Abstract

Michael Wildt

Wie haben sich die Perspektiven auf die NS-Zeit seit 1989/90 verändert? Nach einem knappen Rückblick auf die „historiographische Systemkonkurrenz“ in der Ära des Kalten Krieges werden zunächst wichtige Blickerweiterungen skizziert, die bereits vor 1989/90 einsetzten: die wachsende Aufmerksamkeit für alltagsgeschichtliche Zusammenhänge sowie vor allem für die Verfolgung und Ermordung der Juden. Die Zäsur von 1989/90 brachte für die NS-Forschung einen zusätzlichen Schub, weil sie die Bedeutung von Akteuren in historischen Entscheidungssituationen nachhaltig in den Vordergrund rückte. Der Aufsatz erläutert darüber hinaus drei Stränge der aktuellen NS-Forschung: Ansätze einer integrierten Geschichte, die eine dichotomische Betrachtung von Opfern und Tätern überwinden; die Europäisierung und Globalisierung nicht nur der Erinnerungspolitik, sondern auch der wissenschaftlichen Arbeiten zur NS-Zeit; sowie das übergreifende Phänomen einer verstärkten Medialisierung von Geschichte.
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How have perspectives on the Nazi era changed since 1989/90? Following a brief retrospective on the ‘historiographic system competition’ of the Cold War era, this contribution begins with an outline of the ways in which perspectives had broadened even prior to 1989/90. For one thing, scholars at the time already increasingly took into account aspects of everyday life and, in particular, the persecution and extermination of the Jews. The caesura of 1989/90 provided an additional impulse for research on National Socialism because it brought into focus actors in historical contexts of decision making. The article then continues to elucidate three strands of contemporary research on National Socialism: approaches of an integrated history that transcend a dichotomous view of victims and perpetrators, the Europeanization and globalization not only of memory culture, but also of academic works dealing with the Nazi era, and finally the overarching phenomenon of an intensified medialization of history.

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