2/2012: Computerisierung und Informationsgesellschaft

Aufsätze | Articles

Der Computer und die mit ihm verbundenen Informations- und Kommunikationstechnologien sind spätestens mit dem Aufkommen der Mikroelektronik Anfang der 1970er-Jahre zu entscheidenden Faktoren der Entwicklung moderner Industriegesellschaften geworden. Im Verlauf der 1980er-Jahre diffundierten Computer und neue Medien in nahezu alle Bereiche der Gesellschaft – angefangen von der Arbeit über die Formen der sozialen Kommunikation, die politische Kultur, die Bildung, den Konsum und die Freizeit bis hinein in die individuellen Lebensstile. Der „Informationsgesellschaft“ (ein Begriff, der nicht zufällig ab etwa 1980 populär wurde) hat die zeithistorische Forschung bislang eher wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Mit Blick auf die wichtigsten Phasen und Zäsuren diskutiert der Aufsatz mögliche Perspektiven einer Zeitgeschichte der Informationsgesellschaft. Plädiert wird dabei für eine integrierende gesellschaftsgeschichtliche Analyse des mit dem Computer verbundenen Wandels sowie der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Kontexte.
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Since the emergence of microelectronics in the early 1970s, computers and related information and communication technologies have become crucial for the development of modern industrial societies. During the 1980s, computers and new media pervaded almost all areas of society – including work, forms of social communication, political culture, education, consumption, leisure, and individual lifestyles. Until now, contemporary history studies paid little attention to ‘information society’ (by no coincidence, the term became popular around 1980). With an eye to the most important stages and milestones, the text discusses possible perspectives of a contemporary history of information society. It advocates an integrated social historical analysis of computer-related changes in relation to economic, social and cultural contexts.

Die Computerindustrie entwickelte sich in den USA und der UdSSR sehr unterschiedlich. Während in den Vereinigten Staaten der Konzern IBM nahezu ein Monopol erlangte, herrschte in der Sowjetunion ein Konkurrenzkampf. Mehrere Akteure verfolgten an unterschiedlichen Standorten eigene Entwicklungslinien; ein Austausch fand kaum statt. Als Reaktion auf eine von IBM 1963 vorgestellte neue Modellreihe kam es in der UdSSR zu einer Diskussion über die Computerindustrie, die den hartnäckigen Widerstand lokaler Entscheidungsträger bei der Durchsetzung zentraler Direktiven offenbarte. Es bedurfte mehrerer Machtworte von führenden Vertretern der Rüstungsindustrie, um das IBM System /360 als Vorbild einer eigenen Reihe durchzusetzen. Dabei berief man sich vor allem auf die Erfolge, die beim Nachbau von IBM-Rechnern in der DDR erzielt worden waren. Das Ministerium für Staatssicherheit hatte Entwicklungsdokumente aus dem Westen beschafft, und diese Wirtschaftsspionage trug wesentlich dazu bei, den innersowjetischen Konflikt zu entscheiden. Der technologische Rückstand der UdSSR gegenüber den USA blieb gleichwohl bestehen.
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The computer industry developed very differently in the USA and the USSR. While in the United States IBM came close to a monopoly, competitive struggle prevailed in the USSR. Several protagonists followed their own lines of development in different locations and hardly communicated with each other. In reaction to a new series of models that IBM introduced in 1963, a discussion about the computer industry ensued in the USSR. This debate revealed persistent resistance among local decision makers when it came to enforcing central directives. Leading representatives of the arms industry had to exercise their authority to establish the IBM System /360 as the model for a series made in the USSR. They referred to the success that clones of IBM computers achieved in the GDR. The Ministry of State Security had obtained development documents in the West, an act of industrial espionage which played a crucial part in the inner-Soviet conflict. Nevertheless, compared to the USA the technological backlog remained.

Der Aufsatz beschreibt anhand von Fallbeispielen die Einführung von Rechnern/Computern in Industrie und Verwaltung sowie die damit einhergehenden Fortschrittsversprechen und Utopien. Der Nutzen der neuen Technologie war für die Akteure zunächst schwer einzuschätzen; daher gab es ein breites Spektrum von Erwartungen, Euphorien und Ängsten. Den „Elektronengehirnen“ der 1950er-Jahre wie auch den späteren Computern wurde im gesamten Untersuchungszeitraum ein Potenzial zugewiesen, das über die damaligen technischen Möglichkeiten weit hinausging. Ein Schwerpunkt der Diskurse war die Frage nach der Zukunft der Arbeit. Als Computer in Unternehmen und Verwaltungen stärker vordrangen, entstanden zahlreiche soziologische Studien, die aus heutiger Sicht aufschlussreiche zeithistorische Quellen sind. Sie dokumentieren strukturelle Veränderungen der Industriegesellschaft, Erfahrungen von Arbeitnehmer/innen im Umgang mit der neuen Technik und zugleich die wissenschaftlichen Versuche, das Phänomen der Computerisierung zu erfassen.
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On the basis of case studies, this article describes the introduction of computers into industry and administration and the accompanying promises of progress and utopias. Since players found it hard to assess the benefits of the new technology, expectation, euphoria and anxiety arose. Throughout the period investigated, the potential of the ‘electronic brains’ of the 1950s and subsequent computers was considered so high that it exceeded the technical possibilities at that time. Attention focused on the future of work. As computers were put to use in companies and administrations, several sociological studies were undertaken which, retrospectively, constitute valuable sources of contemporary history. They document structural changes in industrial society and employees’ experiences with the new technology as well as scholarly efforts to understand the phenomenon of computerisation.

In the 1980s, when computers became affordable for private households, a hacker or cracking scene, which was the term used by members of this subculture, developed in several western and northwestern European countries. These (almost exclusively male) groups of adolescents ‘cracked’, copied and exchanged computer games. On the basis of magazines and published interviews with former members of this scene, this article shows how cracking became an important current in the broad spectrum of teenage subculture – with specific ethical codes and rituals of masculinity. Its members were by no means lone specialists who eschewed contact with the outside world, but rather developed their own forms of community and communication. This scene did not construe itself as a political counter-culture; it was rather part of the diversifying popular and consumer culture of the 1980s. In the early 1990s, when law enforcing agencies began to prosecute software piracy more resolutely, this computer subculture began to fade. However, it lived on in the field of computer graphics, in electronic music and in the growing IT sector.
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In den 1980er-Jahren, als Computer auch für den privaten Gebrauch erschwinglich wurden, entstand in mehreren west- und nordeuropäischen Ländern eine „Hacker“- oder (der damaligen Selbstbezeichnung folgend) „Cracking“-Szene, die Computerspiele kopierte und tauschte. Anhand von Magazinen und publizierten Interviews der Akteure wird gezeigt, dass diese Szene zu einer wichtigen Strömung im Spektrum jugendlicher Subkulturen wurde – mit spezifischen Leitbildern und (Männlichkeits-)Ritualen. Ihre Mitglieder waren nicht etwa einsame Nerds, sondern entwickelten eigene Gemeinschafts- und Kommunikationsformen. Diese Szene verstand sich nicht als eine politische Gegenkultur; sie war vielmehr Teil der sich ausdifferenzierenden Populär- und Konsumkultur der 1980er-Jahre. Ab etwa 1990, als Software-Piraterie stärker verfolgt wurde, trat die Computer-Subkultur in den Hintergrund, wirkte jedoch nach – im Bereich der Computergrafik, in der elektronischen Musik und der wachsenden IT-Branche.

Debatte | Debate

  • Katja Stopka

    Vernetzte Zeitgeschichte. Zum aktuellen Stand von Wissens- und Wissenschaftskommunikation im Internet

    Einleitung

  • Peter Haber

    Digitale Immigranten, zwitschernde Eingeborene und die Positivismusfalle

  • Jan Engelmann

    Prinzipiell unabschließbar

    Wikipedia und der veränderte Umgang mit (historischem) Wissen

  • Lilian Landes

    Flexibel, fluide, filternd

    Weshalb die Geisteswissenschaften stärker von der Netzkultur profitieren sollten

  • Christine Bartlitz, Achim Saupe

    Docupedia-Zeitgeschichte: Geschichtswissenschaft 2.0?

Quellen | Sources

  • James Sumner

    ‘Today, Computers Should Interest Everybody’

    The Meanings of Microcomputers

  • Niels Brügger

    Web History and the Web as a Historical Source

  • Andreas Lange

    Pacman im Archiv

    Computerspiele als digitales Kulturgut

Besprechungen | Reviews

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