Die Computerindustrie entwickelte sich in den USA und der UdSSR sehr unterschiedlich. Während in den Vereinigten Staaten der Konzern IBM nahezu ein Monopol erlangte, herrschte in der Sowjetunion ein Konkurrenzkampf. Mehrere Akteure verfolgten an unterschiedlichen Standorten eigene Entwicklungslinien; ein Austausch fand kaum statt. Als Reaktion auf eine von IBM 1963 vorgestellte neue Modellreihe kam es in der UdSSR zu einer Diskussion über die Computerindustrie, die den hartnäckigen Widerstand lokaler Entscheidungsträger bei der Durchsetzung zentraler Direktiven offenbarte. Es bedurfte mehrerer Machtworte von führenden Vertretern der Rüstungsindustrie, um das IBM System /360 als Vorbild einer eigenen Reihe durchzusetzen. Dabei berief man sich vor allem auf die Erfolge, die beim Nachbau von IBM-Rechnern in der DDR erzielt worden waren. Das Ministerium für Staatssicherheit hatte Entwicklungsdokumente aus dem Westen beschafft, und diese Wirtschaftsspionage trug wesentlich dazu bei, den innersowjetischen Konflikt zu entscheiden. Der technologische Rückstand der UdSSR gegenüber den USA blieb gleichwohl bestehen.
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The computer industry developed very differently in the USA and the USSR. While in the United States IBM came close to a monopoly, competitive struggle prevailed in the USSR. Several protagonists followed their own lines of development in different locations and hardly communicated with each other. In reaction to a new series of models that IBM introduced in 1963, a discussion about the computer industry ensued in the USSR. This debate revealed persistent resistance among local decision makers when it came to enforcing central directives. Leading representatives of the arms industry had to exercise their authority to establish the IBM System /360 as the model for a series made in the USSR. They referred to the success that clones of IBM computers achieved in the GDR. The Ministry of State Security had obtained development documents in the West, an act of industrial espionage which played a crucial part in the inner-Soviet conflict. Nevertheless, compared to the USA the technological backlog remained.
Der Schlaf scheint auf den ersten Blick eine „anthropologische Konstante“ zu sein. Eine Historisierung der Regeln und Praktiken des Schlafs im 20. Jahrhundert kann jedoch zeigen, wie eng Vorstellungen vom „richtigen“ Schlafen an die Machtstrukturen der Gesellschaft geknüpft waren. Dieser Artikel geht der Frage nach, auf welche Weise Arbeitgeber, Sozialplaner, Ärzte und Psychologen auf den Schlaf und damit auf den Körper, die Arbeitskraft und die Zeit des Individuums zuzugreifen versuchten. Anhand von fachwissenschaftlichen Veröffentlichungen und Diskussionen, aber auch von populären Ratgebertexten wird in einem ersten Schritt untersucht, wie und warum der Rhythmus des Schlafs seit Ende der 1920er-Jahre zu einem stark beachteten Thema wurde. In einem zweiten Schritt geht es um die Veränderungen, die der Zweite Weltkrieg im Umgang mit dem Schlaf bewirkte. In einem dritten Schritt wird der entscheidende Bruch in der Mitte der 1950er-Jahre untersucht, der das schlafende und arbeitende Individuum zum Gegenstand einer modernen Schlafforschung und neuer Schlafregeln machte.
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At first glance sleep seems to be a timeless and ahistorical ‘anthropological constant’. However, a historical analysis of sleeping rules and sleeping practices reveals that ideas of how to sleep ‘the right way’ have been strongly connected to the power relations of any given society as a whole. This article shows how employers, social scientists, physicians and psychologists tried to gain control over the sleep of individuals and thereby over their bodies, their working power and time budgets. Based on scientific texts and discussions as well as on popular advice books, in a first step the article scrutinizes how and why the rhythms of sleep became a topic of interest beginning in the late 1920s. In a second step, it discusses how the Second World War affected and changed both the knowledge of sleep and the handling of the sleeping individual. The decisive caesura in ‘sleep history’ in the middle of the 1950s is discussed in a third step: the sleeping and working individual was now discovered as an important object of a modern form of sleep research, and ‘sleep experts’ formulated new rules regarding how to sleep ‘right’.
Die Geschichte der „Chinesenviertel“ und chinesischer Migranten in europäischen Metropolen demonstriert, wie „Fremde“ zur Gefahr für die nationale Arbeit und für die Großstädte stilisiert wurden; sie zeigt aber auch, wie Migranten wirtschaftliche Nischen besetzen und schließlich als kulturelle Bereicherung akzeptiert werden konnten. In Hamburg präfigurierte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein ausgeprägter Hygiene-Diskurs die vehemente Ablehnung, während sich die Behörden in Rotterdam anfangs indifferent verhielten und die dortige Bevölkerung in den frühen 1930er-Jahren durchaus Empathie mit arbeitslosen Chinesen zeigte. In London wiederum schlug die anfängliche Toleranz seit dem Ersten Weltkrieg in Abwehr um. Ab den 1950er- und 1960er-Jahren setzte mit dem großen Erfolg chinesischer Gastronomie eine neue Phase chinesischer Migration ein, die nun als kulinarische Bereicherung der urbanen „Konsumgesellschaft“ allgemein anerkannt wurde. Während ein kosmopolitischer Charakter von westeuropäischen Metropolen seit den 1970er-Jahren als mehr oder minder selbstverständlich gilt, ist die Geschichte chinesischer Migranten in Westeuropa ein gutes Beispiel für den langen und unebenen Weg zur multikulturellen und multiethnischen Gesellschaft.
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The history of ‘Chinese quarters’ and of migration from China to western European metropolises reveals how migrants have been perceived as a threat to national labour forces and to urban centres. In reality, Chinese people set up economic niches and were eventually accepted as a valuable cultural addition to society. During the first half of the twentieth century, opposition to the presence of Chinese migrants in Hamburg was vehemently articulated in terms of social hygiene. While the authorities in Rotterdam were initially indifferent, local inhabitants were sympathetic towards unemployed Chinese people who arrived in the early 1930s. In London, the initially tolerant attitude towards these migrants turned into hostility after the First World War. The 1950s and 1960s saw a new phase of Chinese migration in Europe following the success of the Chinese catering trade, which became a key aspect of urban consumer society. Although the cosmopolitan character of western European metropolises has been well-established since the 1970s, this article offers an insight into the long and bumpy path towards a multicultural and multiethnic society.
Am Beispiel Hamburgs wird untersucht, wie die Geräusche einer bedeutenden Hafenstadt auf die einheimische Bevölkerung und auf Besucher wirkten. Die Klänge der Schiffssirenen, mitunter als „herrlicher Lärm“ bezeichnet, banden die Bewohner emotional an ihre Stadt. Auch bei Auswärtigen hinterließ das akustische und visuelle Erlebnis des Hamburger Hafens einen nachhaltigen Eindruck, nicht zuletzt da Hafengeräusche mit Fernweh und Abenteuerlust assoziiert wurden. Schon seit dem frühen 20. Jahrhundert griffen Massenmedien und Massenkultur die maritime Geräuschkulisse auf. Sehr populär wurde etwa die 1929 begonnene, bis heute fortgeführte Radiosendung „Hamburger Hafenkonzert“. Auch in Filmen fungierten maritime Klänge als variierende Bedeutungsträger. Während sich die ökonomische und soziale Bedeutung des Hafens für die Stadt Hamburg seit den späten 1960er-Jahren veränderte, werden maritime Sounds und Images auf medialer Ebene fortgeschrieben.
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This article explores the social and cultural history of sound and its meaning in a major port city. In Hamburg, Germany’s principal port, the sounds and sirens of vessels – sometimes characterised as ‘gorgeous noise’ – emotionally attached local people to their city. The sounds and sights of the Hamburg harbour deeply impressed foreigners, fuelling their imagination of ‘exotic’ parts of the earth. From the early twentieth century, the mass media popularised the acoustic landscape of maritime Hamburg. The ‘Hamburg Harbour Concert’, for example, a live radio show, was broadcast from 1929 onwards and captured the sounds of the port alongside live music. Many films about Hamburg implemented the maritime soundscape and created an audio-visual experience. Although the economic and social relevance of the port has changed since the late 1960s, maritime sounds and images of Hamburg continue to be produced today.
Die visuelle Überlieferung aus der Zeit der NS-Diktatur lässt sich nur interdisziplinär erforschen. Die fotografische Massenkommunikation, die im NS-Staat dem Propagandaministerium unterstellt wurde, kann mit herkömmlichen zeithistorischen Methoden, aber auch mit dem kunstwissenschaftlichen Instrumentarium allein nicht umfassend erklärt werden. Qualitative Ansätze etwa der Kommunikationswissenschaft bieten zusätzliche Möglichkeiten des Erkenntnisfortschritts – nicht zuletzt im Hinblick auf die private Fotografie. Im Paradigma der „Bildwissenschaft“ können sich die Kompetenzen der Einzeldisziplinen neu verbinden und zum differenzierten Verständnis der NS-Herrschaft einen wichtigen Beitrag leisten. Der Aufsatz skizziert zunächst die fotohistorische Erforschung der NS-Zeit seit den 1980er-Jahren. Gefragt wird dann nach der Überlieferungssituation in den Archiven und den Auswirkungen der Digitalisierung. Eine zentrale These lautet dabei, dass sich das Problem der bisher oft mangelhaften Klassifizierung und Erschließung von Fotomaterial durch dessen digitale Zirkulation weiter verschärft.
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Visual records from the period of the National Socialist dictatorship require interdisciplinary research. Photographic mass communication which, under the National Socialist regime, was under control of the Ministry of Propaganda, cannot be adequately explained with the customary methods of contemporary historical research or with those of art history alone. Qualitative approaches such as those adopted within communication studies offer opportunities to enrich our knowledge in this field in, for example, the field of amateur photography. The paradigm of ›visual studies‹ can combine skills acquired in the various disciplines in new ways and help us to refine our understanding of the National Socialist regime. This essay begins by outlining historical research since the 1980s which deals with the photography of this period. It then gives an account of the state of records in archives and the effects of digitalisation. The author concludes that the digital circulation of visual archive materials has caused the past shortcomings of the classification and reproduction of photographic material to become even more acute.