Leni Riefenstahl-Rezeption nach 1945
(http://www.ruhr-uni-bochum.de/riefenstahl/home.shtml)
Die deutsche Filmgeschichte und Leni Riefenstahl (1902-2003), das war immer eine besondere Beziehung. Zum 100. Geburtstag der Regisseurin und dann in den Nachrufen konnte man die Spuren, Nachwirkungen und mitunter auch Fortschreibungen einer über Jahrzehnte geführten Auseinandersetzung feststellen, aber auch das seltsame Phänomen beobachten, dass die politischen Einwände gegen ihre Filme - von „Sieg des Glaubens“ bis „Tiefland“ - deutlich geringer geworden waren. Tatsächlich ist die Rezeption Riefenstahls in der deutschen Öffentlichkeit ein aufschlussreiches Phänomen, denn in ihr sind Konjunkturen und Wendungen zu beobachten, die ebenso viel über allgemeinere Entwicklungen im Verhältnis zur deutschen Geschichte verraten wie über den speziellen „Fall“ Riefenstahl. Dass sich eine Website die Aufgabe stellt, „mit einem Überblick über die Rezeptionsgeschichte von Leni Riefenstahl eine Grundlage für die weitere Auseinandersetzung mit einer der umstrittensten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts zu geben“, ist daher eine vom Ansatz her verdienstvolle Entscheidung. Allerdings hat es mit dieser Website dann auch eine besondere Bewandtnis - sie ist ein Beleg dafür, dass das Internet nicht selten Relikte und Datenfriedhöfe enthält.
Manche Websites verdanken ihre Dauer der kontinuierlichen Erneuerung, dem Fortschreiben, der Diskussion, während andere den Lauf der Zeit ohne jeglichen Wandel überstehen - und zwar auch dann, wenn sie nicht schon im Ursprung als neue Form der Dokumentation eines bestimmten Ereignisses, sondern in weitergehender Absicht angelegt waren. Die Website „Leni Riefenstahl-Rezeption nach 1945“ gehört zu dieser letzteren Sorte. Sie ist seit dem August 2002 nicht geändert worden, was bei den folgenden Erläuterungen immer zu berücksichtigen ist. Vermutlich waren es die üblichen finanziellen Gründe, die die geplante Fortschreibung des Projektes verhinderten. Die nun vorliegende Form aber repräsentiert tatsächlich nur einen Anfang. Ein Überblick über die Riefenstahl-Rezeption kann mit Hilfe dieser Website nicht wirklich gewonnen werden. Klassische Medien, nämlich Buchveröffentlichungen, sind für einen solchen Überblick besser geeignet, und große Teile der Website stützen sich denn auch auf gedruckte Literatur zum Thema.
Der Aufbau der angenehm zurückhaltend gestalteten Site erlaubt Zugriffe auf folgende Unterkapitel: Publizistik, Ausstellungen, Bildzitate, Websites, Zeitleiste, Bibliografie. Das erklärte Ziel, den „Überblick über die Rezeptionsgeschichte von Leni Riefenstahl“ zu ermöglichen, wird sozusagen resümierend angegangen, nicht aber durch Nachweis der entscheidenden Etappen und Texte dieser Rezeptionsgeschichte selbst. Das fällt vor allem bei dem Unterkapitel „Publizistik“ auf, das im Wesentlichen einen Vergleich der Häufigkeit von Artikeln über Riefenstahl in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der „Frankfurter Rundschau“ bietet. Die entsprechende Grafik bleibt schon deshalb wenig aussagekräftig, weil über Riefenstahl selbst in den intensivsten Jahren nicht mehr als sieben Texte in einer Zeitung erschienen. Dass die FAZ zumeist mehr Texte publizierte, wird dabei weder durch eine Reflexion auf die Bedeutung des Feuilletons in beiden Zeitungen in den Jahren seit 1950 kontextualisiert noch finden sich irgendwelche Ergebnisse dieses Vergleichs. Der entscheidendere Schwachpunkt ist aber, dass die beiden Vergleichsgrößen völlig unzureichend sind - es wäre unbedingt notwendig gewesen, auch andere Zeitungen einzubeziehen. So hat „Die Welt“ gerade in den Jahren unmittelbar nach dem Krieg mit einigen durchaus folgenreichen Veröffentlichungen von Dokumenten zur Riefenstahl-Rezeption beigetragen. 1949 etwa publizierte die Zeitung zwei Briefe Riefenstahls an den Leiter der Fachschaft Film, Carl Auen, in dem sie die Weigerung des Kameramanns Schünemann denunziert hatte, für „Triumph des Willens“ zu arbeiten. In der gleichen Ausgabe wurde auch ein Faksimile eines enthusiastischen Telegramms abgedruckt, das Riefenstahl an Hitler geschickt hatte.
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Ohnehin gibt das Kapitel keine Erläuterungen darüber, welches die Anlässe der öffentlichen Diskussion über Riefenstahl waren. Doch gerade die jeweils in sehr vielen Zeitungen und Zeitschriften behandelten Fragen - zunächst die Spruchkammerverhandlungen, dann die Diskussionen über Riefenstahls Rolle als Zeugin eines Massakers der Wehrmacht vom September 1939 im polnischen Konskie oder über Riefenstahls Beschäftigung von „Zigeunern“ als Komparsen für ihren Film „Tiefland“ - hätten verdeutlichen können, dass die Rezeption nicht etwa nach der vermuteten politischen Ausrichtung zweier Zeitungen hin aufschlussreich ist, sondern erst im zeithistorischen Kontext und abhängig vom Anlass der Berichte. In diesem Zusammenhang wäre auch zu wünschen gewesen, nicht bloß einige altbekannte Texte nachzuweisen, sondern die tatsächlich recht zahlreichen Artikel in diversen Presseorganen - schließlich ist „Rezeption“ ein Begriff, der Mindestgrößen der untersuchten Reaktionen fordert. Noch besser wäre es allerdings gewesen, wenigstens einige der mittlerweile in Büchern veröffentlichten Texte auch verfügbar zu machen. Das Interessante der Rezeption der unmittelbaren Nachkriegsjahre ist, dass Riefenstahl im Wesentlichen aus drei Anlässen zum Gegenstand der Berichterstattung wurde: Erstens waren es von der Regisseurin selbst angestrengte Prozesse gegen Berichte über ihre Tätigkeit während des Nationalsozialismus. Zweitens handelte es sich um Berichte über die Spruchkammerverhandlungen, in deren Abfolge Riefenstahl von einer „nicht Betroffenen“ zu einer „Mitläuferin“ umgruppiert wurde. Drittens gaben von Riefenstahl lancierte Nachrichten über Filmprojekte sowie die (Wieder-)Aufführungen von „Das blaue Licht“ und „Tiefland“ den Anlass der Berichte ab.
Der erste Fall ist dabei sozusagen die „Skandalchronik“, denn Riefenstahl strengte die Prozesse (vor allem gegen die „Neue Revue“) immer dann an, wenn Zeitungen oder Zeitschriften Enthüllungsgeschichten über sie brachten. Der tatsächliche Gehalt der Berichte stand dabei schon deswegen nicht im Mittelpunkt der Rezeption, weil die Zivilprozesse eine historische Würdigung der Fakten schlicht nicht vornehmen konnten. Der sachliche Kern auch sensationell aufgemachter Reportagen - vor allem über die Beschäftigung von Zwangsarbeitern für „Tiefland“ und über das Massaker in Konskie - spielte eine geringere Rolle als die Frage, wer die Prozesse wegen Rufschädigung schließlich „gewann“. Das ist insofern interessant, als ein wesentliches Merkmal der Rezeption die Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern von Konskie war - es gab keinerlei Anstrengungen der deutschen Presse, nach den tatsächlich Verantwortlichen zu fahnden. Sie begnügte sich vielmehr mit den Vorwürfen an die Adresse Riefenstahls oder, im Gegenteil, mit der Genugtuung über ihren „Sieg“ vor Gericht.
Im zweiten Fall überwog nach den ersten beiden Verhandlungen vor Spruchkammern die Kritik an der Einstufung der Regisseurin als „nicht betroffen“. Diese Urteile hatten auch die Veröffentlichung einiger Akten aus dem ehemaligen Archiv der Reichskulturkammer zur Folge, die Riefenstahls Behauptungen widersprachen und ihre Rolle im Nationalsozialismus in deutlich ungünstigerem Licht erscheinen ließen.
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In ganz anderer Form sorgte Riefenstahl während der 1950er-Jahre durch ihre Filme und ihre Projekte für Schlagzeilen. Im Gegensatz zu den vorgenannten Ereignissen griff auch die Filmpresse diese Themen auf. Die letztlich gescheiterten Projekte und die beiden nach 1945 herausgebrachten Filme fanden dort positive oder doch wenigstens nicht hämische Resonanz. Auch die Tagespresse, die mitunter Verrisse publizierte, war gegenüber dem filmischen Werk und neuen Projekten im Großen und Ganzen durchaus nicht feindselig eingestellt.
Das Kapitel „Ausstellungen“ ist ein weiterer Bereich der Website. Dort zeigt sich das Manko, dass die neuere Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (2003) und die Fotoausstellungen (u.a. 2001 in Amsterdam), die wie eine regelrechte Verkaufsoffensive für „Riefenstahl-Fotos“ auf die erfolgreiche Ausstellung der Berliner Galerie „Camera Works“ vom Mai 2000 folgten, hier nicht abgedeckt werden. Vor allem fällt auf, dass die Website die Position eines „Besuchers aller Ausstellungen“ suggeriert. Ob ein an der Site Beteiligter 1992 tatsächlich die Ausstellung in Tokio gesehen hat, lässt sich immerhin bezweifeln; die Urteile über die damalige Präsentation sind jedenfalls zu autoritativ geraten. Auch hier wäre, mit Blick auf die doch zentral thematisierte Rezeption, die Wiedergabe mehrerer Stimmen besser gewesen.
Beim Kapitel „Bildzitate“ findet sich ein Verweis auf die „Rechtslage“, welcher eine tabellarische Übersicht der in meinem Buch gegebenen Argumentation darstellt.1 In der Tat dürfte es nicht einfach gewesen sein, die Filmausschnitte zu erlangen. Die Resümees über die vorhandenen Sequenzen liest man mit Gewinn. Eines der gewählten Beispiele betrifft einen Ausschnitt mit Julius Streichers Rede auf dem Parteitag der NSDAP, der zunächst in „Triumph des Willens“ gezeigt und dann mit ganz anderer Intention in späteren Filmen zitiert wurde. Bei diesen Filmen handelt es sich um „Why we fight“, „Nacht und Nebel“, „Mein Kampf“ und „Hitler, eine Bilanz“. Die Beschreibungen sind knapp und gelungen. Das gilt auch für die weiteren in diesem Kapitel behandelten Zitate. Hier ist der Vorteil der Internetpräsentation durchaus spürbar - die Möglichkeit, den Vergleich durch das Abrufen der Zitate selbst vornehmen zu können. Gerade bei diesem Kapitel wünscht sich der Nutzer besonders stark eine Fortschreibung, wohl wissend, welche immensen rechtlichen Hürden dabei zu überwinden wären. So bleibt der Wunsch quasi die Anerkennung für das, was seinerzeit immerhin realisierbar war.
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Dass dieses Projekt nach dem August 2002 nicht fortgesetzt werden konnte, erklärt natürlich auch die Beschränkung der Bibliografie. Angesichts der zu Riefenstahls 100. Geburtstag erschienenen vielfältigen Publikationen ist dies mittlerweile ein Manko, das recht schwer wiegt. Neben den teilweise umfänglichen und interessanten Würdigungen in Zeitungen fehlen vor allem die Bücher von Lutz Kinkel und Jürgen Trimborn.2 Während aber die Mehrzahl der Websites, die sich mit Riefenstahl beschäftigen, wegen der hagiografischen Grundhaltung kaum brauchbar sind, bietet die Bochumer Site trotz der genannten Einschränkungen durchweg verlässliche Informationen.
1 Vgl. Rainer Rother, Leni Riefenstahl. Die Verführung des Talents, 2. Aufl. Berlin 2001.
2 Lutz Kinkel, Die Scheinwerferin. Leni Riefenstahl und das „Dritte Reich“, München 2001; Jürgen Trimborn, Riefenstahl. Eine deutsche Karriere. Biographie, Berlin 2002.