Diese neue Zeitschrift versteht sich als eine Antwort auf grundlegend veränderte Rahmenbedingungen des zeitgeschichtlichen Interesses. Mit dem Zusammenbruch des realsozialistischen Systems stellen sich für Politik und Wissenschaft neue Aufgaben - seit 1989/90 gilt es, mit dem Erbe von zwei Diktaturen umzugehen. Die Sorge, dass die Erinnerung und die Erforschung der NS-Zeit durch das Ende der DDR in den Hintergrund gedrängt werden könnten, hat sich dabei nicht bewahrheitet; die öffentliche und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Jahren 1933-1945 hat nach dem Fall der Mauer eher noch an Dynamik gewonnen. Verstärkt zu berücksichtigen ist indes auch die oft vernachlässigte, erfreulichere Geschichte der Freiheitsbestrebungen und Demokratisierungserfolge der Deutschen. Durch die Fortschritte der europäischen Integration und die Prozesse der Globalisierung ist eine national beschränkte Geschichtserinnerung zudem noch fragwürdiger geworden, als sie es ohnehin schon immer gewesen ist. Gleichzeitig hat sich die Beschäftigung mit Vergangenheit weiter in Richtung einer medialen Populärkultur verlagert, die einer eigenen Marktlogik folgt. Schließlich hat die elektronische Vernetzung durch das Internet die Kommunikationsformen innerhalb und außerhalb der Wissenschaft erheblich modifiziert. Mit dem neuen Journal wollen wir auf die genannten Veränderungen reagieren und sie selbst mitgestalten.
Den ,Zeithistorischen Forschungen" liegt ein weites, drei Ebenen umfassendes Verständnis von Zeitgeschichte zugrunde. Zentrale Probleme der ersten Jahrhunderthälfte und des gesamten 20. Jahrhunderts sollen aufgegriffen werden, sofern sie für ein historisch fundiertes Gegenwartsverständnis bedeutsam sind (etwa Kriegsverbrechen, Migrationsbewegungen und Sozialstaatsmodelle - um nur wenige mögliche Beispiele zu nennen). Im Mittelpunkt werden die Jahrzehnte des deutschen, europäischen und globalen Systemkonflikts von 1945 bis 1990 stehen, weil sie den wichtigsten biografischen Erfahrungsraum der heute lebenden Menschen bilden. Schließlich möchten wir auch der ,neuesten" Zeitgeschichte ein Forum verschaffen, denn eine wissenschaftlich reflektierte Beschäftigung mit der jüngsten Vergangenheit muss nicht erst dann beginnen, wenn die Sperrfrist der Akten endet. Die von neuen Kriegen, internationalem Terrorismus, Gefährdungen des Sozialstaats und anderen Unsicherheiten geprägte Gegenwart verursacht historische Orientierungsbedürfnisse, denen sich auch die Zeitgeschichtsforschung zu stellen hat.
In methodischer Hinsicht streben wir an, den Prozess der Geschichtswerdung von Ereignissen der Gegenwart zu Vorstellungen von Vergangenheit kritisch zu begleiten. Geschichtsbilder entstehen nicht naturwüchsig, sondern in konflikthaften gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, in denen die beteiligten Gruppen unterschiedliche Erinnerungen propagieren, um bestimmte Ziele zu erreichen. Dabei spielen die Bildwelten der Massenmedien, die primär auf hohe Leserzahlen und Einschaltquoten abzielen, eine immer größere Rolle. Im Gegensatz zu solchen stärker interessengeleiteten Akteuren hat der Zeithistoriker die Chance und die besondere Aufgabe, Aussagen über die jüngste Vergangenheit zu formulieren, die auf einem systematischen Vorgehen beruhen und entsprechend überprüft werden können. ,Zeitgeschichte als wissenschaftliche Aufklärung" (Christoph Kleßmann) ist daher gleichzeitig ein intellektuelles Ziel und ein ethisches Postulat. Als kritisches Korrektiv individueller und kollektiver Erinnerungskonstruktionen erfüllt sie wichtige Funktionen für eine demokratisch verfasste Zivilgesellschaft. In diesem Punkt besitzt Hans Rothfels' bekannte Standortbestimmung der Zeitgeschichte von 1953 weiterhin Gültigkeit: Es muss ein wesentliches Merkmal zeithistorischer Forschung sein, ,dass sie an keinerlei heißen Eisen, weder internationalen noch nationalen, sich vorbeidrückt und nicht leere Räume offenlässt, in die Legenden sich einzunisten neigen".
Für eine so verstandene Zeitgeschichtsforschung bieten die elektronischen Kommunikationsmedien attraktive, neuartige Möglichkeiten. In vielen Bereichen der Geschichtswissenschaft gehört die Nutzung des Internet längst zum Alltag, doch werden für anspruchsvolle wissenschaftliche Abhandlungen bisher konventionelle Publikationswege bevorzugt. Diese verbreitete Skepsis kann nur überwunden werden, wenn Veröffentlichungen im Internet dauerhaft verfügbar und zitierbar bleiben. Die Einhaltung bewährter Standards muss auch beim elektronischen Publizieren gewährleistet sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, besitzt das Medium Internet für geschichtswissenschaftliche Fachbeiträge zusätzliche Potentiale: Es erlaubt die direkte Einbindung von verschiedenen Quellenarten, von Internet-Ressourcen und von Querverweisen zu den Autoren.
Während die allermeisten elektronischen Zeitschriften bislang bloße Nebenprodukte gedruckter Zeitschriften sind, möchten wir mit ,Zeithistorische Forschungen" etwas Eigenständiges und Neues entwickeln: Die Online-Version enthält Medienelemente und Links, die die Präsentation der Forschung erweitern; die zeitgleich erscheinende gedruckte Ausgabe hat den Vorteil, unabhängig vom Internet zugänglich zu sein. Die beiden Ausgaben sind als gleichberechtigte, sich ergänzende Angebote zu verstehen. Ein Schwerpunkt wird dabei die Aufsatzrubrik sein, in der sich solide empirische Forschung und theoretisch-methodische Reflexion miteinander verbinden sollen. Sie wird durch die gewählten Themen und die Art der Aufbereitung neue Akzente setzen.
Die hybride Publikationsform gestattet zudem eine größere Aktualität wissenschaftlicher Debatten. In der Öffentlichkeit diskutierte zeithistorische Themen möchten wir rasch aufnehmen und vertiefen - das Genre des Essays bietet sich dafür besonders an. Auch Interviews mit Zeitzeugen oder Wissenschaftlern können aktuelle Auseinandersetzungen kommentieren und reflektieren. In der Debattenrubrik geht es also nicht darum, dem Feuilleton hinterherzueilen, sondern darum, politische und soziale Gegenwartsfragen in historische Zusammenhänge zu rücken. Die enge Verbindung mit dem Portal Zeitgeschichte-online und dem Internetforum H-Soz-u-Kult erlaubt es, Diskussionen auch unabhängig vom Publikationsrhythmus der Zeitschrift fortzusetzen.
Eine vorrangige Aufgabe der Geschichtswissenschaft bleibt die präzise Quellenkritik. Jedoch muss dieses Grundprinzip der Forschung auch auf nichtschriftliche Quellenarten übertragen werden. Wir möchten dazu anregen, die überwiegend textorientierte Methode der Quellenüberprüfung weiterzuentwickeln - nämlich dadurch, dass historische Fotos, Filme, Radio- und Fernsehsendungen etc. in ihrer je spezifischen Medialität ernstgenommen werden. Aus dieser Absicht ergibt sich eine eigene Rubrik, die für das Erscheinungsbild der ,Zeithistorischen Forschungen" wichtig sein wird: die Vorstellung und Analyse (audio)visueller Schlüsselquellen.
Schließlich werden wir der kritischen Kommentierung aktueller Angebote breiten Raum widmen: Rezensiert werden neue Websites, CD-ROMs, Kino- und Fernsehfilme, Ausstellungen usw., die aus zeithistorischer Sicht interessant sind. Da sich ,H-Soz-u-Kult" als Forum für Buchrezensionen bewährt hat, werden die ,Zeithistorischen Forschungen" auf eigene Besprechungen neuer Bücher verzichten und diese Rezensionen in Gestalt einer Linkliste anbieten. Als eigenständiger Inhalt der ,Zeithistorischen Forschungen" sind jedoch zusammenfassende Literaturberichte und Wiederentdeckungen älterer Bücher geplant.
Eine neue geschichtswissenschaftliche Zeitschrift zu gründen ist angesichts der Vielzahl bestehender Publikationsforen ein erhebliches Risiko. Wir setzen uns aber dafür ein, dass ,Zeithistorische Forschungen" ein intellektuell attraktives Medium wird, das in seiner besonderen Kombination von Form und Inhalt möglichst viel Lesenswertes bietet. Das neue Journal will neben den etablierten Fachvertretern vor allem die jüngere Generation der Forscher, Praktiker der Geschichtskultur und Wissenschaftler der Nachbardisziplinen ansprechen, um dadurch die Beschäftigung mit zeitgeschichtlichen Fragen auszuweiten. ,Ausweitung" bedeutet dabei auch, dass wir Autorinnen und Autoren einen Zugang verschaffen möchten, die außerhalb des deutschsprachigen Raums tätig sind - die Publikation englischer Texte ist deshalb möglich und erwünscht. Kritik und Anregungen sind gerade in der ersten, noch experimentellen Phase des Projekts willkommen, denn die elektronische Form lebt besonders stark von der Kooperation aller Interessenten.
Herausgeber und Redaktion
This new journal is a response to fundamental changes in contemporary historical interests during the last decades. The collapse of the communist regimes in 1989/90 has created new interpretative challenges for politics and scholarship, including the need to deal with the legacy of two dictatorships. Fears that the memory of the Nazi past would fade away with the end of the GDR have not turned out to be true; instead, the intellectual debate about the Third Reich has only become more intensive following the fall of the wall. However, attention also ought to be paid to the often neglected, yet more positive history of Germany's efforts at democratization. As a result of the progress of European integration and the process of globalisation, historical research has to start transcending the national paradigm. Simultaneously the shift toward popular culture and the media has changed how we remember the past, since visual representations follow their own market logic. Finally, the Internet has revolutionized communication inside and outside of scholarship. This journal strives to respond to and shape these changes.
"Studies in Contemporary History" is based on a broad understanding of "contemporary history", encompassing three separate, but overlapping time periods. Central problems of the first half of the century will be addressed to the extent that they are relevant for a historically grounded understanding of long-range issues (e.g. war-crimes, migration, and xenophobia). The central focus of the journal will nonetheless be the decades of German, European and global conflicts between 1945 and 1990, because they constitute the most important experiences of persons alive today. Beyond that we would also like to provide a forum for current history, since scholarly reflection on the most recent past does not have to begin with the release of previously closed files. Beset by new wars, international terrorism, the contraction of the welfare state and other threats, people have a great need for orientation, which is also one of the responsibilities of contemporary historical research.
The central task of contemporary historians is to accompany the transformation of current events into perceptions of the past with critical commentary. Historical images do not grow naturally; rather they evolve from social conflicts in which contending groups propagate differing memories in order to attain specific objectives. At the same time the images created by mass media, primarily aiming to reach a large audience, play an increasingly important role in our imagination. In contrast to such commercial actors, the contemporary historian has the chance and the special task to formulate statements about the most recent past that are based on systematic procedures and can be verified intersubjectively. "Contemporary history as scholarly enlightenment" (Christoph Kleßmann) is therefore simultaneously an intellectual method and an ethical postulate. As a critical corrective of individual and collective constructions of memory, contemporary history plays an important role for a democratically constituted civil society. In this sense Hans Rothfels' famous de-finition of contemporary history of 1953 is still valid today: Contemporary history ought not to "evade any touchy issue, neither international nor national," in order to "leave no room in which legends might grow."
For contemporary history, understood in this way, the electronic media offer attractive new opportunities. Though the use of the Internet has already become accepted in many areas of historical research, conventional means of publication continue to be preferable for a more thorough treatment of issues. Such widespread skepticism can only be overcome if Internet publications continue to be available and quotable in the long term. Moreover, the maintenance of well-established standards should be guaranteed when publishing electronically. If these prerequisites are fulfilled, the medium of the Internet can provide considerable advantages for publishing scholarly articles: It allows the direct integration of a broader range of sources, Internet resources and cross-references to the authors.
While most electronic magazines have hitherto been mere by-products of printed journals, we are proposing something new and different. The online version of "Studies in Contemporary History" will contain pictures, film segments and Internet links that will enhance the way that in which research is presented. The parallel print version has the advantage of being accessible for reference independently of the Internet. Both versions ought to be understood as mutually complementary. A first focus will be the essay section, where solid empirical research will be presented along with theoretical and methodological reflections. While the content of this section will not greatly differ from already existing academic journals, it should provide a broader scope by selecting less conventional topics and presenting the material with more illustrations.
The hybrid style of publication also allows for the inclusion of more current scholarly debates. We would like to print essays that refer to and address contemporary historical issues discussed in the public more quickly than in other academic venues. Interviews with eyewitnesses of past events or leading intellectuals can further reflect on current controversies. The debate section thus does not try to follow feature articles, but rather to place contemporary political and social issues into a historical context. The close link with the internet portal Zeitgeschichte-online and the mailing list H-Soz-u-Kult will allow the continuation of discussions independent of the rhythm of journal publication.
Precise verification of sources will remain another priority of this journal. However, this fundamental principle of research must also be extended to non-written sources. We would like to encourage the application of the mainly textually-oriented method of source criticism to a whole range of new materials. This can be achieved, for instance, by ensuring that citations and interpretations of historical photos, films as well as radio and television programs are subjected to the same standards as written documents. For this reason a new section has been added to this journal - the introduction and analysis of key (audio)visual sources.
Finally we will dedicate a considerable amount of space to critical commentary on of the current media treatment of historical problems: We will evaluate new web-sites, CD ROMs, TV films and movies, exhibitions, etc. that are interesting from the perspective of contemporary history. Since "H-Soz-u-Kult" has proven itself an invaluable forum for book reviews, "Studies in Contemporary History" will refrain from reviewing new monographs and rather refer to these discussions in the form of a list of links. However, comprehensive bibliographical essays and "rediscoveries" of important older works are planned as an independent section of this journal.
Considering the large variety of existing forums of publication, it is an enormous risk to establish a new historical journal. Nonetheless, we will dedicate ourselves to making "Studies in Contemporary History" an intellectually attractive medium that offers interesting insights through its special combination of form and content. The new journal will be mostly directed towards the younger generation of researchers, memory culture professionals and specialists in associated disciplines in order to broaden the discourse on contemporary historical issues. This also means that we would like to provide access to authors who do not write in the German language - we therefore encourage the submission of English texts for publication. We welcome criticism as well as suggestions, especially during the initial phase of the project, when we seek to establish a new form of a scholarly journal with the cooperation of a wider range of contemporary historians.