Safer Sex und Solidarität

Die Sammlung internationaler Aidsplakate im Deutschen Hygiene-Museum

Anmerkungen

Plakate sind für die Kommunikation im Vorbeigehen gedacht und wenden sich an ein Massenpublikum. Für die Bildsprache und den Text des Plakats erfordert dies eine Reduktion auf das Wesentliche. Wird diese Technik des Reduzierens erfolgreich angewendet, verdichten Plakate bestimmte Leitideen ihrer Entstehungszeit – und genau das macht sie als Quellen für die Geschichtswissenschaft interessant. In den bedeutenden europäischen Plakatsammlungen liegt das Augenmerk meist auf Ausstellungs- und Filmplakaten, auf Wahl- und Propagandaplakaten sowie auf Werbeplakaten für Markenprodukte des 19. und 20. Jahrhunderts. Einen anderen Schwerpunkt legt die Sammlung des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden (DHMD)1 mit rund 12.000 Plakaten. Dieser Bestand dokumentiert die deutsche Geschichte von „Gesundheit und Prävention“ sowie einzelne Kapitel der entsprechenden internationalen Geschichte vom 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart.

Plakate, die im Rahmen von Kampagnen zur gesundheitlichen Aufklärung und Vorsorge entstanden sind, hatten es meist schwer. Schließlich wurde der Adressat in diesem Fall nicht mit der Werbung für ein attraktives Produkt angesprochen, sondern mit Slogans wie „Halte Dein Normalgewicht“ belehrt. Statt einer Kampfansage gegen den Krieg oder einer leidenschaftlichen Verteidigung politischer Positionen lautete die Parole etwa „Kampf dem Krebs“. Gesundheitsplakate kündigten keine romantischen Liebesfilme an, sondern warnten zum Beispiel mit der Aussage „Kleine Bekanntschaft – große Gefahr. Krankheiten drohen!“. Sie konfrontierten den Betrachter mit unangenehmen Themen, die zudem den eigenen Körper betrafen. Darüber hinaus konnten die Auftraggeber und Gestalter der Gesundheitsplakate von den Budgets der Werbeindustrie nur träumen. In der Konkurrenzsituation um das kostbare Gut „Aufmerksamkeit“ war dies keine einfache Ausgangsposition.

Eine Analyse von Plakaten mit körperbezogenen Themen macht daher auf den gesellschaftlichen Umgang mit Gesundheit und Krankheit aufmerksam. Derartige Plakate bezogen sich im 20. Jahrhundert vor allem auf Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten, Krebs, Gewerbekrankheiten, Alkohol und Nikotin, Grippe, Zahnpflege, Ernährung und Bewegung. Auf diesen Plakaten verdichten sich gesellschaftliche Leit- und Vorbilder, die in Gesundheitskampagnen entworfen werden, so dass sie als eine Art Speicher für zeitgenössisch erwünschte Verhaltensmuster fungieren. Es lohnt sich, diese Normen und ihre bildlichen Darstellungen zu historisieren, gerade im internationalen Vergleich.

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Für solche Forschungen haben Aidsplakate einen hohen Stellenwert. Nach den ersten Todesfällen löste Aids wegen fehlender Behandlungsmöglichkeiten und großer Ansteckungsgefahren in den 1980er-Jahren weltweit Panik aus. „Zu dem Sterben der Meere und Seen und Wälder, dem ungehinderten Bevölkerungswachstum in den armen Gegenden der Welt, Atomunfällen wie Tschernobyl, der Durchlöcherung und Abtragung der Ozonschicht, der ständigen Gefahr eines atomaren Schlagabtausches zwischen den Supermächten oder eines atomaren Überfalls durch einen der Einzelgängerstaaten, die nicht der Kontrolle einer Supermacht unterstehen – zu all dem kommt nun Aids hinzu.“2 Mit diesen düsteren Worten beschrieb Susan Sontag 1988, also sieben Jahre nach Entdeckung der Krankheit, verbreitete Ängste.

Die ersten nationalen Aids-Präventionskampagnen starteten Mitte der 1980er-Jahre (für die beiden deutschen Staaten siehe dazu den Beitrag von Henning Tümmers in diesem Heft), und spätestens in den 1990er-Jahren waren Aids-Kampagnen bereits weltweit präsent. Dem Massenkommunikationsmittel Plakat wurde dabei von Beginn an höchste Priorität eingeräumt. Schließlich fand es wegen seiner expliziten Thematisierung und Visualisierung vormaliger Tabuthemen wie Homosexualität und dem Gebrauch von Kondomen besondere Aufmerksamkeit. Flankiert wurde dieser Aufklärungsboom von einer immer differenzierteren, zielgruppenspezifischen Ausrichtung der Kampagnen. Namhafte Werbebüros, Gestalter und Künstler wurden einbezogen, die sich nicht selten ehrenamtlich engagierten. Darüber hinaus fanden sich neben staatlichen Behörden verstärkt Nichtregierungsorganisationen als Auftraggeber.

Vor diesem Hintergrund erkannten Sammler und Museen, dass dem Aids-Aufklärungsplakat eine vielversprechende Karriere als Zeitdokument bevorstehe, wie zuvor dem politischen Plakat und dem Werbeplakat seit dem frühen 20. Jahrhundert. In den vergangenen Jahren wurden Aidsplakate an mehreren Orten als neuer Sammlungsschwerpunkt definiert, so in der Wellcome Collection in London, in der National Library of Medicine in Bethesda oder im Museum für Gestaltung in Zürich.3 Auch im Deutschen Hygiene-Museum wird seit 1998 eine internationale Aids-Plakatsammlung aufgebaut, die mittlerweile rund 9.000 Plakate aus über 100 Ländern umfasst und damit die wohl umfangreichste Kollektion ihrer Art weltweit darstellt. Der Bestand dokumentiert die Aids-Präventionsgeschichte aus drei Jahrzehnten anhand von Plakatbeispielen aus allen Kontinenten.

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Auf diesen Plakaten werden verschiedene Interventionsstrategien deutlich, die auf ein internationales und lebensbedrohliches Ereignis reagierten. Die Kampagnen klärten über Infektionswege und Schutzmaßnahmen auf. Sie warben für ein Verhalten, das vor Ansteckung schützen sowie die Diskriminierung von Betroffenen verhindern sollte. Safer Sex, Safer Use und Solidarität avancierten deshalb weltweit zu den zentralen Botschaften der Kampagnen. Das zur Verfügung stehende Wissen über Aids wurde vermittelt, verhandelt und inszeniert.

Der vorliegende Beitrag steht im Kontext des Forschungsprojekts „Aids als globales Medienereignis. Plakate und ihre Bildsprache im interkulturellen Vergleich“, das im April 2013 seine Arbeit aufgenommen hat, gefördert von der Kulturstiftung des Bundes.4 Die Aufgabe des Projekts ist eine Bestandsbefragung in Form einer interkulturellen Vergleichsstudie zu ausgewählten Plakatmotiven. Neben einer dichten Beschreibung der Plakate sind ikonographische Analysen und ikonologische Interpretationen vorgesehen. Die Studie verfolgt damit drei Ziele: Erstens untersucht sie kulturelle Differenzen und Gemeinsamkeiten, die durch synchrone Betrachtungen und Vergleiche von Topoi und Zielgruppen anhand unterschiedlicher Länder und Kontinente herausgearbeitet werden sollen. Zweitens wird durch diachrone Betrachtungen gleicher Bildmotive nach Konstanz und Wandel in der Programmatik sowie nach zeittypischen Veränderungen der Darstellungsmittel gefragt. Drittens sollen die Accessoires und Codes bestimmter sozialer Gruppen in den Blick genommen werden. Ein besonderes Interesse gilt hierbei dem „common visual vocabulary“, d.h. dem impliziten Regelsystem dessen, was ein Plakat in einem bestimmten gesellschaftlichen Umfeld ansprechen und zeigen kann. Zusammengefasst zielt die Analyse auf eine Rekonstruktion der politischen, ökonomischen, ästhetischen, diskursiven und sozialen Bedingungen, unter denen die Aidsplakate entstanden und verbreitet wurden. Da diese Analyse zurzeit noch am Anfang steht, schöpfen die folgenden Ausführungen aus der laufenden Forschung und verstehen sich als Werkstattbericht.

Ein wichtiges Ziel des Projekts ist es nicht zuletzt, eine Basis auch für andere Forscher/innen zu schaffen, indem etwa der Erschließungszustand der Plakatsammlung verbessert und eine differenzierte Schlagwortstruktur erarbeitet wird. Die bisher schon vorhandenen Plakatdatensätze5 sollen für künftige wissenschaftliche Arbeiten besser nutzbar gemacht werden. Insofern ist der vorliegende Beitrag schon jetzt ausdrücklich als eine Einladung zu weiteren Befragungen des Bestandes gemeint.

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(Abb. 1 und 2: DHMD, Inventarnummer 1996/1406 und 2008/712)

Aus der Dresdner Sammlung möchte ich zunächst drei Beispiele zum Topos „Solidarität“ vorstellen. Das erste Plakat mit dem Titel „Kranke gehören dazu“ (Abb. 1) wurde 1990 von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Köln herausgegeben. Zu sehen sind ein Mann und eine Frau, die beide entspannt lächeln. Sie umarmt ihn, sucht seine Nähe. Während er den Betrachter anschaut, ruht ihr Blick auf ihm. „Miteinander leben“ lautet der knappe Slogan, der auf dem Plakat rechts unten zu lesen ist. Das zweite Plakat wurde 1993 vom Ministerium für Gesundheit in Brasilien herausgegeben. Abgebildet ist ein junger Mann, der ernst und konzentriert auf sein HIV-Testergebnis schaut (Abb. 2). Sein Gedanke „Ab jetzt ist mein Leben positiv“ dient als bewusst doppeldeutiger, zunächst irritierender Plakattitel. Im Textblock wird für Mitgefühl und Solidarität geworben: „Wenn eine Person erfährt, dass sie mit dem Aids-Virus infiziert ist, fühlt sie sich traurig, verletzlich und einsam, so als ob das Leben ihr plötzlich davongleitet und es nichts mehr zu tun gäbe. Aber das ist nicht wahr! Die Infektion mit Aids bietet für jeden einen Neuanfang und die Möglichkeit, eine neue, positivere Haltung gegenüber dem Leben zu entwickeln. Damit dies geschieht, haben wir alle einen Beitrag zu leisten – durch die Bekundung unserer Zärtlichkeit, durch Unterstützung, Liebe und Solidarität gegenüber denen, die uns nahe sind und mit Aids infiziert sind.“
 

 

(Abb. 3: DHMD, Inventarnummer 2004/381)

Das dritte Beispiel wiederum setzt in Bild und Text einen anderen Akzent: „Happy to be gay“ lautet der Titel des von Martin Kippenberger entworfenen Plakats (Abb. 3). Dieses schrille Motiv wurde 1993 zusammen mit 38 weiteren Künstlerplakaten in der vom französischen Verein ARTIS initiierten Ausstellung „Images pour la lutte contre le Sida“ gezeigt. Deutlich erkennbar sind drei miteinander kämpfende, sich gegenseitig Kinnhaken verpassende Männer. Kippenbergers Plakat sprach das Tabu „Homosexualität“ offensiv an, ohne explizit auf Aids zu verweisen. Erst das Wissen des Betrachters und der Ausstellungskontext ordnen das Plakat diesem Thema zu.

Ein zweiter Motivkomplex ist das Kondom, das sich auf Plakaten in unzähligen Varianten findet: aufgerollt oder als Symbol in Form eines Kreises abgebildet, in Großformat oder nur vage angedeutet am Bildrand, in der Hosentasche aufblitzend, dargestellt als Rettungsschirm, Rakete oder Kopfbedeckung, als Geschenk verpackt oder als Munitionsersatz verwendet. Ein typisches deutsches Safer-Sex-Plakat, das im Rahmen der „mach’s mit“-Kampagne der BZgA entstand und ab 1994 als Großplakat im öffentlichen Raum präsent war, kann hierfür als Beispiel dienen (Abb. 4).

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(Abb. 4: DHMD, Inventarnummer 1997/1310)

Das Hauptmotiv „rosarote Brille“ ist einfach gestaltet und humorvoll inszeniert. Die Brillengläser bestehen aus zwei zusammengerollten, rosafarbenen Kondomen, schwarze Zeichenstriche verkörpern das Brillengestell. Die Botschaft lautet: Egal wie verliebt man ist, beim Geschlechtsverkehr sollte ein Kondom benutzt werden. Für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts wäre ein solch „plakativer“ Hinweis auf das Kondom undenkbar gewesen (in Deutschland war Kondomwerbung bis 1927 sogar verboten), obwohl dieses bereits um 1900 als sicherer Schutz gegen Geschlechtskrankheiten galt. Mitte der 1990er-Jahre dagegen beging man mit der Darstellung von Kondomen auf einem Plakat keinen Tabubruch mehr, war die Thematisierung von Safer Sex bereits Routine. So musste das Verhütungsmittel weder ausdrücklich erwähnt noch real abgebildet werden. Ein vereinfachtes grafisches Symbol genügte, Kenntnisse zu den Infektionswegen wurden vorausgesetzt. Das Thema ist hier – ganz selbstverständlich und ohne Moralisierung – die körperliche Liebe, und diese ist nicht eindeutig auf Heterosexuelle begrenzt.
 

 

(Abb. 5: DHMD, Inventarnummer 2004/110)

Aufschlussreich ist der Vergleich mit dem Plakat „Europe against Aids“ aus einer EU-Kampagne der 1990er-Jahre (Abb. 5). Das Hauptmotiv ist eine Comiczeichnung, auf der ein Kondom in Form einer Rakete am blauen Sternenhimmel prangt. Ein Mann und eine Frau fliegen auf der Rakete einem roten Herzen entgegen. Der Titel ist wie ein Stempel in das Plakat integriert. Schon die Bildsprache des Plakats macht die Kompromissbemühungen deutlich, die für einheitliche Empfehlungen auf Ebene des europäischen Staatenverbundes unabdingbar sind: Das Kondom wird zwar zweckentfremdet, aber in realistischer Gestalt verwendet. Zugleich verweist die Entscheidung für die Abbildung eines heterosexuellen Paares auf einen europäischen Konsens, dass Aids nicht allein eine Krankheit homosexueller Paare ist. Einem Paar, dass sich für Safer Sex entscheidet und somit den gängigen Vorbehalten gegenüber Kondomen entgegentritt, steht das Universum offen – so kann man das Motiv „Weltraumflug“ deuten. Schließlich verleiht der Stempel der Botschaft einen quasi amtlichen Status.
 

 

(Abb. 6 und 7: DHMD, Inventarnummer 1997/1301 und 2012/540)

Wie der Dresdner Bestand dokumentiert, wurde das Plakat in ähnlicher Form in verschiedenen europäischen Ländern veröffentlicht. So versah die BZgA – im Unterschied zu dem eben erwähnten Plakatbeispiel, das aus Frankreich stammt – wohl mit Blick auf die gern zitierte Reiselust der Deutschen die deutsche Version mit dem Zusatz „summer campaign“ und verzichtete zugunsten des BZgA-Logos „Gib Aids keine Chance“ auf den Stempel (Abb. 6). Eine osteuropäische Variante dokumentiert das entsprechende Plakat aus Slowenien (Abb. 7). Dort wurde dem Bildmotiv so viel Raum gegeben, dass für den Stempel kein Platz mehr blieb. Der Titel steht sehr klein am unteren Rand und ist nur auf den zweiten Blick erkennbar, doch wurde die Botschaft mit dem Zusatz „Benutzt Kondome“ noch einmal explizit formuliert.

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Neben dem Kondom ist das Motiv „Liebespaar“ ein vielschichtiger und weltweit verbreiteter visueller Repräsentant der Aids-Plakatkampagnen. Das dokumentiert die Dresdner Sammlung in großer Bandbreite – von konservativen Positionen und eher vagen Andeutungen bis hin zu Tabubrüchen und drastischer Offenheit. Auch hierzu ist an dieser Stelle nur ein schlaglichtartiger Einblick möglich.
 

 

(Abb. 8 und 9: DHMD, Inventarnummer 2009/901 und 2002/540)

Zwei Plakate der 1980er-Jahre stammen aus Italien und Ghana.6 „Wähle die Liebe… ein sicherer Weg“ titelt das italienische Plakat, auf dem ein Mann und eine Frau sich lächelnd an den Händen halten und einander in die Augen blicken (Abb. 8). Ein Textblock unten links verweist auf Werte wie Treue, Ehrlichkeit und Respekt, die „Dir das Leben retten“. Ein Herzsymbol in Verbindung mit dem Slogan „Stop AIDS“ ist als Kampagnenlogo erkennbar. Die Botschaft des afrikanischen Liebespaar-Plakats lautet: „Bleib bei Deinem Partner. Hilf Aids zu stoppen“ (Abb. 9). Bildsprache und Argumentationsstrategie sind bei beiden Plakaten ähnlich. Sie knüpfen an die traditionelle Gleichsetzung von Sexualität und Heterosexualität an. Deutlich wird das Bemühen um eine Beeinflussung der Sexualmoral durch Appelle an Vernunft und Treue, wobei Mann und Frau als gleichberechtigte Partner auftreten. Im direkten Vergleich fällt lediglich die unterschiedliche landestypische Kleidung ins Auge.
 

 

(Abb. 10 und 11: DHMD, Inventarnummer 2013/561 und 2004/588)

Ganz andere Kommunikationsstrategien verwendeten Plakate wie „Jede Frau hat das Recht, ‚Nein!‘ zu sagen“ (Südafrika, vor 1996; Abb. 10) und „Seitensprung immer mit Präservativ“ (Schweiz 1990; Abb. 11). Die Szene auf dem südafrikanischen Plakat zeigt ein heterosexuelles Paar, wobei die Frau abwehrend ihre Hand hebt. Im Zentrum des Seitensprung-Plakats steht ein im Piktogrammstil abgebildetes Liebespaar. Die Person auf der linken Bildseite flirtet mit einer dritten Person – nur als Piktogramm-Kopf am linken oberen Bildrand angedeutet. Diese beiden Plakate gehören zu jenen Darstellungen, die Paare ganz selbstverständlich auch in Beziehungskonflikten und problematischen Abhängigkeiten zeigen. Deutlich wird die gemeinsame Strategie, Szenen aus dem Beziehungsalltag wirklichkeitsgetreu abzubilden und alltagstaugliche Empfehlungen auszusprechen. Das Schweizer Plakat kritisiert das Fremdgehen nicht, sondern fordert lediglich dazu auf, Kondome zu benutzen.

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(Abb. 12 und 13: DHMD, Inventarnummer 2013/562 und 2009/1090)

In einer weiteren Variante des Motivs „Liebespaar“ wurde die Körperlichkeit der Sexualität in den Mittelpunkt gerückt. Es gibt offene Bekenntnisse zu Lust, Leidenschaft und zum Spiel. Exemplarisch zeigt sich diese Darstellung anhand eines Plakats aus den USA, das ein lesbisches Paar in einer erotischen Szene abbildet, betitelt mit „Safer sex is hot sex“ (Abb. 12). Weiterhin finden sich Provokationen, die keinen Schockeffekt scheuen, ja sogar Effekthascherei. So zählt zu den neueren Erwerbungen der Sammlung ein Plakat, das eine junge Frau beim Sex mit einem Hitler-Double abbildet. Das Motiv „Aids ist ein Massenmörder – schütz dich selbst“ (Abb. 13) gehörte zur gleichnamigen Aids-Aufklärungskampagne aus dem Jahr 2009 des Vereins Regenbogen e.V. in Saarbrücken. Umgesetzt wurde die Serie von der Hamburger Agentur „das comitee“. Für kurze Zeit sorgte diese Kampagne, die ein Video und mehrere Plakate umfasste, auch international für Aufsehen. Die Darstellungsweise wurde einhellig abgelehnt. Die Deutsche AIDS-Hilfe forderte den sofortigen Stopp der Plakate, die Stalin, Saddam Hussein und Hitler beim Sex zeigten. Zeithistorisch interessant ist hier weniger die Frage, ob diese Motivwahl „erlaubt“ oder „geschmacklos“ ist, sondern die Art, wie bestimmte historische Akteure als Verkörperungen des absolut Bösen eingesetzt werden. Schließlich macht diese Inszenierung deutlich, dass der visuelle Kampf um Aufmerksamkeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch härter geworden ist.

Im Gesamtüberblick fällt auf, dass die Plakate selten die Themen Krankheit und Tod zeigen oder ansprechen. Im Mittelpunkt stehen vielmehr das Leben und die Gesundheit, verbunden mit dem Ziel der Prävention vor der bedrohlichen Krankheit. Gewiss leuchtet die Entscheidung ein, keine Panik verbreiten zu wollen. Umso mehr lohnt indes der Blick auf Plakate, die eine andere Aufmerksamkeit einfordern – etwa für den von der Krankheit gezeichneten Körper und für das leidvolle Sterben. Auch dafür lassen sich einige Beispiele anführen.
 

 

(Abb. 14: DHMD, Inventarnummer 2003/837)

„Kann ich Dich zu sicherem Sex überreden?“, fragt ein nackter junger Mann, der großformatig auf einem niederländischen Plakat aus dem Jahr 1995 platziert ist (Abb. 14). In lässiger Haltung sitzend, schaut er lächelnd in die Kamera. Sein Körper ist übersät mit dunklen Pusteln und Wunden. Eine ähnlich verstörende Wirkung geht von einem 1992 veröffentlichten Plakat aus, das im Kontext der zwischen 1983 und 2000 geschalteten Benetton-Kampagnen des Gestalters Oliviero Toscani entstand (Abb. 15). Mit seinen provokanten Entwürfen für die kommerzielle Werbung wollte Toscani gleichzeitig auf wichtige soziale und politische Themen verweisen. Das bekannte grüne Firmenlogo mit dem Schriftzug „United Colors of Benetton“ befindet sich am rechten unteren Bildrand. Das Foto zeigt den Aids-Kranken David Kirby (1958–1990), der, auf dem Sterbebett liegend, im Kreise seiner Familie zu sehen ist. Über die Legitimität dieser Inszenierung ist bereits in den 1990er-Jahren viel gestritten worden. Festzuhalten bleibt, dass durch die Präsentation des Sterbemotivs mit deutlichen Bezügen zur christlichen Ikonographie eine Konfrontation mit dem Aids-Tod im urbanen Raum beinahe unausweichlich ist.

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(Abb. 15: DHMD, Inventarnummer 2009/928)

Während die Mehrzahl der Plakate Einzelne oder Paare zeigt und dabei die Ebene persönlicher Beziehungen in den Vordergrund stellt, gibt es gelegentlich auch Versuche, Aids als Thema der internationalen Politik sowie der damit verbundenen Konflikte und Machtverhältnisse kenntlich zu machen. Der mittlerweile international bekannte kongolesische Künstler Chéri Samba entwarf beispielsweise 1993 ein Plakat für die bereits erwähnte ARTIS-Ausstellungsserie. „Aids kommt aus Afrika, alle westlichen Medien sprechen davon“, lautet der Titel (Abb. 16). Samba arbeitete mit starken Symbolen: Erkennbar sind eine Uhr, zwölf Kondome, zwölf Spritzen, zwei Anzugträger mit weißer und schwarzer Hautfarbe in der Geste der gegenseitigen Schuldzuweisung sowie zwei ausgemergelte Figuren im Totenhemd, ebenfalls mit weißer und schwarzer Hautfarbe. Hier ist nicht mehr nur die Krankheit ein Problem, sondern auch ihre internationale Bekämpfung. In diesem Sinne reflektiert das Plakat grundsätzliche Fragen einer globalen Gesundheitspolitik, die beim Umgang mit Aids noch oft an nationalen Grenzen und Konzepten scheitert.
 

 

(Abb. 16: DHMD, Inventarnummer 2004/344)

Obgleich die hier gezeigten Beispiele die einleitend aufgeworfenen Fragen nicht vollständig oder gar abschließend beantworten können, deuten sie doch die Bandbreite der Untersuchungsdimensionen für künftige Forschungen an: Welche Rolle spielen die Plakatmotive – bestehend aus den Komponenten Format, Schrift, Grafik, Farben, bildliche Darstellungen (Personen, Personifizierungen, Symbole, Allegorien), die in der Summe den „plakativen Effekt“ erzielen – bei der Konstruktion und Festigung von Verhaltensregeln und Leitbildern? Wie wurden und werden existentielle Themen wie Krankheit, Ängste und Sexualität visualisiert? Welche Körper- und Menschenbilder werden auf den Plakaten gezeichnet? Wird dabei auf ältere Bildtraditionen zurückgegriffen oder eine neuartige Ikonographie der Aids-Prävention geschaffen? Wie haben sich diese Bildmedien im Laufe von mittlerweile rund drei Jahrzehnten verändert? Und nicht zuletzt: Sind Aidsplakate in ihrer Produktion und Rezeption zu Medien einer Weltgesellschaft geworden, oder haben sie nationale Traditionen und internationale Konflikte womöglich noch bekräftigt? Eine globale Zeitgeschichte der Vorsorge, die solchen Fragen nachspürt, steht zwar noch am Anfang. Sie findet in diesen Plakaten aber besonders anschauliche Quellen.

Anmerkungen: 

1 Vgl. Susanne König, Bilder vom Menschen – Geschichte und Gegenwart. Die Dauerausstellung des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 4 (2007), S. 246-255.

2 Susan Sontag, Krankheit als Metapher/Aids und seine Metaphern, Neuausg. Frankfurt a.M. 2003, S. 143.

3 <http://wellcomecollection.org/aids-posters>;
<http://www.nlm.nih.gov/exhibition/visualculture/living.html>;
<http://www.museum-gestaltung.ch/de/sammlungen/sammeln/plakat/>.

4 Siehe <http://dhmd.de/index.php?id=2063>.

5 Zu recherchieren unter <http://www.dhmd.de/emuseum/eMuseumPlus>.

6 Die Datierung der Plakate ist bisher vielfach nur ungefähr möglich, eingegrenzt durch den Zeitpunkt des Erwerbs für das DHMD (etwa „vor 1996“, weil 1996 vom Museum erworben). Nach weiteren Anhaltspunkten wird im Rahmen des genannten Projekts recherchiert.

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