Flucht ins »Dritte Reich«

Wie Osteuropäer Schutz im NS-Staat suchten (1943–1945)

  1. Deutsche Pläne für die Evakuierung und Flucht der osteuropäischen Bevölkerung
  2. Wer floh mit den Deutschen?
  3. Wie gestaltete sich die Flucht?
  4. Die Aufnahme im Reich
  5. Fazit und Ausblick

Anmerkungen

Mit der Wende des Zweiten Weltkrieges und dem beginnenden Rückzug der Wehrmacht entstand für die Menschen, die in den besetzten Gebieten mit den Deutschen zusammengearbeitet hatten, eine neue Situation. Die Rückkehr der alten Machthaber, in deren Augen sie Landesverräter waren, würde ganz sicher Repressionen für sie bedeuten. Dabei war die Motivation zur Zusammenarbeit irrelevant, ja sogar der Grad der Freiwilligkeit. Kollaboration wird hier also im ursprünglichen Wortsinne von Zusammenarbeit gefasst. Ob diese erzwungen, aus Not, taktisch, opportunistisch oder aus Überzeugung erfolgte, oder gar als Kooperation zu kennzeichnen ist, spielte für die Angst vor Vergeltung keine primäre Rolle.[1]

Wer in militärischen Verbänden auf Seiten der Nationalsozialisten gekämpft oder in Polizeiformationen gedient hatte, wurde von den deutschen Autoritäten zunächst an anderer Stelle eingesetzt. Doch viele Kollaborateure aus Wirtschaft, Verwaltung, Justiz etc. flohen aus eigenem Antrieb in Richtung des Reichsgebietes. Die Furcht vor Repression musste dabei nicht einmal mit vorangegangener Kollaboration verbunden sein. Besonders in den 1939 von der Sowjetunion eingenommenen östlichen Gebieten des polnischen Staates sowie im Baltikum waren auch soziale Stellung oder politische Überzeugung Gründe, die Rückkehr der Sowjetmacht zu fürchten. Die Flucht nach Westen ist also nicht per se als Eingeständnis von Kollaboration zu werten. Vielmehr galt der Verratsvorwurf, der dem Kollaborationsbegriff immanent war, in Stalins Sowjetunion auch für andere als unzuverlässig angesehene Gruppen, wie die Kollektivierungspolitik und der »Große Terror« den Menschen eindrücklich gezeigt hatten.

Die Zahl der Flüchtlinge ist nicht vollständig bekannt, soll aber weiter unten diskutiert werden. Einen ersten Hinweis gibt Pavel Polian, der von einer Million Menschen spricht, die teils freiwillig, teils zwangsweise mit der Wehrmacht aus sowjetischem Gebiet gen Westen zurückgewichen seien.[2] Diese Unterscheidung ist allerdings nicht immer zweifelsfrei zu treffen – in Quellen aus NS-Provenienz wird der Euphemismus »Evakuierte« häufig pauschal für die verschleppte Bevölkerung, also Zwangsevakuierte, und Flüchtlinge gleichermaßen verwandt.[3] Hinzu kommt, dass die Grenzen der Freiwilligkeit in manchen Fällen nur schwer zu fassen sind. Hier sind in erster Linie diejenigen von Interesse, die tatsächlich aus eigenem Antrieb mit den Deutschen flohen und später größtenteils zur Gruppe der Displaced Persons (DPs) gehörten.

Ihre Flucht stand im Zusammenhang mit der propagandistischen Wende, die die NS-Führung nach Stalingrad vollzogen hatte, um Zustimmung zum »totalen Krieg« sicherzustellen. Die Sowjetunion wurde nun als der Hauptfeind präsentiert, und der Kampf sollte offiziell nicht mehr dem Gewinn von »Lebensraum« im Osten dienen, also nicht mehr der rassistischen Idee vom »Herrenmenschentum« folgen, sondern als ein »Abwehrkampf gegen den Bolschewismus« erscheinen, dem auch »fremdvölkische« Verbündete zustimmen konnten. Am 5. März 1943 wandte sich Goebbels in der Folge der propagandistischen Neuausrichtung mit der Aussage an die Presse, die »Ostvölker« und insbesondere die »Ostarbeiter« seien Verbündete und müssten gut behandelt werden. Seine Pläne zur Gleichbehandlung von West- und Osteuropäern wurden allerdings vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA),[4] der Partei und schließlich auch der Abwehr zurückgewiesen.[5] Als Kompromiss entstand ein Merkblatt (15. April 1943), das bis Ende 1944 Grundlage der Ausländerpolitik des Reiches war. Darin wurde eine würdige Behandlung der »Ostarbeiter« angeordnet und Zuwiderhandlung mit schweren Strafen belegt – doch die Realität sah anders aus. Denn in der polykratischen Administration herrschten Kompetenzgerangel und Konfusion hinsichtlich der Ausländerpolitik. In den besetzten Ostgebieten stritten hauptsächlich die Reichskommissare und ihre Zivilverwaltungen, die Wehrmacht und das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete (RMO) um Einfluss.[6] Im Reich waren das RSHA, der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz (GBA), die Deutsche Arbeitsfront (DAF), das Propagandaministerium und das RMO an der Gestaltung der Politik beteiligt. Ulrich Herbert merkt dazu an, dass es aufgrund der großen ideologischen Bedeutung des Themas bis zum Untergang des »Dritten Reiches« nahezu unmöglich war, echte Kompromisse hinsichtlich der Ausländerpolitik zu erzielen.[7]

Grundsätzlich lassen sich drei Hauptmotive ausmachen, die den Umgang mit den Flüchtlingen beeinflussten: erstens Rassismus als zentraler Bestandteil der NS-Ideologie, der Osteuropäer zu »slawischen Untermenschen« degradierte; zweitens ökonomische Nützlichkeitserwägungen, die sich insbesondere auf den Arbeitseinsatz bezogen, aber auch auf den militärischen Komplex; drittens politische Bündnistreue gegenüber Kollaborateuren und weltanschaulich Gleichgesinnten, in die ebenfalls militärische Erwägungen einfließen konnten.[8]

Daraus ergibt sich für das vorliegende Thema die Frage, welches dieser Motive im Umgang mit den Flüchtlingen dominierte. Wie wirkte sich die gegen Ende des Krieges aufkommende Bereitschaft, zugunsten der militärischen Zusammenarbeit politische Zugeständnisse an osteuropäische Kollaborateure zu machen, auf die Behandlung der Flüchtlinge aus? Zunächst sollen vor diesem Hintergrund die Rückzugsplanungen der Deutschen und die daraus folgenden Potentiale und Motive zur Flucht betrachtet werden. Als Nächstes bietet es sich an, die konkrete Ausgestaltung der Flucht ins Auge zu fassen, um schließlich die Aufnahme im Reich durch die NS-Behörden zu beleuchten. Von besonderem Interesse ist dabei, wie deren Motive in konkrete Politik umgesetzt wurden. Inwiefern unterschied sich die Behandlung der freiwillig Geflohenen von der Behandlung ihrer zwangsarbeitenden Landsleute, und zwar durch den nationalsozialistischen Staat einerseits und durch private Arbeitgeber im direkten Kontakt andererseits?

Nur die Perspektive der herrschenden Nationalsozialisten zu untersuchen liefe Gefahr, die Flüchtenden lediglich als Objekte von deren Machtfantasien zu begreifen. Hier soll exemplarisch auch die subjektive Perspektive von Flüchtlingen nachgezeichnet werden, was vorschnelle moralische Urteile im Sinne von Freund-Feind-Schemata verblassen lässt. Was gab den Ausschlag für ihre Flucht? Welche Motive der NS-Politik dominierten ihre Wahrnehmung?

Während die Politik der NS-Institutionen durch deren einschlägiges Schriftgut und vorhandene Forschungsergebnisse erschlossen werden kann, bieten sich für die Perspektive der Flüchtlinge einzelne Memoiren und Zeitzeugen-Interviews als Quellen an. Hier kommen einige Beispiele von ukrainischen Flüchtlingen aus meinem Forschungsprojekt zu Displaced Persons zum Einsatz, die zwar eine gewisse Bandbreite an Erfahrungen abdecken und auch für andere Osteuropäer als exemplarisch gelten können, gleichzeitig jedoch eine positive Verzerrung ergeben, da ihre im Westen abgelegten Zeugnisse einen erfolgreichen Ausgang der Flucht voraussetzen.

1. Deutsche Pläne für die Evakuierung und Flucht
der osteuropäischen Bevölkerung

Als die Wehrmacht ab 1943 empfindliche Geländeverluste hinnehmen musste, war ihre Vorgehensweise ideologisch vom Konzept des »totalen Krieges« bestimmt. Gebiete 20 Kilometer hinter der Front sollten komplett geräumt, die Bevölkerung sollte verschleppt und andernorts zur Arbeit eingesetzt werden. Und tatsächlich wurde diese Strategie an einigen Stellen umgesetzt, Nowgorod beispielsweise war bei seiner Befreiung menschenleer.[9] Die Politik der »verbrannten Erde« führte mancherorts dazu, dass ansonsten zurückbleibende Einheimische massenhaft von Deutschen ermordet wurden.[10] Von besonderem Interesse war primär die »arbeitsfähige« Bevölkerung; Männer zwischen 14 und 55 sowie Frauen zwischen 14 und 45 Jahren sollten zwangsweise mitgeführt werden.[11] Im weiteren Verlauf des Rückzuges wurden die Ziele weiter abgesenkt. Das Oberkommando der Heeresgruppe (HG) Süd betonte im Januar 1944, dass die Wehrmacht nicht die gesamte Bevölkerung mitzuführen gedenke, und wies die Armeen an, die Zivilverwaltungen nur bei der Rückführung bestimmter Gruppen zu unterstützen: von Wehrfähigen, allen bei Wehrmacht und Zivilverwaltung Beschäftigten, Mitarbeitern von landeseigenen Verwaltungen sowie Angehörigen von Schutzmannschaften und »Ostarbeitern«, sofern die Angehörigen dies wünschten. Wehrfähige sollten mit Hilfe des Kriegsgefangenenapparates »evakuiert« werden.[12]

Konkrete Pläne für den Rückzug im Zusammenhang mit der Bevölkerungspolitik waren durchaus vorhanden. Der Befehlshaber des Rückwärtigen Heeresgebietes (Berück) Süd erhielt am 8. März 1943 vom Oberquartiermeister Befehl, Maßnahmen für den »Richard-Fall« einzuleiten: »Rückführung aller wichtiger Personen aus Stadt- und Gemeindeverwaltung, Wirtschaft und sonstigen Bevölkerungskreisen, die sich für deutsche Interessen besonders eingesetzt haben, mit Familien vorbereiten und nur soweit durchführen, daß ordnungsgemäße Verwaltung sichergestellt bleibt.« Die verbliebene als arbeitsfähig angesehene Bevölkerung sollte in Kolonnen zu Schanzarbeiten eingesetzt und später geschlossen nach Westen verschleppt werden.[13]

Die hier angeführten Prioritäten bei der »Evakuierung« schwankten nicht nur je nach Kriegslage, sondern auch je nach beteiligten Instanzen. Dennoch lässt sich eine grobe Norm ablesen. An erster Stelle standen Menschen mit kriegswirtschaftlich relevanten Kenntnissen. So wurden aus Charkiw im August 1943 insgesamt 28 Wissenschaftler an das Endokrinologische Institut nach Lemberg gebracht und 125 weitere direkt ins Reich überstellt; Fachkräfte der Rüstungsindustrie aus Dnjepropetrowsk sollten folgen.[14] Die Nützlichkeitserwägung stand hier also an oberster Stelle.

Anschließend kamen diejenigen, die zuverlässig an der Seite NS-Deutschlands standen. Das RMO wies die Reichkommissare Ostland (RKO) und Ukraine (RKU) schon im Februar 1943 nachdrücklich darauf hin, dass die Aufnahme »antibolschewistischer Flüchtlinge« zwar eine »Belastung« sei, aber gleichzeitig eine »Aufgabe von besonderer politischer Bedeutung«. Sie bewiesen durch ihre Flucht, dass sie die deutsche Herrschaft bevorzugen würden – diese Haltung müsse zweckmäßig genutzt werden.[15] Ein weiteres Motiv, die Flüchtlinge nicht wie Zwangsarbeiter zu behandeln, lag in der Furcht, den Zulauf zu den diversen Partisanenformationen zu vergrößern.[16] Eine Verfügung, die die konkrete Privilegierung von als glaubhaft antibolschewistisch eingestuften Kollaborateuren hinsichtlich des Abtransports, der Unterbringung und Versorgung regeln sollte, hatte sich für die zivilen Verwaltungen von RKO und RKU im Sommer 1944 durch den Kriegsverlauf allerdings weitgehend erledigt.[17]

Die Heeresgruppe Mitte definierte einen »bevorzugten Flüchtlingskreis« im Juli 1944 dagegen detaillierter und drängte auf schnellen Abtransport. Dazu zählte das Personal des Ordnungsdienstes, dessen Offiziere in ein Ausbildungslager zur besonderen Verwendung für landeseigene Freiwillige auf dem Inselgelände Lötzen (Ostpreußen) geschickt wurden, während die Mannschaften auf dem Truppenübungsplatz Neuhammer gesammelt wurden, um in deutsche Divisionen eingegliedert zu werden; ferner Angehörige von Ordnungsdienst-Männern (OD) und von Soldaten der Russischen Befreiungsarmee (ROA), die über Thorn zum Arbeitseinsatz ins Reich verbracht werden sollten; schließlich leitende Angestellte der landeseigenen Verwaltung, die für die Zentralstelle für Angehörige der Völker des Ostens (ZAVO) ausgewählt worden waren, sowie Kader des Weißrussischen und Russischen Jugendwerks vom Rajonführer aufwärts nach Forst/Lausitz.[18]

Der angesprochenen Aufnahme von Familienmitgliedern der Kollaborateure im Reich wurde Priorität eingeräumt, um Desertionen zu verhindern, die aus dem Wunsch geschahen, die Angehörigen zu versorgen.[19] Der RKO Lohse forderte entsprechend, dass »Kampf- und Produktionskraefte« zwar im Reichkommissariat verbleiben sollten, fügte jedoch an: »[…] die Einsatzbereitschaft und der Gehorsam der einheimischen Kraefte in der Wehrmacht, Polizei, Wirtschaft und Verwaltung gewinnen […] wesentlich durch Sicherstellung ihrer Familien im Reich.«[20] Hier klingt »Sicherstellung« weniger nach Schutz und Fürsorge als nach Absicherung der Loyalität durch dauerhaften Zugriff auf die Angehörigen.

Beim Rückzug ergab sich also folgende Prioritätensetzung für die (freiwillige oder erzwungene) Evakuierung vor dem Eintreffen der Roten Armee: erstens Spezialisten, zweitens noch zu verwendende Kollaborateure und drittens deren Angehörige, viertens die freiwillig Flüchtenden, bei denen ein deutschfreundliches Potential vermutet wurde, und fünftens schließlich die zu verschleppenden Arbeitskräfte.

Als primäres Motiv lassen sich damit Nützlichkeitserwägungen ausmachen, die von Loyalitätsgedanken nur ergänzt wurden. Rassismus spielte selbstverständlich auch eine Rolle, etwa bei der bevorzugten Versorgung von »Volksdeutschen«. Allerdings wurden auch sie aufgrund einer angenommenen »Vermischung mit fremdem Volkstum« in einem gewissen Rahmen diskriminiert.[21] Die durchgängig rassistische Behandlung der Osteuropäer wurde gegenüber den Flüchtlingen ansonsten partiell zugunsten von Opportunitätsdenken zurückgestellt. In vollem Ausmaß traf sie besonders diejenigen Menschen, die nur zwangsweise mittels ihrer manuellen Arbeitskraft in den Dienst des »Endsiegs« gestellt werden konnten und in den Augen der NS-Autoritäten jeglichen Wert verloren, wenn sie nicht mehr arbeitsfähig waren.

Während Kollaborateure auch aus eigenem Antrieb um Transport ins Reich nachsuchten,[22] scheiterte die Verschleppung der auszubeutenden einfachen Arbeitskräfte trotz größter Brutalität häufig an mangelnden Personalressourcen, logistischen Problemen und den militärischen Gegebenheiten. Aus dem Bereich der Wirtschaftsinspektion Süd (ohne Reichskommissariat Ukraine) waren im September 1943 von sechs Millionen Menschen nur 600.000 zwangsevakuiert worden. Ziel war die Verschleppung hinter den Dnjepr, wo allein 100.000 zum Bau einer Befestigungslinie eingesetzt werden sollten. Allerdings kamen nur 325.000 der Zwangsevakuierten dort an – der Rest hatte sich unterwegs abgesetzt, war an den Strapazen gestorben oder von der Front eingeholt worden. Denkbar ist auch, dass ein Teil von den Deutschen umgebracht wurde, als das Evakuierungsziel nicht mehr zu erreichen war. Dazu kamen 75.000 auf eigene Faust Geflüchtete. Von diesen 400.000 Menschen war nach einer ernüchterten Bilanz der Wirtschaftsinspektion Süd (WiIn Süd) nur ein Drittel arbeitsfähig.[23] Hier lässt sich nicht nur der mangelnde Erfolg der Zwangsevakuierungen ablesen, sondern erstmals eine Größenordnung für Flüchtlingszahlen erkennen, die bei allen regionalen Unterschieden zunächst als grobe Schätzung dienen mag.

Entsprechend wurde die allgemeine Evakuierungsbereitschaft im August 1943 im Bereich der WiIn Süd als gering eingeschätzt, im ländlichen Raum aber höher als in den Städten, und am höchsten dort, wo die Rote Armee im Winter 1942/43 nur kurzzeitig Fuß gefasst hatte.[24] Die letzte Aussage entspricht der Propaganda, die auch unter Zwangsarbeitern im Reich verbreitet wurde,[25] und ist als solche anzusehen. Der Berück Süd schilderte im Februar 1943 tatsächlich gegenteilige Erfahrungen, die mit dem schwindenden Glauben an einen deutschen Sieg erklärt wurden.[26] Die erste Beobachtung (Stadt-Land-Diskrepanz) könnte dagegen als eine Folge der tendenziell sowjetfreundlicheren Einstellung der städtischen Arbeiterschaft gegenüber der kollektivierungskritischen Landbevölkerung gedeutet werden.

Obwohl Wehrmacht, Sicherheitsapparat und Zivilverwaltungen beim Verschleppen der Bevölkerung hinter ihren Zielen zurückblieben, gab es im weiteren Verlauf des Rückzuges auch Maßnahmen, um die Westwanderung zu beschränken. Nach Rücksprache mit Hitler ordnete das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) im März 1944 an, im Baltikum nur unmittelbar von Kampfhandlungen betroffene Gebiete zu räumen, d.h. zu diesem Zeitpunkt lediglich 30 Kilometer an der Ostgrenze Estlands. Estnische und lettische Gebiete sollten, da waren sich OKW, RMO und Reichsführer SS (RFSS) einig, »falls wider Erwarten nötig« aber komplett geräumt und die Bewohner im Reich untergebracht werden, da Litauen schon keine Menschen mehr aufnehmen könne.[27] Das »Ordnen von Räumen«[28] mithilfe von Umsiedlungs- und Vertreibungspolitiken sollte in diesem Fall situativ bedingt als temporäre Maßnahme zur Schwächung des Gegners erfolgen und nicht als genuine »Lebensraum«-Politik, auch wenn die zugrundeliegenden Vorstellungen über die Möglichkeiten von Bevölkerungstransfers dieselben waren.

Das RMO hatte sich eine Woche zuvor gegenüber der Wehrmacht schon dafür eingesetzt, die Zwangsevakuierungen auf wehr- und arbeitsfähige Männer zu beschränken, da das RKO mit der Aufnahme überfordert sei. 78.000 Menschen, die bereits aus dem Gebiet der Heeresgruppe Mitte in den Generalbezirk Litauen »evakuiert« worden seien, überstiegen bereits die im Rahmen dieses Vorgehens zu erwartenden Zahlen, und das RKO wurde vom RMO angewiesen, ihre Aufnahme abzulehnen.[29] Hier offenbart sich einer der Hauptgründe für Kontroversen bezüglich der »Evakuierung« innerhalb des NS-Systems. Während dem GBA die Zahlen nicht hoch genug sein konnten und auch die Wehrmacht die einheimische Bevölkerung als Last betrachtete, sahen sich die Zivilverwaltungen der besetzten Gebiete mit der Aufnahme immer größerer Zahlen von Flüchtlingen und Zwangsevakuierten schlicht überfordert. Als ihre eigenen Gebiete schließlich von der Absetzbewegung erfasst wurden, suchten sie andererseits kriegswichtige Funktionen so lange wie möglich zu erfüllen und begrenzten die Ausreise. Im RKO sollten Durchlassscheine im April 1944 zunächst nur an deutschstämmige Kinder, Frauen und Männer über 60 Jahren sowie Angehörige von Kollaborateuren ausgestellt werden, für alle anderen erst mit Zustimmung der Arbeitsämter und der Sicherheitspolizei.[30] Räume wurden hier also auch mittels Fluchtunterbindung geordnet. Die als Verschiebemasse begriffene Bevölkerung musste, wie später auch in Ostpreußen, die Standhaftigkeit des NS-Systems demonstrieren. Ein weiteres Motiv, den Abtransport der einheimischen Bevölkerung zu begrenzen, war die Priorität von militärischer Fracht. SS und Polizei überprüften daher nicht nur diejenigen, die ins Reich einreisen wollten, sondern hatten darüber hinaus sicherzustellen, dass keine Transportkapazitäten, die für kriegswichtige Dinge gebraucht werden konnten, für Flüchtlinge genutzt wurden.[31]

Das Ziel, sowohl die Flüchtenden als auch die Zwangsevakuierten möglichst effektiv zur Arbeit in der Kriegsmaschinerie einzusetzen, erreichten die Deutschen nicht im erwünschten Maße. Im September 1943 beklagte sich die WiIn Süd, dass von den 400.000 »Evakuierten« und Geflüchteten aus dem Gebiet der Heeresgruppe Süd erst 50.000 in den Auffangräumen erfasst worden seien.[32] Und im RMO hieß es im Juli 1944: »Ein Überblick über die wild zurückflutenden Flüchtlingstrecks, die durch Einsatzstäbe Sauckel erfaßt und gesteuert werden, ist zurzeit nicht zu halten.« Zahlenangaben seien erst bei feststehender Front möglich.[33] Diese Unübersichtlichkeit war ein Ausdruck der Agonie des NS-Systems auf dem Rückzug aus den besetzten Gebieten. Deutlich scheint der Zerfall von Ordnungen als universale Fluchtursache auf, die umso wirksamer wird, je radikaler Ordnungsvorstellungen zuvor in die Tat umgesetzt wurden.

Und je weiter die NS-Ordnung zerfiel, desto unübersichtlicher wurde die Situation, denn die dynamische Frontentwicklung löste stets neue Wellen der Flucht aus, bei denen sich die Zahlen multiplizierten, da der erste Teil der in die Reichskommissariate Geflüchteten nun erneut weiter gen Westen zog. Für die Zwangsevakuierten galt das allerdings kaum. Zwar waren bis zum Frühjahr 1944 fast 440.000 »Evakuierte« im RKO eingetroffen,[34] bis Ende Juli aber nur 40.000 Facharbeiter inklusive Angehörigen sowie 19.000 Kollaborateure ins Reich gebracht worden.[35] Die übrigen Zwangsevakuierten, von denen viele schon auf den Märschen und in den Auffanglagern ums Leben kamen, wurden in vielen Fällen ohne Nahrung sich selbst bzw. der Sowjetunion als »nutzlose Esser« überlassen oder massenhaft ermordet.[36]

Die bei verschiedenen Dienststellen vorhandenen, nicht immer deckungsgleichen Pläne für den Rückzug waren also nicht vollständig zu realisieren. Die mit höchster Priorität eingestuften Fachkräfte und Kollaborateure wurden noch am ehesten bis ins Reichsgebiet transportiert. Die freiwillig Flüchtenden suchten sich notfalls eigenständig Wege nach Westen, während die zwangsevakuierten Arbeitssklaven angesichts der Kriegslage und ihres entgegengesetzten Interesses nur selten den gesamten Rückzug mitmachten.

2. Wer floh mit den Deutschen?

Im September 1943 brach Alla Gower, damals fünf Jahre alt, mit ihrer gesamten Familie aus einem Dorf bei Charkiw in Richtung Westen auf. Die Fluchtmotive waren nach Gowers Aussage in erster Linie frühere Repressionserfahrungen: Der Großvater war als Kulak nach Sibirien verbannt worden, die Hungerkatastrophe infolge der brutalen Kollektivierungspolitik 1932/33 hatte mehrere Familienmitglieder das Leben gekostet, und einige Angehörige waren später noch den großen stalinschen Säuberungen zum Opfer gefallen. Unter deutscher Herrschaft hatte ihr Vater dann das zuvor enteignete Haus zurückerhalten. Ob und ggf. welche Gegenleistungen er dafür erbrachte, ist in den schriftlichen Familienerinnerungen nicht überliefert.[37] Da lebensgeschichtliche Narrative dazu neigen, Brüche zu nivellieren, ist in Erinnerungsquellen allerdings auch kaum mit NS-freundlichen Motiven zu rechnen.

Ebenfalls nur vermuten kann man deutschfreundliche Motive bei Dr. Vasyl Pljušč, einem ukrainischen Mediziner, der unter deutscher Besatzung zum Leiter der Kiewer Tuberkuloseklinik aufgestiegen war. Als sich die Front Kiew näherte, setzte er seine Arbeit zunächst in Lemberg und einige Zeit später in Bratislava fort und leitete schließlich 1945 eine ukrainische Ambulanz in Berlin, floh aber vor Eintreffen der Roten Armee weiter nach Konstanz.[38] Seine politische Zugehörigkeit zur Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN-B)[39] lässt zwar auf ideologische Nähe zum Nationalsozialismus schließen, doch könnte auch allein die leitende Funktion unter deutscher Besatzung zur Fluchtentscheidung geführt haben.

Wie in diesen Beispielen ist die Unterscheidung zwischen politischer Überzeugung und Angst vor Repression als dem primären Motiv meist nicht möglich – vermutlich traf häufig beides in unterschiedlichen Gewichtungen zusammen. Die Deutschen machten unter den freiwillig flüchtenden Zivilisten insbesondere Polizisten, Hilfswillige, Starosten (Dorfälteste), Verwaltungsbeamte und Direktoren von Wirtschaftsbetrieben etc., also Kollaborateure aus.[40]

Diese hatten in der Tat guten Grund zu fliehen, denn sie befürchteten völlig zu Recht, Opfer politischer Repression zu werden. Ihre Zahl lag Dieter Pohl zufolge allein bei Wehrmacht und Polizei in der Sowjetunion zwischen 1 und 1,2 Millionen; hunderttausende weitere kamen für den zivilen Sektor hinzu.[41] Ihre Furcht vor Vergeltung war schon während des Krieges gerechtfertigt, kommunistische Partisanen griffen sie immer wieder gezielt an. Wer in deutscher Uniform von der Roten Armee gefasst wurde, überlebte das häufig nicht, und auch nach dem Krieg wurden noch mehr als 400.000 Sowjetbürger unter dem Vorwurf der Kollaboration verurteilt.[42] Jeder, der in den besetzten Gebieten gelebt hatte, war verdächtig; schon Eisenbahner und Lehrer galten per se als »faschistische Helfershelfer«.[43] Für die Betroffenen war das durchaus vorauszusehen, denn die Erinnerungen an die brutale Zwangskollektivierung und den Großen Terror der 1930er-Jahre bildeten die Schablone, vor der die Nachkriegsgesellschaft imaginiert wurde. Tatsächlich fielen die »Säuberungen« dann jedoch zurückhaltender aus.[44] Und bis weit in die KPdSU hinein wurden auch Grautöne der Kollaboration wahrgenommen, freilich ohne einen Niederschlag in der offiziellen Politik zu finden.[45]

Neben persönlicher Kollaborationsbelastung konnten Fluchtgründe ebenso in der Furcht vor sowjetischer Repression wegen der politischen Einstellung, der sozialen Position oder gesellschaftlichen Funktion bestehen, wobei eine erhebliche Schnittmenge mit den Kollaborateuren anzunehmen ist. Die Flüchtlinge entstammten tatsächlich überwiegend höheren sozialen Schichten und besaßen die nötigen Kontakte und finanziellen Ressourcen, um mit ihren Familien Richtung Westen zu fliehen.[46] Die Intelligenzija, besonders Geistliche, Künstler und Wissenschaftler, war unter den Flüchtenden stark vertreten.[47] Beispielsweise flohen alle zwölf Bischöfe der nationalistischen Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche ins Reichsgebiet.[48] Für Litauen konstatiert Egidijus Aleksandravicius eine erhebliche Schwächung der intellektuellen Kapazität, da 60.000 Menschen, die den größten Teil der nationalen Elite stellten, mit den Deutschen das Land verließen.[49] Ihr Antikommunismus machte außerdem nationalistische Aktivisten zu einer unter den ins Reich Flüchtenden überproportional vertretenen gesellschaftlichen Gruppe.[50]

Bei ihrer Fluchtentscheidung setzten die Menschen, so könnte man annehmen, auf das Loyalitätsmotiv der NS-Administration, welches die Grundlage der Propaganda gegenüber den Menschen in den besetzten Ostgebieten bildete.[51] Doch in dieser Phase des Krieges, nach über zwei Jahren Besatzungsherrschaft, konnte kaum jemand mehr an eine würdige Behandlung »slawischer Untermenschen« im Reich glauben. Auch wenn die Kollaborationspresse weiterhin mit dem hohen Lebensstandard im Reich warb,[52] ließen die Praxis der Zivilverwaltung in den Reichskommissariaten und die Briefe der Zwangsarbeiter eher auf eine Dominanz der rassistischen und ökonomischen Motive des NS-Regimes schließen.

Wenn man ein stark simplifizierendes rationales Handlungsmodell zugrunde legte, wären also diejenigen geflohen, die bei der Abwägung der Gewaltmotive der verschiedenen Akteure zu dem Schluss gekommen waren, in Deutschland ein besseres Los zu erwarten als unter sowjetischer Herrschaft. Nur waren für nichtprivilegierte Menschen erstens kaum unabhängige Informationen verfügbar und daher weder die zu erwartende Behandlung vorauszusehen noch überhaupt der Ausgang des Krieges mit Sicherheit zu prognostizieren. Alla Gower berichtet beispielsweise, dass ihrer Familie im September 1943 absolut nicht ersichtlich war, wer den Krieg gewinnen würde.[53] Zweitens handeln Menschen in der Regel nicht streng rational, zumal dann, wenn eine von zwei Bedrohungen sich unmittelbar zu verwirklichen scheint.

Für eine tendenziell deutschfreundliche Haltung der Flüchtlinge spricht wiederum, dass sich auch dritte Wege auftaten, also Möglichkeiten, trotz der sich zuspitzenden Kriegslage den Weg ins Reich zu vermeiden. Bei der Evakuierung Lettlands stellten die deutschen Militärs beispielsweise fest, dass die deutschfreundliche Bevölkerung das Angebot zum Abtransport ins Reich annehme, während die nationalistisch gesinnten Kreise Zuflucht in Kurland suchten.[54] Von Dagö und Ösel wurden zwei Schiffe mit Esten nach Schweden evakuiert.[55] Ukrainer aus Galizien suchten zunächst Zuflucht in der Slowakei (s.u., Kap. 3). Gewiss standen solche Optionen nicht allen Fluchtwilligen offen, aber die Suche nach und die Nutzung von dritten Wegen zeigt, dass die Zivilbevölkerung nicht gänzlich dem Freund-Feind-Denken des Krieges verfallen war. Welche Motive tatsächlich den Ausschlag gaben, wenn die Flucht nach Deutschland angetreten wurde, kann – falls überhaupt – nur im Einzelfall rekonstruiert werden. Das Deutsche Reich konnte als politisch-ideologisches Vorbild dienen, als bester Bündnispartner gegen die Sowjetunion erscheinen oder auch nur als das kleinere von zwei Übeln interpretiert werden. Die Flucht konnte geleitet sein vom Glauben an den militärischen Sieg des Nationalsozialismus und vom Bestreben, rechtzeitig auf der Seite der Sieger zu stehen, oder sie konnte auch von Anfang an dem Wunsch entsprungen sein, in den Machtbereich der Westalliierten zu gelangen – oder eine reine Affekthandlung angesichts der zu erwartenden Rache.

Die deutsche Propaganda widmete sich dezidiert der Förderung zweier Motive. Neben den hinlänglich bekannten Aufrufen zu einem »europäischen Kampf gegen den Bolschewismus«, die eine Gleichberechtigung suggerierten,[56] und damit einhergehenden Schutzversprechen[57] zielte sie auch darauf ab, die Furcht vor sowjetischer Repression gezielt zu verstärken. Entsprechende Propaganda wurde millionenfach von Flugzeugen aus abgeworfen. Eines der Flugblätter, das in russischer Sprache gehalten war und eine sowjetische Urheberschaft vortäuschte, drohte allen, die mit den Deutschen kollaboriert hatten, explizit den Tod an.[58] Die Repressionsmotive des Gegners wurden hier also bewusst überspitzt und für die eigenen Zwecke genutzt. Denn die Sowjetpropaganda hatte sich während des Vordringens der Roten Armee in die entgegengesetzte Richtung entwickelt und Amnestien für Überläufer versprochen.[59]

Schätzungen über die Gesamtzahl der Flüchtlinge gehen weit auseinander. Pohl nennt eine Zahl von 2,3 bis 2,7 Millionen Menschen, die ab dem Frühjahr 1943 »evakuiert« wurden. Nach Wehrmachts-Schätzungen wichen 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung freiwillig vor der Roten Armee zurück.[60] Das wären für RKU, RKO und rückwärtige Heeresgebiete zusammen grob 7 bis 10 Millionen Menschen,[61] was völlig illusorisch ist. Nimmt man die größten Einzelgruppen zusammen, erhält man grundlegend andere Zahlen. Boeckh geht von 120.000 Ukrainern aus,[62] Aleksandravicius von 60.000 Litauern, [63] Froese gibt für Lettland 100.000 und für Estland 60.000 Flüchtlinge an.[64] Da die Westukraine und die baltischen Länder erst 1939 unter sowjetische Herrschaft gekommen waren und erheblich höheres Oppositionspotential besaßen als andere Teile der Sowjetunion, werden sie den Hauptteil der Flüchtlinge gestellt haben. Schätzungen für den besetzten Teil Russlands liegen nicht vor, allerdings sind einige Großgruppen bekannt, wie die »Kaminsky-Brigade« mit 30.000 Personen (inkl. Angehörigen) sowie 21.000 »Kosaken und Nordkaukasier«, die im Juli 1944 im Generalgouvernement aufgenommen wurden.[65]

Die durch Gilbert in den Raum gestellte Zahl von 1.850.000 Flüchtlingen scheint vor diesem Hintergrund deutlich zu hoch gegriffen und vom Kalten Krieg motiviert gewesen zu sein.[66] Schon realistischer erscheinen die Angaben bei Isajiw/Palij von 850.000 Flüchtlingen[67] und Polians Schätzung (s.o., Anm. 2) von einer Million Flüchtlingen und Zwangsevakuierten aus der Sowjetunion zusammen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass viele der Zwangsevakuierten zwar ihre Heimatorte verlassen mussten, aber dennoch nie bis auf Reichsgebiet kamen. Daraus lassen sich die zuweilen gravierenden Differenzen erklären, denn die oben genannten Schätzungen sind zum Teil vom Ende her gedacht, d.h. von den jeweiligen Nationalgruppen in den Displaced Persons Camps der westlichen Besatzungszonen. Von den 200.000 ukrainischen Displaced Persons in den Westzonen zählte ein Drittel bis die Hälfte zu den Flüchtlingen, von den ebenfalls 200.000 baltischen DPs eher noch mehr. Über russische DPs liegen keine quantitativen Angaben vor, nach 1945 bewegte sich ihre Zahl aber höchstens im fünfstelligen Bereich.

Wenn wir die Zahl von einem Prozent der Bevölkerung, das laut Wehrmachtsakten im August 1943 aus dem Gebiet der Heeresgruppe Süd aus eigenem Antrieb floh,[68] hochrechnen auf die für die Flucht relevanten Gebiete der beiden Reichskommissariate und der Rückwärtigen Heeresgebiete, kommen wir auf etwa 690.000 Flüchtlinge.[69] Diese Schätzung scheint angemessen zu sein, wenn man berücksichtigt, dass erstens auch von den Flüchtlingen nicht alle im Reich ankamen und zweitens diejenigen, die sich in von der Roten Armee kontrollierten Gebieten des Reiches aufhielten, zügig repatriiert wurden. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurde zudem ein Teil derjenigen, die vor Beginn des Zweiten Weltkrieges Bürger der Sowjetunion gewesen waren und sich bei Kriegsende in westalliierter Obhut befanden, zwangsweise repatriiert. Daraus erklärt sich, dass die Zahl der tatsächlich im Westen verbliebenen Flüchtlinge noch geringer ausfällt.

3. Wie gestaltete sich die Flucht?

Fluchtentscheidungen wurden häufig nicht spontan getroffen, sondern sorgfältig abgewogen und vorbereitet. Familiäre Netzwerke spielten dabei eine besondere Rolle. Der sowjetischen Führung war es nicht gelungen, die Familie als primären Loyalitätsverband durch den Staat zu ersetzen.[70] Alleinstehende und mittellose Fluchtwillige meldeten sich offenbar freiwillig zur Arbeit im Reich, denn die Zahlen stiegen 1944 an.[71] Hatten die Flüchtenden aber die entsprechenden Ressourcen, vollzog sich die Flucht oft in vielen kleinen Etappen. Milij Lukomskyj beispielsweise, ein wolhynischer Förster mit engen Kontakten zu ukrainisch-nationalistischen Kreisen, floh mit seiner Familie im Spätsommer 1943 zunächst vor den polnisch-ukrainischen Kämpfen in Wolhynien nach Lemberg. Dabei spielte Bestechung eine Rolle, denn Lukomskyj sicherte den Übergang vom RKU ins Generalgouvernement ab, indem er dem lokalen Grenzkommandanten zwei Enten zukommen ließ, und reiste bequem mit dem Zug. Als sich die Front Lemberg näherte, zog er im Februar 1944 mit weiteren Familienangehörigen nach Sokoliki am Rand der Karpaten, um nach zunehmenden Überfällen sowjetischer Partisanen schließlich mit einem großen Strom ukrainischer Flüchtlinge in die Slowakei weiterzuziehen – mal per Bahn, dann wieder mit Pferd und Wagen. Auf der nächsten Etappe der Flucht änderte sich deren Charakter grundlegend, denn im Durchgangslager Strasshof bei Wien wurde die Familie erstmals hinter Stacheldraht untergebracht.[72] Für diese Art der Flucht, die für die höheren Kreise der Westukraine typisch war, gab der Ukrainische Hauptausschuss in Krakau mittels seines dichten Netzes von lokalen Hilfswerken vielerlei Unterstützung – von Information und Versorgung bis zu Intervention bei deutschen Behörden und offenbar sogar Verhandlungen mit slowakischen Regierungsstellen. Timotej Mac’kiv, ein Jurist aus Galizien und hochrangiger Kader der Organisation Ukrainischer Nationalisten, reklamierte 1963 in seinen Memoiren, dass die Aufnahme von zehntausenden ukrainischen Flüchtlingen auf seine Verhandlungen im Namen des Ukrainischen Hauptausschusses mit dem slowakischen Außenministerium zurückzuführen gewesen sei.[73] In der Slowakei erhofften sich die ukrainischen Flüchtlinge erstens eine bessere Behandlung als im Reich, vor allem in Bezug auf Arbeitseinweisung, und zweitens erwarteten sie, den alliierten Bombardierungen zu entgehen. Im Frühjahr 1945 setzten die Ukrainer ihre Flucht angesichts der nahenden Roten Armee fort; der Hauptausschuss beabsichtigte in Lüben (Schlesien) sein neues Hauptquartier zu errichten.

Andere Flüchtlinge, insbesondere mit bäuerlichem Hintergrund, zogen ähnlich wie die »Volksdeutschen« von Anfang an in großen Trecks mit Pferd und Wagen und vielen Habseligkeiten los – wie Alla Gower, deren Familie sich aus dem Gebiet Charkiw mit vier Kindern, sieben Erwachsenen, Pferd und Wagen sowie einer Kuh in Richtung Dnjepr aufmachte.[74] Eine gute Behandlung dieser Trecks wurde von verschiedenen deutschen Dienststellen angemahnt. Die Geheime Feldpolizei forderte etwa, eine planmäßige Rückführung mit Verpflegung und medizinischer Betreuung durch landeseigene Kräfte und Lenkung durch Landwirtschafts-Führer zu gewährleisten und damit der Propaganda von deutschem Schutz tatsächlich zu entsprechen, um den Zulauf zu den Partisanen abzubremsen und das deutschfreundliche Potential ausnützen zu können.[75] Das RMO stellte ähnliche Überlegungen an.[76] Umgesetzt wurden solche Strategien nur teilweise. Der Berück Süd ernannte zwar Straßenkommandanten für die Flüchtlingsbewegung, verfolgte damit aber in erster Linie das Ziel, die Marschrouten des Militärs zu sichern. So erhielt die Feldkommandantur 298 die Weisung, auf dem »Abmarschweg der Volksdeutschen, der rückzugswilligen ukrainischen Bevölkerung und des Viehs« von Bila Zerkwa Richtung Bialopol die Panzerstraße nach Piszczyki notfalls mit Waffengewalt freizuhalten.[77]

Den Oberfeldkommandanturen, denen die Straßenkommandanten unterstellt waren, oblag es allerdings auch, die zivilen Dienststellen zur Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge anzuhalten.[78] Straßenkommandant zwischen Lubny und Kiew, einer Strecke von gut 200 km, wurde beispielsweise ein Major Ockert vom Ostbaubataillon 559, ausgestattet mit zwei PKW, zwei Offizieren und einigen Unteroffizieren. Für die Fluchtbewegung nahmen diese Straßenkommandanten Schlüsselpositionen ein: Ockert unterstanden am wichtigen Dnjepr-Übergang der Durchgangsstraße V bei Tscherkassy auch eine Dampf- und eine Kahnfähre mit einer Kapazität von 500 Pferdefahrzeugen täglich. Am Westufer des Dnjepr sollte die zuständige Ortskommandantur die Weiterleitung der Flüchtlinge übernehmen. Doch angesichts der knappen Transportkapazitäten stauten sich die Trecks am Dnjepr, neben den Flüchtlingen verstopfte auch das gen Westen getriebene Vieh die Fähren.[79] Die Familie Gower ließ ihr Pferdefuhrwerk dort zurück und wurde mit vielen anderen Flüchtlingen in Güterwaggons verladen und zum Arbeitseinsatz ins Reich gebracht.[80] Inwiefern hier Zwang angewandt wurde, kann nicht abschließend beurteilt werden, doch sprachen nachvollziehbare Gründe dafür, die langsamen Trecks freiwillig zu verlassen. Zwar wurden insbesondere die Landtrecks von deutscher Seite häufig positiv bewertet. Sie bewiesen gute Haltung, die anführenden Starosten (Dorfältesten) meldeten sich mit deutschem Gruß, und sie hätten Verpflegung und Habseligkeiten mitnehmen können, berichtete die Wirtschaftsinspektion Süd im September 1943.[81] Städtische Flüchtlinge hätten demgegenüber alles zurückgelassen, seien auf die schlecht funktionierende Verpflegung der Flüchtlingsorganisation angewiesen und strichen beschäftigungslos in der Westukraine umher.[82] Doch liefen die Trecks durch ihr geringes Tempo ständig Gefahr, von der Front eingeholt zu werden, und waren überdies Angriffen von sowjetischen Partisanen ausgesetzt, die in ihnen Helfer der Deutschen sahen.[83] Unterstützung bei der Betreuung von Flüchtlingen erhielten die Deutschen dagegen von den ukrainisch-nationalistischen Partisanen der UPA. Sie versorgten nach Westen fliehende Landsleute mancherorts mit Kleidung und Nahrung,[84] wobei sie vermutlich im Sinn hatten, ihr Selbstverständnis als Verteidiger des ukrainischen Volkes zu popularisieren. Ihr Hauptgegner war die Sowjetunion, und vor taktischer Zusammenarbeit mit den Deutschen schreckte die UPA auch im genuin militärischen Bereich nicht zurück.

4. Die Aufnahme im Reich

Grundsätzlich versuchten die deutschen Behörden Flüchtlinge schon in den besetzten Gebieten zu erfassen, d.h. Arbeitsfähige direkt zur Arbeit ins Reich zu schaffen. Offiziell waren sie dann »Fremdarbeiter« wie ihre zwangsdeportierten Landsleute auch, sie bekamen dieselben Dokumente. Ein markanter Unterschied war jedoch das Bestreben, Familien nicht auseinanderzureißen und bei der Arbeitsplatzwahl Vorkenntnisse und Berufserfahrungen zu berücksichtigen.[85] Aus Sumy im Nordosten der Ukraine wurden im Spätsommer 1943 beispielsweise 1.200 Familien geschlossen ins Reich verbracht.[86]

Ein großer Teil der tatsächlich Flüchtenden strömte jedoch unkontrolliert Richtung Westen, was den NS-Behörden als Gefahr erschien. Zwar befürworteten sie die Flucht der Einheimischen grundsätzlich, doch drohte deren Eigeninitiative erstens logistische Probleme zu verursachen, und zweitens, sehr viel fundamentaler, das nationalsozialistische Herrschaftsmodell, in dem jedem Individuum sein Platz zugewiesen wurde, durch kollektives eigenmächtiges Handeln in Frage zu stellen.[87] Um die Grenzen des Reiches vor dieser unkontrollierten Bevölkerungsbewegung zu schützen, beauftragte Himmler in seiner Funktion als Reichsinnenminister im Juli 1944 die Reichsverteidigungskommissare an den Ostgrenzen, namentlich in Danzig, Posen, Kattowitz und Königsberg, Vorkehrungen für eine Überprüfung der Flüchtenden und ihre Aufnahme in das Reich zu treffen. Dazu wurden sogenannte »Albert-Kommissionen«[88] eingerichtet, »deren Aufgabe in erster Linie die Erfassung der Flüchtlinge, ihre Überprüfung – in sicherheitspolizeilicher und gesundheitspolizeilicher Hinsicht –, ihre Verpflegung, vorläufige Unterbringung in Auffangquartieren und ihre Aussonderung zum Arbeitseinsatz« sein sollte.[89] Den Kommissionen gehörten der örtliche Landrat als Leiter und Vertreter des jeweiligen Reichsverteidigungskommissars (RVK), Vertreter der Arbeitseinsatzbehörde, der Sicherheitspolizei, der Reichsbahn und des Gesundheitsamtes an. Nach Bestimmung des Gauleiters konnten auch Vertreter der Partei, der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) und der Hitlerjugend hinzugenommen werden sowie nach Bedarf Beauftragte des RMO. Ziel war es, die Flüchtlinge schnell durch den GBA zur Arbeit heranzuziehen. Familien sollten gemeinsam eingesetzt werden – sie galten als arbeitsfähig, wenn über die Hälfte der Personen älter als zehn Jahre war. Falls Angehörige militärisch im Einsatz waren, sollten die Familien besonders betreut werden.

Das erwähnte Erfordernis einer Beteiligung des RMO trat vor allem dann ein, wenn es sich um größere Flüchtlingsgruppen von besonderer politischer Bedeutung handelte. Im Juli 1944 befasste sich der Flüchtlingsbeauftragte des RMO, Major Oskar Müller,[90] mit einer Gruppe von 17.000 »Kosaken« (davon 9.000 wehrfähige Männer), die unter Selbstverwaltung im Generalgouvernement oder in im Raum Triest angesiedelt werden sollte; mit einer Gruppe von 4.000 »Nordkaukasiern« (davon 2.000 wehrfähige Männer), deren Unterbringung im Isonzo-Tal vorgesehen war; mit einer Gruppe von »Wilnatataren«, die geschlossen in der Nordsteiermark zum Arbeitseinsatz kommen sollte; mit der sogenannten Kaminski-Gruppe von 6.000 Personen (davon 3.000 wehrfähige Männer), die für eine Verwendung gegen die Sowjetunion bereitgehalten wurde, nebst 24.000 »Mitläufern«,[91] die zum Arbeitseinsatz verbracht werden sollten; mit einer unbekannten Zahl Weißrussen, die zum Stellungsbau an der Narev und in Ostpreußen verwendet werden sollten; und mit der Anwerbung von Flakhelfern unter den Flüchtlingen.[92]

Alle Flüchtlinge, die nicht zu diesen aus politischen Gründen zusammengehaltenen Sondergruppen gehörten, bekamen individuell Arbeitsplätze zugewiesen. Für sie stellte die Ankunft in den Durchgangslagern oft ein einschneidendes Erlebnis dar. Hier änderte sich der Charakter ihrer Flucht grundsätzlich. Sie waren nun nicht mehr autonom in ihren Entscheidungen, soweit man bei Osteuropäern unter NS-Herrschaft überhaupt davon sprechen kann, sondern gerieten in die Kriegsmaschinerie des Deutschen Reiches. Dort wurden sie nicht wie Verbündete behandelt, wie die Propaganda in den besetzten Gebieten sie hatte glauben machen wollen, sondern eher wie gewöhnliche Zwangsarbeiter, d.h. als kleinste Rädchen im Getriebe, deren Menschsein nicht ausschlaggebend für ihre Behandlung war. Korrespondierend mit der Erfahrung der Diskrepanz zwischen Propaganda und Realität werden in den konsultierten Erinnerungen an dieser Stelle Wendepunkte gesetzt, die sich zunächst als Verletzung von Scham- und Ehrgefühlen niederschlagen. Frau Gower berichtet in ihren Memoiren von der medizinischen Überprüfung: »No one has any clothes on. […] Frightened and defenceless we wait for the medical doctor to say that we passed.« Ihr Onkel wurde aufgrund einer Tuberkulose abgelehnt, blieb daher mit seiner Frau und zwei Kindern an der Grenze zurück und verstarb noch vor Ende des Krieges.[93] Auch Paul Lukomskyj, Sohn des erwähnten Försters Milij Lukomskyj, hebt hervor, wie er selbst, seine Familie und die anderen Flüchtlinge im Lager Strasshof bei Wien gruppenweise nackt zur Entlausung antreten mussten, den Kopf geschoren bekamen und erstmals hinter Stacheldraht untergebracht wurden.[94] Dennoch waren auch hier noch Unterschiede zur Behandlung der Zwangsarbeiter spürbar. Laut Lukomskyjs Erinnerungen gab es zwar bewaffnete Wachposten, aber als die Flüchtlinge bei einem Bombenangriff unter dem Zaun durchkrochen und in einen nahen Wald flohen, schossen die Posten nicht, sondern forderten nur dazu auf, ins Lager zurückzukehren, was die Flüchtlinge nach dem Ende des Angriffs auch taten.[95] Dieses Narrativ der Selbstbehauptung tritt erst an einer Stelle der Memoiren auf, an der die Fremdbestimmung offenbar überhandgenommen hat.

Entgegen den oben neben militärisch-ökonomischen Aspekten durchscheinenden rassistischen Motiven betonte das RMO immer wieder eine Kombination von Nützlichkeitserwägung und Loyalität, wenn es zum Beispiel forderte, »die im […] Einsatz für deutsche Interessen bewährten Flüchtlinge sowie qualifizierte Berufe sollen möglichst bevorzugt behandelt und zum Einsatz gebracht werden«.[96] Wissenschaftler, Ärzte, Ingenieure, Chemiker, Apotheker sowie Verwaltungsangestellte mit ihren Familien wurden tatsächlich bevorzugt und exklusiv in die Durchgangslager Booßen bei Frankfurt (Oder) und Graz überstellt.[97] Diejenigen, die als nicht arbeitsfähig eingestuft wurden, sollten in Lagern in Swinemünde (Pommern), Branadorg (Sudetenland) und Parchim (Mecklenburg) untergebracht werden; ab Oktober 1944 kam noch Schleswig-Holstein dazu.

Über den Charakter dieser Lager geben NS-Dokumente nur oberflächlich Auskunft. Doch auch wenn die Stimme der Betroffenen dabei bislang fehlt, lässt sich eine leichte Besserbehandlung gegenüber Zwangsarbeitern ablesen, die sich erstens schon daraus ergibt, im industriellen Arbeitsprozess dauerhaft nicht (mehr) verwendbare Menschen überhaupt in Lagern zu versorgen, anstatt sich ihrer zu entledigen. Zur Unterbringung sollten, wie bei Zwangsarbeitern, Lager, Schulen und Säle genutzt werden, zur Bewachung nur »notfalls die Landwacht (Stadtwacht) herangezogen werden«;[98] so etwa bei einem Transport von 731 Slowaken, der am 7. März 1945 in Neumünster eintraf und anschließend von »eine[r] Wache des Volkssturm in Stärke 1-8« beaufsichtigt wurde.[99] Für die Kosten der Unterbringung und Verpflegung nach Ostarbeitersätzen, »einschl. eines etwaigen Taschengeldes«, kam das Reich auf.[100] Während bei der Verpflegung also die sowohl ökonomisch als auch rassistisch motivierte Unterversorgung analog zu Zwangsarbeitern galt, wurde bei der Betreuung von der strikten Trennung aller Lebensbereiche gemäß der Polen- und Ostarbeitererlasse abgewichen. Denn nicht die DAF, sondern die NSV, die ansonsten strikte Weisung hatte, sich nur um Reichs- und Volksdeutsche zu kümmern, wurde nach dem Einverständnis der Parteikanzlei mit der Einrichtung der Lager betraut. Eine ähnliche Abweichung trat im Übrigen bei der Unterbringung auf: Angehörigen von militärischen Kollaborateuren wurden auch private Quartiere gestattet.[101]

Flüchtlinge, die in der Endphase des Krieges weitgehend selbstständig ins Reich gelangten oder ihre Flucht auf Reichsgebiet fortsetzten, waren angesichts der Auflösungserscheinungen der NS-Ordnung ohnehin häufig auf sich selbst bzw. auf private Hilfe angewiesen. Diese kam eher von ihren zwangsarbeitenden Landsleuten als von Deutschen. Herr Tereszkun, Zwangsarbeiter bei MAN in Augsburg, wohnte mit ca. 100 Westukrainern in einem von der DAF genutzten ehemaligen Bierlokal. Über die Zeit kurz vor Kriegsende berichtet er retrospektiv: »Wenn die Flüchtlinge kamen, da haben sie immer irgendwie schon jemanden getroffen: ›ah, wo wohnt Ihr, könnte ich da bei Euch ein paar Tage?‹ Die haben wir immer aufgenommen. Wir haben Nachtschicht gemacht und die haben auf unseren Betten geschlafen und so. Da hatten wir einen Raum, wo wir lesen und so Freizeit haben, da wurden auch Betten aufgestellt, alles für solche Leute. Wir haben Verpflegung vom Werk bekommen, und die mussten sich alleine verpflegen.«[102]

Eigeninitiative war, im Gegensatz zu Zwangsarbeitern und als Ausdruck des Loyalitätsmotives, in manchen Fällen auch bei der Arbeitsplatzvergabe möglich. Milij Lukomskyj war nach seiner Flucht zunächst bei Borsig in Berlin eingesetzt, konnte aber über Kontakte zum Ukrainischen Hauptausschuss eine Versetzung in seinen angestammten Beruf als Förster erreichen und zog samt Familie nach Rothemühl in Vorpommern. Das gute Verhältnis zu seinem dortigen Arbeitgeber, in dessen Haushalt er wohnte, zahlte sich aus, als die Rote Armee näher rückte und er für die erneute Flucht gen Westen, dieses Mal gemeinsam mit Teilen der deutschen Bevölkerung, Proviant für mehrere Tage und weitere Ausstattung erhielt, um schließlich die britische Besatzungszone zu erreichen.[103]

Der Wechsel aus der Industrie zu einem privaten Arbeitgeber auf dem Land war für Milij Lukomskyj nicht zufällig eine positive Wendung. Waren die Flüchtlinge in großen Industriebetrieben eingesetzt, unterschied sich ihr Alltag kaum von demjenigen zwangsweise rekrutierter »Fremdarbeiter«. Bei Privatleuten, etwa in der Landwirtschaft, untergebrachte Flüchtlinge wurden dort hingegen häufig besser aufgenommen, da die Freiwilligkeit ihres Einsatzes und die resultierende Zielkongruenz zu einem partnerschaftlichen Verhältnis führen konnten. Denn die Ankunft der Flüchtlinge war durchaus propagandistisch vorbereitet worden. Schon im März 1943 berichtete der »Völkische Beobachter«, dass die Bevölkerung dort, wo die Wehrmacht sich zurückziehe, vor »bolschewistischer Mordgier« fliehe.[104] Entsprechend wurde die Wehrmacht in der Presse als Beschützer der unschuldigen Lokalbevölkerung porträtiert.

Völkischer Beobachter, Norddeutsche Ausgabe, 8.3.1943, S. 5
Völkischer Beobachter, Norddeutsche Ausgabe, 8.3.1943, S. 5, Begleitfoto zum Artikel »Aus dem Leben eines Sowjetbürgers« von Hannes Kremer, der eine Flucht und vorhergegangene blutige Repressionen in der Sowjetunion schilderte. Damalige Bildlegende: »Nie wieder in die Gewalt der Bolschewisten! Als die Fahrzeuge der deutschen Wehrmacht die Dörfer eines planmäßig zu räumenden Frontabschnittes im Osten zu verlassen beginnen, bitten die Einwohner flehentlich, mitgenommen zu werden.«
Kölnische Illustrierte Zeitung, 28.9.1944, S. 460
Kölnische Illustrierte Zeitung, 28.9.1944, S. 460.
Damalige Bildunterschrift des großen Fotos:
»Lettland: Dem bolschewistischen Terror entzogen. Boote der deutschen Kriegsmarine bringen lettische Frauen und Kinder zu einem auf offener See wartenden Dampfer, mit dem sie nach Deutschland fahren. Jeder hat das Nötigste mitgenommen; für Verpflegung sorgt die deutsche Wehrmacht. PK-Aufn.: SS-Kriegsberichter Truol.«
(Auf der rechten Spalte der Zeitungsseite wurde die fachmännische Absicherung von Luftschutzkellern erklärt.)

Bilder von Fahrzeugen, mit denen Einheimische gerettet werden, sollten die technische und damit kulturelle Überlegenheit der Deutschen vor Augen führen. Besonders evident wird dieser Umstand in dem hier gezeigten Foto von Letten, die relativ entspannt auf einem Schiff der deutschen Marine in Sicherheit gebracht werden. Das Schiff bildet einen Schutzraum, welcher vor dem Untergang bewahrt, den die sowjetische Herrschaft bedeuten würde. Diese aus technischer Überlegenheit resultierende Fähigkeit zur Rettung der Flüchtlinge sollte zugleich Befürchtungen zerstreuen, den Deutschen könne ähnliches widerfahren. Einen wichtigen Hinweis auf die Bildsprache gibt zudem die Überlieferungsgeschichte des Fotos: Es wird bis heute zur Illustration der Flucht von Deutschen benutzt.[105] Auf eine Darstellung der Flüchtenden als fremdartig oder minderwertig wurde hier also offenbar verzichtet. Im Zusammenhang der Berichterstattung wurde zudem betont, es sei der größte Wunsch der Flüchtlinge, zur Arbeit für den Kampf gegen den Bolschewismus eingesetzt zu werden, und erst zurückzukehren, wenn ihre Heimat endgültig von den Sowjets befreit sei.[106] Damit wurde die propagandistische Wende hin zu einem »europäischen Krieg gegen den Bolschewismus« auf konkrete Ereignisse heruntergebrochen, und die Deutschen konnten, auch wenn die eine Minderwertigkeit der »Slawen« postulierende NS-Rassenlehre nie offiziell in Frage gestellt wurde, den Eindruck bekommen, mit den Flüchtlingen gegen einen gemeinsamen Feind zu arbeiten.

Die erwähnte Alla Gower landete mit ihren Eltern, Großeltern und ihrer Tante bei einem Bauern in Niedersachsen, der wohlhabend und Parteimitglied war. Ihrem Vater zufolge waren sie dort nicht schlechter dran als die deutsche Bevölkerung. Die Lebensbedingungen seien im Vergleich zu ihrem Dorf bei Charkiw sogar deutlich besser gewesen. Sie fühlten sich keineswegs diskriminiert und bezeugten im April 1945 gegenüber den westlichen Befreiern, dass sie anständig behandelt worden seien. Damit schützten sie ihren Arbeitgeber vor Vergeltungsmaßnahmen. Dass sie sich ihrem Arbeit- und Obdachgeber tatsächlich verbunden fühlten, dokumentieren die Kaffeepakete, die die Familie noch 1949, vor ihrer Ausreise nach Kanada, dem Bauern als Dankesgaben überbrachte.[107]

Die propagandistische Vorbereitung der Ankunft der Flüchtlinge richtete sich auch an die Zwangsarbeiter im Reich. Das »Fremdarbeiter«-Blatt »Ukrainec‘« (»Der Ukrainer«) schilderte im Artikel »Warum wir vor den ›Unsrigen‹ fliehen« im November 1943 etwa die Erlebnisse eines Flüchtlings aus einem Dorf nahe der Front, welches von der Roten Armee nur kurzfristig zurückerobert worden war.[108] Der Bericht versuchte den »Ostarbeitern« zu vermitteln, dass sie unter sowjetischer Herrschaft Repression und Tod zu erwarten hätten, wohingegen den Flüchtenden von deutscher Seite in jeder Stadt Quartier, Verpflegung und medizinische Versorgung bereitgestellt würden. Er zielte also darauf ab, die Zwangsarbeiter von der Stichhaltigkeit der Fluchtmotive ihrer Landsleute zu überzeugen, statt sie als Verräter anzusehen. In dem oben beschriebenen Fall aus Augsburg schien diese Argumentation zu greifen. Es gibt aber auch andere Beispiele. Der westukrainische Vater einer Zeitzeugin floh mitsamt seiner Familie 1944 ebenfalls ins Reich und erhielt dort Arbeit, wurde jedoch als nationalistischer Partisan denunziert und daraufhin ins KZ Neuengamme eingewiesen.[109]

Mit ihrer Übersiedlung ins »Dritte Reich« hatten die Flüchtlinge auf den Kriegsverlierer gesetzt. Was erwartete sie dann aber nach dessen endgültiger Niederlage? Als Kollaborateure waren diese Menschen, wenn sie nach ihrer Flucht als »Fremdarbeiter« beschäftigt worden waren, nicht mehr zu erkennen. Sie besaßen die gleichen Arbeitsbücher und Kennkarten wie ihre zwangsarbeitenden Landsleute. Denjenigen, die vor 1939 Bürger der Sowjetunion gewesen waren, drohte jedoch unabhängig von ihrem persönlichen Schicksal die Zwangsrepatriierung. Allerdings führten die Westmächte diese Politik nicht systematisch durch, die Soldaten auf der Feldebene sabotierten sie sogar mitunter.[110] Ende 1945 wurde sie ganz eingestellt. Im Übrigen dominierten diese Flüchtlinge die DP-Camps im Nachkriegsdeutschland, denn sie hatten meist höhere Bildung, mehr politische Erfahrung und größeres nationalistisches Sendungsbewusstsein als die Zwangsarbeiter.[111] Viele Flüchtlinge – unter ihnen ehemalige KZ-Wachmänner und Mitglieder militärischer Kollaborationseinheiten mit modifizierten Identitäten und falschen Papieren, die von nationalistischen Gruppen wie der OUN im großen Stil hergestellt worden waren[112] – wanderten ab Ende der 1940er-Jahre als Displaced Persons in die westliche Welt aus, insbesondere nach Nordamerika. Erst 1979 wurde dieser Tatsache Rechnung getragen, indem die Gründung des US-amerikanischen Office of Special Investigations die Suche nach (Mit-)Tätern des Nationalsozialismus institutionalisierte.

5. Fazit und Ausblick

Die Flucht von ungefähr einem Prozent der Bevölkerung aus den von Deutschen besetzten sowjetischen Gebieten vor der Befreiung durch die Rote Armee ist nicht gleichzusetzen mit einem Eingeständnis ihrer NS-Kollaboration. Dennoch war die Zusammenarbeit mit den Besatzern, aus welchen Gründen auch immer, ein starkes Fluchtmotiv. Darüber hinaus vereinfachte sie aber auch die Bewältigung der Flucht, denn die Deutschen transportierten ihr einheimisches Personal, das sich als zuverlässig und nützlich erwiesen hatte, bevorzugt gen Westen ab. Dabei ist eine Hierarchisierung nach Fachkenntnissen zu erkennen. Diese ökonomischen Nützlichkeitserwartungen wurden teilweise ergänzt durch den Aspekt der Loyalität mit lokalen Bündnispartnern, die auch als politische Nützlichkeitserwartung gelesen werden kann. Insbesondere gegenüber der Masse der Flüchtlinge ohne nennenswerte Spezialkenntnisse kam als handlungsleitendes Motiv auf Seiten der Deutschen die rassistische Diskriminierung der slawischen und abgeschwächt der baltischen Bevölkerung hinzu. Zwar wurden diese Flüchtlinge auch dann aufgenommen, wenn sie nicht voll arbeitsfähig waren, und möglicherweise mit Zugeständnissen hinsichtlich des Zusammenhalts von Familien, der Auswahl des Arbeitsplatzes, einer Einrichtung ihrer Lager durch die NSV, privater Unterbringung und Zahlung eines Taschengeldes bedacht, doch änderte das nichts an ihrer grundsätzlich inferioren Position. Konkret äußerte sich das schon an den Grenzen zum Reich, wo Durchgangslager errichtet wurden, in denen demütigende Prozeduren polizeilicher und gesundheitlicher Überprüfungen sowie eine erste Auswahl für die »Weiterverwendung« stattfanden. Die spätere Behandlung im Reich hing in starkem Maße vom zugewiesenen Arbeitsplatz ab. Während in großen Industriebetrieben keine Unterschiede zu Zwangsarbeitern gemacht wurden, konnte die Familienanbindung bei privaten Arbeitgebern durchaus von der Freiwilligkeit des Arbeitseinsatzes und der antisowjetischen Zielkongruenz positiv beeinflusst werden. Offen geblieben ist hier allerdings die Frage, wie sich die Wahrnehmung des Nationalsozialismus durch die Geflüchteten mit ihrer Ankunft im Reich veränderte. Da Memoiren zur nachträglichen Rationalisierung und einer Nivellierung von Perspektivwechseln neigen, wäre hierfür eine Konzentration auf zeitgenössische Ego-Dokumente wie Tagebücher und Briefe notwendig.

Die Frage nach der Gewichtung der Motive der NS-Institutionen im Umgang mit den Flüchtlingen lässt sich nicht pauschal beantworten. Nicht nur zwischen, auch innerhalb der einzelnen Instanzen kamen Rassismus, Nützlichkeitserwartung und Loyalität in immer neuen Gemengelagen zur Geltung. Die propagandistische Kehrtwende von 1943 fand in der Praxis allenfalls punktuelle Entsprechungen.

Über den geschilderten historischen Kontext hinaus ist hier ein bislang eher selten beachtetes Phänomen angesprochen: Flucht aus Angst vor Vergeltung für temporäre Zusammenarbeit mit einer Besatzungsmacht. Ihre Wahrscheinlichkeit dürfte sich mit steigendem Ausschließlichkeitsanspruch der Kriegsparteien erhöhen und dort, wo nach der physischen Vernichtung von biologistisch definierten Feinden getrachtet wird, wie im Falle des Nationalsozialismus, am höchsten sein. Für die Flucht vor der Roten Armee waren ergänzend zum allgemeingültigen Kollaborations-Topos hingegen die sozial und politisch definierten Feindbilder der Sowjetunion ausschlaggebend. Für süd-, west- und nordeuropäische Kollaborateure des Nationalsozialismus fielen letztere weg, sie zeigten daher eine geringer ausgeprägte Fluchtneigung.

Unabhängig von der Art und den Motiven der Kriegsführung sind ähnliche Phänomene für viele militärische Konflikte in Geschichte und Gegenwart zu beobachten. Militärische Einheiten, die für einen gewissen Zeitraum auf fremdem Territorium operieren, beschäftigen häufig Einheimische für Hilfstätigkeiten, weil sie auf deren Sprach- und Ortskenntnisse angewiesen sind, oder um Personalkosten zu sparen. Nach dem Abzug der fremden Militärmacht müssen sich diese Menschen, je nach vorherrschender Beurteilung des Einsatzes, dann häufig für ihre Zusammenarbeit mit dem Feind verantworten und folgen den abziehenden Militärs. Ob und wie viele aufgenommen werden, richtet sich nach den spezifischen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Voraussetzungen. Beispielsweise wurde nach dem Ende des algerischen Unabhängigkeitskrieges 1962 den einheimischen französischen Hilfstruppen, sogenannten Harkis, die offizielle Einwanderung nach Frankreich verweigert. Tausende wurden aus Rache ermordet.[113] Die USA brachten 1975 mit dem Abzug ihrer Truppen aus Vietnam dagegen 130.000 gut ausgebildete Südvietnamesen ins eigene Land (Indochina Migration and Refugee Act).[114] Auch die Bundesrepublik Deutschland ist davon betroffen, seit deutsche Truppen wieder in größerem Maßstab auf fremdem Territorium operieren, wie seit 2002 in Afghanistan. Die Bundeswehr beschäftigt(e) dort – wie die Wehrmacht in den besetzten Ostgebieten – Einheimische als Übersetzer, Wachpersonal, Reinigungskräfte etc. Nach dem Abzug der Bundeswehr und insbesondere der zwischenzeitlichen Eroberung von Kundus durch die Taliban im September 2015 sehen diese Zivilangestellten sich mit Drohungen konfrontiert; zwei Morde aus dem Jahr 2014 sind bereits dokumentiert.[115] Rund 1.800 sogenannte Ortskräfte suchten daher auf vorgeschriebenem formalem Weg Schutz bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber, indem sie eine Gefährdungsanzeige stellten.[116]

Damit geraten zivile Kriegsteilnehmer in den Fokus, die verstärkt nach dem Ende von Kampfhandlungen zu Opfern werden können und in Konzepten von Transitional Justice Berücksichtigung finden müssen. Doch bedarf es aufgrund des Fluchtaspektes hier einer konzeptionellen Erweiterung zu einer Transnational Transitional Justice, die historiographisch noch zu leisten wäre.[117]

 

Abkürzungen

BA

Bundesarchiv

BA/MA

Bundesarchiv/Militärarchiv

Berück

Befehlshaber des Rückwärtigen Heeresgebietes

DAF

Deutsche Arbeitsfront

DPs

Displaced Persons

GB

Generalbezirk

GBA

Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz

GFP

Geheime Feldpolizei

HG

Heeresgruppe

HSSPF

Höhere(r) SS- und Polizeiführer

NSV

Nationalsozialistische Volkswohlfahrt

OD

Ordnungsdienst

OKW

Oberkommando der Wehrmacht

OUN

Orhanizacija Ukrajins’kych Nacionalistiv
(Organisation Ukrainischer Nationalisten)

RFSS

Reichsführer SS

RKO

Reichskommissar(iat) Ostland

RKU

Reichskommissar(iat) Ukraine

RMI

Reichsministerium des Innern

RMO

Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete

ROA

Russkaja Oswoboditel’naja Armija
(Russische Befreiungsarmee)

RSHA

Reichssicherheitshauptamt

RVK

Reichsverteidigungskommissar

UPA

Ukrajins’ka Povstans’ka Armija
(Ukrainische Aufständische Armee)

WiIn

Wirtschaftsinspektion

ZAVO

Zentralstelle für Angehörige der Völker des Ostens

Anmerkungen:

[1] Die von Christoph Dieckmann, Babette Quinkert und Tatjana Tönsmeyer (Kooperation und Verbrechen. Formen der »Kollaboration« im östlichen Europa 1939–1945, Göttingen 2003) vorgetragene Kritik am Begriff der Kollaboration, der wertend, politisch aufgeladen und durch den neutraleren Begriff der Kooperation zu ersetzen sei, scheint mir durch eine mit dem Ende der Zeitzeugenschaft und einem Verblassen der Konfliktstellungen einhergehende Entpolitisierung des Kollaborationsbegriffes abgeschwächt worden zu sein. Darüber hinaus wurde am Begriff »Kooperation« zu Recht kritisiert, er deute eine Gleichberechtigung der kooperierenden Parteien an (vgl. Joachim Tauber, »Kollaboration« in Nordosteuropa. Erscheinungsformen und Deutungen im 20. Jahrhundert, in: ders. [Hg.], »Kollaboration« in Nordosteuropa. Erscheinungsformen und Deutungen im 20. Jahrhundert, Wiesbaden 2006, S. 11-20, hier S. 13). – Ich danke den anonymen GutachterInnen und der Redaktion für die gewinnbringende Kritik und weiterführende Hinweise.

[2] Pavel Polian, Die Erinnerung an die Deportationen während der deutschen Besatzung in der Sowjetunion, in: Hans-Christoph Seidel/Klaus Tenfelde (Hg.), Zwangsarbeit im Europa des 20. Jahrhunderts. Bewältigung und vergleichende Aspekte, Essen 2007, S. 59-74, hier S. 59.

[3] Wenn in diesem Aufsatz der in Anführungszeichen gesetzte Begriff »Evakuierte« genutzt wird, soll damit angezeigt werden, dass eine Unterscheidung nach dem Grad der Freiwilligkeit nicht möglich ist.

[4] Ein Abkürzungsverzeichnis findet sich am Ende des Beitrags (vor den Anmerkungen).

[5] Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des »Ausländer-Einsatzes« in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin 1985, S. 240f.

[6] Vgl. Andreas Zellhuber, »Unsere Verwaltung treibt einer Katastrophe zu…«. Das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete und die deutsche Besatzungsherrschaft in der Sowjetunion 1941–1945, München 2006.

[7] Herbert, Fremdarbeiter (Anm. 5), S. 269.

[8] Die Behandlung aller Menschen in den besetzten Gebieten nach rassistischen und utilitaristischen Kriterien (vgl. Tatjana Tönsmeyer, Hungerökonomien. Vom Umgang mit der Mangelversorgung im besetzten Europa des Zweiten Weltkrieges, in: Historische Zeitschrift 301 [2015], S. 662-704, hier S. 671f.) wurde also durch das Kriterium der Loyalität ergänzt.

[9] Pavel Polian, Sowjetische Staatsangehörige im »Dritten Reich« während des Zweiten Weltkrieges. Gruppen und Zahlen, in: Babette Quinkert (Hg.), »Wir sind die Herren dieses Landes«. Ursachen, Verlauf und Folgen des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, Hamburg 2002, S. 136-153, hier S. 150; siehe auch Nicholas Terry, »Do not burden one’s own army and its hinterland with unneeded mouths!« The fate of the Soviet civilian population behind the »Panther Line« in Eastern Belorussia, October 1943 – June 1944, in: Christoph Dieckmann/Babette Quinkert (Hg.), Kriegführung und Hunger 1939–1945. Zum Verhältnis von militärischen, wirtschaftlichen und politischen Interessen, Göttingen 2015, S. 185-209.

[10] Karel C. Berkhoff, Harvest of Despair. Life and Death in Ukraine under Nazi Rule, Cambridge 2004, S. 301f.; Christian Gerlach, Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrussland 1941 bis 1944, Hamburg 1999, S. 1092-1104.

[11] Theo Schulte, The German Army and Nazi Policies in Occupied Russia, Oxford 1989, S. 278.

[12] Beauftragter des RMO beim OK HG Süd Major O.W. Müller am 21.1.1944, Antwort auf Fernschreiben vom 15.1.1944 an Generalkommissar Oppermann in Nikolajew, Bundesarchiv (BA), R6/136 Flüchtlinge, pag. 5.

[13] Oberquartiermeister HG Süd (gez. Busse) am 6.8.1943 an Berück Süd, BA, RH22/149, pag. 13.

[14] Wirtschaftsinspektion (WiIn) Süd, Lagebericht August 1943, Bundesarchiv/Militärarchiv (BA/MA), RH19V/113, pag. 20f.

[15] RMO am 27.2.1943 an RKU in Rowno und RKO in Riga, BA, R6/136.

[16] Ebd.

[17] RMO, Abteilung P3, Dr. Knüpffer, Mai/Juni 1944, BA, R6/136 Flüchtlinge, pag. 64.

[18] HG Mitte, Heerwirtschaftsführer, am 6.7.1944 an betroffene Befehlshaber und Regierungsstellen, ebd., pag. 50.

[19] Berück Süd, Monatsbericht an HG B, 21.2.1943, BA, RH22/195, pag. 110.

[20] RKO Lohse (gez. Ampedach) an General- und Gebietskommissare, 19.4.1944, BA, RMO, R6/136 Flüchtlinge, pag. 74.

[21] Eva Hahn/Hans Henning Hahn, Die Vertreibung im deutschen Erinnern. Legenden, Mythos, Geschichte, Paderborn 2010, S. 234. Bei der Überführung ins Reich (s.u., Kap. 4) ergaben sich allerdings qualitative Unterschiede; vgl. Maria Fiebrandt, Auslese für die Siedlergesellschaft. Die Einbeziehung Volksdeutscher in die NS-Erbgesundheitspolitik im Kontext der Umsiedlungen 1939–1945, Göttingen 2014, bes. S. 458; Andreas Strippel, NS-Volkstumspolitik und die Neuordnung Europas. Rassenpolitische Selektion der Einwandererzentralstelle des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD 1939–1945, Paderborn 2011, bes. S. 115.

[22] HG Nord Monatsbericht Juni 1944, BA/MA, RH2/2129, pag. 39f.; siehe auch Jörn Hasenclever, Wehrmacht und Besatzungspolitik in der Sowjetunion. Die Befehlshaber der rückwärtigen Heeresgebiete in den besetzten Gebieten der Sowjetunion 1941–1943, Paderborn 2009, S. 232.

[23] WiIn Süd, Lagebericht August 1943, BA/MA, RH19V/113, pag. 20.

[24] Ebd. Für Stalino berichtete auch die Geheime Feldpolizei (GFP) von freudiger Erwartung der Roten Armee, »da man sich unter der bolschewistischen Herrschaft ein besseres Leben verspricht«. Monatsbericht der GFP im Bereich der HG Süd, August 1943, BA/MA, RH 22/104.

[25] »Čomu my tikajemo vid ›svojich‹« [»Warum wir vor den ›Unsrigen‹ fliehen«], in: Ukrainec‘. Tyžnevyk dlja ukrains‘kych robitnykiv [Der Ukrainer. Wochenblatt für ukrainische Arbeiter], 29.11.1943, S. 2.

[26] Berück Süd, Monatsbericht an HG B, 21.2.1943, BA/MA, RH22/195, pag. 110.

[27] RMO (von Allwörden) am 13.3.1944 an RMI, BA, R6/136 Flüchtlinge, pag. 13.

[28] Vgl. Ulrike Jureit, Das Ordnen von Räumen. Territorium und Lebensraum in 19. und 20. Jahrhundert, Hamburg 2012.

[29] RMO (von Allwörden) am 4.3.1944 an OKW Wehrmachtführungsstab, BA, R6/136 Flüchtlinge, pag. 12.

[30] RKO Lohse (gez. Ampedach) an General- und Gebietskommissare, 19.4.1944, BA, RMO, R6/136 Flüchtlinge, pag. 75.

[31] Höherer SS- und Polizeiführer (HSSPF) Russland-Süd vom 18.9.1943 an Berück Süd, BA/MA, RH22/104, pag. 150.

[32] WiIn Süd, Lagebericht September 1943, BA/MA, RH19V/113.

[33] Bevollmächtigter für die Kosakenflüchtlinge Major O. Müller am 9.7.1944 an Führungsstab Politik RMO, BA, R6/136 Flüchtlinge, pag. 37.

[34] RKO (gez. Trampedach) am 21.4.1944 an RMO betr. Stand der Flüchtlingsbewegung, ebd., pag. 18. Aus dem Gebiet der HG Nord waren bis zum 1. April 1944 im Generalbezirk (GB) Lettland 148.640 »Evakuierte« eingetroffen, im GB Litauen 143.439 und im GB Estland 30.500; weitere 10.000 seien noch in Trecks unterwegs. Aus dem Bereich der HG Mitte kamen 100.000 hinzu.

[35] RKO am 28.7.1944 an RMO P3, ebd., pag. 73.

[36] Gerlach, Kalkulierte Morde (Anm. 10), S. 1092-1104.

[37] Memoiren Alla Gower, »Pavlo’s Story«, im Besitz des Autors (im Zuge von Recherchen zu ukrainischen DPs). Frau Gower (Jg. 1938) hat ihre Familienmemoiren ab den 1990er-Jahren in der kanadischen Emigration für ihre Kinder und Enkel verfasst.

[39] Natalia Chomiak/Walter R. Petryshyn, Political Writings of Post-World War Two Ukrainian Émigrés, Edmonton 1984, S. 93.

[40] WiIn Süd, Lagebericht September 1943, BA/MA, RH19V/113.

[41] Dieter Pohl, Die Herrschaft der Wehrmacht. Deutsche Militärbesatzung und einheimische Bevölkerung in der Sowjetunion 1941–1944, München 2008, S. 327.

[42] Sergej Kudryashov/Matthias Uhl, Die russische Kollaboration während des Krieges 1941–1945, in: Babette Quinkert/Jörg Morré (Hg.), Deutsche Besatzung in der Sowjetunion 1941–1944. Vernichtungskrieg | Reaktionen | Erinnerung, Paderborn 2014, S. 219-228, hier S. 226.

[43] Boris Sokolow, »Der Bolschewismus hat jeglichen Patriotismus in uns zunichte gemacht.« Deutschland und »die Deutschen« aus der Sicht russischer Kollaborateure 1941–1945, in: Karl Eimermacher/Astrid Volpert (Hg.), Verführungen der Gewalt. Russen und Deutsche im Ersten und Zweiten Weltkrieg, München 2005, S. 1161-1211, hier S. 1166.

[44] Vgl. Amir Weiner, Saving Private Ivan: From What, Why, and How?, in: Kritika 1 (2000), S. 305-336, hier S. 328.

[45] Jeffrey W. Jones, »Every Family Has Its Freak«. Perceptions of Collaboration in Occupied Soviet Russia, 1943–1948, in: Slavic Review 64 (2005), S. 747-770.

[46] Marta Dyczok, The Grand Alliance and Ukrainian Refugees, New York 2000, S. 16f.

[47] Orest Subtelny, Ukrainian Political Refugees. An Historical Overview, in: Wsevolod W. Isajiw/Yury Boshyk/Roman Senkus (Hg.), The Refugee Experience. Ukrainian Displaced Persons after World War II, Edmonton 1992, S. 3-20, hier S. 13.

[48] Reinhard Thöle, Orthodoxe Kirchen in Deutschland, Göttingen 1997, S. 58; Art. »Ukrainian Autocephalus Orthodox Church«, in: Volodymyr Kubijovyč (Hg.), Encyclopedia of Ukraine, Bd. 5, Toronto 1993, S. 352.

[49] Egidijus Aleksandravicius, Lithuanian Collaboration with the Nazis and the Soviets, in: Tauber, »Kollaboration« (Anm. 1), S. 174-191, hier S. 188.

[50] Volodymyr Marunjak, Ukrajins’ka emigracija v Nimeččyni i Avstriji po druhij svitovij vijni. Roky 1945–1951 [Die ukrainische Emigration in Deutschland und Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg], München 1985, S. 24.

[51] Vgl. Babette Quinkert, Aufruf zur Kooperation. Die deutsche Propaganda gegenüber sowjetischen Soldaten und Zivilisten, in dies./Morré, Deutsche Besatzung (Anm. 42), S. 196-215, hier S. 208.

[52] Sokolow, »Bolschewismus« (Anm. 43), S. 1187-1191.

[53] Gower, Memoiren (Anm. 37), »Pavlo’s Story«.

[54] Lagebericht der Leitstelle II Ost für Frontaufklärung, Frontaufklärungstrupp 212, Dez. 1944, Kurland, BA/MA, RH 2/2129, pag. 151.

[55] Anfrage des RMO beim Oberkommando der Kriegsmarine, 26.9.1944, BA/MA, RM7/1816, pag. 3f.

[56] Vgl. Quinkert, Aufruf (Anm. 51), S. 208f.

[57] Vgl. Monatsbericht der Geheimen Feldpolizei für Dezember 1943, BA, R6/136.

[58] WiIn Süd, Lagebericht September 1943, BA/MA, RH19V/113.

[59] Alexander Gogun, Stalins Kommandotruppen 1941–1944. Die ukrainischen Partisanenformationen, Stuttgart 2015, S. 204.

[60] Pohl, Herrschaft (Anm. 41), S. 324.

[61] RKU 1942 30.400.000 Bewohner (Ingeborg Fleischhauer, Das Deutsche Reich und die Deutschen in der Sowjetunion, Stuttgart 1983, S. 151); ca. 30.000.000 für die rückwärtigen Heeresgebiete (Pohl, Herrschaft [Anm. 41], S. 101); RKO 8.500.000 (Hans-Dieter Handrack, Das Reichskommissariat Ostland. Die Kulturpolitik der deutschen Verwaltung zwischen Autonomie und Gleichschaltung 1941–44, München 1981, S. 220).

[62] Katrin Boeckh, Stalinismus in der Ukraine. Die Rekonstruktion des sowjetischen Systems nach dem Zweiten Weltkrieg, Wiesbaden 2007, S. 239.

[63] Aleksandravicius, Lithuanian Collaboration (Anm. 49), S. 188.

[64] Wolfgang Froese, Geschichte der Ostsee. Völker und Staaten am Baltischen Meer, Gernsbach 2008, S. 453.

[65] Internes Memo der Abt. P3 im RMO, 21.7.1944, BA, R6/136.

[66] Martin Gilbert, Russian History Atlas, New York 1972, S. 132.

[67] Wsevolod Isajiw/Michael Palij, Refugees and the DP Problem in Postwar Europe, in: Isajiw/Boshyk/Senkus, The Refugee Experience (Anm. 47), S. XV-XXIV, hier S. XVI.

[68] WiIn Süd, Lagebericht September 1943, BA/MA, RH19V/113.

[69] Das wären fast doppelt so viele wie die 350.000 »Volksdeutschen«, die bis Sommer 1944 aus diesen Gebieten »evakuiert« wurden und flohen; Hahn/Hahn, Die Vertreibung (Anm. 21), S. 233.

[71] Kriegstagebuch des Wehrwirtschaftskommandos Reval, Rückblick III. Quartal 1944, BA/MA, RW 30/62.

[72] Milij Lukomskyj, Volyns’ki Spomyny/Memories of Volyn’, Canberra (Selbstverlag) 1989.

[73] Auch wenn eine Erhöhung der eigenen Person in derartigen Werken üblich ist und hier der Ukrainische Hauptausschuss als handlungsfähige para-staatliche Vertretung der Westukrainer dargestellt werden soll, ist eine solche Übereinkunft durchaus vorstellbar. Tymotej Mac’kiv, Z-nad Dnistra na kanads’ki preriï: mij žyttjevyj šljach [Vom Dnister in die kanadische Prärie: Mein Lebensweg], Edmonton 1963, S. 145.

[74] Gower, Memoiren (Anm. 37).

[75] Monatsbericht der GFP, Dezember 1943, BA, R6/136, pag. 8.

[76] Ebd.

[77] Räumungsbefehl Berück Süd vom 3.3.1943, BA/MA, RH22/142, pag. 8.

[78] Befehl des Berück Süd vom 9.8.1943, BA/MA, RH22/149, pag. 27.

[79] Quartiermeister 2, HG Süd, am 14.9.1943 an Stab Mattenklot Dnjepropetrowsk, BA/MA, RH22/139, pag. 23.

[80] Gower, Memoiren (Anm. 37), »Cattle Car to the Third Reich«.

[81] WiIn Süd, Lagebericht September 1943, BA/MA, RH19V/113.

[82] Ebd.

[83] HG Nordukraine, Monatsbericht Mai 1944, BA/MA, RH2/2129, pag. 11.

[84] Ebd.

[85] Erlass des RMI vom 18.7.1944, BA, R6/136, pag. 61; Vermerk der Abt. P3, RMO, 21.7.1944, BA, R6/136, pag. 52.

[86] WiIn Süd, Lagebericht August 1943, BA/MA, RH19V/113.

[87] Tatsächlich scheinen auch in anderen politischen Systemen eigenmächtige Bevölkerungsbewegungen größeren Ausmaßes als Herausforderungen für den Herrschaftsanspruch begriffen zu werden. Das zeigt nicht zuletzt die gegenwärtige »Flüchtlingskrise« seit 2015.

[88] »Albert-Kommissionen« wurden in der historischen Forschung m.W. bislang nicht beachtet. Die Grundlage der Benennung erschließt sich aus den wenigen überlieferten Quellen nicht. Möglich erscheint eine Federführung des Danziger Gauleiters und RVK Albert Forster.

[89] Erlass RMI II RV 6346/44g-367R, 18.7.1944, BA, R6/136. Vermutlich baute Himmler hier auf seinen Erfahrungen als Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums und der »Durchschleusung« der umzusiedelnden Volksdeutschen ab 1939 auf.

[90] Müller wurde bereits im Oktober 1943 mit der Betreuung geflüchteter »Kosaken« betraut, Mitte 1944 dann zum Bevollmächtigten des RMO für Kosakenflüchtlinge ernannt (U.S. Chief Council for War Crimes, Interrogation Summary No 1929, Institut für Zeitgeschichte München, 1948/56).

[91] Vermutlich handelte es sich um Flüchtlinge, die sich der Gruppe auf dem Weg nach Westen angeschlossen hatten.

[92] Memo der Abteilung P3 des RMO, 27.7.1944, BA, R6/136, pag. 52; vgl. Gerlach, Kalkulierte Morde (Anm. 10), S. 1090.

[93] Gower, Memoiren (Anm. 37), »Cattle Car to the Third Reich«.

[94] Memoiren von Paul Lukomskyj, Kapitel »From Strasshof to Rothemul«, im Besitz des Autors (im Zuge der Recherchen zu ukrainischen DPs). Lukomskyj begann 2009 seine Memoiren zu verfassen und kapitelweise an den Autor zu übersenden. Eine Veröffentlichung im Selbstverlag war geplant.

[95] Ebd.

[96] RMO am 27.2.1943 an RKU und RKO, BA, R6/136, pag. 1.

[97] RMI (Stuckert) an RVKs, 17.10.1944, BA, R 43II/692d.

[98] Erlass RMI II RV 6346/44g-367R, 18.7.1944, BA, R6/136.

[99] Sebastian Lehmann, »Anzeige wurde gefertigt.« Das Protokollbuch der Schutzpolizei Neumünster, Abteilung Ausländerüberwachung 1944/45, in: Demokratische Geschichte 14 (2001), S. 207-256, hier S. 242.

[100] RMI (Stuckert) an RVKs, 17.10.1944, BA, R 43II/692d.

[101] Ebd. Für Neumünster finden sich Beispiele in den Akten der Ausländerpolizei; siehe Lehmann, »Anzeige« (Anm. 99), S. 216.

[102] Interview Herr Tereszkun (Jg. 1926), 18.1.2010 in Hannover, Transkript S. 6, im Besitz des Autors. Dies war eines von fünf im Zuge der Recherchen zu ukrainischen DPs zwischen 2007 und 2011 geführten narrativen biographischen Interviews mit ehemaligen DPs in Norddeutschland.

[103] Memoiren von Paul Lukomskyj, Kapitel »From Strasshof to Rothemul« (Anm. 94).

[104] Alfons von Bevern, Sie flohen vor bolschewistischer Mordgier, in: Völkischer Beobachter, 6.3.1943, S. 2.

[105] Es ist bei mehreren Bildagenturen entsprechend falsch betitelt. Vgl. SZ-Photo Nr. 67566; Ullstein-Bild Nr. 6901528677. In beiden Datenbanken lautet die Beschreibung (Stand 12.7.2017): »Deutsche Flüchtlinge flüchten über See, 1945. Schiffe der Kriegsmarine evakuieren Flüchtlinge aus den Gebieten Deutschlands, die durch den Verlauf der Kämpfe abgeschnitten sind.«

[106] Siehe exemplarisch: »Nur nicht in die Hände der Teufel«, in: Harburger Anzeigen und Nachrichten, 19.2.1943, S. 1. Nach dem Krieg bewiesen die in den Westzonen verbleibenden Flüchtlinge tatsächlich ihre stark antikommunistische Haltung, indem sie etwa die Basis des Antibolschewistischen Blocks der Nationen bildeten (vgl. Jan-Hinnerk Antons, Ukrainische Displaced Persons in der britischen Zone. Lagerleben zwischen nationaler Fixierung und pragmatischen Zukunftsentwürfen, Essen 2014, S. 260-265).

[107] Gower, Memoiren (Anm. 37), »Alla’s Story«, S. 6. Dass diese positive Sicht keiner Rationalisierung der eigenen Lebensgeschichte geschuldet ist, zeigt sich an den heftigen Klagen über die Bombenangriffe, die das Leben in Deutschland gefährlicher als in der Ukraine gemacht hätten.

[108] Wie Anm. 25.

[109] Interview mit Frau Kovalenko, 18.2.2007 in Hamburg-Neugraben, Transkript S. 1, im Besitz des Autors (s. Anm. 102). Der Mann war Anhänger des radikalen Flügels der ukrainischen Nationalisten (OUN-B) und wurde in Deutschland von einem Landsmann der Unterstützung der Partisanen in seinem Heimatdorf bezichtigt.

[110] Antons, Ukrainische Displaced Persons (Anm. 106), S. 75-83.

[111] Ebd., S. 379-382.

[112] Ebd., S. 89, S. 387, S. 391; V’’jačeslav Davidenko, Z-Pered 25 Rokiv. Z Nezakinčenoho Litopysu [Von vor 25 Jahren. Aus einer unvollendeten Chronik], in: Al’manach Ukrajins’koho Narodnoho Sojuzu [Almanach der Ukrainischen Volksunion] 61, Jersey City 1971, S. 141-155, hier S. 149.

[113] Mohand Hamoumou, Et ils sont devenus harkis, Paris 1994.

[114] David Haines, Refugees in America in the 1990s. A Reference Handbook, New York 1996.

[115] Offener Brief der Sprachmittler des Camp Marmal, 25.7.2014, URL: <https://www.proasyl.de/news/offener-brief-afghanischer-ortskraefte-liefert-uns-nicht-an-die-taliban-aus/>.

[116] Bis Juli 2015 wurde nach Einzelfallprüfungen nur 40 Prozent der Hilfesuchenden die Aufnahme in der Bundesrepublik gewährt, in den Monaten danach 68 Prozent; siehe Christoph Heinzle, Hoffnung für afghanische Mitarbeiter der Bundeswehr, in: Deutschlandradio Kultur, 9.2.2016.

[117] Ein erster Ansatz aus den Sozialwissenschaften: Huma Haider, Transnational Transitional Justice and Reconciliation: The Participation of Conflict-generated Diasporas in Addressing the Legacies of Mass Violence, in: Journal of Refugee Studies 27 (2014), S. 207-233.

 

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