Ein erinnerungspolitischer Gegenpol

Das geplante „Freiheits- und Einheitsdenkmal“ in Berlin

Anmerkungen

Als im Frühjahr 1998 die Ergebnisse des zweiten Wettbewerbs zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas diskutiert wurden und man diese breite öffentliche Debatte sogar als das eigentliche Denkmal für die Opfer des Holocaust bezeichnete, betrat eine „Initiative Denkmal Deutsche Einheit“ die erinnerungspolitische Bühne. In ihrem öffentlichen Aufruf forderte sie die Schaffung eines „Freiheits- und Einheitsdenkmals“, dem die Losung „Wir sind das Volk! Wir sind ein Volk!“ zugrundeliegen sollte. Das Denkmal sollte die friedliche Revolution in der DDR von 1989 würdigen und einen Ausdruck der Freude über die errungene nationale Einheit im Stadtbild der deutschen Hauptstadt darstellen.1 Der Kontrast zum jüngeren erinnerungspolitischen Diskurs in der Bundesrepublik Deutschland war markant: Dem Tiefpunkt deutscher Geschichte im Völkermord an den europäischen Juden wurde ein Höhepunkt des Freiheitswillens der Deutschen und des Ringens um ihre nationale Einheit gegenübergestellt.

Dieser Kontrast war Programm und verfolgte zwei Stoßrichtungen: Erstens sollte er die Meinungsführerschaft brechen, welche die Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus in der west- und später gesamtdeutschen Öffentlichkeit seit den 1980er-Jahren eingenommen hatte. Diesem „negativen Gedächtnis“ galt es mit der Erinnerung an die friedliche Revolution des Jahres 1989 ein positives Identifikationsangebot entgegenzustellen. Zweitens manifestierte sich in der Initiative eine Restauration des traditionellen Denkmalbegriffs. Dieser war in der Reflexion über die Erinnerung an die Verfolgten eines systematischen Staatsterrorismus dekonstruiert und mittels konzeptueller künstlerischer Ansätze im Sinne eines „Gegen-Denkmals“ erweitert worden.2 Die Initiatoren des Freiheits- und Einheitsdenkmals kehrten aber zu dem traditionel-len Denkmalverständnis eines Monuments mit Sockel zurück. So erklärte der CDU-Abgeordnete Günter Nooke am 13. April 2000 im Bundestag, es gehe „nicht um eine neue Debatte über Denkmäler und eine Diskussion darüber, ob Denkmäler noch zeitgemäß sind“. Denn: „Die öffentliche Debatte hat die Kritiker schon lange widerlegt.“3 Damit blendete er die Erkenntnisse neuerer erinnerungskünstlerischer Diskussionen großzügig aus.

Der politische und künstlerische Ansatz für das Freiheits- und Einheitsdenkmal markierte einen nicht unerwarteten Deutungswandel. Bereits 1994 hatte sich Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen dagegen ausgesprochen, dass Berlin zur „Hauptstadt der Reue“ werde: „Wir müssen verhindern, dass Berlin allein für die Geschichte mit all ihren Schattenseiten in Anspruch genommen und ihr [d.h. der Stadt] die Zukunft vorenthalten wird.“4 Diese Haltung führte Nooke im Bundestag dahingehend weiter fort, dass „ein positives nationales Symbol“ geschaffen werden müsse, um die deutsche „Nation nicht auf die zwölf schrecklichen Jahre Nazidiktatur fest[zu]legen“. Vielmehr brauche die „Kulturnation Deutschland“ „auch die Erinnerung an die zweite deutsche Diktatur des SED-Regimes“. Den Verdacht einer erinnerungspolitischen Konkurrenz wies Nooke zurück: „Wir wollen kein Antidenkmal zum Holocaust-Mahnmal errichten.“ Damit war der Orientierungspunkt der Initiative aber deutlich genug fixiert: Es ging um einen erinnerungspolitischen Gegenpol, nämlich um den „Kampf für Freiheit und Demokratie“ als „Gründungsmythos des vereinten Deutschlands“.5

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Die Denkmal-Initiative trat in einer für sie ungünstigen politischen Konstellation auf den Plan. Im Herbst 1998 endete die 16-jährige Regierungszeit des CDU-Bundeskanzlers Helmut Kohl. Eine vergleichbare Unterstützung konnte die Initiative von dem nun nachfolgenden SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder nicht erwarten, zumal sie deutlich parteipolitisch geprägt war: Drei ihrer vier Hauptakteure gehörten der CDU an.6 Dennoch schlossen sich ihrem Anliegen 177 Abgeordnete fast aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien an; nur die PDS-Fraktion lehnte das Vorhaben geschlossen ab. Der Gruppenantrag wurde jedoch am 9. November 2001 mit der Stimmenmehrheit von SPD und PDS zurückgewiesen.7 Immerhin war es der Initiative in kurzer Zeit und ohne breite öffentliche Debatte gelungen, ihr Anliegen auf eine zentrale politische Ebene zu heben.

Das Vorhaben eines Freiheits- und Einheitsdenkmals, das gewissermaßen eine Spätgeburt der Ära Kohl war, musste auf den nächsten politischen Umbruch warten, um in seine Realisierungsphase eintreten zu können. Erst unter der CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel passierte der Antrag am 9. November 2007 das Parlament.8 Die Ausarbeitung der Denkmalskonzeption wurde sowohl an die Initiatoren verwiesen als auch an den Verein „Deutsche Gesellschaft“, der das Projekt 2006 „adoptiert“ hatte und 2007 zusammen mit der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur einen die Kampagne flankierenden Studentenwettbewerb durchführte. Dessen Ergebnisse lagen zum Parlamentsbeschluss vor.9 Die Initiatoren des Denkmals und die „Deutsche Gesellschaft“ wurden bereits 2008 von der „Deutschen Nationalstiftung“ mit einem Preis ausgezeichnet.10 Ende 2008 lobte die Bundesrepublik, vertreten durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), einen Gestaltungswettbewerb aus.11

1. Die Rekonstruktion einer „normalen“ Hauptstadt

Wären die Initiatoren des Denkmals nicht bekannt, könnte das Vorhaben auch für eine Idee Helmut Kohls gehalten werden. Von seiner inhaltlichen und politisch-ideologischen Seite her fügt es sich dem Konzept der Kohl-Ära stimmig ein, über die Kulturhoheit der Bundesländer hinweg national bedeutsame kulturelle Einrichtungen zu schaffen. Zur traditionellen Repräsentationsinfrastruktur einer Hauptstadt gehören nicht nur Geschichts- und Kunstmuseen, sondern auch Gedenkstätten. Unter dem Eindruck der Grands Projets des französischen Präsidenten Mitterrand und in Anlehnung an die National Mall in Washington ließ Kohl in der ersten Phase seiner Kanzlerschaft die damalige Bundeshauptstadt Bonn mit einer repräsentativen Museumsmeile ausstatten. Eine nationale Gedenkstätte für die „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ fand allerdings noch 1986 im Bundestag keine Zustimmung.

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Von diesen kulturpolitischen Maßnahmen blieb Berlin in den 1980er-Jahren nicht ausgenommen. Zum 750. Stadtjubiläum (1987) legte der Kanzler im Westteil der Stadt den symbolischen Grundstein für ein Deutsches Historisches Museum. Zusammen mit seinem damaligen Bauminister und späteren Kulturbeauftragten im Kanzleramt, Oscar Schneider, wurde bereits ein Ausbau des Reichstagsgebäudes geplant, und der Kölner Architekt Gottfried Böhm durfte schon 1988 die Rekonstruktion der Wallot’schen Reichstagskuppel entwerfen, die Schneider 1994 dem britischen Stararchitekten Norman Foster aufdrängte.12 So war man auf die Fortsetzung und Erweiterung der regierungsamtlichen Symbolpolitik nach 1989/90 gut vorbereitet: Das Deutsche Historische Museum übernahm das alte preußische Zeughaus, wo sich zu DDR-Zeiten das Museum für Deutsche Geschichte befunden hatte. Und auch andere Symbolorte der „Hauptstadt der DDR“ bedurften bloß einer Umkodierung – etwa die Neue Wache an der Straße Unter den Linden, die zur „Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ wurde. Gemeinsam mit Christoph Stölzl konzipierte Helmut Kohl 1992/93 die Innenraumgestaltung, bei der eine Skulptur von Käthe Kollwitz überdimensional vergrößert wurde. Über die heftigen Proteste gegen die dieser Gedenkstätte innewohnende Gleichsetzung von Opfern und Tätern setzte sich der Kanzler staatsmännisch hinweg.

Nach der Übernahme bestehender Gebäude wurde die Rekonstruktion der noch fehlenden Symbolorte einer nationalen Hauptstadt eingeleitet. Ein neues Regierungszentrum wurde geplant und gebaut, das Reichstagsgebäude als neues Parlament mit einer gläsernen Kuppel versehen und schließlich der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses anvisiert. In diese Erneuerung repräsentativer Hauptstadtstrukturen fügte sich auch die Wiedereinweihung des Berliner Doms von 1993 ein. Seit dem Regierungsumzug 1999 fungiert er gewissermaßen als „Staatskirche“, und sein wilhelminisch überladenes Raumprogramm bildet die opulente Kulisse für staatstragende Feierstunden, zuletzt im Mai 2009 zum Jubiläum des Grundgesetzes.

Dieses neokonservative Rekonstruktionsprogramm nationaler Repräsentationsorte in der deutschen Hauptstadt wurde von der rot-grünen Regierungskoalition unterbrochen. Bezeichnenderweise fielen der Bundestagsbeschluss zugunsten des Denkmals für die ermordeten Juden Europas (1999), sein Bau und seine Einweihung (2005) in die Zeit der Schröder-Administration hinein, auch wenn es hinsichtlich seiner Entstehungsgeschichte kein genuines Vorhaben der rot-grünen Regierung war. Dieses Denkmal im Zentrum Berlins erfüllt aber weniger eine innen- als eine außenpolitische Funktion: Es wirkt als ein Zeichen für die deutsche Schuld am Völkermord an den Juden Europas. In das Symbolkonzept einer „normalen“ Hauptstadt einer „normalen“ Nation gehört ein solches Monument eines „negativen Gedächtnisses“ nicht selbstverständlich hinein.13

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Mit dem Ende der Schröder-Regierung und der folgenden Großen Koalition unter der CDU-Kanzlerin Merkel wurden die Fäden der neokonservativen Umgestaltung Berlins wieder aufgenommen. Und dabei kamen durchaus personelle Kontinuitäten zum Tragen. So war die Findungskommission für ein Bundeswehr-Ehrenmal unter anderem mit früheren Mitstreitern Kohls besetzt: Oscar Schneider (Jurist) und Christoph Stölzl (Historiker) wirkten darin als „Kunstsachverständige“ mit. In diesem eingeladenen, sehr internen Wettbewerbsverfahren entschied sich die Jury für den Entwurf des Architekten Andreas Meck – ein Projekt, das sich vor allem in seinen Materialwerten und seiner Bildmotive traditioneller Pathosformeln bedient und in seiner Symbolik den Soldatentod legitimiert.14 Das Bundeswehr-Ehrenmal geriet gewissermaßen zu einer „Betriebsgedenkstätte“ und wurde im September 2009 auf dem Hof des Verteidigungsministeriums am Berliner Bendlerblock eingeweiht. Stölzl wirkte auch noch als Preisrichter am Wettbewerb für das Freiheits- und Einheitsdenkmal mit. Wie er in der Presse kundtat, war ihm dieser offene Wettbewerb vor allem wegen der Teilnehmerzahl ein Gräuel, und so war er bereits nach 200 von über 500 Entwürfen „mutlos geworden“ und hatte sich nur einen Teil der Einreichungen angeschaut.15 An „seinem“ Kanzler lobt Stölzl im Rückblick den Entscheidungswillen, der im Fall der Neuen Wache die „quälend langen öffentlichen Debatten über jedes Erinnerungsprojekt“ abgekürzt habe.16

2. Der Gestaltungswettbewerb 2008/09 und seine Ergebnisse

Das Projekt des Freiheits- und Einheitsdenkmals wurde als ein offener zweistufiger Wettbewerb für Künstler, Architekten und sonstige Kreative ausgeschrieben. Die Planung sah vor, dass aus den Entwürfen der ersten Wettbewerbsphase mindestens 20 für eine zweite, entscheidende Phase ausgewählt werden sollten. Der Kern der Aufgabenstellung war bereits im Bundestagsbeschluss vom 9. November 2007 definiert: Das Denkmal sollte sowohl dem konkreten historischen Ereignis der friedlichen Revolution im Herbst 1989 als auch – sehr viel allgemeiner – den „freiheitlichen Bewegungen und Einheitsbestrebungen der vergangenen Jahrhunderte“ gewidmet sein. Weitere Inhalte kamen hinzu: So sollte der vom Land Berlin und der Bundesregierung ausgewählte, historische Standort der Schlossfreiheit mit bedacht, zusätzlich ein „oberirdischer Ort der Information“ für das Denkmal und seine Aussage geschaffen werden sowie das Ganze schließlich ein „nationales Symbol“ darstellen, das sich durch eine „künstlerische und stadträumliche Qualität“ auszuzeichnen habe.17 Die Standortwahl provozierte durch ihre vielfältige Geschichte eine zusätzliche, dem Projekt damit innewohnende Themenkonkurrenz.18 In der ersten Wettbewerbsphase sollten nur „konzeptionelle Ideen“ erbracht werden. Angesichts der komplexen Aufgabenstellung war der Bearbeitungszeitraum von zweieinhalb Monaten knapp bemessen. Flankierende Maßnahmen wie etwa öffentliche Veranstaltungen waren nicht vorgesehen. Dennoch gab es ein großes Interesse an den Auslobungsunterlagen und schließlich 532 Einreichungen.19

Dass das Preisgericht schließlich keinen der Entwürfe für die zweite Wettbewerbsphase empfahl, war vor allem seiner Arbeitsweise und Zusammensetzung geschuldet. Nach Auskunft einzelner Preisrichter konzentrierte sich die Präsentation der Entwürfe auf eine Bild-Projektion im Halbminutentakt. Somit bestand weder die Möglichkeit für eine detaillierte Konzepterfassung noch für eine vertiefende Diskussion einzelner Projekte.20 Dieses Verfahren machte das Ausscheiden der einzelnen Entwürfe zu einem Glücksspiel und allein abhängig von der optischen Erscheinung des Konzepts. Prozessuale und auf Partizipation angelegte Projekte, so intelligent sie auch erdacht und formuliert sein mochten, blieben bei einer solchen Auswahl chancenlos. Schnittige Designobjekte, Aussichtsplattformen und Parcoursinstallationen, so inhaltsleer sie auch waren, erreichten dagegen vielfach den zweiten Wertungsrundgang. Die Vertrautheit mit den gängigen digitalen Gestaltungsprogrammen und ihren visuellen Effekten hätte sich hier als ein erster Schritt zum Erfolg erweisen können.

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„Ein Denkmal mit Bodenhaftung und Weitblick“: „Mitten in Berlin steht eine Giraffe. […] Das fremdländische Tier hat seine Beine fest auf dem Boden und den Kopf im Himmel, wo es in die Zukunft sieht.“
Entwurf Nr. 1086, André Licker/Birgit Plank, Rum (Österreich)
(© André Licker/Birgit Plank)

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Doch nicht nur die Juryarbeit als solche provozierte die Ergebnislosigkeit der ersten Wettbewerbsphase. Auch die Zusammensetzung des Preisgerichts erscheint fragwürdig. Da waren einerseits die Denkmalinitiatoren und die politischen Repräsentanten, die auf einen traditionellen Denkmalbegriff rekurrierten, andererseits Architekten, Bildende Künstler und Kunstwissenschaftler, die als eigentliche Fachpreisrichter deutlich unterrepräsentiert waren. Schriftsteller, Theologen und Historiker waren als Fachpreisrichter ausgewiesen, obwohl es sich um einen Gestaltungswettbewerb handelte, in dem nur Architekten, Künstler oder Kunstsachverständige als Fachpreisrichter gelten können. Die in Architektur- und Kunstwettbewerben übliche Stimmenmehrheit für die Fachpreisrichter war nicht gewährleistet. Zudem ist die Mitwirkung von aktiven Politikern in Preisgerichten fragwürdig, weil eine intensive Juryarbeit den engen Terminplänen der politischen Entscheidungsträger häufig entgegensteht. Auch deshalb wurde die Ergebnislosigkeit der ersten Wettbewerbsphase von Kritikern als eine vorsätzliche eingeschätzt, mit der das demokratische Grundprinzip der Chancengleichheit in einem offenen Wettbewerb ad absurdum geführt wurde.

Ein Beispiel für elegantes Design, das es mühelos in die zweite Wertungsrunde schaffte: „Aus der Sockelfläche steigen zwei Wege auf, wachsen zusammen, bilden und tragen eine höhergelegene Ebene.“
Entwurf Nr. 1375, Christoph Roselius/Julian Hillenkamp, eins:eins Architekten, Hamburg, in Arbeitsgemeinschaft mit Dipl.-Ing. Heinrich Wähning
(© eins:eins Architekten)

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Obwohl der Wettbewerb international ausgeschrieben war, stammten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum überwiegenden Teil (85,6 Prozent) aus der Bundesrepublik. Ein gutes Viertel (27,6 Prozent) war in Berlin ansässig, und 10 Prozent kamen aus den „neuen“ Bundesländern (ohne Berlin). Die Wettbewerbsaufgabe sprach vor allem Architekten und Bildende Künstler an. Dabei überwogen die Architekten, da das Wettbewerbswesen in der Architektur verbreiteter ist als in der Bildenden Kunst. Landschaftsarchitekten und Designer waren nur eine Minderheit im Teilnehmerfeld.

Wegen der weiten Aufgabenstellung konzentrierten sich viele Entwürfe auf das Thema der Einheit, Vereinigung oder Verbindung. Demgegenüber standen der Freiheitsgedanke und die Protestformen des Herbstes 1989 zurück. In seiner optischen Erscheinung ergab das Wettbewerbsergebnis ein reiches Bild der Formen und Bildmotive. Allerdings kam es auch zu Häufungen und Wiederholungen, etwa in der Darstellung von Kugelmotiven, Ringen und Bändern, wobei gleich neun Entwürfe das Bild der so genannten Möbiusschleife als Motiv wählten.

Einer von mehreren Entwürfen mit einem Möbiusband; auf der Kante sollen „Worte und Textdokumente der friedlichen Revolution in verschiedenen Sprachen laufen“.
Entwurf Nr. 1271, Christina Beaumont/Achim Gergen, Culture Branding Architecture Graphics (CBAG), Saarlouis
(© CBAG)

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Ein Beispiel für die Verwendung des Kugelmotivs: „Die Kugel ist eine goldene Perle für Berlin. […] Einheit und Freiheit sind in ihrem Kern schön und glänzend.“
Entwurf Nr. 1422, Julia Kruse, Berlin
(© Julia Kruse)

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Das Spektrum der Beiträge schwankte zwischen einer Übersteigerung und Monumentalisierung des Erinnerungsanliegens, einer nachdenklichen Reflexion des Themas und seiner kommunikativen Aktionspotenziale sowie einer symbolischen und damit die Inhalte neutralisierenden Abstraktion. Die mögliche Sorge vor einem neo-nationalistischen Potpourri bestätigte sich nicht. Nur wenige Entwürfe bezogen sich auf nationale Symbole wie den hoheitlichen Adler, die deutsche Eiche oder die deutsche Fahne. Am häufigsten traten dabei die Nationalfarben Schwarz – Rot – Gold in Erscheinung, mit denen 39 Einreicher ihre Entwürfe schmückten. Herkömmliche Nationalsymbole erschienen in diesem Wettbewerb offenbar als weitgehend unattraktiv und der Gegenwart der europäischen Einigung nicht mehr adäquat. Die große Gruppe der abstrakten und verallgemeinerten Symbolformen muss als Ergebnis der ausufernden Aufgabenstellung des Wettbewerbs angesehen werden. Dem Konglomerat der gewünschten Aussagen und Bezüge können abstrakte Formen noch am ehesten gerecht werden. Auch die ähnlich häufig eingereichten Erlebnisarchitekturen von Pavillon- und Parcoursformen versuchten die räumliche Leere zu füllen und dem Projekt einen Event-Charakter zu verleihen.

Die Zahl grundsätzlich kritischer Positionen zum Denkmalvorhaben fiel bei den eingereichten Entwürfen gering aus: Nur zwölf Vorschläge verfolgten einen kritischen oder auch satirischen Ansatz, wenn etwa eine monumentale Giraffe „Bodenhaftung und Weitblick“ verkörpern sollte, ein Einkaufswagen die Freiheit des Konsumenten repräsentierte oder eine monumentale Banane in Gold gefasst wurde und das Erinnerungsanliegen bana(ne)lisierte. Eine kritische Reflexion über die Form des traditionellen Denkmals zeigte sich vielmehr in Projektkonzepten, die mit Elementen der Partizipation, der Performance, des Prozesshaften und der Aktion arbeiteten oder den Denkmalort zu einem lebendigen Bürgerforum mit Angeboten für eine individuelle Inbesitznahme umgestalten wollten (knapp ein Zehntel der Entwürfe). Der Vorschlag einer „Dauerbaustelle“ wurde mit dem Argument begründet, dass eine „allegorische Repräsentation im Geiste der Denkmäler des 19. Jahrhunderts naiv“ sei. Die Verfasser eines Bodenrelief-Entwurfs wollten bewusst „das rein national-chauvinistische Monument hinter sich lassen“ und „aus dem Geist der deutschen Romantik ein[en] poetische[n] Ort der Sehnsucht nach Freiheit und Einheit“ gestalten. Als „Denkmal für Fortgeschrittene“ wurde der Vorschlag präsentiert, einen Ort der freien Rede zu schaffen. Ein Entwurf mit dem Wort „Zweifel“ als monumentaler Skulptur stand für die Kritik des Autors an der „Wertigkeit klassischer Denkmäler und ihrer Funktion, Geschichte zu manifestieren und abzuschließen“. Da die Jury in ihrer Halbminuten-Auswahl einfache Schlagbilder suchte, waren solche reflektierten künstlerischen Ansätze chancenlos, zumal sich bei Prozesshaftigkeit, Partizipation und Interaktion gerade keine endgültigen Bilder und Illustrationen vorlegen lassen.

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Eine Ironisierung des Vorhabens: „Denkmal des Verbrauchers, dem Helden unserer Zeit“.
Entwurf Nr. 1277, Björn Kern, Berlin
(© Björn Kern)

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Eines der auf Partizipation angelegten Projekte: Die Nationalhymne „wird von Bürgern individuell gesummt, aufgezeichnet und dann im Freiheits- und Einheitsdenkmal choral zusammengeführt. Das Klangkunstwerk entfaltet seine Stärke im tausendfachen Miteinander der gesummten Beiträge.“
Entwurf Nr. 1135, Stefan Krüskemper, Berlin
(© Stefan Krüskemper)

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„Leuchtende Glasstelen“ als expliziter Bezug zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas.
Entwurf Nr. 1156, Fenno Brockmann, Bad Zwischenahn
(© Fenno Brockmann)

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Eine künstlerische Bezugnahme zum vorangegangenen, die Stadt Berlin besonders prägenden Unternehmen des Denkmals für die ermordeten Juden Europas fand in einigen Entwürfen des Wettbewerbs vor allem formal im Bild des Stäbe-, Säulen- oder Stelenfeldes statt. Drei Entwürfe bezogen sich in ihrer Erläuterung auf das so genannte Holocaust-Mahnmal. Diese Verfasser hatten die Intention der Ausschreibung offensichtlich richtig verstanden und das Denkmal für die ermordeten Juden Europas als eine formale Anregung und einen inhaltlichen Gegenpol genutzt.

3. Das Projekt verliert seinen demokratischen Charakter

Die Mühe von mehr als 530 Kreativen und Gestalterteams wäre nicht vergebens gewesen, wenn die Bundesregierung als Auslober die Resultate der ersten Wettbewerbsphase als Chance für eine weitergehende Reflexion über das Erinnerungsanliegen, die Komplexität der Aufgabenstellung und den fragwürdigen Standort genutzt hätte. Damit hätte auch die längst fällige öffentliche Debatte über dieses Vorhaben einsetzen können. Stattdessen hat der Bundestagsausschuss für Kultur und Medien in seiner letzten Sitzung der Legislaturperiode am 1. Juli 2009 den Eintritt in die zweite Wettbewerbsphase mit einem offenen Bewerberverfahren vorbereitet. Dabei wird es engere Eignungskriterien geben als beim ersten Versuch. Aus diesem Pool der Interessenten sollen dann 20 Teilnehmer für den eigentlichen Wettbewerb ausgewählt werden. Zwar sollen der bisher vorgesehene Verweis auf die Leipziger Montagsdemonstrationen und der Ort der Information nun entfallen, doch statt eines Reflexionsprozesses werden weiterhin schnelle Ergebnisse gesucht, um den Zeremonien der kommenden und gehenden Gedenktage und Jubiläen gerecht zu werden. Dieser Drang nach Resultaten erweckt den Eindruck, das Ziel sei vor allem die Komplettierung der symbolisch-repräsentativen Strukturen der Hauptstadt Berlin. Und wenn die Initiatoren und Jury-Mitglieder Günter Nooke und Florian Mausbach (und mit ihnen die „Deutsche Gesellschaft“) bereits einen eigenen Denkmalvorschlag entwickelt haben,21 dann wird ein Wettbewerbsverfahren zur pseudodemokratischen Farce. Das demokratische Instrument eines Wettbewerbs ist fehl am Platze, wenn eigentlich nur noch ausführende Hände und keine grundsätzlichen Argumente mehr gefragt sind. Der mit dem Freiheits- und Einheitsdenkmal beschworene Geist der Demokratie in Deutschland scheint sich aus diesem Projekt bereits frühzeitig verflüchtigt zu haben.

Anmerkungen: 

1 Vgl. Andreas H. Apelt (Hg.), Der Weg zum Denkmal für Freiheit und Einheit, Schwalbach/Ts. 2009, S. 33-41.

2 Als Überblick siehe z.B. Stefanie Endlich, Orte des Erinnerns – Mahnmale und Gedenkstätten, in: Peter Reichel/Harald Schmid/Peter Steinbach (Hg.), Der Nationalsozialismus – Die zweite Geschichte. Überwindung – Deutung – Erinnerung, München 2009, S. 350-377, S. 453ff.

3 Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, 99. Sitzung, 13.4.2000, S. 9326.

4 So Eberhard Diepgen am 27.1.1994 vor dem Berliner Abgeordnetenhaus. Zit. nach Lea Rosh, „Die Juden, das sind doch die anderen“. Der Streit um ein deutsches Denkmal, Berlin 1999, S. 99.

5 Wie Anm. 3, S. 9326ff. In der Begründung des von Nooke und anderen eingebrachten Gruppenantrags hieß es (Deutscher Bundestag, Drucksache 14/3126, S. 4f.): „Die Unfähigkeit zu feiern und die Unfähigkeit zu trauern gehören zusammen. Sie können auch nur zusammen überwunden werden. Denkmäler der Schande und der Trauer, des Stolzes und der Freude sind notwendige Grundsteine des neuen Deutschland und der neuen Bundeshauptstadt.“

6 Die Initiative setzte sich 1998 aus den CDU-Politikern Lothar de Maizière, Günter Nooke und Florian Mausbach sowie dem Journalisten Jürgen Engert zusammen.

7 Vgl. die Diskussion: Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, 199. Sitzung, 9.11.2001, S. 19503-19512.

8 Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode, 124. Sitzung, 9.11.2007, S. 12950-12969.

9 Die Entwürfe des Studentenwettbewerbs wurden Anfang November 2007 präsentiert. Es wurden 55 Vorschläge eingereicht. Prämiert wurde der Entwurf von Bernadette Boebel (Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe): Zwei versetzt aufgestellte Hälften eines Rings formen aus einer bestimmten Perspektive eine Einheit.

10 <http://www.nationalstiftung.de/nationalpreis2008.php>; kritisch dazu: Stephan Speicher, Ein knarzender Patriot, in: Süddeutsche Zeitung, 18.6.2008, S. 13.

11 Vgl. den Ausschreibungstext: <...>. (Anm. der Red.: Der Link ist leider nicht mehr verfügbar.)

12 Vgl. Oscar Schneider, Kampf um die Kuppel. Baukunst in der Demokratie, Bonn 2006.

13 Vgl. Reinhart Koselleck, Formen und Traditionen des negativen Gedächtnisses, in: Volkhard Knigge/Norbert Frei (Hg.), Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, München 2002, S. 21-32. Zur näheren Deutung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas vgl. etwa Jan-Holger Kirsch, Nationaler Mythos oder historische Trauer? Der Streit um ein zentrales „Holocaust-Mahnmal“ für die Berliner Republik, Köln 2003, und jüngst Heidemarie Uhl, Going underground. Der „Ort der Information“ des Berliner Holocaust-Denkmals, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 5 (2008), S. 451-462.

14 Vgl. die Debattenbeiträge und Materialien unter <http://www.zeitgeschichte-online.de/md=Bundeswehr-Ehrenmal-Inhalt>.

15 Christoph Stölzl, Vom Scheitern des Gutgemeinten: 532 Entwürfe – aber kein Einheitsdenkmal, in: Berliner Morgenpost, 30.4.2009.

16 Ders., Einmal Berlin und zurück, Berlin 2004, S. 53.

17 Zitate nach dem Ausschreibungstext (Anm. 11), S. 4, S. 6, S. 18.

18 Siehe auch den nachfolgenden Beitrag von Hans-Ernst Mittig in diesem Heft.

19 Diese Zahl deckte sich fast mit dem letzten großen offenen, in Berlin durchgeführten Kunstwettbewerb: Im ersten Wettbewerb für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas 1994/95 waren genau 528 Entwürfe eingereicht worden.

20 Vgl. dazu v.a. Thomas Brussig, Deutschland sucht das Superdenkmal. „Nicht die Künstler, wir haben versagt“: Bekenntnisse eines Denkmal-Jurors, in: Tagesspiegel, 8.5.2009, S. 25.

21 Nicola Kuhn, Marke Eigenbau. Juroren machen nun ihr eigenes Einheitsdenkmal, in: Tagesspiegel, 13.6.2009, S. 22.

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