This article investigates the little known phenomenon of tourism to the Iron Curtain, using the example of the inter-German border. The practice of traveling to the demarcation line to see where Germany and Europe were divided peaked during the mid-1960s but was already in full swing by the mid-1950s and lasted until the fall of the border in 1989. Based on archival documents, postcards and tourist guidebooks, the article analyses the growth of a tourist infrastructure on the western side of the inter-German border and situates this travel as a form of ‘dark tourism’. It argues that seeing the border and visualising the partition of the country did little for overcoming it but rather tended to underwrite the political and territorial status quo. In the Cold War battle for public opinion, seeing the border allowed West Germans and their visitors from abroad to juxtapose freedom and prosperity with captivity and decay, thus advertising the superiority of the capitalist model over its socialist other.
∗ ∗ ∗
Der Aufsatz untersucht die bisher wenig beachtete Rolle der innerdeutschen Grenze als einer touristischen Sehenswürdigkeit. Grenztourismus begann Mitte der 1950er-Jahre, intensivierte sich durch den Bau der Berliner Mauer im August 1961 und setzte sich bis zum Fall der Mauer 1989 fort. Auf der Basis von schriftlichem Archivmaterial, aber auch von Postkarten und Reiseführern beschreibt der Artikel die Infrastruktur und die Erscheinungsformen dieser Art von Tourismus und ordnet sie dem „dark tourism“ zu. Eine Grenzfahrt führte den Besuchern zwar drastisch die Teilung des Landes vor Augen, trug de facto aber nicht zur Überwindung derselben bei, sondern – so die These des Aufsatzes – eher zur weiteren Gewöhnung an die territorialen und politischen Realitäten der Nachkriegszeit. Im propagandistischen Wettstreit um das „bessere Deutschland“ waren Reisen an die innerdeutsche Grenze für die Bundesbürger und ihre ausländischen Gäste zudem eine ideale Aktivität, um die Überlegenheit des kapitalistischen Systems und die Schwächen des sozialistischen Modells hervorzuheben.
1/2011: Offenes Heft
Aufsätze | Articles
Der Aufsatz setzt die Massenerschießungen von Katyn, bei denen der NKWD 1940 Tausende polnischer Kriegsgefangener tötete, in den Kontext einer deutsch-sowjetischen Verflechtungsgeschichte, um die abstrakten Gewalthierarchien früherer Diktaturvergleiche zu überwinden. Dass Goebbels’ sonst wenig glaubwürdige Propaganda 1943 die wirklichen Täter nannte, prägte die langfristigen Kommunikationsmuster ebenso wie Stalins Versuch, Zweifler an der angeblichen deutschen Täterschaft als Kollaborateure des „Dritten Reichs“ zu diskreditieren. In den Deutungen von Katyn während des Kalten Kriegs wirkten die konträren Sichtweisen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs folgenreich nach. Analysiert werden das Beschweigen, die Verrätselung und die Boulevardisierung Katyns vor allem in der westlichen Rezeption; so trägt der Aufsatz dazu bei, die Geschichtskultur des Kalten Kriegs zu historisieren. Katyn ist ein Lehrstück über die Selektivität historischer Narrationen, das bis in aktuelle Debatten um eine europäische Weltkriegserinnerung hineinreicht.
∗ ∗ ∗
This article places the mass shootings at Katyn, in which the NKVD (People’s Commissariat of Internal Affairs) killed thousands of Polish prisoners of war in 1940, in the context of a German-Soviet entangled history which strives to go beyond the abstract power hierarchies underpinning previous comparative studies of dictatorships. The fact that Goebbels’ otherwise implausible propaganda mentioned the actual persecutors of Katyn in 1943 made a long lasting impression on patterns of interpretation. The same may be said of Stalin’s attempt to discredit those who doubted the alleged German responsibility for this event as collaborators of the ‘Third Reich’. Contradictory positions which dated from the Second World War continued to effect the interpretations of Katyn during the Cold War to considerable effect. The author addresses the silence surrounding this event, its mystification and the pandering to popular taste which were particularly prevalent in western understandings of this event. The article therefore contributes towards the historicisation of the historical culture of the Cold War. Katyn amounts to a didactic play about the selectivity of historical narratives which continues to pervade contemporary debates about the European memory of the world wars.
Während des gesamten 20. Jahrhunderts standen Frauen in den USA im Fokus öffentlicher Debatten und Expertendiskurse, die ihre biologische und soziale Funktion als Mütter künftiger Staatsbürger reflektierten. Diese Auseinandersetzungen um „Concepts of Motherhood“ erlauben Rückschlüsse auf zentrale gesellschaftliche Wandlungsprozesse und deren Gegenbewegungen. So zeigen die hier analysierten Debatten um Frauenrechte, Frauenarbeit und Reproduktion erstens, dass sich Normen und Handlungsspielräume für Frauen zwar sukzessive erweiterten, sie jedoch stets von Forderungen nach einer Re-Biologisierung der Geschlechterrollen bedroht waren. Zweitens wird deutlich, dass das Ideal der „White Middle Class Nuclear Family“ in den Debatten nicht grundsätzlich angetastet wurde. Vielmehr ging es den Beteiligten um die Ausbalancierung der Geschlechterrollen innerhalb dieser Kerneinheit, unter Vernachlässigung der Bedürfnisse und Lebensrealitäten von Müttern aus anderen ethnischen oder sozialen Gruppen.
∗ ∗ ∗
Throughout the twentieth century in the United States, public debates and experts’ discourses controversially discussed women’s biological and social functions as mothers of future citizens. These debates about ‘concepts of motherhood’ offer insight into processes of social change and reactions to them. A thorough analysis of controversies about women’s rights, working women and reproduction shows that the range of moral norms and women’s options steadily increased. Nevertheless, the notion that women should have the right to combine motherhood and careers was constantly threatened by social conservatives who defined gender roles in terms of biological paradigms. In these debates, the ideal of the ‘white middle class nuclear family’ remained more or less unchallenged. Gender roles were redistributed more equitably only on condition that they did not bring into question this ideal, such that the needs of mothers who belonged to different ethnic groups or social classes were neglected.
Debatte | Debate
-
Hans-Ulrich Thamer
Hitler im Museum?
Ein Erfahrungsbericht zur Ausstellung „Hitler und die Deutschen“
-
Michael Wildt
„Volksgemeinschaft“
Eine Antwort auf Ian Kershaw
Essays
-
Anne Kwaschik
Stéphane Hessels Streitschrift „Empört Euch!“ und die französische Geschichtspolitik
Quellen | Sources
-
Heidrun Hamersky
Der nonkonforme Blick
Ivan Kyncls Fotografien der tschechoslowakischen Gesellschaft in der Zeit der „Normalisierung“
-
Christoph Classen, Thomas Großmann, Leif Kramp
Zeitgeschichte ohne Bild und Ton?
Probleme der Rundfunk-Überlieferung und die Initiative „Audiovisuelles Erbe“
Besprechungen | Reviews
CD-ROMs und DVDs
-
Volker Grabowsky
„Take the camera in your hands“
Eine filmische Annäherung an die Verbrechen der Roten Khmer
Neu gelesen
-
Andreas Wirsching
„Epoche der Mitlebenden“ – Kritik der Epoche
-
Thomas Pegelow Kaplan
Macht und Geschichte der Wörter
Dolf Sternbergers „Wörterbuch des Unmenschen“ als sprachkritisches Dokument der frühen Bundesrepublik
-
Christian Schneider
Kulturpessimismus und Aufklärungspathos
Zu den Ambivalenzen von Adornos „Aufarbeitung der Vergangenheit“