Abstract

Till Kössler

Gewalt an Schulen wird regelmäßig skandalisiert und erscheint oftmals als Symptom einer allgemeinen Verrohung von Gesellschaft. Demgegenüber haben viele Historiker/innen gerade die Schule in das Zentrum einer Zivilisierungsgeschichte der westdeutschen Gesellschaft seit 1945 gestellt. Der Beitrag nimmt diesen Deutungswiderspruch zum Ausgangspunkt einer Analyse schulischer Gewalt zwischen den frühen 1970er-Jahren und der Jahrtausendwende. Vorgeschlagen wird eine neue Lesart, die den Gegensatz der konkurrierenden Thesen von Gewaltzunahme und Gewaltabnahme aufhebt und stattdessen die sich wandelnden Vorstellungen dessen untersucht, was »Gewalt« eigentlich sei und wie sie überwunden werden könne. Seit den 1970er-Jahren mehrten sich die Arten von Gewalt, die mit Schule in Verbindung gebracht wurden. Eine Sensibilisierung gegenüber sehr unterschiedlichen Gewaltphänomenen war verbunden mit neuen Ansprüchen an Schule und schulische Kommunikation – Erwartungen, die von Lehrer/innen und Eltern als Fortschritt erfahren werden konnten, aber auch als Zumutung und Überforderung.

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Beyond Brutalisation or Civilisation. Schools and Violence in West Germany (1970–2000)

In public discourse, school violence is often sensationalised and associated with a worrisome brutalisation of society. Many historians, on the other hand, see schools as the locus of the general civilisation of West German society after National Socialism. Taking these contradicting views as a starting point, the article examines school violence between the early 1970s and the turn of the century. It proposes going beyond the competing theses of brutalisation and civilisation and taking a more in-depth look at the changing conceptions of what ›violence‹ actually is and how it can be overcome. Since the 1970s, the forms of violence associated with schools have multiplied. The discovery of ever more varied shapes and shades of violence was intimately linked to new ideas and programmes seeking to abolish violence in the schools and classrooms. At the same time, however, these new initiatives drastically increased the demands on schools and educators. Some teachers and parents experienced the new demands positively, as part of a quest for a new democratic form of schooling, but many of them also felt increasingly steamrolled and overwhelmed by the task of freeing education from violence.

 

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