Transnationale Wege der Raumplanung

Der israelische Nationalplan von 1951 und seine Rezeption der Theorie »zentraler Orte«

  1. Ausländische Prägungen der israelischen Planung
  2. Die Leitbilder des Sharonplans
  3. Die Entwicklung des nationalen Planungsdiskurses und seine Protagonisten
  4. Die Theorie »zentraler Orte« in Israel als interpretatorisches Problem

Anmerkungen

Während der ersten zweieinhalb Jahre seit der Proklamation des neuen Staates am 14. Mai 1948 entstand der »Physical Master Plan of Israel«.[1] Nach seinem maßgeblichen Urheber, dem am Bauhaus in Dessau ausgebildeten Architekten Arieh Sharon, auch als »Sharonplan« bezeichnet, nimmt das Konzept in der Geschichte der Landes- und Stadtplanung im 20. Jahrhundert eine Ausnahmestellung ein.[2] Im Verlauf von lediglich 20 Jahren, so die Zielsetzung des Plans, sollte die jüdische Bevölkerung auf dem Gebiet des neuen Staates von 0,8 auf rund 2,5 Millionen Einwohner anwachsen; neben dem Aufbau einer leistungsfähigen Energie- und Wasserwirtschaft, neben der Erschließung und Urbarmachung tausender Hektar Agrarlandes und der Anlage ausgedehnter Aufforstungsgebiete, neben der Entwicklung einer zukunftsfähigen wirtschaftlichen Infrastruktur mit neuen Verkehrswegen und Industrien sollten im Verlauf der Realisierung des ehrgeizigen Plans buchstäblich hunderte von landwirtschaftlichen Siedlungen und rund 30 vollkommen neue Städte geschaffen werden. Der »Physical Master Plan« hatte somit den Anspruch, die konkrete räumliche Gestalt eines ganzen Staates zu entwerfen.

Eine Übersicht der knapp 30 zwischen 1948 und 1967 in Israel gebauten »Neuen Städte«. An Stelle der bis dahin ideologisch favorisierten ländlichen Siedlungen sollten diese Städte die massiven Einwanderungswellen nach der Staatsgründung aufnehmen. Durch ihre Standortwahl sollten insbesondere die Peripherien des Landes planvoll besiedelt werden.
(Ministry of Housing, State of Israel [Hg.], Israel Builds, Jerusalem 1970,
S. 1.28 und 1.29)
Leitbilder und Ziele des Sharonplans
Leitbilder und Ziele des Sharonplans wurden der israelischen Öffentlichkeit im Februar 1950 in plakativer Form in Tel Aviv präsentiert. »Täglich treffen 1.000 neue Einwanderer ein – alle zwei Minuten muss eine neue Wohnung fertiggestellt werden. Wo sollen diese Wohnungen gebaut werden, in den Ballungszentren oder in den Entwicklungsstädten?«, lautete die suggestive Frage.
(Arieh Sharon, Physical Planning in Israel [Reprint aus »Israel and Middle East«, März 1952], Tel Aviv 1952, unpaginiert)
Die vier Planungszonen des Sharonplans: Nord, Zentralregion, Jerusalem-Korridor und Negev/Süd
Die vier Planungszonen des Sharonplans: Nord, Zentralregion, Jerusalem-Korridor und Negev/Süd. Das rote Kreissegment zeigt die jeweils erwünschte prozentuale Zuwachsrate der Städte.
(Arieh Sharon,
Physical Planning in Israel
[hebr.: Technun Fisi le-Israel],
Tel Aviv 1951, S. 11)
Der nationale Wasserplan
Der nationale Wasserplan.
Der Ausbau des Bewässerungssystems war eine notwendige Bedingung für die Erschließung der südlichen Entwicklungsregionen.
(Arieh Sharon,
Physical Planning in Israel
[hebr.: Technun Fisi le-Israel],
Tel Aviv 1951, S. 15)

Nur dann jedoch konnte der israelische Nationalplan erfolgreich verwirklicht werden, wenn seine eher allgemeinen demographischen, wirtschaftlichen und sozialräumlichen Ziele in ein systematisches Entwicklungsmodell übersetzt würden, das quantitativ verlässliche Vorhersagen ermöglichte. Ein solches Modell existierte für die israelischen Planer in Form der Theorie »zentraler Orte«, die im Jahr 1933 durch den deutschen Humangeographen Walter Christaller (1893–1969) formuliert worden war.[3] Daraus ergibt sich die Frage, auf welchem Wege und in welcher Weise diese Theorie in Israel rezipiert wurde. Die Aneignung eines deutschen Raumordnungsmodells war zum damaligen Zeitpunkt keineswegs selbstverständlich – es liegt auf der Hand, dass die Entwicklung der deutschen Wissenschaft seit 1933 in Israel generell dem Verdacht von Affinitäten zum Nationalsozialismus ausgesetzt war. Für die Theorie »zentraler Orte« (wie in vielen anderen Fällen) war dieser Verdacht durchaus begründet. Innerhalb der im Nationalsozialismus ohnehin stark geförderten raumorientierten Wissenschaften gehörte die Zentralitätsforschung bzw. die quantitative Geographie zu den aufstrebenden Fachbereichen. Aber die Theorie »zentraler Orte« gewann im Nationalsozialismus auch praktische Bedeutung: Nicht zuletzt durch Christallers persönliche Beteiligung spielte sie eine konzeptionell tragende Rolle für den »Generalplan Ost«, der nach dem Angriffskrieg auf Polen vom »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums« (RKF), Heinrich Himmler, in verschiedenen Planungsstufen erarbeitet wurde.[4]

Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden die Rezeption der Christaller’schen Theorie in Israel nachgezeichnet und in einer diachronen Perspektive diskutiert werden. Zu fragen ist, ob die Theorie »zentraler Orte« von den israelischen Planern als wertneutrales Instrument oder auch als Argumentationshilfe politischer Zielsetzungen rezipiert wurde und inwieweit eine methodische Nähe zur NS-Raumplanung als problematisch verstanden wurde. Diese Frage gilt es nicht nur im Kontext biographischer und fachgeschichtlicher Entwicklungslinien zu untersuchen, sondern auch mit Blick auf die historischen Ursachen des politischen Konfliktpotentials, welches die Territorialisierung Israels nach 1948 begleitete.

Um den in diesem Aufsatz gewählten Betrachtungsausschnitt wenigstens knapp zu kontextualisieren, sei zunächst angemerkt, dass der israelische Nationalplan in der Geschichte des 20. Jahrhunderts keineswegs singulär ist, sondern dass ein reiches Vergleichsmaterial aus anderen Ländern vorliegt. Staatlich gelenkte Planungsvorhaben einer nationalen Dimension hatte es seit dem Ende des Ersten Weltkriegs in den unterschiedlichsten politischen Systemen gegeben. Ihr gemeinsames Merkmal war eine dem Zeitgeist folgende allgemeine »Planungseuphorie«, die mit der Entstehung staatlicher Planungssysteme gesellschaftliche Modernisierungseffekte und mitunter utopische Vorstellungen sozialer Umwälzungen verband.[5] Zu den großen, schlechterdings legendären Planungen der Zwischenkriegszeit zählten beispielsweise die Trockenlegung und Erschließung des Agro Pontino im faschistischen Italien, der Muscle-Shoals-Staudamm und sein als Teil von Roosevelts »New Deal« öffentlichkeitswirksam inszeniertes Nachfolgeprojekt, die Tennessee Valley Authority (TVA) in den Vereinigten Staaten, die Trockenlegung des Ijsselmeeres in den Niederlanden sowie – in vielerlei Hinsicht eine Initialzündung – der Dnjepropostroi-Staudamm und die Stahlwerke von Magnitogorsk in der Sowjetunion.

Unter den staatlichen Planungsprojekten der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stachen insbesondere die durch den »Greater London Plan« von 1944 vorbereiteten britischen »New Town Planning Schemes« hervor, mit denen die sozialistische Regierung ein energisches Zeichen für den Wiederaufbau und die Modernisierung des Landes setzte. Zudem gewann der Gedanke der Planung nach 1945 insbesondere auch für die im Prozess der Dekolonisierung befindlichen »Entwicklungsländer« an Gewicht, beispielsweise für die neuen Staaten des subsaharischen Afrika, die Länder des arabischen Raums wie Tunesien, Ägypten, Iran und Irak sowie die im Rahmen des Colombo-Plans kooperierenden südostasiatischen Staaten Laos, Kambodscha, Viet-nam, Pakistan und Indien.

Nicht zuletzt deshalb erweist es sich für planungsgeschichtliche Untersuchungen als äußerst hilfreich, einen transnationalen Blickwinkel zu berücksichtigen. Den Großprojekten der 1920er- und 1930er-Jahre eignete schon deshalb eine transnationale Dimension, weil ihnen als Symbol- und Systembaustellen die Funktion eines Schaufensters zukam, das dem potentiellen Gegner demonstrativ die Leistungsfähigkeit und den Fortschrittswillen der eigenen Ordnung vor Augen führte.[6] In demselben Maß, wie die Gegner sich als Konkurrenten begriffen, besaßen sie füreinander auch eine Vorbildfunktion. Dies gilt zum Beispiel für die Wahrnehmung Amerikas in der Sowjetunion unter Lenin und Stalin wie auch für die Rezeption des Fordismus und Taylorismus in der Weimarer Republik. Das psychologische Moment dieser Aufmerksamkeitsökonomie blieb auch unter den Bedingungen der Blockbildung nach dem Zweiten Weltkrieg virulent, speziell für den Gedanken der Planung.

Für die Erforschung transnationaler Wege der Raumplanung sprechen noch weitere Gesichtspunkte. Ein Großteil der Funktionseliten, aus denen sich nach 1945 in den »Entwicklungs-« und »Schwellenländern« des außereuropäischen Raums die bestimmenden politischen Schichten rekrutierten, hatte ihre Ausbildung an europäischen oder US-amerikanischen Hochschulen erhalten. Im Zuge des aufkommenden Entwicklungshilfegedankens und der stärkeren zwischenstaatlichen Kooperation gewann zudem die Ausbildung und Entsendung international agierender Experten, Kommissionen und Planungsgremien einen immer höheren Stellenwert.

1. Ausländische Prägungen der israelischen Planung

Für Israel spielte die Einbeziehung ausländischer Experten und Planungsmodelle seit der Staatsgründung eine wichtige Rolle. In ihrer für das Verständnis der ersten beiden Dekaden der israelischen Planung nach wie vor unersetzlichen Studie »Israel. High Pressure Planning« wiesen Benjamin Akzin, Yehezkel Dror und Bertram Gross schon 1966 auf die große Bedeutung importierten Expertenwissens hin. Israel, so stellten die Autoren fest, habe seit seiner Staatsgründung mehr ausländische Entwicklungshilfe erhalten als »any other ›developing‹ nation in the world«.[7] Sie begründeten dies unter anderem mit dem pragmatischen Charakter der israelischen Planung, der eine offene, gleichsam experimentelle Herangehensweise an Planungsaufgaben begünstige und die Integration ausländischer Modelle erleichtere. Die Inanspruchnahme ausländischer Hilfe besitze den positiven Nebeneffekt, den Wissenstransfer zu fördern, hochdotierte Auslandsstipendien für israelische Fachkräfte zu erhalten und die Akquise von Entwicklungsgeldern auszuweiten. Aufgrund seiner institutionellen und fachlichen Diversifizierung sei der israelische Staat in ganz unterschiedlichen Bereichen aktiv – der Bildungspolitik, der Struktur- und Industriepolitik, der Verkehrswegeplanung, der Landwirtschafts- und Wasserplanung, der Kapitalimportplanung sowie vor allem der nationalen Wirtschaftsplanung und der physischen Planung, d.h. der Raumordnung, Regional- und Stadtplanung.[8]

Als Referenzpunkt dienten den meisten mit dem Westen assoziierten »Entwicklungsländern« die Vereinigten Staaten. Daneben machte sich in vielen der neuen Staaten Afrikas, Südostasiens sowie des Nahen und Mittleren Ostens auch ein starker Einfluss der ehemaligen britischen und französischen Kolonialmächte geltend. Israel stellte in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar. Die dortigen Planungsinstitutionen hatten durch die Anbindung an die Vereinigten Staaten einen enormen Wachstumsschub erhalten; nicht zuletzt deshalb, weil die US-amerikanische Entwicklungshilfe an die Bedingung einer soliden Finanz- und Wirtschaftsplanung bzw. eines »Plans für wirtschaftliche Unabhängigkeit« geknüpft war.[9] So wurde 1953 ein wirtschaftlicher Beratungsstab beim Büro des israelischen Ministerpräsidenten installiert, der unter der Leitung des US-Amerikaners Oscar Gass stand und mit israelischen und amerikanischen Wirtschaftsfachleuten besetzt war. Im Folgejahr wurde im israelischen Finanzministerium unter Levi Eshkol eine eigene Abteilung für »long-range planning« geschaffen, um die Verwendung der amerikanischen grants-in-aid zu plausibilisieren.[10]

Besonders in den physischen Planungsabteilungen gab es zudem einen starken britischen Einfluss. Generell hatte die englische Gartenstadt-Bewegung eine nachhaltige Wirkung auf die jüdischen Stadt- und Regionalplaner in Palästina ausgeübt, seit Patrick Geddes 1919 seine Entwürfe für Tel Aviv entwickelt hatte.[11] Einen weiteren Initialpunkt für die spätere staatliche Planung in Israel stellte die Gründung einer eigenen Abteilung für Regional- und Stadtplanung durch die Mandatsregierung im Jahr 1936 dar.[12] Dieses »Public Works Department« konzipierte während der 1930er- und 1940er-Jahre verschiedene größere Planungen, zu denen unter anderem der »Acre Report« und der »Jerusalem Plan« von 1944 und das »Arab Village Scheme« von 1945 zählten. Feste Bezugspunkte für diese Planungen bildeten insbesondere der »County of London Plan« von 1943 und der »Greater London Plan« von 1944. Im Jahr 1948 bildete die jüdische Belegschaft des »Public Works Department« den Nukleus der ersten israelischen Landesplanungsbehörde.[13]

Im Unterschied zu den meisten anderen Ländern machte sich in Israel jedoch auch ein starker Einfluss der deutschen Fachtradition geltend. Dies hatte seine Ursache nicht zuletzt in dem starken Gewicht der deutsch-jüdischen Landsmannschaft in Palästina bzw. Israel. Die beginnende Judenverfolgung in Deutschland nach 1933 hatte einen bis dahin unerreichten Einwanderungsschub ausgelöst. Der sozio-ökonomische und kulturelle Einfluss dieser Einwanderung – der »Fünften Aliyah« – kann hier nicht eingehend dargestellt werden.[14] Festzuhalten ist jedoch, dass deutsche Juden in den akademischen Berufen, in der Presse, der Kultur und der Wirtschaft Palästinas nach 1933 überproportional stark vertreten waren. Als Katalysator für ihr politisches Gewicht wirkte nicht zuletzt das so genannte Ha’avara- bzw. Transfer-Abkommen, das 1933 zwischen dem Deutschen Reich, der Jewish Agency und der Zionistischen Vereinigung für Deutschland abgeschlossen worden war.[15] Der enorme Kapitaltransfer nach Palästina begünstigte den Aufbau verschiedener Institutionen, die für die Entwicklung der Planungsdisziplinen im jüdischen Palästina wichtige Impulse setzten. Dazu gehörten etwa die Baugesellschaft RASSCO, die Wassergesellschaft Mekorot, die landwirtschaftliche Kolonisationsgesellschaft PASA sowie verschiedene Einwanderungs- und Berufsbildungsgesellschaften.[16] Fast alle diese Institutionen wurden durch deutsche Juden geleitet – wie Herbert (Yeshayahu) Foerder, Giora Josephthal, Siegfried Moses, Ludwig Pinner, Arthur Ruppin, Werner (David) Senator und Georg Landauer.[17]

Nach der Staatsgründung fanden die deutsch-israelischen Wirtschaftsverflechtungen des Ha’avara-Abkommens – wenn auch unter politisch vollständig veränderten Vorzeichen – in Form des 1952 verabschiedeten »Wiedergutmachungs«-Abkommens ihre Fortsetzung.[18] Die wissenschaftspolitischen und materiellen Auswirkungen des Abkommens auf die wirtschaftsräumliche Entwicklung Israels waren beträchtlich; auch vor der offiziellen Aufnahme der westdeutsch-israelischen Wissenschaftskooperation im Jahr 1959 und dem Beginn diplomatischer Beziehungen im Jahr 1965 führte es inner- und außerhalb Israels zu regen Kontakten mit bundesdeutschen Politikern, Wirtschaftsvertretern und Planungsexperten.[19] Die Kontinuität dieser Verflechtungen belegt eindrücklich, dass der Umgang mit Deutschland (bzw. nach 1949 vor allem mit der Bundesrepublik) auf der Ebene institutioneller Kontakte oder praktischer Entwicklungsfragen weitgehend durch Pragmatismus gekennzeichnet war, obwohl das Deutschland-Bild in der öffentlichen Meinung durch unmissverständliche Ablehnung, wenn nicht gar ostentative Abscheu geprägt war – wie insbesondere die erregten Knesset-Debatten anlässlich der Verabschiedung des Haager Abkommens dokumentierten.[20]

Jenseits dieser für den Import bzw. die Assimilation spezifisch deutscher Wissensbestände günstigen Bedingungen war insbesondere der Bereich der Raumordnung und Siedlungsplanung seit jeher stark durch deutsche Einflüsse geprägt. Wie unter anderem Derek Penslar gezeigt hat, orientierte sich die frühe, durch die Jewish Agency getragene zionistische Kolonisation in Palästina am Modell der seit den 1880er-Jahren durch Max Sering entwickelten »Inneren Kolonisation«, deren vorrangiges Ziel in der »Germanisierung« der slawisch geprägten östlichen Provinzen des Deutschen Reichs bestand.[21] Diese konzeptionelle Nähe begründete sich nicht zuletzt dadurch, dass die Funktionseliten des zionistischen Siedlungswerks – wie Otto Warburg, Hubert Auhagen, Franz Oppenheimer oder Arthur Ruppin – fast sämtlich aus Deutschland stammten. Wie sie besaßen auch die nach 1948 mit der physischen Planung befassten israelischen Experten zu einem hohen Prozentsatz einen deutschen Bildungshintergrund.

Insofern wirkt die Übernahme eines Planungsmodells wie das der »zentralen Orte« sehr plausibel. Genauer zu fragen ist aber, wie und wann Christallers Theorie nach Israel gelangte und in welchem ideologischen und konzeptionellen Kontext sie dort Aufnahme fand. Um dies zu klären, sind zunächst einige allgemeine Hinweise zu den Zielen, Leitbildern und Argumentationsmustern des Sharonplans erforderlich. Wo lagen seine Bezüge zur Theorie »zentraler Orte«?

2. Die Leitbilder des Sharonplans

Entwicklungsstufen des Sharonplans
Entwicklungsstufen des Sharonplans:
1948, 1961 und die angestrebte Bevölkerungsdichte 1982.
(Ministry of the Interior, Planning Department, by Jacob Dash and Elisha Efrat [Hg.], The Israel Physical Master Plan, Jerusalem 1964, S. 28f.)

Einen axiomatischen Charakter für die am Entwurf des Sharonplans beteiligten Akteure besaß die Annahme, dass die nach der Staatsgründung einsetzende jüdische Masseneinwanderung weiter anhalten bzw. durch die zionistischen Organisationen noch weiter forciert werden würde. Das aus dieser politischen Prämisse abgeleitete Argument beruhte auf der population dispersal policy. Die ins Land hereinströmenden Einwanderer, so das Kalkül der Planer, sollten bei ihrer Ankunft mittels einer staatlichen Verteilungsarithmetik in die gering entwickelten, spärlich besiedelten Peripherien des Landes geleitet und dort in neu zu errichtenden Dörfern und Städten angesiedelt werden. Den Hintergrund dafür bildete die Wahrnehmung einer bis dahin stark »polaren« jüdischen Siedlungsstruktur: Den drei großen Städten Haifa, Tel Aviv und Jerusalem stand ein in weiten Teilen nur sehr dünn besiedelter ländlicher Raum gegenüber. Bei einem unkontrollierten Anwachsen der metropolitanen Regionen befürchteten die Autoren des Sharonplans die Entstehung dysfunktionaler Ballungsgebiete. Zudem galt eine jüdische Bevölkerungspräsenz in den bislang überwiegend arabisch besiedelten Peripherien des Landes als sicherheitspolitische Notwendigkeit.[22] Als ideelle Richtschnur für die angestrebte räumlich-funktionale Dezentralisierung diente den Planern um Sharon nicht zuletzt die Nachkriegsplanung der britischen »New Town Schemes« bzw. des 1944 veröffentlichten »Greater London Plan«.[23]

Planungsbeispiel für das Lee Valley aus dem Greater London Plan
(Patrick Abercrombie, The Greater London Plan 1944, London 1945, unpaginiert [im Bildteil nach S. 170])
Die Hierarchie der zentralen Orte
Die Hierarchie der zentralen Orte
in den ländlichen Regionen Israels
(Settlement Study Centre, National and University Institute of Agriculture Rehovot [Hg.], Regional Cooperation in Israel, Publications on Problems of Regional Development, 1
[ohne Jahresangabe, vermutlich 1963],
Foldout in der inneren Umschlagseite)

Der seinerzeit dominante, im Leitbild der aufgelockerten »Stadtlandschaft« angelegte Dezentralisierungs- und Umverteilungsdiskurs schien auf Israel umso mehr anwendbar, als die jüdische Siedlungsstruktur des Landes noch sehr schwach entwickelt war und in ihrem Bestand nicht verändert zu werden brauchte. Um das planerische Leitargument der population dispersal policy systematisch umsetzen zu können, hatte der Sharonplan das israelische Staatsterritorium in 24 regionale Planungs- bzw. Landkreise eingeteilt; jeder dieser Landkreise sollte über eine eigene »Distrikthauptstadt« verfügen. Innerhalb eines jeden Planungsbezirks sollte eine klare Hierarchie von einzelnen, in ihrer Größe, funktionalen Bedeutung und Entfernung genau aufeinander abgestimmten Siedlungen etabliert werden. Als »A-Zentren« sollten kleine landwirtschaftliche Siedlungseinheiten von bis zu 500 Einwohnern erbaut werden, als »B-Zentren« größere dörfliche Siedlungen von maximal 2.000 Einwohnern, bis hinauf zum »E-Zentrum« der Großstadt mit über 100.000 Einwohnern. Jedes übergeordnete Glied in dieser Stufenfolge sollte für das jeweils nächstkleinere bestimmte »hierarchische Dienstleistungen« übernehmen; so sollten beispielsweise die »B-Zentren« als Dienstleistungszentren mit Schulen oder ärztlichen Einrichtungen die kleineren »A-Zentren« unterstützen. Mit dieser Gliederung hofften die Planer, unnötige funktionale Redundanzen vermeiden und ein auf die jeweilige wirtschaftliche Leistungskraft der einzelnen Regionen geeichtes »Bevölkerungsoptimum« herstellen zu können.[24]

Das Vorbild für diese hierarchische Siedlungsstruktur lieferte die Theorie »zentraler Orte«.[25] Kurz umrissen besagte Christallers Ansatz, dass die Standorte von Siedlungen einer Logik gehorchten, die durch den Grenznutzen der aus den Transportwegen resultierenden Güter- und Dienstleistungskosten definiert sei. In Abgrenzung zu den damals üblichen historischen Verfahren bediente sich Christaller in seiner 1933 veröffentlichten Theorie eines deduktiven Modells: In einem gedachten »idealen Raum« lasse sich ein Schema konstruieren, in dem die Siedlungsstruktur bei optimaler Funktionalität die Form eines regelmäßigen Hexagons annehme.[26] Innerhalb von Siedlungen, die sich mit der gleichen »zentralen« Funktion bzw. »Zentralität« in ihr Hinterland einfügten, bilde sich ein isochrones, je nach der Bedeutung ihrer Funktion eng- oder weitmaschigeres Netzwerk von Hexagonen aus. Schachtele man die unterschiedlichen Zentralitätsgrade der städtischen Funktionen ineinander, so erhalte man ein »System der zentralen Orte«, in dessen fraktalisierter hexagonaler Geometrie sich jede Siedlung in einem idealen Abstand zur jeweils gleichwertigen und zur nächstgrößeren oder nächstkleineren Siedlung befinde.[27]

Das System »zentraler Orte«
Das System »zentraler Orte« nach Walter Christaller
(Walter Christaller, Die zentralen Orte in Süddeutschland. Eine ökonomisch-geographische Untersuchung über die Gesetzmäßigkeit der Verbreitung und Entwicklung der Siedlungen mit städtischen Funktionen, Jena 1933, S. 71)
Schematische Darstellung der israelischen Raumordnung
Schematische Darstellung der israelischen Raumordnung, wie sie in vielen zeitgenössischen Publikationen abgebildet war
(Institute for Planning and Development [Hg.], Comprehensive Planning in Israel, Tel Aviv o.J. [vermutlich 1968], S. 8)
 

Angesichts des planerischen Imperativs, die demographische »Absorptionsfähigkeit« des Landes mit einer systematischen Verteilungsarithmetik zu verknüpfen, bildete die Theorie »zentraler Orte« gleichsam den archimedischen Punkt der israelischen Nationalplanung. Obwohl sie – von den Planern explizit erwünscht – die Anmutung traditioneller europäischer Siedlungsräume nachahmte, lieferte sie ein rationales, berechenbares Strukturbild, das den Anforderungen der wirtschaftlichen Entwicklung leicht angepasst werden konnte. Über ihre Rezeption unter den jüdischen Planern schrieb der beteiligte Ingenieur Eliezer Brutzkus im Rückblick: »First challenges to the ›conventional wisdom‹ of the ›polarized‹ [settlement] pattern appeared as early as 1937/38 from the side of the planners. [...] They inclined to welcome an evolution from this pattern towards a hierarchy of urban centres approaching, if not imitating the European model. This attitude was obviously influenced by the ›regionalist‹ literature prevalent in the 1920s, culminating in the writings of Lewis Mumford. At a later stage, the Central Places Theory of Christaller and theoretical patterns of Lösch seemed to provide this line of thought with a scientific basis.«[28]

Was das System »zentraler Orte« im Kontext der Landesentwicklung besonders geeignet erscheinen ließ, war die Tatsache, dass es die Standortwahl von Siedlungen primär von der Leistungsfähigkeit des agrarischen Hinterlandes abhängig machte und die Ausbildung quasi autarker Wirtschaftsregionen in Aussicht stellte. Als konsequente Verwirklichung der population dispersal policy kam dem System nicht zuletzt eine sicherheitspolitische bzw. geostrategische Funktion zu: »While decentralization through new towns was rooted in European conceptions, its realization in Israel was also a reflection of local conditions. [...] The dispersal of new towns was justified by the need to settle a contested country. Zionist planners had always been concerned with placing a stable and productive population on frontiers. Together with defense strategists, they preferred civilian settlements to fortresses for securing borders. New towns proved to be a useful concept in realizing that objective.«[29]

Bauphase der »Neuen Stadt« Migdal Gad (Ashkelon).
Die Gründung solcher Städte erfolgte meist am Ort seit langem bestehender, teils während des Unabhängigkeitskriegs zwangsevakuierter arabischer Siedlungen, um die vorhandene lokale Infrastruktur weiter nutzen zu können.
(Arieh Sharon, Physical Planning in Israel
[hebr.: Technun Fisi Le-Israel], Tel Aviv 1951, plate XXX)
Temporäre Zeltstadt in Bat Yam
Das Tempo der Einwanderung in den ersten Jahren erforderte den Bau von temporären Zeltstädten (»maaberot«) am Ort der geplanten »Neuen Städte« – hier die »maabera« von Bat Yam.
(David Saslawski [Hg.], Shikun Olim Be-Israel
[hebr. für »Die Einwanderersiedlung in Israel«],
Tel Aviv 1954, S. 119)

Im Einklang mit diesen Perspektiven kam es schon in der Frühphase der staatlichen Entwicklungsplanung bis 1952 zu einer regelrechten Gründungswelle von insgesamt 19 neuen Städten, zu denen unter anderem Bet She’an, Lod, Ramleh, Be’er Sheva, Ashqelon, Eilat und S’derot zählten.[30] Das enorme Tempo während dieser frühen Jahre verdankte sich nicht zuletzt der Tatsache, dass die so genannte Planning Authority als verantwortliches Organ institutionell an zentraler Stelle innerhalb des neu gebildeten Staatsapparats angesiedelt war und über erhebliche Ressourcen verfügte. Zunächst dem Arbeitsministerium zugeordnet, wurde die Planungsbehörde 1949 dem Büro Ben Gurions unterstellt. Ihr Stab belief sich anfangs auf 80, im folgenden Jahr bereits auf 170 Mitarbeiter und bestand neben Militärplanern überwiegend aus Architekten, Zivilingenieuren und Statistikern.[31]

3. Die Entwicklung des nationalen Planungsdiskurses und seine Protagonisten

Von außen betrachtet kann leicht der Eindruck entstehen, es handele sich beim Sharonplan um ein monolithisches Gesamtwerk. Dies ist jedoch unzutreffend. Weit eher repräsentierte die 1951 veröffentlichte Version einen Zwischenstand, der sich aus verschiedenen, oftmals schon älteren Teilplänen zusammensetzte und über die Jahre durch immer neue population targets aktualisiert wurde.

Bereits in den 1930er-Jahren hatte eine informelle Debatte über die Leitlinien einer zukünftigen Landes- und Regionalplanung begonnen.[32] Die intellektuelle Keimzelle für diesen Fachdiskurs stellte das »Public Works Department« dar, in dem zu jener Zeit die jüdischen Ingenieure und Architekten Ariel (Anselm) Kahane, Richard Kauffmann, Artur Glikson (Alex Glücksohn), Zion Hashimshoni und Eliezer (Leonid) Brutzkus arbeiteten.[33] Eine Plattform für den Austausch von Ideen und Planungskonzepten bot darüber hinaus die »Association of Engineers and Architects in Palestine« (AEAP), die aus dem angesehenen chug (hebr. für »Kreis«) der jüdischen Architekten Palästinas hervorgegangen war. Neben Kauffmann, Glikson und Hashimshoni gehörten ihr beispielsweise auch Arieh Sharon und der Architekturhistoriker Julius Posener an.[34] In verschiedenen Publikationen legten einige dieser Architekten und Ingenieure ihre damals schon relativ weitgehenden Vorstellungen einer künftigen Landes- und Regionalplanung dar; so hatte der Bauingenieur Brutzkus 1938 in der durch den chug veröffentlichen Zeitschrift »Habinyan« (dt.: »Das Gebäude«) seine Sicht auf »Aims and Possibilities of Regional Planning« umrissen und eine Vernetzung der jüdischen Siedlungsregionen durch eine »Autostrada« angeregt.[35]

Ein wichtiger Impuls für den Planungsdiskurs ging im Kontext der sich abzeichnenden Staatsgründung vor allem vom »Circle for Settlement Reform« aus, den Brutzkus 1947 initiiert hatte.[36] Obwohl die Arbeitsgruppe nicht den Status einer offiziellen Kommission besaß, diente sie, nicht zuletzt dank der Teilnahme wichtiger politischer Funktionsträger, als Laboratorium der »planning-oriented minds« (Ariel Kahane).[37] Die Schrittmacherrolle der Gruppe beruhte vor allen Dingen darauf, dass sie die unter Experten bereits seit längerer Zeit entwickelten Konzepte der Landes- und Regionalplanung auch innerhalb der politischen Eliten zur mehrheitsfähigen Meinung machte. Im Gegensatz zu den Führern der zionistischen Bewegung, die überwiegend noch immer dem Ideal der landwirtschaftlichen Kolonisation huldigten, verfügten die Planer über eine präzise Vorstellung der Entwicklungsaufgaben des zukünftigen Staats und über die passenden Strategien zu ihrer Verwirklichung. Tatsächlich setzten sich die Planer nach 1948 rasch mit ihren Konzeptionen durch, wie Brutzkus rund 20 Jahre später nicht ohne Stolz, aber insgesamt wohl zutreffend resümierte: »[Their] ideas and concepts, such as the necessity to achieve a more ›balanced‹ geographical distribution of population and to create a network of medium and small-sized urban centres, spread relatively rapidly in Government quarters after the creation of the State. This ideology [...] was revolutionary in relation to the former opinions. On the whole it was a fortunate coincidence that at the very moment when the possibilities for extensive action emerged – with the establishment of the State and mass immigration – a regional policy with definite aims and with a firm ideological basis could be framed and applied.«[38]

Um Aufschluss über die Tradierungsmuster von Wissensbeständen innerhalb des israelischen Planungsapparats zu gewinnen – und somit auch über die Rezeption der Theorie »zentraler Orte« –, ist es hilfreich, an dieser Stelle einen Blick auf die Biographien und mentalen Prägungen der beteiligten Planer zu werfen. Wie bereits angemerkt, kann der Sharonplan kaum als das Werk eines einzelnen Kopfes bezeichnet werden. Die Bedeutung Arieh Sharons als Autor des Plans sollte schon deshalb nicht überschätzt werden, weil er die nationale Planungsbehörde nur relativ kurz leitete – bis 1952 – und über keinerlei besondere Vorkenntnisse in der Regional- und Stadtplanung verfügte.[39] Nachhaltiger war der Einfluss jener Planer, die – wie die ehemaligen Mitarbeiter des »Public Works Department« – über solide städteplanerische Kompetenz verfügten und auch nach dem Abgang Sharons in den staatlichen Planungsinstitutionen verblieben. Sie repräsentierten »a group of professionals who fully believed in the importance of national renaissance«,[40] und sie verfügten über ein einheitliches Berufsethos. Dieser Geschlossenheit war es auch zu danken, dass der Sharonplan und seine Nachfolgevarianten weitgehend plankonform verwirklicht werden konnten, obwohl der Plan niemals gesetzliche Wirkung erhielt. »The way Israel looks today«, schrieb der Journalist Abraham Rabinovich 1985, »is largely the way it was envisioned then by those men filling middle-level bureaucratic slots. They carried no political clout, and were of so little bureaucratic consequence that they were shunted from ministry to ministry. But it was they who pointed at barren sites from the Lebanese border to the Negev, and conjured up cities.«[41]

Exemplarisch seien drei führende Beteiligte des Sharonplans mit kurzen biographischen Skizzen vorgestellt: Eliezer Brutzkus (1907–1986), Artur Glikson (1911–1966) und Ariel Kahane (1907–1986). Diese drei Akteure eignen sich besonders, weil sie zu den wenigen Planern zählten, die bereits in den 1930er-Jahren als Mitarbeiter des »Public Works Department« und nach 1948 in zentralen Positionen des Planungsapparats beschäftigt waren. Im Gegensatz zu den übrigen Landesplanern hinterließen sie auch ein relativ umfangreiches Werk an Veröffentlichungen, so dass sich die Entwicklung ihrer fachlichen Positionen wenigstens in groben Zügen nachvollziehen lässt. Wie eine große Zahl anderer Mitarbeiter des Sharonplans verfügten Brutzkus, Glikson und Kahane über deutsche Wurzeln bzw. über einen deutsch geprägten Bildungshintergrund.[42] Alle drei hatten während der 1920er- und 1930er-Jahre an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg studiert; Brutzkus 1925/26 an der Fakultät für Bauingenieurwesen, Glikson und Kahane 1930 bis 1933 bzw. 1926 bis 1929 an der Fakultät für Architektur.[43]

Eliezer Brutzkus muss als eine der einflussreichsten Figuren in der israelischen Planung bezeichnet werden. Wie schon erwähnt, hatte er seit den 1930er-Jahren aktiv am Diskurs um die Aufgaben der zukünftigen Landesplanung Anteil genommen. Nach 1948 wurde er in Sharons Planungsbehörde Leiter der Abteilung für Forschung und Statistik, eine Stellung, die in der Hierarchie direkt unter Sharon angesiedelt war und auch in den Jahren nach 1952 unverändert fortbestand. Als Chefstatistiker war Brutzkus direkt verantwortlich für die quantitative Konkretisierung der Bevölkerungsverteilung und somit für den Gesamtrahmen der physischen Planung. Zeitzeugen beschreiben Brutzkus als diszipliniert, äußerst kenntnisreich und durchsetzungsfähig; auch über seine Pensionierung hinaus soll er eine ausgedehnte Fachkorrespondenz mit in- und ausländischen Kollegen geführt haben.[44]

Sein Vater Boris Brutzkus (1874–1938) hatte bereits im Studium Kontakte zu den Gründungsvätern der zionistischen Siedlungsorganisationen unterhalten und seit 1908 als einer der führenden Agrartheoretiker Russlands eine Professur an der staatlichen Timiriasov-Akademie innegehabt.[45] Seine fachlichen Positionen orientierten sich an Wilhelm Röpke, Friedrich August von Hayek, Ernst Laur, Friedrich Aereboe und Max Sering, mit denen er enge Kontakte pflegte. Nach der Oktoberrevolution hatte er unter anderem mit Alexander Tschajanow und Nikolai Kondratjew zusammengearbeitet und Einfluss auf Lenins Neue Ökonomische Politik genommen, wurde jedoch 1924 im Zuge der Säuberungswellen an den »Intellektuellen« und »Nonkonformisten« des Landes verwiesen. Wegen seiner guten Kontakte zu deutschen Wissenschaftlern ließ er sich mit seiner Familie im selben Jahr in Berlin nieder, wo er bis Herbst 1935 blieb. Während dieser Zeit, in der sein Sohn an der Technischen Hochschule in Charlottenburg studierte, nahm Brutzkus dank einer regen Publikationstätigkeit eine profilierte Stellung in der deutschen Wissenschaft ein.[46] Wie sein Sohn in einer kurzen (unveröffentlichten) biographischen Skizze ausführte, hegte der Vater eine große Wertschätzung für die deutsche Agrarwissenschaft im Allgemeinen und für Max Sering, ihren geistigen Ziehvater, im Besonderen.[47] Im Herbst 1935 emigrierte Boris Brutzkus nach Palästina und übernahm dort eine Professur für Agrarökonomie an der Hebrew University in Jerusalem. Nach wie vor blieb er mit der deutschen Wissenschaft eng vernetzt und pflegte Kontakte »with European scholars, even with [a] few within Nazi‐Germany (Prof. M. Sering and others)«.[48]

Es darf vermutet werden, dass die Haltung seines Vaters Einfluss auf Eliezer Brutzkus’ Umgang mit der deutschen Wissenschaft nahm. Ehemalige Mitarbeiter des Letzteren berichten, er habe in seiner Arbeit als Planer zu den vehementesten Befürwortern zentralörtlicher Siedlungssysteme gezählt und Christallers Theorie als seine fachliche »Bibel« betrachtet.[49] Tatsächlich verteidigte Brutzkus die Vorteile einer gestreuten, zentralörtlichen Siedlungsweise noch in einem Zeitschriftenbeitrag von 1973, als sich längst abzeichnete, dass die Einführung hierarchischer Siedlungssysteme in Israel zu erheblichen Dysfunktionen führte.[50] Was speziell die Theorie »zentraler Orte« angeht, so gibt es keinerlei Hinweis, dass Brutzkus ihre Provenienz als problematisch einstufte – die deutsche Soziologin Erika Spiegel, die den Planer 1963 in Israel kennenlernte, hielt fest, Brutzkus berufe sich in seiner Arbeit »ausdrücklich« auf Christaller.[51]

Ebenso wie Brutzkus war auch Artur Glikson mit der Theorie »zentraler Orte« gut vertraut. Glikson, der als Schüler Hans Poelzigs zusammen mit Yehuda Lavie, Alfred Mansfeld und David Anatole Brutzkus – dem Bruder Eliezers – Architektur studiert hatte, nahm im Mitarbeiterstab Sharons nach 1948 die Position des obersten Distriktplaners der Bezirke Haifa, Shomron und Emekim ein.[52] Nach der institutionellen Reorganisation der Planungsbehörde im Jahr 1952 leitete Glikson die Planungsabteilung im Ministerium für Wohnungsbau und die Abteilung für Regionalplanung im Innenministerium. Nicht zuletzt dank Glikson, der unter anderem Kontakte zu Lewis Mumford, Clarence Perry, der »Gruppe 10« und dem Architektentrio Candilis, Josic und Woods unterhielt, konnte die israelische Stadt- und Regionalplanung Anschluss zur Avantgarde der modernen Architektur halten. Als Anhänger des »Biosophen« Ernst Fuhrmann, der in den 1930er-Jahren dem »konservativ-revolutionären« Tat-Kreis Harro Schulze-Boysens nahegestanden hatte, begriff der Architekt sich als »Environmentalist«.[53] Leider ist nicht bekannt, ob und in welchem Umfang er mit Fuhrmann korrespondierte. Allerdings gehörte Glikson in Israel einem Zirkel von Literaten und Wissenschaftlern an, die sich weiterhin mit dem Gedankengut Fuhrmanns auseinandersetzten.[54]

In einer Vortragsreihe, die er 1952 als Dozent des Technion in Haifa hielt, legte Glikson seine Gedanken am Beispiel der von ihm geplanten Jezreel-Region dar – einer länglichen Talsenke, die sich zwischen Haifa und dem südlichen Ende des Sees Genezareth erstreckt.[55] Er beschrieb, welche ausländischen Konzepte und Planungen ihm in besonderer Weise als Vorbilder gedient hatten. Neben dem Regionalplan für Salt Lake City, den Planungen der Tennessee Valley Authority und der Raumplanung in den Niederlanden setzte Glikson sich in seinen Vorlesungen intensiv mit der Theorie »zentraler Orte« auseinander. Christallers Ansatz, dessen wesentliche Thesen er genau darlegte, erschien ihm als »highly interesting«, da sich die Größenordnung und der Abstand von Siedlungen aus einer »simple mathematical rule« ableiten ließen.[56] Glikson machte allerdings klar, dass die Theorie lediglich ein abstraktes Schema darstelle und an die Wirklichkeit angepasst werden müsse, insbesondere an die topographischen Gegebenheiten und die Bodenqualitäten.[57] Die Abbildungen, die er im Rahmen seiner Vorlesungen anführte, zeigten unter anderem die originalen Zeichnungen aus Christallers Dissertation von 1933, allerdings mit Ortsnamen, die ins Hebräische transliteriert waren.[58]

System der »zentralen Orte« in Süddeutschland
Eine der Dissertationsschrift Walter Christallers entnommene Darstellung des Systems der »zentralen Orte« in Süddeutschland, grafisch bearbeitet von Artur Glikson
(Artur Glikson, Maqom Ezori
[hebr. für »Regionalplanung«],
veröffentlichtes Skript der Vortragsreihe von 1952, Haifa 1953, S. 32, Abb. 5)

Interessanterweise konkretisierte Glikson seine Ausführungen zur Funktionsweise der »zentralen Orte« jedoch nicht an Christallers eigenen Planungen – zum Beispiel am 1944 veröffentlichten »Reichssiedlungsplan« –, sondern an den Planungen des Ijsselmeerpolders, der seit den 1940er-Jahren durch den niederländischen Rijksdienst streng nach dem Modell der »zentralen Orte« aufgebaut worden war.[59] Dies könnte entweder dafür sprechen, dass Glikson die Planungen Christallers aus der NS-Zeit nicht bekannt waren, oder dass ihm ein expliziter Bezug auf die damaligen Planungen mit Blick auf seine Zuhörer als unzumutbarer fauxpas erschien.

Im Gegensatz zu Brutzkus und Glikson nahm Ariel Kahane in der Planungshierarchie zunächst keine exponierte Stellung ein. Obwohl er sich selbst als »dienstältester Planer« im »Public Works Department« bezeichnete, arbeitete er nach 1948 zunächst nur als Unterdistriktplaner des westlichen Galiläa.[60] Nach 1952 wurde er Leiter der »Controlling Unit« im Innenministerium, welche die Abstimmung zwischen regulativer und initiativer Planung zu koordinieren hatte. Obwohl Kahane nicht durch eigene städtebauliche oder regionale Entwürfe hervortrat, kann er als eine der interessantesten Figuren der israelischen Planung gelten, zumal er über einen ungewöhnlich breiten Bildungshintergrund verfügte. In seinem beachtlichen publizistischen Œuvre widmete sich Kahane solch unterschiedlichen Themen wie »Raumplanung als Beruf, Gedanken zur Psychologie und Soziologie dieses Berufes« oder »Die Wechselbeziehung zwischen politischen Ideologien und Raumordnung«.[61] Als Sohn von Arthur Kahane, einem Mitarbeiter Max Reinhardts, war Kahane zutiefst in der deutschen Kultur verwurzelt; er sprach nur sehr unzureichend Hebräisch und verfasste Planungsmemoranden und Essays ausschließlich in deutscher Sprache.[62] Auch sein Hauptwerk, ein mehrbändiges, allerdings nur in sehr geringer Auflage produziertes Werk zur Geschichte der Raumplanung in Israel, erschien auf Deutsch.[63]

Ein Einblick in die Gedankenwelt Kahanes während seiner Zeit als aktiver Planer lässt sich unter anderem aus einem als Ausstellungsbeigabe konzipierten Textband gewinnen, den er im Januar 1945 veröffentlichte. Anlass war die in den Räumen des Jüdischen Nationalmuseums in Jerusalem gezeigte, von Kahane selbst kuratierte Ausstellung mit dem Titel »Contributions to Planning in Palestine«.[64] Ihre Leistung war es, die im Rahmen des »Public Works Department« projektierten Einzelplanungen – unter anderem mit dem Entwurf eines Masterplans für die Zentralregion Tel Aviv und für den Großraum Jerusalem – in einer gemeinsamen, graphisch einheitlichen Darstellung zu bündeln und zur Vision für das gesamte Land zu verdichten.

In dem auf Deutsch verfassten Ausstellungskatalog legte Kahane eine umfassende epistemologische Theorie seiner Disziplin sowie die institutionellen und normativen Grundzüge ihrer gesellschaftlichen Wirksamkeit dar. Intellektuell und sprachlich orientierte sich das Manifest an »konservativ-revolutionären« Denkfiguren und reflektierte vermutlich das geistige Milieu, das Kahane während seiner Studienzeit an der Technischen Hochschule in Berlin geprägt hatte. Ähnlich wie die Anhänger des jungkonservativen Tat-Kreises und anderer nahestehender Gruppierungen, denen die Berliner Hochschule damals ein Forum bot, propagierte Kahane ein hybrides, durch Wissenschaft, Technik und Planung fundiertes Staatsideal, das saint-simonistische, neuplatonische, marxistische und kulturkritische Vorstellungen aufnahm und zu einer technokratischen Utopie verschmolz.[65]

Die Planung, so machte Kahane im Einklang mit diesen Perspektiven deutlich, stelle keinen Selbstzweck dar, sondern sei ein geistiges Gut, das die machtpolitische Weltordnung beerben werde: »Auch um die Planung muss gekaempft werden, wie um Freiheit, Recht und Wissen. Noch sind die Gegner allen Fortschritts stark. Technik, aber nicht Mechanisierung des Menschen. Führung, aber nicht Machtpolitik. Religion, aber nicht Unduldsamkeit. [...] Planung bedeutet die Verwirklichung gestellter Ziele noch zu unserer Lebenszeit. [...] Moralischer Tiefstand laesst sich beseitigen.« In diesem Kampf sei zunächst die Idee eines liberal-demokratischen Staates zu überwinden: »Die junge Idee der Planung [ist] dem Konservativismus mit seiner autoritaeren Vorstellung vom Staat naeher als es die Ideen des alten Liberalismus – Individualismus, Toleranz und freier Wettbewerb – jemals tun [sic] werden.«[66]

Um die hohen staatlichen Ziele der Planung verwirklichen zu können, schwebte Kahane eine Art idealer Konkordanz zwischen Planungssubjekt und -objekt vor, in der der Planer als Vermittler eine überragende Stellung einnehme: »Es ist die Aufgabe der Planung, die Politik aus der Sphaere der Macht in die der gemeinsamen Leistung zu heben. Macht in ihrer heutigen politischen Form verdirbt den Menschen. Der geistige Mensch soll den Willen zur Macht haben [...] zum Nutzen der Allgemeinheit (Plato, nicht Machiavelli).« Es komme daher auf die »Auslese der Verantwortlichen« an: Der ideale Planer müsse »über die innerliche Unabhaengigkeit eines Richters verfuegen. Er muss Charakter haben.«[67]

Palästina erschien dem Autor als ein ausgesprochen geeignetes Terrain zur Verwirklichung seiner Projektionen. Obwohl Kahane konzedierte, dass unter den Bedingungen des Mandats keine eigentliche staatliche Planung größeren Maßstabs möglich sei und das Vorhandensein zweier klar geschiedener ethno-sozialer Gesellschaften in Palästina die politische Situation erschwere, könne der jüdische Sektor des Landes die Funktion der »planenden Macht« übernehmen: »Das juedische Palaestina hat eine klare Zielsetzung, die den Juden Palaestinas planungsbereit macht.« Den Grund für diese hohe Akzeptanz einer planungsorientierten Gesellschaftsordnung stelle die starke ideologische Mobilisierung der Juden in Palästina dar: »Der juedische Mensch kam nach Palaestina, um sich dort sein eigenes Staatswesen aufzubauen. Neben dem politischen Mittel ist ihm die Kultivation des Landes das Hauptmittel zur Erreichung dieses Zieles. [...] Seine Zielsetzung verlangt geradezu eine von oben her organisierte Planung und jeder Zionist erwartet von der juedischen politischen Leitung nichts anderes. [...] Der Jude Palaestinas waere fuer den bevorstehenden wahrscheinlich wichtigsten Abschnitt der Neubesiedelung Palaestinas bereit, eine an totalitaere Regierungsformen erinnernde Zuteilung von Arbeitsart und Arbeitsplatz seitens einer juedischen Leitung freiwillig auf sich zu nehmen, wenn er sich damit seines aktiven Anteiles an der Erreichung der gesteckten Ziele eindeutig bewusst werden kann.«[68]

Ankunft von Neueinwanderern im Hafen von Haifa
Ankunft von Neueinwanderern im Hafen von Haifa.
Die Ansiedlung erfolgte unter dem Druck der Immigration nach der Devise »From boat to house« (Eliezer Brutzkus).
(Ministry of Housing, State of Israel [Hg.], Israel Builds, Jerusalem 1968, unpaginiert)

Als Vorbilder einer zukünftigen jüdischen Planung in Palästina nannte Kahane (erstaunlicherweise den »Greater London Plan« aussparend) die sowjetische Vorkriegsplanung und die US-amerikanische Planung der Tennessee Valley Authority – sowie nicht zuletzt die deutsche Planung. Zwar habe diese ihrer Gesinnung nach lediglich »Krieg und Barbarei« hervorgebracht, doch habe sie zweifellos »auf technischem Gebiet [...] beachtenswerte Beiträge zu bieten«. Der jüdische Planer in Palästina könne also nicht umhin, so viel von ihr zu lernen, als »man eben von Gegnern zu lernen pflegt«.[69]

Dass Kahane keinerlei Berührungsängste gegenüber der deutschen Wissenschaftslandschaft hegte, zeigte sich im Übrigen, als er 1963 mit dem Hannoveraner Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht zusammentraf, der sich zu dieser Zeit im Rahmen des bereits erwähnten Israel-Projekts der List-Gesellschaft zu Studienzwecken in Israel aufhielt.[70] Hillebrecht stellte einen Kontakt zur Akademie für Raum- und Landesplanung (ARL) in Hannover her, der es Kahane ermöglichte, in der Folgezeit regelmäßig in der renommierten Fachzeitschrift »Raumforschung und Raumordnung« zu publizieren. Herausgeber der Zeitschrift war ursprünglich Konrad Meyer gewesen, Himmlers Chefplaner für die eroberten Ostgebiete, der nach dem Krieg eine Professur in Hannover erhielt und sich aktiv in der ARL betätigte. Diese Verbindung störte Kahane jedoch offensichtlich nicht, da er, wie sein Nachlass belegt, neben anderen deutschen Fachbeiträgen auch Meyers 1964 publiziertes Werk »Ordnung im Raum« rezipierte.

4. Die Theorie »zentraler Orte« in Israel als interpretatorisches Problem

Spätestens an dieser Stelle drängt sich die Frage auf, welche Kenntnisse die israelischen Planer – zumindest jener engere Zirkel, der seit den 1930er- und 1940er-Jahren in der Stadt- und Regionalplanung tätig geworden war – über die Arbeit Walter Christallers für die RKF-Planungsstäbe unter Konrad Meyer bzw. über die instrumentelle Relevanz seiner Theorie für den »Generalplan Ost« besaßen. Auch wenn dies auf Basis des erhaltenen Quellenmaterials nicht letztgültig beweisbar ist, kann kaum ein Zweifel bestehen, dass die israelischen Akteure mit den groben Zügen der NS-Planungen vertraut waren. Dies legen schon die Verbindungen zu dem zwar zunehmend an den Rand gedrängten, aber noch bis 1939 aktiven Max Sering nahe.[71] Auch nach 1939 waren die Beiträge deutscher Wissenschaftler wie Christaller in den entsprechenden Fachorganen (»Neues Bauerntum« u.a.) der ausländischen Forschung prinzipiell frei zugänglich. Zudem wurden nach dem Krieg durch die Nürnberger Prozesse, wo Meyer einer der Angeklagten war, Teilversionen des »Generalplans Ost« allgemein bekannt.[72] Tatsächlich berichtet Moshe Brawer – ein israelischer Geograph, der Christaller 1954 zu einer Konferenz nach Israel einlud und die meisten der israelischen Planer persönlich gut kannte –, es habe zum damaligen Zeitpunkt in Israel »gewisse Gerüchte« darüber gegeben, dass Christaller während der NS-Zeit als Planer an »scheußlichen Greueltaten« beteiligt gewesen sei.[73]

Natürlich wäre es absurd zu glauben, dass die israelischen Akteure den »Generalplan Ost« als Vorbild für ihre Arbeit begriffen hätten. Doch während sich die »entnazifizierte« Variante der Theorie »zentraler Orte« in der Landesplanung der Bundesrepublik und anderer europäischer Länder erst sehr viel später durchsetzte und somit nicht als Erfahrungsobjekt dienen konnte, lassen sich im heutigen Rückblick instrumentelle Parallelen zwischen den israelischen Vorhaben der Zeit um 1950 und denen der NS-Zeit feststellen. Diese Parallelen ergaben sich nicht aus einer ideologischen Nähe, sondern aus zeitbedingten, systemübergreifenden Mustern des »Social Engineering«.

Mit dem unmittelbar nach dem Überfall auf Polen begonnenen »Generalplan Ost« hatten die ersten Schritte der von Hitler geforderten »ethnographischen Neuordnung« im Osten verwirklicht werden sollen. Mittels gewaltiger Umsiedlungen sollten Schlesien und Ostpreußen »germanisiert« und durch bevölkerungspolitische Dominanz dauerhaft dem Deutschen Reich eingegliedert werden. Die unter der Mitarbeit Christallers entwickelten RKF-Pläne gaben die Verteilungsarithmetik für die erforderlichen Bevölkerungskontingente vor und dienten den institutionell eng verzahnten SD- und SS-Planungsstäben als Grundlage für ihre Deportations- und Vertreibungsmaßnahmen. Zugleich galt die nach dem »Führerprinzip« vorgenommene Hierarchisierung zentral-örtlicher Siedlungsverbände als Mittel zum Zweck der administrativen Beherrschung der ehemals polnischen Provinzen.[74]

Wenn auch die – speziell in den späteren Planständen – ungeheuren Dimensionen und mörderischen Konsequenzen des »Generalplans Ost« eine kurzschlüssige Gleichsetzung verbieten, so bestand die qualitative Analogie des Sharonplans in seinem Ziel, die vorgefundene, indigene Landkarte Palästinas durch eine bevölkerungspolitisch hegemoniale, sozialräumlich vollständig »hebraisierte« Raumordnung ersetzen zu wollen. Es kann nicht geklärt werden, ob die israelischen Planer die während des Unabhängigkeitskriegs in Gang gesetzten Vertreibungen der rund 700.000 Palästinenser antizipierten; sicher ist jedoch, dass sie die einmal erfolgten Entvölkerungen durch die gezielte Ansiedlung von Einwanderungskontingenten post factum festzuschreiben suchten.[75] Wie die RKF-Planer um Konrad Meyer interpretierten sie die Theorie »zentraler Orte« allein in einem »populationistischen« Sinne. Statt der Bereitstellung eines strukturneutralen Angebots von Dienstleistungen diktierten der forcierte Einwanderungsdruck und die angestrebte geopolitische Dominanz das Tempo und die Verteilung der Besiedlung. Christallers Theorie gab den Planern ein rationales, gleichsam wissenschaftlich belegtes Instrument an die Hand, die politisch angestrebten ethnographischen Verschiebungen geographisch und quantitativ kalkulierbar zu machen und funktional in die Erfordernisse der wirtschaftlichen Entwicklung einzupassen.

In dem hier gebotenen Rahmen ist manches gewiss stark verkürzt worden: der spezifische rezeptions- und fachgeschichtliche Kontext in Israel, Deutschland, aber auch in anderen Ländern der Nachkriegszeit, in denen zentralörtliche Siedlungsordnungen (oder vergleichbare Dezentralisierungsmodelle) ihren Niederschlag fanden; die Differenzierung der planerischen Argumentationsmuster und Ziele; schließlich die Bezugnahme auf die verschiedenen politischen, ideologischen und wissenschaftstheoretischen Felder. Umso schwieriger ist es, für die Ambivalenzen, welche durch die Diachronie der Perspektive aufgeworfen werden, einen angemessenen Interpretationsrahmen abzustecken. In jedem Fall sollte es nicht um eine oberflächliche Skandalisierung gehen, sondern um den Impuls, planerischen Denkstilen im 20. Jahrhundert und ihren Verbindungen mit unterschiedlichen politischen Systemen weiter nachzuforschen.

Das System »zentraler Orte« als Ornament der »Hebraisierung«
Das System »zentraler Orte« als Ornament der »Hebraisierung«. Die Grafik zeigt die funktionale und sozialräumliche Verflechtung regionaler landwirtschaftlicher Siedlungsverbünde in Israel, wie sie durch das Settlement Department unter Ra’anan Weitz – als einem Vorreiter der Zentralitätsforschung – seit den frühen 1950er-Jahren aufgebaut wurden.
(Ra’anan Weitz, Rural Development in a Changing World, Cambridge 1971, Titeleinband)

Das Spannungsfeld, in dem sich die Interpretation des hier vorgestellten Falles bewegt, mag durch das – freilich ohnehin schwache – Echo verdeutlicht werden, das die Beschäftigung mit Christaller in Israel wachgerufen hat. So fragte der Journalist Seth Franzmann in einem Artikel von 2010 mit inquisitorischem Eifer, warum Walter Christaller – den er als »Hitler’s Geographer« bezeichnete – in der deutschen Wissenschaft nach 1945 relativ umstandslos rehabilitiert werden konnte.[76] Es sei kaum verständlich, warum der Einfluss von »Nazi Academics« und ihrem Gedankengut in der Bundesrepublik bislang so ungenügend erforscht sei. Jedoch versäumte er es – vermutlich in Unkenntnis der diesbezüglichen Fakten –, auf die Rezeption der Theorie Christallers in Israel einzugehen.

Mit gegenläufigen Intentionen erwähnte vor einigen Jahren der israelische Geograph Arnon Golan die Rezeption Christallers. In dem bislang einzigen Versuch, dessen Rolle innerhalb der RKF-Raumplanung in Verbindung mit ihrer parallelen Rezeption in Israel zu thematisieren, regte er zu einer innerisraelischen Fachdebatte an. Golan forderte seine Kollegen dazu auf, ihr »Holocaust-Trauma« zu überwinden und sich einer kritischen Reflexion der israelischen Nationalplanung nach 1948 offen zu stellen.[77] Diese Debatte ist bislang jedoch ausgeblieben. Sie verspätet und differenzierter nachzuholen könnte schon deshalb lohnend sein, weil die Ursachenforschung des palästinensisch-israelischen Konflikts häufig auf die im medialen Fokus stehende Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten reduziert bleibt, statt die Vorgeschichte breiter zu untersuchen. Eine solche Debatte könnte außerdem dazu beitragen, die Dichotomisierungen nationaler, letztlich ahistorischer Deutungskategorien in Frage zu stellen und das (versuchte) »Ordnen von Räumen« als ein Grundproblem des 20. Jahrhunderts zu analysieren.[78]

Von besonderem Interesse dürfte schließlich eine intensivere Auseinandersetzung mit den biographischen Brüchen und Kontinuitäten sowie den fachlichen Diskursen der Planergeneration Christallers, Brutzkus’ und Kahanes sein,[79] ergänzt um weitere, vergleichbare Biographien aus anderen Ländern. Dass die Ambivalenzen und Irritationen, die hierbei sichtbar werden, womöglich keine abschließende Interpretation erlauben, mag nicht zuletzt damit zu tun haben, dass auch die Akteure selbst sie in ihren individuellen Geschichten nicht restlos aufzulösen vermochten.

Anmerkungen:

[1] Arieh Sharon, Physical Master Plan of Israel (Technun Fisi le-Israel; hebr. inkl. engl. Beigabe »Physical Planning in Israel«), Tel Aviv 1951. Für die Grundgedanken des Plans siehe auch ders., Planning in Israel, in: The Town Planning Review 23 (1952), S. 66-82.

[2] Der israelische Architekturhistoriker Zvi Efrat hat den Sharonplan nicht zu Unrecht als »one of the most comprehensive, controlled and efficient architectural experiments in the modern era« bezeichnet. Vgl. Zvi Efrat, The Plan. Drafting The Israeli National Space, in: Rafi Segal/Eyal Weizmann (Hg.), A Civilian Occupation. The Politics of Israeli Architecture, Tel Aviv 2003, S. 59-76, hier S. 60.

[3] Walter Christaller, Die zentralen Orte in Süddeutschland. Eine ökonomisch-geographische Untersuchung über die Gesetzmäßigkeit der Verbreitung und Entwicklung der Siedlungen mit städtischen Funktionen, Jena 1933, 2., unveränd. Aufl. Darmstadt 1968, reprograf. Nachdruck der 1. Aufl. Darmstadt 1980. Den gesamten Komplex der Rezeption der Theorie in Israel und im Nationalsozialismus behandle ich ausführlich in: Joachim Trezib, Die Theorie der zentralen Orte in Israel und Deutschland. Zur Rezeption Walter Christallers im Kontext von Sharonplan und »Generalplan Ost«, Berlin 2014.

[4] Vgl. hierzu allg. Mechtild Rössler/Sabine Schleiermacher (Hg.), Der »Generalplan Ost«. Hauptlinien der nationalsozialistischen Planungs- und Vernichtungspolitik, Berlin 1993.

[5] Vgl. Dirk van Laak, Planung, Planbarkeit und Planungseuphorie, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 16.2.2010.

[6] Vgl. hierzu etwa Wolfgang Emmerich/Carl Wege (Hg.), Der Technikdiskurs in der Hitler-Stalin-Ära, Stuttgart 1995.

[7] Benjamin Akzin/Yehezkel Dror (mit einer Einleitung von Bertram M. Gross), Israel. High-Pressure Planning, New York 1966, Zitat S. 31.

[8] Ebd., S. 16ff.

[9] Ebd., S. XVII.

[10] Ebd., S. 67.

[11] Vgl. Ines Sonder, Gartenstädte für Erez Israel. Zionistische Stadtplanungsvisionen von Theodor Herzl bis Richard Kauffmann, Hildesheim 2005.

[12] Nachlass Ariel Kahane, Hebrew University Jerusalem (im Folgenden: NLK) II/1961: Fünfundzwanzig Jahre Regierungsplanung in Erez Israel, 1. August 1961 (Typoskript), S. 5. Bei dem Typoskript handelt es sich um die deutsche Originalfassung eines von Kahane verfassten, im August 1962 in der Zeitschrift »Adrichalut/Architecture« veröffentlichten hebräischen Artikels.

[13] Ebd., S. 4.

[14] Vgl. dazu v.a. Moshe Zimmermann/Yotam Hotam (Hg.), Zweimal Heimat. Die Jeckes zwischen Mitteleuropa und Nahost, Frankfurt a.M. 2005. Das Wirken deutsch-jüdischer Stadtplaner wird in dem Band leider nicht thematisiert.

[15] Siehe Werner Feilchenfeld/Dolf Michaelis/Ludwig Pinner, Haavara-Transfer nach Palästina und Einwanderung deutscher Juden 1933–1939, Tübingen 1972.

[16] Vgl. Werner Schick, Das Bankenwesen in Israel, Tübingen 1964, S. 22.

[17] Ihre Biographien sind bis heute leider nahezu unerforscht.

[18] Vgl. Yechiam Weitz, Die Rolle der Einwanderer aus Mitteleuropa bei der politischen Entscheidung über die »Wiedergutmachung«, in: Zimmermann/Hotam, Zweimal Heimat (Anm. 14), S. 295-305.

[19] Ein Beispiel für die Kooperation westdeutscher und israelischer Planungsexperten in den frühen 1960er-Jahren liefert das »Israel-Projekt«, mit dem die deutsch-schweizerische List-Gesellschaft groß angelegte interdisziplinäre Forschungen zur Landes- und Entwicklungsplanung in Israel lancierte. Siehe hierzu Joachim Trezib, Edgar Salin und das Israel Economic and Sociological Research Project (IESRP). Facetten einer Annäherung, in: Karin Wilhelm/Kerstin Gust (Hg.), Neue Städte für einen neuen Staat. Die städtebauliche Erfindung des modernen Israel und der Wiederaufbau in der BRD. Eine Annäherung, Bielefeld 2013, S. 80-94.

[20] Siehe hierzu sehr eindrücklich Yaakov Sharett, The Reparations Controversy. The Jewish State and German Money in the Shadow of the Holocaust 1951–1952, Berlin 2011.

[21] Derek Penslar, Zionism and Technocracy. The Engineering of Jewish Settlement in Palestine 1870–1918, Bloomington 1991, bes. S. 41-110.

[22] »Security requirements« wurden u.a. von Sharon genannt, aber auch in diversen Planungsmemoranden explizit als Begründung angeführt; vgl. Sharon, Physical Master Plan (Anm. 1), S. 5f., S. 11. Siehe auch Trezib, Theorie der zentralen Orte (Anm. 3), besonders S. 189-195, S. 351-357, S. 389-401.

[23] Sir Patrick Abercrombie (der Verfasser des »Greater London Plan«) wurde während der Arbeiten am »Physical Master Plan« von Sharon wiederholt konsultiert; vgl. hierzu als Primärquellen Arieh Sharon, Kibbutz + Bauhaus, Stuttgart 1976, S. 79, sowie Central Zionist Archives (CZA) 175/200: Patrick Abercrombie, Report on Visit to Israel (undatiertes Typoskript, vermutlich 1947).

[24] Vgl. Sharon, Physical Master Plan (Anm. 1), S. 7.

[25] Die israelische Rezeption des Christaller-Modells ist in der zeitgenössischen Literatur gut belegt, wenn auch nicht weiter problematisiert. Vgl. etwa David Amiran/Arie Shachar, Development Towns in Israel, Jerusalem 1969, S. 34-37; Erik Cohen, The City in Zionist Ideology, Jerusalem 1970, S. 35f.; Erika Spiegel, Neue Städte/New Towns in Israel, Stuttgart 1966, S. 19.

[26] Christallers deduktive Vorgehensweise orientierte sich u.a. an Max Webers Idealtypen und wandte sich – wie Alfred Webers Standortlehre – gegen ein apriorisch strikt induktives Vorgehen, wie es die in der Wirtschaftslehre damals noch dominante historische Schule kennzeichnete. Anders als Max Weber beharrte Christaller allerdings nicht auf dem Gebot der Wertneutralität, sondern trat für eine »dienstbare« Wissenschaft ein.

[27] Vgl. Christaller, Die zentralen Orte (Anm. 3), S. 63ff. Er stufte fünf vorherrschende Ortsgrößen ab: von der Landstadt mit mehr als 2.000 Einwohnern über die Klein- und Mittelstadt bis zur Großstadt mit mehr als 100.000 Einwohnern sowie schließlich der Weltstadt mit über 1.000.000. Zusätzlich definierte er noch Zwergstädte von unter 2.000 Einwohnern. Bis auf die Weltstadt – die im Falle Israels entfiel – entsprach die Klassifizierung im Sharonplan deutlich erkennbar diesem Schema.

[28] Eliezer Brutzkus, Regional Policy in Israel, Jerusalem 1970, S. 18. Zu August Lösch (1906–1945) vgl. v.a. sein einschlägiges, nach 1945 mehrfach wieder aufgelegtes Werk: Die räumliche Ordnung der Wirtschaft. Eine Untersuchung über Standort, Wirtschaftsgebiete und internationalen Handel, Jena 1940.

[29] S. Ilan Troen, New Departures in Zionist Planning, The Development Town, in: ders./Noah Lucas (Hg.), Israel. The First Decade of Independence, New York 1995, S. 441–460, hier S. 457.

[30] Vgl. Spiegel, Neue Städte (Anm. 25), S. 23 (Tab. 7). Die aufgezählten Städte dieser frühen Gründungsphase wurden im Gegensatz zu späteren Stadtgründungen – etwa Arad oder Karmi’el – fast ausnahmslos am Ort von bereits vorhandenen, im Unabhängigkeitskrieg jedoch weitgehend entvölkerten arabischen Siedlungen gebaut. Die arabischen Ortsnamen lauten der Reihe nach: Beisan, Lydda, Al-Ramlah, Bir-as-Saba, Askalun, Akaba und Sidirut.

[31] Sharon, Kibbutz + Bauhaus (Anm. 23), S. 78.

[32] Elisha Efrat, The New Towns of Israel (1948–1988). A Reappraisal, München 1989, S. 3-12.

[33] Vgl. auch NLK II/1961, S. 4.

[34] Troen, New Departures (Anm. 29), S. 445ff.

[35] Vgl. Leonid (Eliezer) Brutzkus, Aims and Possibilities of Regional Planning (hebr. mit engl. Zusammenfassung), in: Habinyan. A Magazine of Architecture and Town-Planning 3 (1938) H. 9, S. 31-36; ders., The Question of Urban Settlement (hebr. mit engl. Zusammenfassung), in: Ha-Andasa Ve-Adrichalut 5 (1945), S. 13f. Vgl. auch Ariel Kahane, Contributions to the Design of Towns (hebr. mit engl. Zusammenfassung), in: Ha-Andasa Ve-Adrichalut 3 (1944), S. 14ff.

[36] Vgl. Troen, New Departures (Anm. 29), S. 445; Efrat, New Towns (Anm. 32), S. 5.

[37] Vgl. hierzu bes. Avital (Avni) Schechter, Planners, Politicians, Bureaucrats. The Israeli Experience in Physical Planning During Israel’s Early Years (hebr. mit engl. Zusammenfassung), Haifa 1990, S. 123.

[38] Brutzkus, Regional Policy (Anm. 28), S. 14.

[39] Siehe etwa Ruth Kark, Planning, Housing, and Land Policy 1948–1952. The Formation of Concepts and Governmental Frameworks, in: Troen/Lucas, Israel (Anm. 29), S. 461-494, hier S. 468.

[40] Efrat, New Towns (Anm. 32), S. 11.

[41] Abraham Rabinovich, Sites for Sore Eyes, in: The Jerusalem Post Magazine, 15.11.1985, S. 12.

[42] Zur personellen Besetzung der frühen israelischen Planungsorgane vgl. Shalom Reichmann/Michal Yehuda’i, Survey of Pro-Active Physical Planning 1948–1952 (hebr.), Jerusalem 1984.

[43] Vgl. Universitätsarchiv der Technischen Universität Berlin (UaTUB), Matrikel Bd. VIII (1923–1928), S. 262; Matrikel Bd. IX (1928–1930), S. 204; Matrikel Bd. VIII (1923–1928), S. 351. Zu Glikson vgl. außerdem die recht knappe Darstellung von Myra Warhaftig, Sie legten den Grundstein. Leben und Wirken deutschsprachiger jüdischer Architekten in Palästina 1918–1948, Tübingen 1996, S. 368-375. Warhaftig schreibt, Glikson habe erst 1935 sein Diplom in Berlin abgelegt. Das Matrikelverzeichnis führt ihn allerdings nur im Jahr 1930 auf.

[44] Aufgezeichnetes Interview des Autors mit Elisha Efrat vom 29.1. und 26.6.2006 in Jerusalem und Tel Aviv.

[45] Vgl. Vassily Kagan, Boris Brutzkus (russ.), Jerusalem 1989; Trezib, Theorie der zentralen Orte (Anm. 3), S. 319ff.; dort auch zum Folgenden.

[46] Dies belegt ein von Brutzkus im Jahr 1931 initiierter Protestaufruf gegen die stalinistische Willkürherrschaft, dem sich u.a. Albert Einstein, Wilhelm Furtwängler, Otto Hahn, Heinrich Mann, Max Planck, Hans Poelzig, Alfred Weber, und Max Sering anschlossen – um nur einige wenige zu nennen; vgl. Kagan, Brutzkus (Anm. 45), S. 45ff.

[47] Curriculum Vitae Boris (Ber/Dov-Ber) Brutzkus, unpaginiertes Typoskript vom Mai 1979, signiert Eliezer Brutzkus (Privatbesitz).

[48] Ebd.

[49] Interview mit Efrat (Anm. 44); aufgezeichnetes Interview mit Ofrat Harel (Wiedergabe eines Interviews mit Aviha Hashimshoni) vom 4.11.2007, Tel Aviv.

[50] Eliezer Brutzkus, Centralized versus decentralized patterns of urbanization, in: Ekistics 214 (September 1973), S. 189-192. Zu den Problemen der dezentralisierten Siedlungsstruktur zählten u.a. der hohe Investitionsaufwand, das Fehlen einer örtlichen Infrastruktur und vor allem der ungenügend entwickelte lokale Arbeitsmarkt. Fast alle der neugegründeten Städte wiesen überdurchschnittlich hohe Abwanderungsraten und eine im Landesdurchschnitt äußerst schwache sozio-ökonomische Struktur auf. Vgl. hierzu etwa Efrat, New Towns (Anm. 32).

[51] Spiegel, Neue Städte (Anm. 25), S. 19.

[52] Vgl. Schechter, Planners, Politicians, Bureaucrats (Anm. 37), S. 90.

[53] Vgl. Warhaftig, Grundstein (Anm. 43), S. 368.

[54] Diesen Hinweis verdanke ich der israelischen Architekturhistorikerin Rachel Kallus, die über einen Teilnachlass Gliksons verfügt. Im Übrigen bezog sich Glikson in der nachstehend angeführten Vortragsreihe ausdrücklich auf die Schriften Fuhrmanns.

[55] Vgl. Artur Glikson, Maqom Ezori [Regionalplanung], veröffentlichtes Skript der Vortragsreihe von 1952 (hebr.), Haifa 1953.

[56] Ebd., S. 55f.

[57] Ebd.

[58] Ebd., S. 76.

[59] Ebd., S. 104ff.

[60] Schechter, Planners, Politicians, Bureaucrats (Anm. 37), S. 90.

[61] Ariel Kahane, Die Wechselbeziehung zwischen politischen Ideologien und Raumordnung, in: Raumforschung und Raumordnung 22 (1964), S. 200-215; ders., Raumplanung als Beruf, Gedanken zur Psychologie und Soziologie dieses Berufes, in: Raumforschung und Raumordnung 28 (1970), S. 113-118.

[62] NLK I/1957 (?): Curriculum Vitae, Ariel Kahane (undatiertes Typoskript).

[63] Ariel Kahane, Erlebte Raumplanung, gegründet auf den Erfahrungen im Raum Israel, Teil I–IV, Hannover 1981.

[64] Vgl. Total Town Planning, in: The Palestine Post, 8.1.1945, sowie NLK II/1945: Contributions to Planning in Palestine, Plan-, Bild- und Textkonvolut zu der vom 6. bis 27.1.1945 im Jüdischen Nationalmuseum an der Bezalel Academy veranstalteten Ausstellung.

[65] Vgl. hierzu allg. Stefan Willeke, Die Technokratiebewegung in Nordamerika und Deutschland zwischen den Weltkriegen. Eine vergleichende Analyse, Frankfurt a.M. 1995.

[66] NKL II/1945: Planning in Palestine, by Anselm Kahane, Jerusalem 1945 (Begleittext zur Ausstellung, Typoskript in deutscher Sprache, 273 S., Schreibweise im Original), S. III/3f., S. II/6.

[67] Ebd., S. III/3, S. II/4, S. II/6.

[68] Ebd., S. IV/4, S. IV/18f.

[69] Ebd., S. III/2.

[70] Siehe oben, Anm. 19, und knapp Karin Wilhelm, Die Suche nach Urbanität, in: bauwelt, 20.1.2012, S. 30-33.

[71] So wohnte etwa Boris Brutzkus 1934 der agrarwirtschaftlichen Konferenz in Bad Eilsen bei, an der neben Sering u.a. auch Konrad Meyer teilnahm. Vgl. Internationale Konferenz für Agrarwissenschaften. Dritte Tagung in Bad Eilsen/Niedersachsen, Leipzig 1934.

[72] Zum Prozess gegen Meyer siehe v.a. Mechtild Rössler, Konrad Meyer und der ›Generalplan Ost‹ in der Beurteilung der Nürnberger Prozesse, in: dies./Schleiermacher, »Generalplan Ost« (Anm. 4), S. 356-367, hier S. 359f. Meyer verschleierte in dem Prozess allerdings die wahren Ausmaße der RKF-Planungen, was ihm u.a. deshalb gelang, weil die späteren Planunterlagen fast gänzlich vernichtet worden waren.

[73] Aufgezeichnetes Interview des Autors mit Moshe Brawer vom 11.1.2006, Tel Aviv.

[74] Christaller selbst wollte seine Theorie während der NS-Zeit als genuin nationalsozialistisches Gedankengut und räumliches Pendant des »Führerprinzips« verstanden wissen. Vgl. Walter Christaller, Grundgedanken zum Siedlungs- und Verwaltungsaufbau im Osten, in: Neues Bauerntum 32 (1940), S. 305-312, hier S. 306.

[75] Zur Entstehung des palästinensischen Flüchtlingsproblems nach wie vor am detailreichsten und ausgewogensten: Benny Morris, The Birth of the Palestinian Refugee Problem Revisited, Cambridge 2004. Zur Strategie des »post factum-transfers« u.a. Shalom Reichmann, Partition and Transfer. Crystallization of the Settlement Map of Israel Following the War of Independence, 1949–1950, in: Ruth Kark (Hg.), The Land that became Israel, New Haven 1990, S. 320-330, hier S. 323ff.

[76] Seth Franzmann, Hitler’s Geographer. Walter Christaller and Nazi Academics, in: Jerusalem Post Magazine, 27.8.2010. Die von Franzmann wahrgenommene, kritiklose Weißwäsche Christallers in der deutschen Wissenschaft ist so nicht zutreffend. Seit den 1990er-Jahren hat Mechtild Rössler verschiedene Studien zur NS-Vergangenheit Christallers veröffentlicht. Eine kritische Darstellung der Rezeption Christallers in der Bundesrepublik liefert zudem in Kürze Karl R. Kegler, Deutsche Raumplanung. Das Modell der »Zentralen Orte« zwischen NS-Staat und Bundesrepublik, Paderborn 2015.

[77] Arnon Golan, Israeli Historical Geography and the Holocaust: Reconsidering the Research Agenda, in: Journal of Historical Geography 28 (2002), S. 554-565. Gleichwohl ging dieser Artikel kaum über eine allgemeine epistemologische Reflexion hinaus.

[78] Vgl. dazu Ulrike Jureit, Das Ordnen von Räumen. Territorium und Lebensraum im 19. und 20. Jahrhundert, Hamburg 2012.

[79] Siehe z.B. auch die biographische Studie von Sylvia Necker, Konstanty Gutschow (1902–1978). Modernes Denken und volksgemeinschaftliche Utopie eines Architekten, Hamburg 2012.

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