaftlicher Felder und Mechanismen, die ökonomischen Wert konstruieren. Dazu gehören nicht zuletzt auch die Apparate und Techniken, mittels derer Käufer_innen und Verkäufer_innen berechnen und bewerten.
Die Komplexität von Wertsetzungsprozessen betonen auch (wirtschafts)anthropologische Studien. Diese verweisen insbesondere auf die Bedeutung, die – neben ökonomischen – auch ästhetischen und moralischen Bewertungen zukommt.[37] Dinge sind nicht nur mehr oder weniger teuer, sondern zugleich mehr oder weniger schön und mehr oder weniger gut. Wert ist in dieser Perspektive ein Oberbegriff für »different regimes of value«,[38] die zu Konflikten zwischen unterschiedlichen Wertsetzungsmaßstäben führen können. Besonders offenkundig wird dies, wenn moralische auf ökonomische Bewertungen treffen wie im Fall von Organhandel oder bei Fair-Trade-Produkten. Mit solchen Wertkollisionen beschäftigt sich in diesem Heft die Rubrik »Debatte«. Aber auch klassische Themen der historischen Forschung zum 20. Jahrhundert erscheinen aus einer solchen Perspektive in neuem Licht: Anna Karla untersucht Konflikte zwischen ökonomischen, politischen, technischen und moralischen Bewertungen, die sich im Kontext deutscher Reparationslieferungen an Belgien und Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg auf Baumaterialien bezogen.
Sowohl die soziale Einbettung als auch die Mehrdimensionalität von Wertsetzungsprozessen verweisen auf deren historische Dimension. Wie veränderten sich Bewertungen? Wie verliefen Prozesse der Auf-, Ab- und Entwertung? Die Forschung bietet zwei unterschiedliche Erklärungsmodelle. Das eine akzentuiert Dissonanzen und konfligierende Wertmaßstäbe als Motoren für Dynamik und Produktivität.[39] Das andere Modell betont stattdessen den evolutionären Charakter von Wertzuschreibungen und die kontinuierlichen Versuche, Konflikte um Werte zu lösen oder zumindest zu moderieren.[40] Beide Ansätze verweisen damit auf die prinzipielle Offenheit von Wertsetzungsprozessen, die in einem Moment der Unsicherheit gründen. Die zeithistorische Beschäftigung mit dem Wert der Dinge lässt sich demnach auch als Möglichkeit begreifen, der Produktion von Sicherheit auf die Spur zu kommen und deren materielle Dimensionen zu ergründen.[41]
Aus dinghistorischer Perspektive sind demzufolge zwei Aspekte bei der Analyse von Wertsetzungsprozessen besonders spannend. Erstens gilt es, gezielt jene Konstellationen zu untersuchen, in denen unterschiedliche Wertmaßstäbe aufeinandertreffen. Denn dabei erscheinen Dinge nicht nur als Stabilisatoren bestehender Wertordnungen, sondern auch als Stifter alternativer Werthierarchien. Zweitens können Dinge Wertverschiebungen auslösen, wenn sie mit anderen Dingen in Wechselwirkung treten oder Ensembles bilden. Diese dinglichen Ensembles und ihre Dynamiken – von den Gemälden in einem Museum bis hin zu den materiellen Dimensionen der Friedensverträge von 1919 – gilt es näher zu erforschen. Sie ermöglichen innovative Analysen, die Dinge nicht mehr nur als passive Objekte platzieren, sondern sie als aktive Teilnehmer an historischen, sozialen und ökonomischen Prozessen betrachten.
Die Potentiale einer solchen Perspektive erkunden die vorliegenden Beiträge, indem sie mit Rohstoffen, Gebrauchsgegenständen, Kunstwerken und technischen Apparaten verschiedenste Arten von Dingen untersuchen. Dabei geraten in der Zusammenschau nicht nur deren materielle Spezifika in den Blick, sondern es zeichnen sich auch breitere historische Tendenzen ab, deren genauere Bestimmung weiteren Analysen zur Zeitgeschichte der Dinge vorbehalten bleibt. Dinge traten, erstens, zunehmend zu komplexen Konstellationen zusammen, ob als Teile eines Fertigbauhauses oder als Babyfläschchen und Warmhalteapparat. Diese Formen der Kombinierbarkeit hingen eng mit den Vermarktungsinteressen der industriellen Produzenten zusammen und verweisen damit, zweitens, auf die alltäglichen Effekte der Durchsetzung konsumgesellschaftlicher Strukturen, die zwischen Flexibilisierung und Standardisierung changierten. Dieser Prozess verabschiedete ältere Dingwelten, in denen jede Sache ihren individuellen Platz hatte, und stellte die einzelnen Dingnutzer_innen damit vor neue Herausforderungen. Diese trugen wiederum, drittens, zur Etablierung neuer Formen der Subjektivierung bei, wie die Auseinandersetzung der Erwerbslosen mit der computerisierten Systematik ihrer Erfassung zeigt. Dinge interagierten jedoch nicht nur auf immer komplexere Art und Weise untereinander und mit menschlichen Akteuren, sondern sie wurden, viertens, auch immer mobiler und konnten sich schneller in andere lokale Kontexte einfügen. Diese Beobachtung verweist schließlich auf die Bedeutung, die den materiellen Charakteristika von Kunstwerken und anderen Dingen in transnationalen Dynamiken der Ver- und Entflechtung zukam.
Dinge sind mithin in elaborierte Netzwerke eingebunden, die sie mit Menschen und anderen Dingen verknüpfen, und deren Struktur und Ausdehnung sich dauernd wandeln. Die Wechselwirkungen, die diese Verkoppelungen ermöglichen und erzwingen, prägen nachhaltig den Verlauf geschichtlicher und besonders zeitgeschichtlicher Prozesse. Deswegen sollten sich Historiker_innen ein Instrumentarium aneignen, das diese Dynamiken erschließen kann und das es ihnen erlaubt, bisher vernachlässigte Facetten des Sozialen und des Ökonomischen zu beleuchten. Die Beiträge unseres Hefts sondieren und entwickeln dieses Terrain.
Anmerkungen:
[1] Das Themenheft basiert maßgeblich auf zwei Tagungen des Arbeitskreises Geschichte + Theorie, der sich seit einigen Jahren mit »Dingen« als Schwerpunkt beschäftigt: »Der Wert der Dinge. Wertsetzungsprozesse und Wertverschiebungen in Ding-Mensch-Netzwerken im 19. und 20. Jahrhundert«, München, 19.–21. September 2012, Konzept und Organisation: Simone Derix und Benno Gammerl; »Dominanz durch Dinge? Zum Verhältnis von sozialen Asymmetrien und Materialitäten aus historischer Perspektive«, Berlin, 27.2.–1.3.2014, Konzept und Organisation: Christiane Reinecke und Nina Verheyen. Beide Tagungen wurden durch die Fritz Thyssen Stiftung finanziert, der wir herzlich danken. Ebenso danken wir allen Tagungsteilnehmer_innen für die Diskussionen sowie der Redaktion der »Zeithistorischen Forschungen« für die Unterstützung bei der Umsetzung des Themenhefts.
[2] Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Bd. 1 [1867], hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin (Ost) 1989, S. 195. Siehe auch <http://telota.bbaw.de/mega/>.
[3] Christian Holtorf, Der erste Draht zur Neuen Welt. Die Verlegung des transatlantischen Telegrafenkabels, Göttingen 2013.
[4] <http://eliteeservices.blogspot.de/2013/08/nasdaq-shuts-trading-for-three-hours.html>, Abschnitt »Hungry Squirrels«. Dieser Vorfall ereignete sich 1994. Heute wären die Auswirkungen noch drastischer.
[5] Vgl. <http://edition.cnn.com/2014/11/14/tech/data-centers-arctic/index.html>; Asta Vonderau, Globale Daten in lokalen Speichern. Ethnographische infrastrukturelle Zugänge zum World Wide Web, in: Alltag – Kultur – Wissenschaft. Beiträge zur Europäischen Ethnologie 2 (2015), S. 149-164.
[6] Vgl. Margareth Lanzinger, Das Lokale neu positionieren im actor-network-Raum – globalgeschichtliche Herausforderungen und illyrische Steuerpolitiken, in: H-Soz-Kult, 21.6.2012, URL: <http://www.hsozkult.de/debate/id/diskussionen-1810>.
[7] Bjørnar Olsen u.a., Archaeology: The Discipline of Things, Berkeley 2012; Robert Saint George, Material Culture in Folklife Studies, in: Dan Hicks/Mary C. Beaudry (Hg.), Material Culture Studies, Oxford 2010, S. 123-149.
[8] Das verdeutlichen beispielsweise die Finger, die gelegentlich in digitalisierten Texten auftauchen. Hole Rössler, Googles sichtbare Hände. Das Retrodigitalisat als Ware, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 10 (2016) H. 2, S. 115-125. Vgl. Arjun Appadurai (Hg.), The Social Life of Things. Commodities in Cultural Perspective, Cambridge 1986; Tony Bennett/Patrick Joyce (Hg.), Material Powers. Cultural Studies, History and the Material Turn, London 2010; Anke Ortlepp/Christoph Ribbat (Hg.), Mit Dingen leben. Zur Geschichte der Alltagsgegenstände, Gerlingen 2010; Hans Peter Hahn (Hg.), Vom Eigensinn der Dinge. Für eine neue Perspektive auf die Welt des Materiellen, Berlin 2015; Themenschwerpunkt zur »Materialität der Geschichte«, in: Historische Anthropologie 23 (2015) H. 3, hg. von Marian Füssel und Rebekka Habermas.
[9] Zur Kritik am Material Turn vgl. u.a. Martin Knoll, Nil sub sole novum oder neue Bodenhaftung? Der material turn und die Geschichtswissenschaft, in: Neue Politische Literatur 59 (2014), S. 191-207, hier S. 197ff., S. 205.
[10] Vgl. Bruno Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie, Frankfurt a.M. 2007, 3. Aufl. 2014.
[11] Materielle Mediationen im französisch-deutschen Dialog/Médiations matérielles et dialogues franco-allémandes, Paris, 18.–20.3.2015, URL: <http://www.hsozkult.de/event/id/termine-27288>.
[12] Siehe etwa: Reassembling the Past?! Akteur-Netzwerk-Theorie und Geschichtswissenschaft, Göttingen, 3.–5.7.2014, URL: <http://www.hsozkult.de/event/id/termine-25253>; Techniken der Globalisierung. Kann die Globalgeschichte von Bruno Latour lernen?, Berlin, 5./6.6.2014, URL: <http://www.hsozkult.de/event/id/termine-25063>; Tagungsband dazu: Debora Gerstenberger/Joël Glasman (Hg.), Techniken der Globalisierung. Globalgeschichte meets Akteur-Netzwerk-Theorie, Bielefeld 2016. Stellvertretend für frühe, materialitätensensible Studien siehe u.a. Adelheid von Saldern, Häuserleben. Zur Geschichte städtischen Arbeiterwohnens vom Kaiserreich bis heute, Bonn 1995; Jakob Tanner, Fabrikmahlzeit. Ernährungswissenschaft, Industriearbeit und Volksernährung in der Schweiz, 1890–1950, Zürich 1999.
[13] John Law/Annemarie Mol, Notes on Materiality and Sociality, in: Sociological Review 43 (1995), S. 274-294, hier S. 274.
[14] Vgl. dazu v.a. Latour, Eine neue Soziologie (Anm. 10), sowie ders., Der Berliner Schlüssel. Erkundungen eines Liebhabers der Wissenschaften, Berlin 1996.
[15] Patrick Joyce, What is the Social in Social History?, in: Past and Present 206 (2010), S. 213-248, v.a. S. 226ff.
[16] Vgl. dazu v.a. Bruno Latour/Steve Woolgar, Laboratory Life. The Construction of Scientific Facts, Princeton 1986. Zur praxeologischen Wende in der Wissensforschung vgl. zudem Theodore R. Schatzki (Hg.), The Practice Turn in Contemporary Theory, London 2006; Hans-Jörg Rheinberger, Kulturen des Experiments, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 30 (2007), S. 135-144; ders., Historische Epistemologie zur Einführung, Hamburg 2007, S. 119-130. Vgl. zudem Karin Knorr-Cetina, Laboratory Studies: The Cultural Approach to the Study of Science, in: Sheila Jasanoff u.a. (Hg.), Handbook of Science and Technology Studies, Beverly Hills 1995, S. 140-166.
[17] Vgl. dazu v.a. Jesse Olszynko-Gryn, Contraceptive Technologies, in: Population Knowledge Network (Hg.), Twentieth Century Population Thinking, London 2016, S. 240-251; Chikako Takeshita, The Global Biopolitics of the IUD. How Science Constructs Contraceptive Users and Women’s Bodies, Cambridge 2012.
[18] Sven Beckert, The Empire of Cotton. A Global History, New York 2014; dt.: King Cotton. Eine Geschichte des globalen Kapitalismus, München 2014; Gabrielle Hecht, Being Nuclear. Africans and the Global Uranium Trade, Cambridge 2012; Sebastian Haumann, »What’s the Matter?« Die Provokation der Stoffgeschichte (Sektionsbericht zum 49. Deutschen Historikertag 2012), in: H-Soz-Kult, 18.10.2012, URL: <http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-4415>.
[19] Vgl. dazu Lanzinger, Das Lokale neu positionieren (Anm. 6); sowie allgemein zur oft unterkomplexen Verwendung des Lokalitätsbegriffs: Angelika Epple, Lokalität und die Dimensionen des Globalen. Eine Frage der Relationen, in: Historische Anthropologie 21 (2013), S. 4-25.
[20] Bennett/Joyce, Material Powers (Anm. 8).
[21] Vgl. Matthew Gandy, Landscapes of Disaster: Water, Modernity, and Urban Fragmentation in Mumbai, in: Environment and Planning A 40 (2008), S. 108-130.
[22] Ignacio Farías/Thomas Bender (Hg.), Urban Assemblages. How Actor-Network Theory Changes Urban Studies, London 2010, sowie – weitaus weniger ANT-orientiert – die Beiträge des Abschnitts zu »City Materialities« in: Gary Bridge/Sophie Watson (Hg.), The New Blackwell Companion to the City, Malden 2011, S. 1-154; Chris Otter, Locating Matter: The Place of Materiality in Urban History, in: Bennett/Joyce, Material Powers (Anm. 8), S. 38-59.
[23] Vgl. zu verschiedenen Perspektiven auf Macht und Ungleichheit in der Materialitätsforschung: Stefanie Samida/Manfred K.H. Eggert/Hans Peter Hahn (Hg.), Handbuch Materielle Kultur. Bedeutungen, Konzepte, Disziplinen, Stuttgart 2014, insbesondere S. 64-70, S. 77-85 und S. 85-89.
[24] Vgl. Heike Solga/Peter A. Berger/Justin Powell, Soziale Ungleichheit – Kein Schnee von gestern! Eine Einführung, in: dies. (Hg.), Soziale Ungleichheit. Klassische Texte zur Sozialstrukturanalyse, Frankfurt a.M. 2009, S. 11-45, hier v.a. S. 15. Zum dynamischen Machtverständnis vgl. Stephan Moebius, Macht und Hegemonie: Grundrisse einer poststrukturalistischen Analytik der Macht, in: ders./Andreas Reckwitz (Hg.), Poststrukturalistische Sozialwissenschaften, Frankfurt a.M. 2008, S. 158-174.
[25] Zur Debatte über die Sozialgeschichte vgl. Barbara Lüthi/Pascal Maeder/Thomas Mergel (Hg.), Wozu noch Sozialgeschichte? Eine Disziplin im Umbruch, Göttingen 2012. Zur aktuellen sozial- und kulturgeschichtlichen Erforschung sozialer Ungleichheit vgl. etwa Hans Günter Hockerts/Winfried Süß (Hg.), Soziale Ungleichheit im Sozialstaat. Die Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien im Vergleich, München 2011; Pierre Rosanvallon, La société des égaux, Paris 2011; Christiane Reinecke/Thomas Mergel (Hg.), Das Soziale ordnen. Sozialwissenschaften und gesellschaftliche Ungleichheit im 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2012; Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 10 (2013) H. 2: Soziale Ungleichheit im Staatsozialismus; Archiv für Sozialgeschichte 54 (2014): Dimensionen sozialer Ungleichheit. Neue Perspektiven auf West- und Mitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert.
[26] Latour, Eine neue Soziologie (Anm. 10), S. 197.
[27] Ebd., S. 116.
[28] Vgl. ebd.; ders., Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie, Frankfurt a.M. 2008, S. 7-21.
[29] Vgl. Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a.M. 1987.
[30] Methodisch-theoretisch sehr unterschiedlich orientierte Fallstudien versammelt der Band von Ortlepp/Ribbat, Mit den Dingen leben (Anm. 8). Vgl. auch Markus Krajewski, Der Diener. Mediengeschichte einer Figur zwischen König und Klient, Frankfurt a.M. 2010.
[31] Vgl. exemplarisch Laura Rischbieter, Globalisierungsprozesse vor Ort. Die Interdependenz von Produktion, Handel und Konsum am Beispiel »Kaffee« zur Zeit des Kaiserreichs, in: Comparativ 25 (2007) H. 3, S. 28-45; Beckert, Empire of Cotton (Anm. 18); Christof Dejung, Die Fäden des globalen Marktes. Eine Sozial- und Kulturgeschichte des Welthandels am Beispiel der Handelsfirma Gebrüder Volkart 1851–1999, Köln 2013; Ines Prodöhl, Versatile and Cheap. A Global History of Soy in the First Half of the Twentieth Century, in: Journal of Global History 8 (2013), S. 461-482; Alexander Nützenadel/Frank Trentmann (Hg.), Food and Globalization. Consumption, Markets and Politics in the Modern World, Oxford 2008; Stefanie Gänger, World Trade in Medicinal Plants from Spanish America, 1717–1815, in: Medical History 59 (2015), S. 44-62.
[32] Aristoteles, Nikomachische Ethik, 10. Aufl. Berlin 1999, Buch V.
[33] Pierre Samuel Dupont de Nemours (Hg.), Physiocratie ou constitution naturelle du gouvernement le plus avantageux au genre humain, Leiden 1767.
[34] Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen [1776], 11. Aufl. München 2005; David Ricardo, Über die Grundsätze der politischen Ökonomie und der Besteuerung [1817], Marburg 2006; Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie [1857/58], Berlin (Ost) 1983.
[35] Vgl. z.B. Joseph Schumpeter, Geschichte der ökonomischen Analyse [postum 1954], Göttingen 1965.
[36] Vgl. grundlegend für das Folgende: Patrik Aspers/Jens Beckert, Value in Markets, in: Jens Beckert/Patrik Aspers (Hg.), The Worth of Goods. Valuation and Pricing in the Economy, Oxford 2011, S. 3-38.
[37] Vgl. Luc Boltanski/Laurent Thévenot, On Justification. Economies of Worth, Princeton 2006; David Graeber, Toward an Anthropological Theory of Value. The False Coin of Our Own Dreams, New York 2001.
[38] Arjun Appadurai, Introduction. Commodities and the Politics of Value, in: ders., The Social Life of Things (Anm. 8), S. 3-63, hier S. 4.
[39] David Stark, The Sense of Dissonance. Accounts of Worth in Economic Life, Princeton 2009.
[40] Boltanski/Thévenot, Justification (Anm. 37).
[41] Vgl. Mark B. Salter/Can E. Mutlu, Research Methods in Critical Security Studies. An Introduction, Abingdon 2013, sowie einführend in die zeithistorischen Debatten Tatjana Tönsmeyer/Annette Vowinckel, Sicherheit und Sicherheitsempfinden als Thema der Zeitgeschichte. Eine Einleitung, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 7 (2010), S. 163-169.