Kontrollierte Arbeit = optimale Arbeit?

Frederick Winslow Taylors Programmschrift der Rationalisierungsbewegung

Anmerkungen

Frederick Winslow Taylor, The Principles of Scientific Management, New York: Harper & Brothers 1911; dt.: Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung, übers. von Rudolf Roesler, München/Berlin: R. Oldenbourg 1913; zahlreiche Nachdrucke und Neuausgaben; hier zit. nach der Ausgabe Weinheim/Basel: Beltz 1977.


Taylors Name steht heute – mit dem Begriff „Taylorismus“ – für Arbeitszerlegung und Dequalifizierung. In seinem vielfach nachgedruckten Hauptwerk „The Principles of Scientific Management“ fasste der amerikanische Ingenieur und Rationalisierungsberater Frederick Winslow Taylor (1856–1915) vorhandene heterogene Rationalisierungsvorschläge und -maßnahmen sowie eigene Überlegungen zu einer plakativen Lehre zusammen. An ihr entzündeten sich in den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg heftige Auseinandersetzungen um die Organisation der Fabrik und die Gestaltung industrieller Arbeit.

Taylor entstammte einer wohlhabenden Quäkerfamilie, die ihn im Sinne eines puritanischen Arbeitsethos erzog. Eine akademische Ausbildung gab er auf, um sich in der Industrie hochzudienen. Bei der Midvale Steel Company, einem Betrieb des Hüttenwesens und des Maschinenbaus, arbeitete er als Lehrling, Meister, Ingenieur und Betriebsleiter, das heißt auf allen Hierarchieebenen. Den akademischen Grad eines Maschinenbauingenieurs erwarb er im Selbststudium nebenher. Bei Midvale konnte er einige seiner Rationalisierungsvorstellungen erproben, geriet aber bald in Konflikt mit dem Management und schied 1890 aus der Firma aus. Bis 1901 betätigte er sich als selbstständiger Rationalisierungsberater und begann seine Lehre zu formulieren. Danach erlaubten es ihm die Einkünfte, die aus Industriebeteiligungen und von ihm mit entwickelten Maschinenwerkzeugen aus Spezialstahl („Schnellstahl“) stammten, sich aus dem aktiven Erwerbsleben zurückzuziehen und sich ganz der Fortentwicklung und Verbreitung seiner Lehre in Wort und Schrift zu widmen. Taylors Leistungsorientierung zeigte sich nicht nur in seinen Vorschlägen zur Umgestaltung der Industriearbeit, sondern ebenso in seiner persönlichen Lebensführung. So brachte er es im Sport immerhin zum amerikanischen Tennismeister im Doppel.

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Taylors Hauptwerk „The Principles of Scientific Management“ erschien 1911. Die Ausgangspunkte seiner Reformvorschläge bildeten die von ihm behauptete Ineffizienz in der amerikanischen Industrie sowie die angebliche Drückebergerei und Bummelei der Arbeiter. Dem gelte es gegenzusteuern: durch eine Mischung aus Anreizen und Anleitungen. Ingenieure sollten den Arbeitern die erwartete Leistung, das Pensum und die Vorgehensweise in allen Einzelheiten vorschreiben; der Anreiz bestand in einer Erhöhung der Löhne. Dieses „Pensumsystem“ stelle für die Arbeiter – so Taylor – sogar eine Entlastung dar im Vergleich zu dem vorher bestehenden „Initiativesystem“, das ihnen alle Verantwortung für die Produktion aufgebürdet habe.

Taylor ging davon aus, dass es für jede Arbeit „the one best way“ gebe, eine optimale Form der Ausführung, ebenso für jedes Arbeitswerkzeug. Diese Optima seien durch Beobachtung und Messung zu ermitteln. Dazu gehörten mit Stoppuhr durchgeführte Zeitnahmen. Das den Arbeitern vorzugebende Pensum entstand aus den bei den besten Arbeitern gemessenen Mindestzeiten sowie Zeitzuschlägen. Die Zuschläge begründete Taylor damit, dass die Arbeit nicht die Gesundheit gefährden dürfe und die Arbeitskräfte zufriedenstellen solle. Ein systematisches Test- und Ausleseverfahren sollte erweisen, für welche Tätigkeiten die einzelnen Arbeiter jeweils geeignet seien.

Die Träger und Leiter der Rationalisierungsmaßnahmen waren bei Taylor die Ingenieure. Sie sollten Funktionen der Meister übernehmen, womit sie sich zwischen die kaufmännische Leitung des Betriebs und die Werkstätten schoben. In der Tat drangen die Ingenieure in den beiden Jahrzehnten nach der Jahrhundertwende in die Fertigung ein, die ihnen vorher weitgehend verschlossen geblieben war. Damit entstand für die Industrieingenieure neben der Konstruktion ein zweites großes Berufsfeld. Die Aufgabe der in Betriebsbüros zusammengefassten Ingenieure – später sprach man von der Arbeitsvorbereitung – sah Taylor darin, die Produktionsmittel auf den neuesten Stand zu bringen und die Fertigungsprozesse zu optimieren. Die Meister waren für die Überwachung der Arbeiter zuständig. Im System der alten Fabrik hatten sie eine Gesamtverantwortung für die Produktion besessen; in Taylors System dagegen waren sie den Ingenieuren untergeordnet und funktional spezialisiert. Nach seinen Vorstellungen sollte ein Meister etwa für Disziplin sorgen, ein anderer die Arbeiter anlernen, ein dritter die Maschinen überwachen. Dies stellt ein Beispiel für Arbeitsteilung bei Taylor dar, welche jedoch – entgegen dem heutigen Verständnis von „Taylorismus“ – in seiner Lehre keine zentrale Rolle spielte. Von der Rationalisierung sollten alle profitieren: die Unternehmer durch Gewinnsteigerung, die Arbeiter durch Lohnzuschläge (wenn sie das Pensum erfüllten) und die Allgemeinheit durch Verbilligung der Produkte.

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Im Mittelpunkt der Lehre Taylors stand der Anspruch der Wissenschaftlichkeit. Begriffe wie „Wissenschaft“ und „Gesetz“ verwendete er in seinem Buch geradezu inflationär. Da war die Rede von der „Wissenschaft des Schaufelns“ (S. 69), dem „Gesetz für schweres körperliches Arbeiten“ (S. 60), der „Wissenschaft des Roheisenverladens“ (S. 51) und der „Wissenschaft des Mauerns“ (S. 89). Da die Zurichtung der Arbeit und die Festlegung des Pensums wissenschaftlichen Erkenntnissen folge, seien diese – so Taylor – der Aushandlung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern entzogen. Damit erhob Taylor den Anspruch, Lohnkonflikte und andere Streitpunkte wissenschaftlich zu lösen; Gewerkschaften hielt er für überflüssig. Die darüber hinausgehende gesellschaftspolitische Brisanz dieses Anspruchs wird in Taylors Randbemerkung deutlich, dass seine Lehre überall im sozialen und politischen Leben Anwendung finden könne – in der Kirchen-, Universitäts- oder auch der Staatsverwaltung. Die Ansprüche universeller Gültigkeit der Rationalisierung und einer führenden Rolle der Ingenieure in der Gesellschaft übernahm später die Technokratiebewegung. Für die Technokraten waren Politik und Staatsverwaltung nichts anderes als eine durch technische Experten zu lösende Optimierungsaufgabe.

Tatsächlich handelte es sich bei Taylors „wissenschaftlichen“ Methoden um ein recht krudes Instrumentarium. Der Festlegung der „optimalen“ Arbeitsprozesse lag eine Art Rekonstruktion der Erfahrung der besten Arbeiter zugrunde, die der Rationalisierer – wiederum aufgrund seiner Erfahrung – ergänzte. Die Zuschläge auf die mit der Stoppuhr gemessenen Mindestzeiten erfolgten eher willkürlich. Taylors Wissenschaftsbegriff setzte ganz auf Empirie: Seiner bekanntesten technischen Innovation, der Einführung des „Schnellstahls“ (d.h. neuer wärmefester Werkzeuge für die spanende Metallbearbeitung und damit ermöglichte Betriebsweisen), lagen geradezu irrwitzig aufwändige Versuchsreihen zugrunde. In einem Zeitraum von 26 Jahren zerspanten Taylor und seine Mitarbeiter in 30.000 bis 50.000 Versuchen mehr als 400 Tonnen Eisen und Stahl.

Taylor kann man das Verdienst zuschreiben, dass er auf die Notwendigkeit einer systematischen Analyse maschineller und handwerklicher Arbeitsprozesse hinwies. Das der Umsetzung dieser Aufgabe zugrundeliegende Menschenbild und das verwendete Instrumentarium blieben jedoch hoch problematisch. Taylor ging davon aus, dass die Arbeiter – wie die meisten Menschen – von Natur aus faul, selbstsüchtig und kaum lernfähig seien. In aller Regel seien sie nicht in der Lage, ihre Arbeit sinnvoll zu organisieren und eigenständig durchzuführen. Als Konsequenz forderte er eine scharfe Trennung zwischen der Kopfarbeit der Ingenieure und der ausführenden, manuellen Tätigkeit der Arbeiter. Soziale Kontakte zwischen den Arbeitern betrachtete er als Zeitvergeudung; am liebsten hätte er die einzelnen Arbeiter isoliert.

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Der Widerspruch, dass die Maßnahmen der Rationalisierer teilweise auf der kumulierten Erfahrung der Arbeiter beruhten, diesen aber jegliche Gestaltungsfreiheit abgesprochen wurde, lag auf der Hand. Es kann nicht verwundern, dass die Gewerkschaften und die Arbeiter gegen Taylors Lehre und Praxis Front machten. In mehreren Unternehmen in den USA und in Europa lösten tayloristische Rationalisierungsmaßnahmen bereits vor dem Ersten Weltkrieg Streiks aus, die teilweise in Konflikte auf der politischen Bühne mündeten. Taylorismus wurde zum Synonym für Arbeitshetze, Überwachung und Entmündigung.

Allerdings fand die reine Form des Taylorsystems in der Industrie nur geringe Verbreitung. Schätzungen besagen, dass Taylors Schüler vor dem Ersten Weltkrieg in nicht mehr als 200 amerikanischen Unternehmen tätig waren. Darunter befanden sich zwar bekannte Firmen wie der Eisenbahnwagenbauer Pullman, der Schreibmaschinenhersteller Remington und die Waffenfabrik Winchester. Gegenüber der Zahl der Betriebe, die Rationalisierungsmaßnahmen in eigener Verantwortung durchführten oder nicht aus der Taylor-Schule stammende Berater anheuerten, fallen aber die taylorisierten kaum ins Gewicht. Darüber hinaus agierten die Schüler Taylors bei ihren Rationalisierungsarbeiten viel flexibler, als es dem dogmatischen Begründer der Lehre recht war.

Für die Unternehmen lag die Attraktivität von Taylors Lehre im Versprechen relevanter Gewinne bei geringen Investitionen. Die tayloristischen Reorganisatoren setzten nämlich in der Regel an der vorhandenen Ausstattung der Fabriken mit Produktionsmitteln an. Allerdings scheuten die meisten Unternehmer und Manager davor zurück, die von außen kommenden Berater über die von Taylor für notwendig gehaltenen langen Zeiträume hinweg in den Betrieben schalten und walten zu lassen. Und schließlich wurde Henry Fords Gegenmodell, sein Vertrauen in die kostensenkende Wirkung der Mechanisierung und des technischen Fortschritts, wirtschaftlich erfolgreicher als die tayloristischen Neuansätze der Arbeitsorganisation. Die Unterschiedlichkeit ihrer Konzepte – veränderte Arbeitsorganisation bei Taylor, Technisierung bei Ford – lassen es nicht angeraten erscheinen, beide Ansätze als fordistisch-tayloristische Rationalisierung zusammenzufassen (wie es üblicherweise geschieht).

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Einzelne Elemente aus Taylors Lehre übernahm in der Zwischenkriegszeit die Rationalisierungsbewegung und entwickelte sie weiter. In Deutschland zeichneten dafür eine Reihe von Organisationen verantwortlich, welche unter anderem Namen auch heute noch existieren, wie das Rationalisierungskuratorium der deutschen Wirtschaft (RKW) und der diesem angegliederte Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung (REFA). Der REFA bildete Spezialisten für Zeitstudien aus. Diese dienten aber weniger – wie es Taylor intendiert hatte – der Umgestaltung der Arbeit, sondern in erster Linie der Festlegung der Akkordlöhne. Auch die neue Hochschuldisziplin Arbeitswissenschaft bezog von Taylor Anregungen, erweiterte sie jedoch durch Überlegungen zur Psychologie der Arbeit sowie zur Selbst- und Mitbestimmung des Arbeiters.

Die Schwierigkeiten mit dem Begriff des „Taylorismus“ liegen heute darin, dass er sich von Taylors Werk wegentwickelt hat. Schon die frühere Praxis der Taylorisierung wich erheblich von den Lehren des „Meisters“ ab. Inzwischen wird „Taylorismus“ teilweise als „Dachbegriff“ für die Gesamtheit aller arbeitsorganisatorischen Maßnahmen im Betrieb benutzt.1 Oft wird darunter auch eine Zerlegung der Arbeit in möglichst kleine Einheiten verstanden.2 Dies geht jedoch an Taylors Lehre vorbei, denn für ihn war die Zerlegung der Arbeit ein Analyseinstrument und kein Gestaltungsziel; die Teilarbeiten sollten vielmehr nach erfolgter Optimierung wieder zusammengesetzt werden. Historikerinnen und Historiker wären also gut beraten, genau anzugeben, worauf sie sich beziehen, wenn sie die Begriffe „Taylorisierung“ und „Taylorismus“ verwenden.

Anmerkungen: 

1 So Michael Gikas, Art. „Taylorismus“, in: Harald Kerber/Arnold Schmieder (Hg.), Handbuch Soziologie. Zur Theorie und Praxis sozialer Beziehungen, 2. Aufl. Reinbek bei Hamburg 1991, S. 606-610, hier S. 606.

2 Z.B. im Brockhaus-Eintrag „Scientific Management“ (21. Aufl. 2006).

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