Sommerfrische und Verbrechen

Mauthausen-Bilder auf Ansichtskarten

  1. Mauthausen:
    Ansichtskarten als Seismogramme der Geschichte
  2. Urlaubsidylle und KZ:
    Bildstrategien der Postkarten vor 1945
  3. Nach 1945:
    Der Einbruch der Geschichte in die Welt der Bilder
  4. Zeigen und verbergen:
    Historische Last und touristische Bilder
  5. Ausblick

Anmerkungen

[Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Forschungsprojekts »Die Donau lesen. (Trans-)Nationale Narrative im 20. und 21. Jahrhundert«, DACH-Programm FWF/DFG (FWF 4292-G), Projektleitung: Dr. Christoph Leitgeb, Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte, Österreichische Akademie der Wissenschaften, URL: <https://www.diedonaulesen.com>.]

»Wir bummeln langsam die Donau hinab in Richtung Wien […].« Mit diesen Worten wandte sich am 29. Juli 1956 ein Reisender auf der Rückseite einer Ansichtskarte an seine Familie in Berlin. »Liebe kleine Mutti, liebe Omi, liebe Kinderchen!«, so redete er die Seinen an und unterzeichnete die Karte mit »Vati«. Der Absender war, zusammen mit seiner Frau, in Österreich unterwegs. Sein Postkartengruß ist auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches, denn derartige stereotype Botschaften wurden viele verschickt. Bei genauerem Hinsehen aber ist diese Karte anders. Denn auf ihrer Bildseite ist nicht eine beliebige Donaulandschaft zu sehen, sondern die Stadt Mauthausen, die in der Nachkriegszeit zu einem Symbol für die nationalsozialistische Herrschaft in Österreich wurde (Abb. 1). Die Geschichte der Gewalt, die sich in dieser Stadt zutrug, kommt auch auf der Rückseite der Karte zur Sprache.

Abb. 1: »Mauthausen O.Oe.«, Postkarte, gelaufen, 29. Juli 1956, Echte Photographie (Verlag Franz Mörtl, Wien)

Vier rechteckige Schwarz-Weiß-Fotografien, tableauartig angeordnet, befinden sich auf dem weißen Grund der Karte. Die oberen beiden Bilder zeigen unterschiedliche Ansichten der Stadt Mauthausen. Links ist ein Blick in die Altstadt zu sehen, ein Wirtshausschild mit der Bierwerbung »Gösser« deutet im Vordergrund auf eine Gastwirtschaft bzw. eine Unterkunft hin. Auf dem Vordach des Gebäudes sind die Worte »Fremdenzimmer« und »Garage« zu entziffern. Das rechte Bild zeigt die Stadt aus größerer Entfernung.1 Im Vordergrund ist die Anlegestelle auf der gegenüberliegenden Flussseite zu sehen. Auf dem Wasser ist eine Fähre unterwegs. Im Hintergrund erkennen wir die Silhouette der Stadt mit ihrem Kirchturm. Bei diesen beiden Bildern handelt es sich um touristische, ganz und gar erwartbare Sehenswürdigkeiten, die in ähnlicher Ikonographie auf vielen anderen Karten vorkommen. Die untere Bildleiste schafft einen motivischen Kontrast zum touristischen Bildpaar darüber. Links ist ein monumentales Kriegerdenkmal aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zu sehen; rechts wird die Anlage des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen ins Bild gerückt, aufgenommen aus größerer Entfernung. In den Kreuzungspunkt der vier Bilder ist – in kräftigen Lettern und händisch aufgetragen – der Ortsname gesetzt: »Mauthausen« und daneben »O.Oe.« (Oberösterreich). Detailliertere Bildbeschriftungen finden sich auf der Karte keine.2

Abb. 2: Rückseite von Abb. 1

Auf der Rückseite ist zwischen dem Adressfeld und dem Weißraum, der für die Textbotschaft vorgesehen ist, der Verlag angegeben: »Verlag Franz Mörtl, Wien XX., Gerhardusgasse 27«. Über dem Adressfeld ist der Hinweis »Echte Photographie« aufgedruckt, eine in der Postkartenwelt häufig gebrauchte Wendung, um (im Unterschied zu gedruckten Karten) schwarz-weiße Direktabzüge von der Negativvorlage zu kennzeichnen. Ein violettblauer Stempel gibt einen Hinweis auf den Ort, an dem die Karte vermutlich gekauft wurde: »Gast- und Kaffeehaus ›Zur Post‹, Maria Hagen, Mauthausen 58, O.Ö.«. Möglicherweise haben die beiden Reisenden in dieser Unterkunft genächtigt. Frankiert ist die Karte mit einer 1,50 Schilling-Briefmarke, die eine Frau in Tracht zeigt.

Nach der netten Anrede und der launigen Beschreibung der Reise drängt eine politische Botschaft in den Schreibfluss: »Heute waren wir im KZ Mauthausen. Der Teufel soll die Faschisten holen! Wir sind auch schon welchen begegnet.« Der Schreiber fügt noch hinzu, dass er mit seiner Frau »am kommenden Sonntag das Pressefest der ›Volksstimme‹ im Prater mitmachen« werde. Erwähnt wird auch, dass das Paar »gestern abend« ein »Lampionfest« in Linz besucht habe. Wer diese Karte geschrieben hat, lässt sich nur indirekt erschließen. Adressiert ist die Botschaft an Edeltraut Saczewski in Berlin. Handschriftlich ergänzt ist über dem Adressfeld: »Deutsche Demokratische Republik«, die Karte ging also in den ostdeutschen Sektor der geteilten Stadt Berlin. Für eventuelle Antworten gab der Schreiber auch seinen Namen an: »K. Saczewski, z.Zt. Mauthausen. Postlagernd«. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich beim Absender um Kurt Saczewski, der in der DDR als Journalist tätig war. Tatsächlich kommt der Schreiber am Schluss seiner Grußzeilen noch kurz auf seinen beruflichen Hintergrund (und möglicherweise auch jenen seiner Frau) zu sprechen: »An unserer großen Reportage f. Wochenpost knobeln wir noch herum.« Daraus lässt sich schließen, dass Kurt Saczewski die Donaureise auch in einem Beitrag für die in Ost-Berlin erscheinende illustrierte Zeitung »Wochenpost« verarbeiten wollte. In der letzten Zeile der Karte schwenkt der Autor wieder in den gewohnt unverfänglichen Postkartenton zurück: »Heute über 30°. Grüße + Küsse Vati«.

Diese Karte ist aus mehreren Gründen ein aufschlussreiches historisches Dokument. Zum einen zeigt sie beispielhaft, wie Hinweise und Erinnerungen an die nationalsozialistischen Verbrechen punktuell in die Alltagskommunikation der 1950er-Jahre Eingang fanden. Zum anderen verweist die Karte auf das Spannungsfeld, in das die NS-Geschichte den Ort Mauthausen und seine Außendarstellung katapultiert hat. Unversehens bricht die Erinnerung an die NS-Verbrechen in die unbeschwerte Urlaubsstimmung ein. Gegenwart und Vergangenheit sind nicht nur in den Texten, sondern auch in den Bildern eng miteinander verzahnt. Wie sich diese Geschichte der Gewalt und des Verbrechens motivisch in die Idylle des Ortsbildes einlagert (oder auch nicht), wird im Folgenden anhand weiterer Karten genauer zu untersuchen sein.

Ich werde in diesem Beitrag exemplarisch betrachten, welche Rolle das populäre Massenmedium Ansichtskarte für die Wahrnehmungsgeschichte des Erinnerungsortes Mauthausen spielte. Insbesondere möchte ich analysieren, ob und wie die zeithistorischen Erschütterungen sich in die bildlichen und textlichen Ensembles der Mauthausen-Ansichtskarten eingeschrieben haben. Welche Spuren der Geschichte werden in der Bild- und Textkultur der Ansichtskarten offen sichtbar ausgestellt? Welche bleiben – aus welchen Gründen auch immer – unsichtbar?

Landschaft, Stadt und Geschichte sind im visuellen Arrangement der hier untersuchten Karten die drei zentralen Bedeutungsblöcke, die, in den Bildmotiven zu immer neuen Kombinationen gruppiert, ganz unterschiedliche Auskunft darüber geben, was gewusst oder geahnt, gezeigt oder verborgen wurde. Besonderes Augenmerk verdient hierbei die Verschränkung von Stadt und Fluss, da letzterer in der Ikonographie der Karten häufig das zentrale Element der visuellen Stadtdarstellungen Mauthausens ist. Immerhin liegt die Stadt direkt am Fluss und bezog ihr Selbstbild, aber auch ihren touristischen Wiedererkennungswert aus dieser Nähe zur Donau. Das zeigt sich schon daran, dass die Wendung »Mauthausen an der Donau« als Schriftzug auf den Bildseiten der Ansichtskarten fest verankert war. Auf diese Weise wurde der Fluss zum Referenzpunkt der Stadtlandschaft Mauthausens. Der Einbruch der Gewalt und die Spuren der Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus haben freilich, wie wir noch sehen werden, zu einem Wandel der Stadtbilder geführt.

Der Zeitraum der Untersuchung reicht vom frühen 20. Jahrhundert, als das neue Massenmedium Postkarte auftauchte, bis in die 1990er-Jahre.3 Im Zentrum steht die Zeit vor und nach 1945, in der das Bild Mauthausens als Geschichts- und Erinnerungsort entscheidend geprägt wurde. In der Analyse greife ich auf ein längsschnittartig angelegtes Quellenkorpus von Karten zurück, das die wichtigsten Motive des Ortes im Hinblick auf seine erinnerungspolitischen Dimensionen umfasst.4

1. Mauthausen:
Ansichtskarten als Seismogramme der Geschichte

Das Image des Ortes Mauthausen ist, so wie jenes zahlreicher anderer Knotenpunkte der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik, als »Schattenort« in der öffentlichen Wahrnehmung der Nachkriegszeit unauflöslich mit der Geschichte der Gewalt verknüpft.5 Im Falle Mauthausens setzte diese geschichtspolitische Aufladung – verglichen mit anderen KZ-Gedenkorten des deutschsprachigen Raumes – relativ früh ein, da bereits Ende der 1940er-Jahre eine erste Gedenkstätte entstanden war.6 Andere Orte, an denen es nationalsozialistische Konzentrationslager gegeben hatte, wurden ab den 1950er- und 1960er-Jahren nach und nach als öffentlich zugängliche Gedenkstätten eingerichtet.7 Dabei führten die unterschiedlichen Deutungen des Nationalsozialismus in Österreich, in der Bundesrepublik Deutschland, in der DDR oder in Polen zu unterschiedlichen Erinnerungs-, Museums- und Gedenkkonzepten.8 Die historische Sachinformation und Dokumentation war anfangs sehr gering; es dominierten politische, religiöse und künstlerische Überformungen. So wurden die ehemaligen Orte der Gewalt sukzessive in neue Vergangenheitsdiskurse integriert (bzw. ausgeschlossen).9 Solche Diskurse ordneten nicht nur die baulichen Strukturen und musealen Räume, die Denkmäler und Mahnzeichen in eine historische Deutung ein. Die Geschichts- und Wahrnehmungskonstruktion dieser Orte umfasste oft auch die Landschaft des früheren Lagergeländes, die nähere Umgebung und sogar die Images nahegelegener Städte und Orte.10

In der Formung von historischen und gegenwärtigen Wahrnehmungsmustern spielten gesellschaftliche Ideologien, nationale Vorgaben, kommunale Interessen, aber auch museumspolitische Rahmenbedingungen eine zentrale Rolle. Bisher weniger beachtet wurde die Rolle massenmedialer populärer Bilder in der Wahrnehmungskonstruktion derartiger geschichtspolitisch geprägter Orte. Im Folgenden möchte ich am Beispiel Mauthausen einen Typus von Bildern herausgreifen, der üblicherweise nicht im Kontext des ehemaligen KZs betrachtet wird: fotografisch illustrierte Ansichtskarten. Die Fotografie spielt in der historischen Rekonstruktion und Erinnerungspolitik der NS-Verbrechen zwar eine zentrale Rolle – auch in Mauthausen.11 Aber Ansichtskarten kommen in diesem Spektrum meist nicht vor. Die hochgradig inszenierten Bilder gelten gemeinhin als »Schönwettermedien«, die vor allem im touristischen Kontext und in der Alltagskommunikation Verwendung finden. Als seriöse Dokumente der historischen Forschung scheinen sie, zumal zur Rekonstruktion der nationalsozialistischen Gewaltpolitik und ihrer Folgen, auf den ersten Blick ungeeignet zu sein. Bei genauerem Hinsehen stimmt diese Einschätzung jedoch nicht, denn diese Karten haben – teils offen sichtbar, teils en passant – auf vielfältige und subtile Weise Spuren der Geschichte aufgezeichnet bzw. verdrängt. Sie haben aber auch, wie wir sehen werden, die Wahrnehmungsmuster geschichtlicher Orte entscheidend mitgeprägt. Ansichtskarten bündeln in ihrer obersten Bedeutungsschicht zwar häufig Bilder der Sommerfrische, aber sie lassen sich, wenn man sie genauer betrachtet, auch als vielschichtige Landschaftsansichten lesen, die weit mehr zeigen und verschweigen, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Erst in den letzten Jahren wurden Ansichtskarten verstärkt als Quellen der (foto-)historischen, kulturwissenschaftlichen und medienwissenschaftlichen Forschung entdeckt und verwendet.12 Unter anderem wurde die komplexe mediale und kommunikative Dimension dieser Medien hervorgehoben. Demnach sind Ansichtskarten nicht nur Bilder, sondern Medien-Objekte, also dreidimensionale Gegenstände, die Bilder (oft grafisch bearbeitet und nachbearbeitet) in unterschiedliche materielle und mediale Ensembles und Narrative einbetten. Als doppelseitige und zugleich einfach handhabbare Medien haben Postkarten nicht nur einen Darstellungs-, sondern auch einen wichtigen Gebrauchs- und Kommunikationscharakter. Sie sind als seriell hergestellte und standardisierte Massenmedien in einem breiten Netzwerk sozialer und räumlicher Bezüge zu verorten. Aber auch die fotografischen Motive auf den Karten sind in vielfältige materielle und mediale Kontexte eingebettet. Dazu zählen gedruckte und handschriftliche Textelemente, grafische und farbliche Überarbeitungen (Kolorierung, Beschneidung, Rahmung, Verzierung, Vignettierung etc.), aber auch amtliche Markierungen wie Briefmarken und Stempel.13 All diese Aspekte können in die Interpretation von Ansichtskarten als Quellen der Wahrnehmungs- und Geschichtsrekonstruktion einfließen.

Das Medium Ansichtskarte, das fest in der Alltagskultur verankert ist, eignet sich in besonderer Weise, die historischen und gesellschaftlichen Umschichtungen und Bruchlinien in der öffentlichen Ikonographie eines Ortes zu analysieren. Denn dieses auflagenstarke Massenmedium hat im Laufe der Jahrzehnte – gewissermaßen unbeabsichtigt und nebenbei – ein feines Sensorium für die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen entwickelt; es transportiert »Ansichten« im mehrfachen Sinne. Ansichtskarten liegen besonders stark im Trend der Zeit, denn hergestellt und verkauft wurden in der Regel jene Karten, die nachgefragt wurden oder denen man zumindest diese Nachfrage unterstellte.14 Karten, die weniger verkäuflich waren, verschwanden sukzessive aus der Öffentlichkeit. Die Käuferinnen und Käufer folgten ihrerseits dem Angebot: Sie bedienten sich aus jenem Kartenpool, der an bestimmten Orten zur Verfügung stand. Mit dieser Orientierung am Markt ging auf der Seite der Hersteller stets ein subtiles Austarieren zwischen Kundenwünschen und Verkaufserwartungen einher. Genau aus diesem Grund sind Ansichtskarten (auch) spannende Quellen zur populären Wahrnehmung. Aber nicht nur der Markt regelte das Angebot an Bildpostkarten, auch politische Zäsuren und Umwälzungen haben in der Ansichtskartenproduktion ihre Spuren hinterlassen. Im Falle Mauthausens reagierten die Verleger, wie wir sehen werden, mittels Motivauswahl und Beschriftungen oft rasch auf die gesellschaftlichen Konjunkturen.

Hier soll der Versuch unternommen werden, den Bilderstrom der Karten im Längsschnitt historisch lesbar zu machen. Der geographische Radius der Untersuchung wird auf einen einzigen Ort, nämlich Mauthausen, eingeschränkt – dafür aber wird der zeitliche Rahmen breit aufgespannt. Die diachrone Bilderfolge soll in ihren Überlagerungen und Brüchen als gesellschaftliche Wahrnehmungsgeschichte interpretiert werden.

2. Urlaubsidylle und KZ:
Bildstrategien der Postkarten vor 1945

Die eingangs genannte Ansichtskarte des ostdeutschen Kommunisten Kurt Saczewski bildet eine große Ausnahme im Postkartenstrom über Mauthausen. Wenn in den Jahren nach 1945 Postkarten mit Mauthausen-Motiven abgeschickt wurden, kam das ehemalige KZ in den Textnachrichten selten vor. Während die Postkartenrückseiten in den etablierten Grußritualen verharrten, schlug sich die Zäsur der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auf der Bildseite der Karten sehr wohl nieder. Wie das geschah, soll im Folgenden genauer analysiert werden. Zunächst aber ist ein Rückblick auf die fotografisch illustrierten Ansichtskarten vor 1945 nötig, um die ikonographischen Verschiebungen der Nachkriegszeit einordnen zu können.

Abb. 3: »Gruss aus Mauthausen a. Donau«, Postkarte, gelaufen, 27. Juli 1919 (gedruckt vor 1918), kolorierter Lichtdruck (Verlag Max Rizy, o.O.)

Als um 1900 die ersten auf Fotografien basierenden Ansichtskarten erschienen, folgten diese seit langem eingeführten Blickweisen.15 Im Falle Mauthausens wurde häufig das der Stadt gegenüberliegende Donauufer als Blickpunkt gewählt. Oft wurde im Vordergrund die Anlegestelle der Fähre gezeigt, die die Sicht auf den Fluss freigab. Im Hintergrund schweifte der Blick über die Silhouette der Stadt (Abb. 3).16 Auf den meisten frühen Mauthausen-Karten bildet die Donau das strukturierende Landschaftselement, das den Ort lokalisiert und rahmt. Die Stadt scheint oft geradezu aus dem Wasser herauszuwachsen, ihre Topographie entfaltet sich als architektonisches Band entlang des Flusses. Eine Karte, die noch in der Zeit der Monarchie gedruckt, aber erst 1919 beschriftet und verschickt wurde, rollt das Stadtbild geradezu filmisch aus: In zwei übereinander angeordneten Bildbändern ziehen sich die Häuserreihen der Stadt entlang der Donau hin (Abb. 4). Die bauliche Gestalt Mauthausens scheint bildlich der Fließrichtung des Flusses zu folgen. Das Wasser sorgt für Abstand zur städtischen Silhouette. Die unmittelbaren Ankerpunkte des Blicks (Anlegestelle, Dampfschiff und Staffagefiguren) liegen auf der gegenüberliegenden Flussseite, also direkt zu Füßen der Betrachterinnen und Betrachter.

Abb. 4: »Mauthausen a.D., O.-Ö.«, Postkarte, gelaufen, 1919, kolorierter Lichtdruck (Vertrieb: Karl J.V. Poglies, Ebelsberg)

Diese Ikonographie der Stadt Mauthausen lässt sich in zahlreichen Varianten bis in die Mitte des 20. Jahrhundert verfolgen. Da die Fotografen auf den Karten meist nicht genannt sind, lässt sich die genaue Herkunft der Fotovorlagen im Nachhinein nur schwer klären. Sehr wohl aber lassen sich Rückschlüsse auf die Hersteller der Karten gewinnen. Ein Gutteil der Mauthausen-Karten wurde zwischen den 1920er- und den 1950er-Jahren vom Wiener Postkarten-Hersteller Franz Mörtl auf den Markt gebracht. Der 1891 geborene und kommerziell von Wien aus agierende Fotograf verlegte sich unmittelbar nach dem Kriegsende 1918 auf die Produktion und den Vertrieb von Ansichtskarten aus Österreich und war bis in die 1950er-Jahre gewerblich aktiv.17 Die Karten dieses einen Unternehmens haben die Ikonographie des Donauortes im 20. Jahrhundert ganz entscheidend geprägt. Da Mörtl über die zentralen politischen Bruchlinien hinweg aktiv war (Erste Republik, Ständestaat, Nationalsozialismus, Zweite Republik), lassen sich die Mauthausen-Bilder dieses Anbieters in eine ununterbrochene historische Folge bringen. Zusammen mit den Motiven weiterer Postkarten-Unternehmen liefert diese Bildfolge interessante Hinweise auf das populärkulturelle Image des Donauortes im zeitlichen Längsschnitt.

Wie reagierte der Postkarten-Hersteller Mörtl auf die politischen Umbrüche, etwa die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1938? Auf den ersten Blick gar nicht, denn die vor dem »Anschluss« Österreichs eingeführten Motive wurden zunächst weiterverwendet. Bei den Beschriftungen neu gedruckter Karten passte der Unternehmer sich freilich fügsam den neuen Verhältnissen an. In der Typographie der rückseitigen Beschriftungen stellte er auf die Fraktur um. Auf der Bildseite wurde nach 1938 der Hinweis auf das Land Oberösterreich (»O.Oe.«) entfernt und die neue nationalsozialistische Bezeichnung »Reichsgau« eingefügt.18 Nach 1945 wurden alle diese grafischen und politischen Anpassungen umgehend wieder rückgängig gemacht.

Als im Sommer 1938 das Konzentrationslager in Mauthausen eröffnet wurde, schlug sich dies allmählich in den Ansichtskarten nieder. Denn seit dem Beginn des Krieges im September 1939 wurden die Grüße aus Mauthausen nicht mehr nur von Reisenden verschickt (die nun seltener wurden), sondern zunehmend von Soldaten und schließlich auch vom Personal des rasant wachsenden Konzentrations­lagers.19 Am 17. August 1940 schrieb der SS-Mann Werner (seinen Nachnamen kennen wir nicht), der im KZ Mauthausen beschäftigt war, eine Postkarte des Steyrer Postkarten-Verlags Robausch (mit Sitz am »Adolf Hitlerplatz 24«) an seinen Freund Fritz Klüger (Abb. 5): »Die besten Grüße aus Mauthausen sendet Dir Werner.« Nichts deutet hier auf den Alltag und die Arbeit im KZ hin. Allerdings findet sich neben dem üblichen Poststempel auf der Rückseite der Karte auch ein Feldpoststempel der SS, der mitten in den unverfänglich erscheinenden Grußtext gesetzt ist.20

Abb. 5: »Feldpost SS K.L. Mauthausen«,
Postkarte (Rückseite), gelaufen, 17. August 1940, Echte Photographie (Verlag A. Robausch, Steyr)
(<https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:KZ_Mauthausen_(Dachau).jpg>;
leider ist die Vorderseite dort nicht verfügbar)

Nach 1938 entschied sich der Postkarten-Verleger Mörtl, die Ästhetik der Mauthausen-Karten auf der Bildseite zu ändern. Neben den alten Karten, die den Ort stellvertretend in einem einzigen Bild zeigten (meist von der gegenüberliegenden Donauseite aufgenommen), wurden nun auch tableauartig zusammengesetzte Bilder angeboten. Das Bild des Ortes, das bisher in einer fotografischen Ansicht kondensiert war, zerfiel nun in eine Vielzahl von Bildern, die rasterförmig zu einem neuen Ganzen zusammengefügt wurden. Diese Ästhetik des »Mehrfachbildes« war in der Postkartengestaltung nicht neu, sie wurde vereinzelt schon im frühen 20. Jahrhundert praktiziert. Mörtl setzte diese Ästhetik in seinen Karten selten ein.21 Die erste »Mehrbildkarte« aus Mauthausen, bestehend aus vier Teilbildern, lässt sich für 1938 nachweisen. Eine weitere Karte, die 1943 verschickt wurde, zerlegt das Mauthausen-Bild in neun Teilansichten, die allesamt aus der touristischen Bildproduktion der Zwischenkriegszeit stammen (Abb. 6). In dieser extremen Miniaturisierung der Stadtansichten wird das eingeführte ikonische Mauthausen-Bild in Details aufgelöst. Das betrifft auch den Schriftzug des Ortes auf der Vorderseite, der in das linke obere Bild eingebaut ist.

Abb. 6: »Mauthausen a.d. Donau, N.D.«, Postkarte, gelaufen, 27. Juli 1943, schwarz-weißer Lichtdruck (Verlag Franz Mörtl, Wien). Zwei der neun Teilbilder wurden später auch für die eingangs gezeigte Postkarte der 1950er-Jahre verwendet (Abb. 1).

Warum Mörtl die Mauthausen-Karten in Richtung »Mehrbildkarten« umbaute, lässt sich nicht eindeutig rekonstruieren. Es ist aber durchaus denkbar, dass er auf die Funktionsveränderung der Stadt reagierte. Aus dem ehemaligen Urlaubsidyll an der Donau war ein Knotenpunkt der nationalsozialistischen Verfolgung geworden. In den Bildern, die nun für die Stadt standen, wies freilich nichts auf diese Gewaltgeschichte hin. Auf den Rückseiten der Karten wurde, mitten im Krieg, weiterhin die schöne Landschaft beschworen. Eine Frau, die in Mauthausen offenbar im militärischen Dienst arbeitete (ihre Karte wurde mit der Feldpost befördert), schrieb im Sommer 1941 auf der Rückseite einer Karte an ihren Bruder: »Die Gegend ist hier sehr schön wir arbeiten ganz nahe bei der Donau. Ich werde es Dir später schreiben, warum ich in die Arbeit gegangen bin […].«22 (Abb. 7) Auch in anderen Karten aus Mauthausen war während des Krieges viel vom »schönen Wetter« und den »Urlaubstagen« die Rede.

Abb. 7: »Mauthausen a.d. Donau O.D.«, Postkarte, gelaufen, 8.6.1941,
Echte Photographie (Verlag Franz Mörtl, Wien).
Das Bildmotiv zeigt eines der Teilbilder der vorigen Karte.
Abb. 8: Rückseite von Abb. 7

3. Nach 1945:
Der Einbruch der Geschichte in die Welt der Bilder

Kaum war der Zweite Weltkrieg zu Ende, brachte Franz Mörtl zunächst wieder die alten, aus der Zwischenkriegszeit stammenden Ansichtskartenmotive auf den Markt, die die Stadt in einer einzigen Ansicht zeigen. Eine Karte, die am 30. Juni 1948 verschickt wurde, greift erneut das dominante Bildmotiv der Vorkriegszeit auf: der Blick auf die Stadt, fotografiert von der Anlegestelle der Fähre auf der gegenüberliegenden Donauseite (Abb. 9). Auf den ersten Blick gleicht diese Karte eins zu eins den Vorgängerkarten. Aber es gibt – neben der minderen Papierqualität, die der schlechten Versorgungslage nach 1945 geschuldet war – einen entscheidenden Unterschied: Auf der Bildseite sticht ein runder, violett eingefärbter Stempel hervor, der ins obere linke Eck gesetzt ist. Er trägt die Aufschrift »Verwaltung ehem. KZ Maut­hausen«.23

Abb. 9: »Mauthausen a.d. Donau«
(mit Stempel »Verwaltung ehem. KZ Mauthausen«),
Postkarte, gelaufen, 30. Juni 1948,
schwarz-weißer Lichtdruck (Verlag Franz Mörtl, Wien).
Die kleine Bildnummer unten rechts ist identisch mit derjenigen auf Abb. 7.
Abb. 10: Rückseite von Abb. 9

Das vor allem in der Zwischenkriegszeit kultivierte Sommerfrische-Image des Donaustädtchens24 war nun, nach dem Ende des Krieges, durch die Signatur der Vergangenheit gezeichnet. Der Stempel im Bild hebt hervor, dass sich die Spuren der nationalsozialistischen Gewalt in die Landschaft Mauthausens eingeschrieben hatten. Obwohl der Postkarten-Unternehmer Mörtl nach dem Krieg zunächst bruchlos an die Vergangenheit anknüpfen wollte, ließ sich das Bild Mauthausens nach 1945 nicht mehr ohne weiteres in die alten Muster zurückbringen. Wenn wir die Karte umdrehen, wird noch deutlicher, dass die Postkarten-Rituale im Schock der Nachkriegszeit brüchig geworden sind. »Mauthausen 30.6.48« ist hier zu lesen, darunter das Wort »Souvenir«. Die Karte ist an Benoît Andars (?) in der kleinen französischen Ortschaft Fareins gerichtet, nördlich von Lyon. Der Absender war vermutlich (darauf deutet der Poststempel auf der Rückseite der Karte hin) als französischer Vertreter im Verbindungsbüro der amerikanischen Militärverwaltung in Linz stationiert und hatte wohl einen Ausflug nach Mauthausen unternommen.25 Das »Souvenir«, das er mit der Mauthausen-Karte den Seinen in Frankreich zukommen ließ, war freilich alles andere als ein unverfänglicher Urlaubsgruß. Die Chiffre »Mauthausen« stand nun, wenige Jahre nach Kriegsende, für einen Ort des Grauens und des Verbrechens.

Das Image Mauthausens ließ sich nach 1945 also nicht mehr in den unschuldigen Raum der Urlaubsidylle zurückstellen. Daher verschwanden die Vorkriegsmotive in den 1950er-Jahren allmählich aus der Öffentlichkeit.26 Der Postkarten-Unternehmer Mörtl adaptierte sein bildliches Mauthausen-Repertoire ein weiteres Mal. Als vermehrt auswärtige Gäste das ehemalige KZ besuchten, knüpfte er an die bereits in der NS-Zeit praktizierte Zerlegung der Stadtbilder an – mit einem entscheidenden Unterschied allerdings: In das Tableau der Mauthausen-Bilder wurden nun, neben diversen Stadtansichten aus der Zwischenkriegszeit, auch Fotografien eingefügt, die die Lagerarchitektur bzw. Mahnmale zeigten. Die eingangs besprochene Karte, die der ostdeutsche Kommunist Kurt Saczewski im Jahr 1956 nach Ost-Berlin schickte, ist dafür ein Beispiel (vgl. Abb. 1). Sie unternahm den Versuch, das überlieferte Mauthausen-Bild und das durch die jüngste Gewaltgeschichte geprägte Bild in einer neuen Einheit zusammenzuführen.

Abb. 11: »Krieger-Denkmal im Militär-Friedhof Mauthausen«, Postkarte, ungelaufen, 1950er-/1960er-Jahre, Echte Photographie (ohne Verlagsangabe)

Als Scharnier dieser geschichtlichen Kittung diente ein Motiv, das seit den 1950er-Jahren immer wieder in Postkartenbildern Mauthausens auftauchte: das Kriegerdenkmal auf dem »Militärfriedhof« der Stadt, das 1922 im Auftrag der italienischen Regierung errichtet worden war.27 Es erinnert an die im Kriegsgefangenenlager Mauthausen zu Tode gekommenen Serben und Italiener, die dort während des Ersten Weltkrieges interniert waren.28 Dieses Motiv taucht nicht nur in den Karten von Mörtl auf (beispielsweise in der Karte, die Saczewski 1956 verschickte), sondern wurde auch als gesondertes Motiv für Ansichtskarten verwendet (Abb. 11).29 Inhaltlich hat das monumentale Kriegerdenkmal nichts mit der Geschichte des Konzentrationslagers zu tun. Aber die Nachbarschaft zwischen Denkmal und KZ, die insbesondere die Karten Mörtls herstellen, legt eine Verbindung nahe. Die Karten suggerieren eine visuelle Linie zwischen dem Leiden der gefangenen und vielfach zu Tode gekommenen Soldaten des Ersten Weltkrieges und den Leiden der Häftlinge im nationalsozialistischen Konzentrationslager. Auf diese Weise wurde das KZ vom singulären Ort des Verbrechens zum unspezifischen Ort des Gedenkens an alle Opfer der Weltkriege umgedeutet.30 Indem das Bild des ehemaligen KZs als eines von mehreren historischen Motiven in ein allgemeines Kriegsgedenken eingebettet wurde, schufen die Postkarten eine entlastende Ikonographie.31

4. Zeigen und verbergen:
Historische Last und touristische Bilder

In den späten 1950er-Jahren veränderte sich das Mauthausen-Image auf den Ansichtskarten ein weiteres Mal. Hatte der Postkarten-Unternehmer Franz Mörtl anfangs noch versucht, das historische Stadtbild und die »Wunde« KZ in einer tableauartigen Auffächerung von Bildern zusammenzufügen, so gelang dieser visuelle Brückenschlag zwischen Stadt und KZ später immer weniger. Nun etablierte sich ein neuer ikonographischer Strang von Mauthausen-Postkarten, der ausschließlich das ehemalige KZ und sein Gelände ins Bild setzte. Neben Karten, die die Lagerarchitektur in einer einzigen Ansicht zeigten, tauchten Ende der 1950er-Jahre wiederum »Mehrbildkarten« auf, die verschiedene Ausschnitte des früheren KZs in einem Bildtableau zusammenführten. Häufig wurden für Bildpostkarten, die die Gedenkstätte zeigten, jetzt Ansichten von Denkmälern und Mahnmalen herausgegriffen, die vor allem während der 1950er- und 1960er-Jahre in größerer Zahl von einzelnen Ländern auf dem Gelände des ehemaligen KZs errichtet wurden.32 Das Mahnmal für die tschechischen Opfer des Lagers, das auf mehreren Ansichtskarten dargestellt ist, wurde beispielsweise 1959 eingeweiht (Abb. 12).

Abb. 12: »KZ. Mauthausen O.Ö.«,
Denkmal für die tschechischen Opfer, errichtet 1959, Postkarte, ungelaufen, um 1960, Echte Photographie (ohne Verlagsangabe)

Es ist offenkundig, dass sich diese Mauthausen-Karten an eine neue Klientel richteten, nämlich an die Besucherinnen und Besucher der Gedenkstätte, die nun in größerer Zahl anreisten.33 Denn 1949 war das ehemalige KZ als »Öffentliches Denkmal« zugänglich gemacht worden. In den späten 1950er-Jahren tauchten erstmals auch Luftaufnahmen des Areals als Ansichtskarten auf (Abb. 13). Gelegentlich wurde zudem der nahegelegene Steinbruch mit ins Bild gesetzt. Markant ist, dass diese Karten, die motivisch auf das frühere KZ und die darin begangenen Verbrechen verwiesen, die Stadt Mauthausen vollkommen ausblendeten. Das hatte zur Folge, dass sich ab den 1950er-Jahren die Bilder des ehemaligen KZs und jene der Stadt in der Ansichtskarten-Ästhetik immer mehr auseinanderentwickelten.

Abb. 13: »K.Z. Lager Mauthausen O.Ö.«, Postkarte, ungelaufen, handschriftliche Datierung auf der Rückseite: 27. Juli 1959, Echte Photographie (Foto Nakel, Linz)

Die eingangs angeführte Karte, die Kurt Saczewski 1956 nach Ost-Berlin schickte und die Stadteindrücke mit einer Ansicht des vormaligen KZs vereinte, bildete im historischen Längsschnitt gesehen eine Ausnahme. Als sich in den 1950er-Jahren die Gedenkstätte Mauthausen etablierte und allmählich mehr Besucherinnen und Besucher anzog, versuchte man eine Zeit lang, in den Karten touristisches Stadtbild und KZ-Geschichte visuell zu bündeln. Mitte der 1960er-Jahre erschien eine Karte, die diese Bildstrategie der 1950er-Jahre aufnahm. Die vierteilige »Mehrbildkarte« aus dem Wiener Verlag Ledermann zeigt mehrere Ansichten der Stadt sowie rechts oben auch einen Blick auf den Steinbruch und das ehemalige Lagergelände (Abb. 14). Bald aber verschwanden diese visuellen Brückenschläge zwischen touristischer Darstellung und vergangenheitspolitischer Inszenierung wieder. Künftig standen sich die zwei Motivwelten Mauthausens ohne Bindeglied gegenüber: Zum einen gab es die Bilder des Lagers, zum anderen die Bilder der Stadt, die die Last der jüngeren Geschichte visuell loswerden wollte. Dieser Spagat lief auf eine strikte Trennung der beiden Bildwelten hinaus.

Abb. 14: »Mauthausen, Ob.-Oe.«, Postkarte, ungelaufen, 1965
(Angabe des Herstellungsjahres auf der Rückseite),
Echte Photographie (Verlag P. Ledermann, Wien)

In dem Maße, wie das Image der Stadt die Bilder des Lagers ausschloss und umgekehrt die Bilder des Gedenkortes die Stadtbilder aussparten, konnte sich die Stadt Mauthausen, so schien es zumindest, wieder als »ganz normales« Urlaubs- und Sommerfrische-Domizil anbieten. Seit den 1970er-Jahren tauchten Ansichtskarten im farbigen Offsetdruck die Stadt in fröhliche Farben. Die Besucherinnen und Besucher wurden in den Bildern durch die mittelalterlich geprägten Gassen der Altstadt geführt; Ausflüge in die nähere Umgebung der Stadt, die andere historische Bezüge ansprechen konnten, kamen auf den Karten nicht vor.

Abb. 15: »Grüße aus Mauthausen«, Postkarte, ungelaufen, 1980er-Jahre,
Offsetdruck in Farbe (Druck und Verlag J. Wimmer, Linz)

Nach der erfolgreichen Auskoppelung der KZ-Bilder aus dem Stadtimage wandte sich Mauthausen wieder stärker der Donau zu. Die damit verbundenen visuellen Strategien sind unterschiedlich. Etliche jüngere Karten greifen einzelne, touristisch geprägte Motive heraus und gruppieren diese zu einem unverfänglichen Bild-Bouquet (Abb. 15). Die Leerstellen zwischen den Detailansichten der Stadt füllt hier ein adretter Blumenstrauß. Er suggeriert eine heitere Normalität, die sich trotz aller Anstrengung in der Motivwahl aber nicht recht einstellen wollte. Denn die belastete Seite Mauthausens drängte, auch wenn man sie ikonographisch auf unterschiedlichste Weise aus dem Stadtbild ausschloss, dennoch permanent ins Bild. Die in den touristischen Karten bildreich beschworene Normalität des Städtchens stand bei genauerem Hinsehen auf wackeligen Beinen. Denn die andere Seite Mauthausens, die auf die Geschichte der Gewalt verweist, schwingt allein schon bei der Nennung des Ortsnamens unweigerlich mit, auch wenn sie in den herkömmlichen Karten der Stadt nicht gezeigt wird. Unter den »Sehenswürdigkeiten« führt die Website der Stadt heute zwölf Orte auf – die Gedenkstätte ist nicht dabei.34 Und dennoch: In gewisser Weise profitiert der Ort von beiden Images, jenem der hübschen Donaustadt und jenem des geschichtsträchtigen internationalen Gedenkortes.35

Abb. 16: »Mauthausen O.Ö.«, Postkarte, gelaufen, Datum unleserlich
(Ende der 1960er-Jahre), Echte Photographie (Foto Grüll, Linz)

Eine andere Möglichkeit, das Stadtimage vom unliebsamen Eindringen der Vergangenheit in die Gegenwart zu reinigen, bestand darin, auf Distanz zur Landschaft zu gehen. Seit den 1960er-Jahren fand in Mauthausen ein neuer Typ von Ansichtskarten größere Verbreitung, die Flugaufnahmen. Die Sicht aus der Vogelperspektive könnte die Stadt und das etwas außerhalb gelegene ehemalige KZ in einer Aufnahme zeigen. Aber genau das passiert in diesen Karten nicht: Die Überblicksfotos aus der Luft stellen vielmehr eine enge Verbindung zwischen der Stadt und dem Fluss her. In einer Luftaufnahme aus den 1960er-Jahren zieht ein Donauschiff vor der Stadt dahin (Abb. 16). An Deck sind zahlreiche Ausflügler zu erkennen. Der Ort Mauthausen, der hier in die schöne Landschaft eingebettet ist, wird als schmuckes mittelalterliches Städtchen vorgestellt. Dass dies nur die eine Seite der historischen Medaille ist, dürften die meisten Gäste, die diese Karte kauften, gewusst haben, auch wenn explizite Hinweise auf das außerhalb der Stadt liegende frühere KZ fehlten.

Abb. 17: »Mauthausen«, Postkarte, gelaufen, 3. Juni 1991,
Offsetdruck in Farbe (Alpine Luftbild, Innsbruck)

Als im Frühsommer 1991 ein anonymer Radtourist entlang der Donau unterwegs war und in Mauthausen Rast machte, kaufte er oder sie eine farbige Luftaufnahme der Stadt als Souvenir (Abb. 17). Die vom Postkarten-Verlag »Alpine Luftbild« hergestellte Karte warb mit dem Slogan »am besten sieht manʼs aus der Luft«. Der Blickwinkel der Panoramaaufnahme ist so gewählt, dass das Zentrum der Stadt und die Donau zu sehen sind. Der etwas nördlich davon gelegene frühere Lagerkomplex sowie der Steinbruch, in dem die KZ-Häftlinge schuften mussten, bleiben knapp außerhalb des Blickfeldes. Der rückseitig aufgedruckte Bildtext gibt die Leserichtung vor: »Erholung im Mühlviertel. A-4310 Mauthausen an der Donau, 244 m. Alter Markt gegenüber der Ennsmündung in die Donau.« Die Geschichte des KZs und des Nationalsozialismus hat in dieser Perspektive keinen Platz. Ob sich der Absender bzw. die Absenderin der Karte für die Zeitgeschichte des Ortes interessierte, wissen wir nicht. Auf der Rückseite kommen die Stationen der Radtour zur Sprache und – das Wetter: »10 h morgens: Himmel bedeckt, kühl, nachmittags: nur Regen.«

5. Ausblick

Die Wahrnehmungsgeschichte des Ortes Mauthausen, die hier entlang von Ansichtskarten skizziert wurde, hat gezeigt, dass das populäre Bildmedium, das als Kommunikationsmittel vor allem im Kontext der touristischen Nutzung stand und steht, immer wieder auf die geschichtspolitischen Konjunkturen und Stimmungen reagiert hat. Die Verlage haben ihre Bildstrategien in der Darstellung Mauthausens mehrmals geändert, etwa indem Bilder ausgetauscht, neu kombiniert und beschriftet wurden, aber auch, indem veraltete ikonographische Bildstränge aufgegeben und neue etabliert wurden. All diese Verschiebungen auf der Bildebene haben, so die These, in seismographischer Weise gesellschaftliche Wahrnehmungen aufgezeichnet und festgeschrieben. So betrachtet, kann man die Mauthausen-Ansichtskarten als eine Art visueller Bühne interpretieren, auf der – neben unverfänglichen Alltagsbotschaften – auch erinnerungspolitische Spuren ausgelegt wurden, die im Nachhinein mit einem foto- und kulturhistorischen Instrumentarium les- und interpretierbar gemacht werden können.

Die Frage nach der Wahrnehmungsgeschichte Mauthausens ließ es sinnvoll erscheinen, die räumliche Perspektive eng zu halten. Denn auf diese Weise treten die visuellen Brüche, Übergänge und Neuausrichtungen der Stadtbilder im historischen Längsschnitt besonders plastisch hervor. Aber natürlich ist es auch legitim zu fragen, inwiefern die hier ausgeführte Bildgeschichte Mauthausens in einem größeren erinnerungspolitischen Kontext steht. Künftige Untersuchungen könnten die Perspektive deutlich ausweiten und analysieren, welche Rolle Ansichtskarten in der Inszenierung anderer Gedenkorte spielten oder noch spielen.

Auch an weiteren Orten, an denen Konzentrationslager existierten, finden wir das in der Postkarten-Ikonographie für Mauthausen diagnostizierte Auseinandertreten von Stadtimage im engeren Sinne und Gedenkort, das in den späten 1960er-Jahren einsetzte. In Dachau etwa gab es nach bisherigem Kenntnisstand nur einige wenige Karten, die unmittelbar nach der Eröffnung der Gedenkstätte (1965) in Form von »Mehrbildkarten« Aufnahmen der Stadt mit einem Bild des Gedenkortes in Verbindung brachten. Diese Koppelungen verschwanden, ähnlich wie in Mauthausen, offenbar ab den 1970er-Jahren wieder.

Im Falle von Buchenwald, also bis 1990 im Kontext der DDR, wurde diese Koppelung zwischen Stadtbild und Gedenkstätte auf Ansichtskarten anscheinend gar nicht erst hergestellt, was unter anderem daran liegen mag, dass das ehemalige KZ etwas weiter von der Stadt Weimar entfernt war als im Falle Mauthausens.36 Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass das Image Weimars als Stadt der Literatur und der Klassik sowie als zeitweiliger Symbolort der Weimarer Republik deutlich vorgeprägt war. Mauthausen hingegen erlangte in der populären Bildkultur vor dem Zweiten Weltkrieg außer als Sommerfrische-Ort an der Donau kein starkes Image, das nach 1945 hätte umgeformt werden müssen. Neben den skizzierten Parallelen gab es somit gewiss auch Unterschiede der visuellen Darstellung dieser und weiterer Geschichtsorte im populären Medium der Ansichtskarten, die genauer untersucht werden müssten. Es bleibt künftigen Forschungen vorbehalten, solche Fragen und Themen aufzugreifen und anhand exemplarischer oder vergleichender Quellenstudien weiter zu vertiefen.


Anmerkungen:

1 Das Bild der Fähre mit Blick auf Mauthausen stammt aus der Vorkriegszeit. Wie wir noch sehen werden, tauchte dieses Sujet vor, während und auch nach dem Krieg immer wieder als Postkartenmotiv auf.

2 Da fotografische Außenansichten des KZs Mauthausen in der Nachkriegspresse immer wieder auftauchten, war die Silhouette des Lagers in der Öffentlichkeit bekannt.

3 In den letzten Jahrzehnten hat das Medium Ansichtskarte, nicht zuletzt aufgrund der digitalen Konkurrenzmedien, rapide an Bedeutung verloren. Im Museumsshop der KZ-Gedenkstätte Mauthausen werden derzeit (Stand April 2022) keine klassischen Postkartenmotive angeboten. Erhältlich sind aber farbige Karten, die die Gedenkstätte selbst hergestellt hat. Sie zeigen Details des Lagergeländes bzw. der Baracken. Die fotografischen Vorlagen (laut Impressum der Karten aus dem Jahr 2006) stammen von Stephan Matyus, einem Mitarbeiter der Gedenkstätte. In ihrer einfachen, nüchternen Gestaltung halten sie Abstand zur touristischen Ikonographie traditioneller Ansichtskarten. Weiters erhältlich sind künstlerische Kartenmotive, die im Rahmen eines Gedenk-Workshops von Zivildienern gestaltet wurden. Auf der Bildseite findet sich der aufgedruckte Hashtag #hinschauen. Eine einzige Postkarte kommerzieller Herkunft ist im Museumsshop erhältlich: der Nachdruck einer Postkarte des Wiener Ansichtskartenverlags »Rau Color«, der seit den 1960er-Jahren farbige Offsetdrucke produzierte. Auf der Bildseite der zweigeteilten farbigen Karte sind links die »Kennzeichen der Häftlinge« zu sehen, rechts ein Blick ins Lagergelände. Die Originalkarte stammt vermutlich aus den 1980er-Jahren.

4 Der Gesamtbestand von Mauthausen-Postkarten lässt sich für das 20. Jahrhundert nicht genau rekonstruieren. Mehrere Dutzend Motive können über Bibliotheken, Antiquariate und den Online-Ansichtskartenhandel identifiziert werden, wobei viele Motive mit kleinen Variationen öfter vorkommen. Für die folgende Analyse wurde aus diesem Spektrum eine beispielhafte Auswahl getroffen. Eine kleine, zeitlich und motivisch aber keineswegs repräsentative Auswahl von Mauthausen-Postkarten ist über das Portal AKON (Ansichtskarten Online) der Österreichischen Nationalbibliothek einzusehen: <https://akon.onb.ac.at> (27 Postkarten, alle aus der Zeit vor 1945).

5 Stefanie Eisenhuth und Martin Sabrow haben Orte, deren öffentliche Wahrnehmung sehr stark von belastenden Vergangenheitsdiskursen geprägt ist, als »Schattenorte« bezeichnet. Sie analysieren anhand zahlreicher Beispiele, mit welchen Strategien Stadtverwaltungen bzw. Gedenkstätten Stadtimages formen und verändern: Stefanie Eisenhuth/Martin Sabrow (Hg.), Schattenorte. Stadtimages und Vergangenheitslasten, Göttingen 2017.

6 Zur Geschichte der Gedenkstätte siehe ausführlich Bertrand Perz, Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen 1945 bis zur Gegenwart, Innsbruck 2006.

7 Zur Geschichte der Neugründungen von Gedenkstätten siehe etwa Olaf Mußmann, Die Gestaltung der Gedenkstätten im historischen Wandel, in: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.), Museale und mediale Präsentationen in KZ-Gedenkstätten, Bremen 2001, S. 14-33.

8 In der DDR wurden Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen bereits um 1960 als »Nationale Mahn- und Gedenkstätten« eingerichtet, während in der Bundesrepublik die ersten KZ-Gedenkstätten erst ab Mitte der 1960er-Jahre entstanden (Dachau und Neuengamme). In Polen wurden Museen schon früher eingerichtet – im Herbst 1944 in Majdanek und im Juli 1947 in Auschwitz. Zu den politisch-ideologischen Hintergründen der Gedenkstättengeschichte (und der Rolle der Fotografie in der Erinnerung) siehe etwa Cornelia Brink, Ikonen der Vernichtung. Zum öffentlichen Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945, Berlin 1998, S. 184-202; James E. Young, Formen des Erinnerns. Gedenkstätten des Holocaust, Wien 1997, S. 85-125 (zu »Orte[n] der Vernichtung« in Deutschland), S. 143-150 (zu Mauthausen), S. 175-218 (zu Majdanek und Auschwitz).

9 Häufig fixierte sich die Erinnerungspolitik auf die Stammlager, während die Außenlager als Orte der Gewalt und des Verbrechens lange Zeit ignoriert und vergessen wurden. Im Falle Mauthausens konzentrierte sich die Erinnerung auf das Lager Mauthausen, kaum aber auf Gusen, das als »Doppellager« eng mit Mauthausen verbunden war.

10 Vgl. dazu Alexandra Klei, Der erinnerte Ort. Geschichte durch Architektur. Zur baulichen und gestalterischen Repräsentation der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bielefeld 2011, S. 27-35.

11 Vgl. etwa die umfassende Dokumentation: Das sichtbare Unfassbare. Fotografien vom Konzentrationslager Mauthausen, hg. vom Bundesministerium für Inneres, Archiv der KZ-Gedenkstätte, Texte von Ilsen About, Stephan Matyus, Gabriele Pflug, Wien 2005. Zu den Fotos aus dem Kontext der sog. »Erkennungsdienste« siehe auch Lukas Meissel, Mauthausen im Bild. Fotografien der Lager-SS. Entstehung – Motive – Deutungen, hg. vom Mauthausen Komitee, Österreichische Lagergemeinschaft Mauthausen, Wien 2019. Christian Angerer untersuchte jüngst die wechselvolle (und mit Irrtümern behaftete) Rezeptionsgeschichte eines häufig als Chiffre für Mauthausen verwendeten Fotos, das den Steinbruch in der Nähe der Stadt zeigt. Vgl. Christian Angerer, »Steinbruch bei Mauthausen an der Donau«. Diskursanalytische Anmerkungen zur Karriere eines Fotos im 20. und 21. Jahrhundert, in: zeitgeschichte 49 (2022), S. 265-286.

12 Vgl. etwa Eva Tropper/Timm Starl (Hg.), Format Postkarte. Illustrierte Korrespondenzen, 1900 bis 1936, Wien 2014; David Prochaska/Jordana Mendelson (Hg.), Postcards. Ephemeral Histories of Modernity, Pennsylvania 2010; Esther Milne, Letters, Postcards, Email. Technologies of Presence, New York 2010; Anett Holzheid, Das Medium Postkarte. Eine sprachwissenschaftliche und mediengeschichtliche Studie, Berlin 2011; Felix Axster, Koloniales Spektakel in 9 x 14. Bildpostkarten im Deutschen Kaiserreich, Bielefeld 2014; Hinnerk Onken, Ambivalente Bilder. Fotografien und Bildpostkarten aus Südamerika im Deutschen Reich (1880–1930), Bielefeld 2019; Ulrich Brinkmann, Achtung vor dem Blumenkübel! Die Fußgängerzonen als Element des Städtebaus. Ansichtspostkarten in Ost- und Westdeutschland 1949 bis 1989, Berlin 2020. Siehe auch die frühe Untersuchung von Christaud Geary/Virginia-Lee Webb (Hg.), Delivering Views. Distant Cultures in Early Postcards, Washington 1998.

13 Eine ausgezeichnete Analyse der Postkarten als Medienensembles liefert Eva Tropper, Bild/Störung. Beschriebene Postkarten um 1900, in: Fotogeschichte 118 (2010): Zeigen, grüßen, senden. Aspekte der fotografisch illustrierten Postkarte, hg. von Eva Tropper und Timm Starl, S. 5-16.

14 Enrico Sturani weist am Beispiel der kolonialen Postkartenproduktion darauf hin, dass Motivwahl, Nachdruck und Auflagen der Karten sehr eng mit kommerziellen Überlegungen einhergingen, etwa Gewinnmargen, Verkaufsnetzwerken, Aufwand und Kosten, aber auch mit drucktechnischen Ressourcen, die einen schnelleren oder langsameren Nachdruck ermöglichten. Siehe Enrico Sturani, Das Fremde im Bild. Überlegungen zur historischen Lektüre kolonialer Postkarten, in: Fotogeschichte 79 (2001), S. 13-24, hier S. 18-20.

15 Die frühen Bildpostkarten griffen oft auf Wahrnehmungskonventionen anderer Medien zurück, etwa auf die frühe Reisefotografie, die ihrerseits häufig grafischen und literarischen Vorlagen folgte, die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts entworfen worden waren. Auch die Kolorierung der Landschaftsansichten, oft als große Neuerung der Ansichtskarten um 1900 betrachtet, hatte massenmediale Vorläufer: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildete sich ein neuer, auf ein Massenpublikum ausgerichteter Bildstrang heraus, der Reise- und Landschaftsbilder farblich markierte. Dazu gehören die frühen, oft kolorierten Cartes de Visite-Bilder, die seit den 1860er-Jahren zirkulierten, vor allem aber die im Format größeren Chromolithographien auf der Basis von Fotovorlagen sowie kolorierte Photochrome-Ansichten, die kurz vor 1900 auf den Markt kamen. Besonders üppig war der Farbauftrag in der populären, für den Massenmarkt hergestellten Druckgrafik, die auf Zeichnungen und nicht auf Fotografien basierte.

16 Es gibt auch einige wenige Kartenmotive, die die Blickrichtung umkehren und die Donau im Hintergrund der Stadt zeigen.

17 Timm Starl, Bio-Bibliografie zur Fotografie in Österreich. Online-Datenbank der Albertina Wien, URL: <https://sammlungenonline.albertina.at/biobibliographie>. Mörtl wechselte in Wien mehrmals die Adresse seines Postkartenverlags (der gelegentlich auch als »Photoverlag« bezeichnet wurde).

18 Dabei kam es freilich bei einzelnen Karten Mörtls auf der Bildseite zu einem Irrtum: Statt des Reichsgaus »Oberdonau«, in dem Mauthausen lag, wurde »N.D.« (für Niederdonau) genannt (siehe etwa Abb. 6). Für den Hinweis danke ich Bertrand Perz. Auf der Rückseite der besagten Karte ist allerdings die richtige Ortsbezeichnung »O.D.« (Oberdonau) angeführt. Andere Karten Mörtls aus der NS-Zeit sind auch auf der Bildseite korrekt mit »O.D.« beschriftet.

19 Während des Krieges verwendeten die im KZ als Wachpersonal Tätigen meist weiterhin Landschaftspostkarten für ihre Grußbotschaften. Es gab aber auch spezielle Postkarten, die das KZ Mauthausen produzieren ließ und die auch von SS-Angehörigen verwendet wurden. Eine solche Karte zeigt die Innenräume des Offiziers- und Unteroffizierskasinos im KZ Mauthausen. Abgebildet ist diese Karte in folgendem Band: Gedenkstätte Mauthausen, hg. vom Verein für Gedenken und Geschichtsforschung in österreichischen Gedenkstätten (Gesamtleitung: Barbara Glück, Projektkoordination: Wilhelm Stadler; Redaktion: Gregor Holzinger, Andreas Kranebitter; Wissenschaftliche Betreuung: Bertrand Perz), Wien 2013, S. 76. Auf S. 112 findet sich dort eine weitere Karte, die die Räume des »Führer-Heims« in Gusen zeigt. Mein Dank für den Hinweis gilt Bertrand Perz.

20 Der darüber liegende Stempel »2. Komp. K.L.V.« steht für die 2. Wachkompanie des SS-Totenkopfsturmbannes Mauthausen. K.L.V. bedeutet »Konzentrationslager-Verstärkung« – das waren die nach Kriegsbeginn aus der Allgemeinen SS eingezogenen Personen, die nicht als kriegsverwendungsfähig galten und daher nicht zu den SS-Totenkopfdivisionen kamen, sondern zur Bewachung der Konzentrationslager eingesetzt wurden. Auch für diesen Hinweis danke ich Bertrand Perz.

21 Eine tableauartig gebaute Karte von Mörtl gibt es u.a. auch aus Melk (1943).

22 In welcher Funktion die Postkartenschreiberin in Mauthausen tätig war, ist unbekannt. Da sie aber in ihrer Botschaft nicht darüber sprechen mochte, wäre denkbar, dass sie im KZ oder in dessen Umfeld arbeitete.

23 Im Juni 1947 wurde das KZ-Gelände von den Sowjets an die Republik Österreich übergeben, mit der Auflage, eine Gedenkstätte zu errichten. Bevor diese Anfang 1949 für das Publikum geöffnet wurde, befand sich auf dem Gelände eine provisorische Verwaltung. Warum der Stempel auf der Bild- und nicht auf der Rückseite aufgedrückt wurde, ist unklar.

24 In der Zwischenkriegszeit gab es eine Reihe von Ansichtskarten mit der bildseitigen Aufschrift »Sommerfrische Mauthausen«; teilweise wurden diese Karten bis weit in die Kriegszeit hinein verwendet.

25 Die Häftlinge des KZs Mauthausen waren Anfang Mai 1945 von US-Truppen befreit worden. Im Juli 1945 wurde das Mühlviertel (und damit auch Mauthausen) Teil der oberösterreichischen sowjetischen Besatzungszone, die bis 1955 aufrecht blieb. Möglicherweise stand der Besuch des französischen Offiziers in Verbindung mit dem Aufbau der geplanten und 1949 eingerichteten Gedenkstätte.

26 Nach der Befreiung des KZs kamen im Umkreis der Opferverbände Postkartenmotive in Umlauf, die radikal mit der Mauthausen-Ikonographie der Vorkriegszeit brachen, indem sie die Schrecken der NS-Verfolgung in gezeichneter Form darstellten. Zu nennen ist etwa eine »Wohlfahrtspostkarte« aus dem Jahr 1946: Die Grafik der Bildseite – sie stammt von Simon Wiesenthal, der in Mauthausen interniert war – zeigt die Hissung der US-amerikanischen Fahne über dem Lager. Als Produzent der Karte ist auf der Rückseite »DDG Linz« angeführt. Zwischen 1946 und 1948 erschien die französische Broschüre »Mauthausen. Plus jamais ça!«, die 25 als Postkarten heraustrennbare Motive aus dem ehemaligen KZ enthält, u.a. auch eine fotografierte Ansicht des Lagergeländes. Das gezeichnete Titelbild stammt von dem in Mauthausen bzw. in Gusen internierten Zeichner Jean Bernard-Aldebert. Für den Hinweis auf diese Publikation danke ich Bertrand Perz.

27 Der Begriff »Militärfriedhof« ist ein historischer Begriff, gegenwärtig ist oft vom »Internationalen Soldatenfriedhof Mauthausen« die Rede. Vgl. Julia Mayr, Der Internationale Soldatenfriedhof Mauthausen. Ungleiche Erinnerung an die Toten zweier Weltkriege und KZ-Häftlinge, Diplomarbeit, Universität Wien 2016. Die Entwürfe des Denkmals stammen vom italienischen Bildhauer Paolo Boldrini, der selbst im Kriegsgefangenenlager Mauthausen interniert gewesen war.

28 Insgesamt waren im Lager Mauthausen während des Ersten Weltkrieges an die 40.000 Gefangene festgehalten worden. Der Großteil von ihnen waren Serben und Italiener, aber auch Internierte anderer Länder waren vertreten.

29 Das Motiv des »Lagerfriedhofs« und das Monument tauchen bereits vereinzelt während der Zwischenkriegszeit in Form von Postkarten auf. Eine Karte von Mörtl ist aus dem Jahr 1938 überliefert. Sie wurde noch vor der NS-Machtübernahme gedruckt, aber der Briefmarke zufolge erst nach dem März 1938 verschickt.

30 Die Überschreibung und Einhegung des Erinnerns an die Verbrechen der NS-Zeit durch religiös grundierte und verallgemeinerte Gedenkrituale lässt sich auch an anderen Gedenkorten feststellen. Jörg Skriebeleit hat am Beispiel des KZs Flossenbürg die Formung der Gedächtniskultur nach 1945 nachgezeichnet und auch die Rolle der Gemeinde in der Imagekonstruktion beleuchtet. Vgl. Jörg Skriebeleit, Erinnerungsort Flossenbürg. Akteure, Zäsuren, Geschichtsbilder, Göttingen 2009.

31 Zur entlastenden Funktion von Kriegerdenkmälern und zur Konstruktion des österreichischen Opfermythos in den Denkmälern nach 1945 vgl. Heidemarie Uhl, Denkmäler als Medien gesellschaftlicher Erinnerung. Die Denkmallandschaft der Zweiten Republik und die Transformationen des österreichischen Gedächtnisses, in: Regina Fritz/Carola Sachse/Edgar Wolfrum (Hg.), Nationen und ihre Selbstbilder. Postdiktatorische Gesellschaften in Europa, Göttingen 2008, S. 62-89, hier S. 74f.

32 Das Areal zwischen dem Häftlingsbereich und dem Steinbruch wurde ab den 1950er-Jahren allmählich in eine Art Denkmalpark umgewandelt. Zur Geschichte und den Hintergründen dieses Skulpturenparks siehe Perz, Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen (Anm. 6), S. 169-193. Einige Bildbeispiele finden sich auch unter <https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Mauthausen#Mahnmale_zum_KZ_Mauthausen_(Fotogalerie)>.

33 Alexandra Klei weist auf die Funktion von Postkarten im Kontext der Gedenk- und Erinnerungskultur hin, in der die Karten als Souvenir, Mitbringsel und Andenken, d.h. als »mobiles Gedenkzeichen« (Rikola-Gunnar Lütgenau) Verwendung fanden. Vgl. Klei, Der erinnerte Ort (Anm. 10), S. 27-35, S. 163.

34 Die Website nennt unter dem Stichwort »Unser Mauthausen« die »Sehenswürdigkeiten« der Stadt, darunter ein »Kriegerdenkmal für die Gefallenen der beiden Weltkriege«: <https://www.mauthausen.at/UNSER_MAUTHAUSEN/Chronik/Sehenswuerdigkeiten>. Das KZ und die Gedenkstätte sind in einer Chronik kurz erwähnt, aber nirgendwo näher erläutert und auch nicht verlinkt (Stand: August 2022). Aufschlussreich ist hier ein Vergleich mit der Website der Stadt Dachau, wo die KZ-Gedenkstätte unter »Tourismus« einen prominenten Platz hat: <https://www.dachau.de/tourismus/kz-gedenkstaette.html>.

35 Die Besuchszahlen der Gedenkstätte haben nach der musealen Umgestaltung im Jahr 2017 deutlich zugenommen. 2019 verzeichnete die Gedenkstätte Mauthausen und Gusen 288.670 Besucherinnen und Besucher, 15.000 mehr als im Jahr zuvor. Siehe <https://www.mauthausen-memorial.org/de/Aktuell/KZ-Gedenkstaette-Mauthausen-verzeichnet-Besucherinnen-Plus>.

36 Zudem wurden die engen Beziehungen zwischen Stadt und Lager auch erst nach dem Ende der DDR näher erforscht: Jens Schley, Nachbar Buchenwald. Die Stadt Weimar und ihr Konzentrationslager 1937–1945, Köln 1999.

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