Kein Staat der Welt hat während des Kalten Krieges öfter Krieg geführt als Großbritannien. Obwohl das Königreich ein Hauptakteur des Ost-West-Konfliktes und die größte Kolonialmacht der Erde war, erklären sich diese „heißen Kriege" im Kalten Krieg weder aus der Blockkonfrontation noch aus der Logik eines kolonialen Freiheitskampfes wirklich hinreichend. Man kann diese Kriege nur verstehen, wenn man sie als Resultate einer auf die Weltmachtrolle und das Selbstverständnis als Imperialmacht zentrierten Kollektivmentalität in den politischen und militärischen Eliten des Mutterlandes begreift. Die „heißen Kriege" waren in erster Linie ein Ausfluss globalstrategischen Sicherheitsdenkens. Der Artikel zeigt dies am Beispiel der Emergencies (Ausnahmezustände) in Malaya und Kenya, die für die strategische Verteidigung der Indikregion bedeutsam waren.
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In the Cold War era, no country in the world was at war more often than Britain. Even though the United Kingdom was one of the main protagonists of the Cold War and ruled over the largest colonial empire on earth, these "hot wars" cannot be adequately explained as a result of the bloc confrontation. Nor do they fall completely within the logic of colonial wars of liberation. They can only be understood if interpreted as a consequence of the collective mentality of metropolitan political and military elites focused on their role as a world power and sense of imperial power. The "hot wars" were, above all, a result of global strategic thinking. The article shows how the Emergencies in Malaya and Kenya were fought as integral elements of the strategic defence of the Indian Ocean Rim.
Am Beispiel eines zur Bild-Ikone geratenen Lenin-Fotos aus dem Jahr 1920 untersucht der Beitrag die Praxis manipulativer Eingriffe in das visuelle Gedächtnis der UdSSR vom Stalinismus bis zur Perestrojka. Die Aufnahme, die im Original Lenin und Trotzki vor sowjetischen Truppen in Moskau zeigte, wurde massiven Geschichtsfälschungen unterzogen, an denen sich prototypisch die Intentionen, Mechanismen und politischen Strukturen der sowjetischen Bild- und Medienzensur seit den 1930er-Jahren rekonstruieren lassen. Die UdSSR gab sich ein neues ideologisches wie visuelles Design, das den Staat im In- und Ausland als Erfolgsmodell darstellen sollte. Dieses Design erforderte nicht nur eine nachträgliche „Optimierung“ der Vergangenheit; in ihm manifestierten sich zugleich stalinistische Visualisierungsstrategien, mit denen Staat und Partei politische Sichtbarkeiten zu kontrollieren versuchten. Trotz des enormen Aufwands war dieser Versuch indes nur teilweise erfolgreich: Es erwies sich letztlich als unmöglich, die Unperson Trotzki flächendeckend aus dem kulturellen Gedächtnis zu eliminieren.
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This article deals with the practice of manipulating the visual memory of the USSR from Stalinism until the Perestroika years, and draws on the example of a photograph of Lenin from 1920, which subsequently became an icon. The photograph, which originally showed Lenin and Trotsky in front of Soviet troops in Moscow, was historically highly distorted. Taking the photograph as a model, the intentions, mechanisms, and political structures underlying the Soviet photograph and media censorship since the 1930s can be reconstructed. The USSR developed a new ideological and visual design, whose rules and desired effects were intended to project a successful image of the USSR at home and abroad. This design not only required medial revisioning of the past and the present as a form of belated ‘optimisation’, for it also demonstrated Stalinist strategies of visualisation with which the state and party tried to control political visibilities. In spite of the huge effort and expense, this experiment was only partially successful. It proved impossible to entirely eliminate Trotzki, a non-person, from cultural memory.
In the 1980s, when computers became affordable for private households, a hacker or cracking scene, which was the term used by members of this subculture, developed in several western and northwestern European countries. These (almost exclusively male) groups of adolescents ‘cracked’, copied and exchanged computer games. On the basis of magazines and published interviews with former members of this scene, this article shows how cracking became an important current in the broad spectrum of teenage subculture – with specific ethical codes and rituals of masculinity. Its members were by no means lone specialists who eschewed contact with the outside world, but rather developed their own forms of community and communication. This scene did not construe itself as a political counter-culture; it was rather part of the diversifying popular and consumer culture of the 1980s. In the early 1990s, when law enforcing agencies began to prosecute software piracy more resolutely, this computer subculture began to fade. However, it lived on in the field of computer graphics, in electronic music and in the growing IT sector.
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In den 1980er-Jahren, als Computer auch für den privaten Gebrauch erschwinglich wurden, entstand in mehreren west- und nordeuropäischen Ländern eine „Hacker“- oder (der damaligen Selbstbezeichnung folgend) „Cracking“-Szene, die Computerspiele kopierte und tauschte. Anhand von Magazinen und publizierten Interviews der Akteure wird gezeigt, dass diese Szene zu einer wichtigen Strömung im Spektrum jugendlicher Subkulturen wurde – mit spezifischen Leitbildern und (Männlichkeits-)Ritualen. Ihre Mitglieder waren nicht etwa einsame Nerds, sondern entwickelten eigene Gemeinschafts- und Kommunikationsformen. Diese Szene verstand sich nicht als eine politische Gegenkultur; sie war vielmehr Teil der sich ausdifferenzierenden Populär- und Konsumkultur der 1980er-Jahre. Ab etwa 1990, als Software-Piraterie stärker verfolgt wurde, trat die Computer-Subkultur in den Hintergrund, wirkte jedoch nach – im Bereich der Computergrafik, in der elektronischen Musik und der wachsenden IT-Branche.
Der Aufsatz setzt die Massenerschießungen von Katyn, bei denen der NKWD 1940 Tausende polnischer Kriegsgefangener tötete, in den Kontext einer deutsch-sowjetischen Verflechtungsgeschichte, um die abstrakten Gewalthierarchien früherer Diktaturvergleiche zu überwinden. Dass Goebbels’ sonst wenig glaubwürdige Propaganda 1943 die wirklichen Täter nannte, prägte die langfristigen Kommunikationsmuster ebenso wie Stalins Versuch, Zweifler an der angeblichen deutschen Täterschaft als Kollaborateure des „Dritten Reichs“ zu diskreditieren. In den Deutungen von Katyn während des Kalten Kriegs wirkten die konträren Sichtweisen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs folgenreich nach. Analysiert werden das Beschweigen, die Verrätselung und die Boulevardisierung Katyns vor allem in der westlichen Rezeption; so trägt der Aufsatz dazu bei, die Geschichtskultur des Kalten Kriegs zu historisieren. Katyn ist ein Lehrstück über die Selektivität historischer Narrationen, das bis in aktuelle Debatten um eine europäische Weltkriegserinnerung hineinreicht.
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This article places the mass shootings at Katyn, in which the NKVD (People’s Commissariat of Internal Affairs) killed thousands of Polish prisoners of war in 1940, in the context of a German-Soviet entangled history which strives to go beyond the abstract power hierarchies underpinning previous comparative studies of dictatorships. The fact that Goebbels’ otherwise implausible propaganda mentioned the actual persecutors of Katyn in 1943 made a long lasting impression on patterns of interpretation. The same may be said of Stalin’s attempt to discredit those who doubted the alleged German responsibility for this event as collaborators of the ‘Third Reich’. Contradictory positions which dated from the Second World War continued to effect the interpretations of Katyn during the Cold War to considerable effect. The author addresses the silence surrounding this event, its mystification and the pandering to popular taste which were particularly prevalent in western understandings of this event. The article therefore contributes towards the historicisation of the historical culture of the Cold War. Katyn amounts to a didactic play about the selectivity of historical narratives which continues to pervade contemporary debates about the European memory of the world wars.
Seit sich die republikanische Regierungsform in Frankreich endgültig durchgesetzt hatte (1875), waren vier Gruppen von Franzosen Diskriminierungen ausgesetzt, die im Staatsangehörigkeitsrecht festgeschrieben waren: französische Frauen, die Ausländer heirateten; algerische Muslime, Eingebürgerte und Juden. Die Republik erkannte sie als Franzosen an, gewährte ihnen aber nicht in jeder Hinsicht gleiche Rechte. Heute sind diese Diskriminierungen verschwunden. Doch zwei der vier Gruppen – die Juden und die algerischen Muslime – tragen weiterhin die gelebte Erfahrung und die Erinnerung früherer Diskriminierungen, auch wenn sie inzwischen völlig gleichberechtigt sind und zum Teil Anerkennung oder Reparationen erhalten haben. Der Aufsatz soll verstehen helfen, warum dies so ist, und greift dafür auf psychoanalytische Erklärungsansätze zurück. In beiden Fällen gab es ein zweites Ereignis, das die schmerzliche Vergangenheit reaktivierte: eine Rede de Gaulles 1967 bzw. die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts 1993. Dieses zweite Ereignis geschah in einer Zeit formaler Rechtsgleichheit und wies dennoch auf die Zeit der Diskriminierung zurück.
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Once a republican government had finally been established in France (1875), four categories of French nationals were subject to discrimination as defined in laws on nationality: French women who married foreigners, Algerian Muslims, naturalised citizens, and Jews. The Republic recognised them as French and yet they did not always have rights equal to those of other French nationals. These forms of discrimination are today no longer valid. Yet two of these four groups – Jews and Algerian Muslims – continue to endure the experience and memory of past discrimination, even though their rights have since been reestablished and even though they have been granted partial recognition or reparation. The article helps us to understand why this is the case, drawing on psychoanalytical explanations. In both of these cases a second event – a speech given by de Gaulle in 1967, and the reform of laws on nationality in 1993 – served to reawaken the painful past. Although these events occurred at a time when equal rights were formally in place, they harked back to the previous discrimination.
Theodor Eschenburg, Herrschaft der Verbände?, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1955.
Making the History of 1989. The Fall of Communism in Eastern Europe
(https://chnm.gmu.edu/1989/)