Abstract

Sabine Höhler

In den 1970er-Jahren wurde Resilienz zu einem Begriff für die Fähigkeit eines Systems, flexibel auf Stress zu reagieren. Statt nach einer Störung dem linearen Ideal der Erholung zu folgen, sollte sich das resiliente System neu organisieren. Die Konzepte Stress und Resilienz stammen aus der Materialforschung des 19. Jahrhunderts; im 20. Jahrhundert wanderten sie in die Psychologie und in die Ökologie. Der Beitrag skizziert die Entstehung des Ideals multistabiler Systeme, die auch unberechenbare, diskontinuierliche Veränderungen bewältigen sollten. Entlang der Geschichte der Bruchmechanik des 19. Jahrhunderts, der Traumaforschung der 1950er-Jahre sowie der Stressökologie der 1970er-Jahre wird gezeigt, wie sich Stress und Resilienz zu Systembegriffen ausweiteten, die so unterschiedliche Größen wie die menschliche Persönlichkeit und die irdische Umwelt erfassten. Diskutiert wird insbesondere die Vorstellung des antizipierten Versagens. Ob Mensch, Technik oder Umwelt – das einkalkulierte Systemversagen wurde zur Bedingung für die Selbstoptimierung des Systems, das aus Krisen und Katastrophen gestärkt hervorgehen sollte. Der Kollaps wurde nicht mehr als ein das moderne Selbstverständnis unterlaufendes Problem gedeutet, sondern als der Motor der Evolution.

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Resilience: Human – Environment – System. A History of Coping with Stress from Recovery to Self-Optimisation

 

In the 1970s, resilience appeared as a way of describing the ability of a system to respond flexibly to stresses. Instead of following the linear ideal of recovery, the resilient system would reorganise. The concepts of stress and resilience emerged in the material sciences in the early 19th century and found their way into psychology and ecology in the 20th century. The article sketches the development of the ideal of the multi-stable system that can cope with incalculable and discontinuous changes. Following the history of fracture mechanics in the 19th century, of trauma research in the 1950s and of stress ecology in the 1970s, the paper traces how stress and resilience became systemic concepts that embraced quantities as diverse as human personality and the physical environment. Special attention is paid to the concept of anticipated failure. Whether human being, technology or environment – system failure became the condition for the self-optimisation of the system that would emerge stronger from crises and catastrophes. Collapse was no longer seen as a problem undermining the modern identity but as the engine of evolution.

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