Amerika als Imperium

Ein Überblick zur neueren Literatur

Anmerkungen

Der Begriff „Imperium“ kehrt verstärkt in den historisch-politischen Diskurs zurück, und wer ihn heute benutzt, redet in der Regel über die Vereinigten Staaten von Amerika.1 Während des Kalten Krieges sprach man von „Blöcken“ oder „Lagern“, doch seit Beginn des neuen Jahrhunderts hat der Versuch, Geschichte als eine Folge von Großreichen zu denken, spürbar Aufwind. Eine solche Perspektive ist keineswegs neu; vielmehr kann sie auf eine lange Tradition zurückblicken. Der Klassiker des imperialen Genres ist Edward Gibbons Werk „Decline and Fall of the Roman Empire“ (1776-1788), das man zu seiner Zeit als Kritik an der westlichen Welt und Parabel auf die Krise des britischen Weltreiches lesen konnte.2 Parallel zur Rede über den Niedergang von Imperien diskutierte man seit dem Ende Roms ihre Übertragung. So prophezeite der britische Philosoph George Berkeley bereits 1752 eine transatlantische translatio imperii: „Westward the course of empire takes its way“, schrieb er und meinte die Neue Welt.3 Im 19. Jahrhundert war die Erwartung amerikanischer Größe schon ein Allgemeinplatz des politischen Denkens.4 Mit dem Eingreifen der USA im Ersten Weltkrieg und Woodrow Wilsons Credo, Amerikas Mission sei „to make the world safe for democracy“, endete die von den Gründervätern verordnete Ära der Isolation endgültig. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts waren die USA eine globale Weltmacht, und seit Ende des Zweiten Weltkrieges überstieg ihre militärische, ökonomische und kulturelle Macht diejenige anderer Nationalstaaten. Hier setzte die gegenwärtige Rede vom amerikanischen Imperium und dem „US-Imperialismus“ ein.

Wie ist die momentane Konjunktur des Begriffes „Imperium“ zu erklären? In seiner politisch-historischen Verwendung bedeutet Imperium eine den regionalen oder nationalen Kontext überschreitende Macht - dies ließ sich stets als Anspruch oder auch als Vorwurf formulieren. Die Kritik an ungebremstem Großmachtstreben führte im 19. Jahrhundert zur Entstehung des Pejorativums „Imperialismus“, eines Begriffes, der zunächst synonym mit „Cäsarismus“ oder „Bonapartismus“ verwendet wurde, dem durch seine Aufnahme in den marxistischen Kanon aber eine ungleich längere Karriere bevorstand.5 In der aktuellen historischen Forschung beschränkt sich das Interesse am Imperialen keineswegs auf den Imperialismus im engeren Sinne und auch nicht auf die Geschichte Amerikas. Im Gegenteil: Britische Empire Studies sind ein lebendiges Forschungsfeld, das Interesse am Habsburger Reich ist wieder erwacht, und die Zeitschrift „Ab Imperio“ versucht, russische Geschichte als imperiale Reichsgeschichte neu zu deuten.6 Im Fall der USA liegt es nahe, das Ende des Kalten Krieges und den 11. September 2001 als diskursive Zäsuren zu begreifen. Mit dem Verschwinden der Sowjetunion von der Weltbühne gab es neue Gründe, sich mit der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Vormachtstellung der USA auseinanderzusetzen. Historiker und Politiker beschäftigen sich seither verstärkt mit den geschichtlichen Voraussetzungen imperialer Vorherrschaft.7 Der französische Außenminister Hubert Védrine brachte 1999 den Begriff „hyperpuissance“ ins Spiel, doch dieser Neologismus, der die amerikanische Hegemonie als pathogene Konstellation brandmarkte, vermochte sich nicht durchzusetzen.

Als die Anschläge von New York und Washington verdeutlichten, dass die Dominanz der USA Feinde hatte, die vor Massenmord nicht zurückschreckten, und dass diese Feinde auf eine amerikanische Regierung trafen, die ihrerseits vor einer unilateralen Antwort auf die islamistische Herausforderung nicht zurückschreckte, bestand weit über die scientific community hinaus das Bedürfnis, das neue Jahrhundert zu verstehen. Die Rede vom amerikanischen „Imperium“ eröffnete die Möglichkeit, eine verunsichernde Situation mit einem vertrauten Begriff zu beschreiben. Dabei beschritten europäische und amerikanische Autoren unterschiedliche Wege, die hier skizziert werden sollen. Den Literaturüberblick gliedere ich nach drei Gesichtspunkten: Zunächst stelle ich einige Autoren vor, die historische Vergleiche zwischen Imperien anstellen, dann widme ich mich denjenigen, die die Erzählung vom Niedergang Amerikas fortschreiben, und schließlich gehe ich auf Entwürfe imperialer Ordnung für das 21. Jahrhundert ein. Selbstredend handelt es sich nur um eine Auswahl von Titeln zu diesem Thema; die Literatur über das amerikanische Imperium ist so global wie dessen Einfluss und kann nicht mehr vollständig übersehen werden. Gezeigt werden soll vor allem, in welchen Traditionen sich der Amerikadiskurs der letzten Jahre bewegt und warum er gerade um den schillernden Begriff des Imperiums kreist.

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1. Historische Erklärungen, Vergleiche und Analogien

Wie kam Amerika in die imperiale Position, die es heute innehat? Diese Frage verlangt nach historischen Deutungsangeboten.8 Ein naheliegendes historisches Erklärungsmodell ist der Vergleich mit anderen Großreichen, während andere Autoren versuchen, die Machtstellung der USA aus deren eigener Geschichte zu erklären. Letzteres gilt für den Publizisten Lothar Rühl und den Heidelberger Historiker Detlev Junker.9 Junker fragt nach der treibenden Kraft in der amerikanischen Geschichte und erkennt in der „Sendungsidee der Freiheit“ kombiniert mit einem „tiefsitzenden Manichäismus“ das politische Konstrukt, das den USA die Möglichkeit gegeben habe, Krisen zu meistern, Kriege zu gewinnen und Supermacht zu werden. Sein Buch ist eine gut lesbare Darstellung amerikanischer Außenpolitik von ihren Anfängen bis zu George W. Bush. Der zeitliche Schwerpunkt liegt nach dem Ersten Weltkrieg; der methodische Zugriff orientiert sich an den Akteuren in der amerikanischen Exekutive, insbesondere den Präsidenten. Nach Junker sind die USA immer dann besonders stark, wenn in ihrer „manichäischen Falle“ große Gegner zappeln - wie zwischen 1939 und 1989. Ohne existenziell bedroht zu sein, fehle Washingtons Außenpolitik hingegen die Orientierung. Unter Bill Clinton hätten sich die USA im Wesentlichen auf die Verteidigung der urangelsächsischen Werte liberty and property beschränkt, während nach dem 11. September 2001 innerhalb weniger Tage der tief verwurzelte Manichäismus zurückgekehrt sei. Die Rede von der „Achse des Bösen“ ist aus Junkers Sicht „keine aufgesetzte, öffentliche Geste“, sondern Kern des politischen Weltbildes von George W. Bush und seiner Entourage.

Rühls Anliegen ist es, das „historisch singuläre Phänomen“ der Weltmacht Amerika zu analysieren. Dabei vergleicht er die USA en passant ständig mit vergangenen Großreichen. Auch bei Rühl kann man die Geschichte der amerikanischen Binnenexpansion, der Übernahme des imperialen Staffelstabs von Großbritannien und der Bewährung im Kalten Krieg nachlesen. Ein Großteil der Argumentation dreht sich dabei um die militärischen und wirtschaftlichen Potenziale der Vereinigten Staaten. Abschließend befasst sich Rühl in einer tour de force durch die orientalische Geschichte mit der Entstehung des Nahostkonfliktes. Die insgesamt sprunghafte und wenig kohärente Darstellung kommt letztlich zu keinem überzeugenden Fazit - was auch daran liegt, dass der Autor nur eine vage Fragestellung formuliert und auf eine stringente Begrifflichkeit verzichtet.

Der Althistoriker und Publizist Peter Bender vergleicht die USA mit der Mutter aller Großreiche, dem imperium romanum.10 Er kontrastiert verschiedene Epochen territorialer Expansion, setzt sich mit den ideologischen Begründungen von Großmacht auseinander und fragt nach dem Umgang mit Macht und Übermacht. Schließlich diskutiert er jene Gretchenfrage, die in der Debatte über Amerika als Imperium fast durchgängig gestellt wird: Kann eine imperiale Macht demokratisch verfasst bleiben, oder ist sie dazu verdammt, den Weg Roms von der Republik zur Despotie zu gehen? Bender hütet sich davor, diese Frage zu beantworten. Er liefert ein gut lesbares und gedankenreiches Buch, das den diachronen Vergleich primär als Stilmittel, als Form der Verfremdung nutzt, durch die es gelingt, unsere eigene Zeit in einem anderen Licht zu betrachten.

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Mit seinem Buch über Großmachtpolitik tritt John J. Mearsheimer von der University of Chicago in die Fußstapfen von Paul Kennedy und Henry Kissinger.11 Ihn interessiert das Konzert der Großen Mächte, ihre Politik in Krieg und Frieden seit dem Wiener Kongress. Ähnlich wie Kissinger argumentiert Mearsheimer gegen idealistische Konzeptionen und für eine interessengeleitete Realpolitik. Implizit handelt es sich offenbar um eine kritische Auseinandersetzung mit der Außenpolitik der Clinton-Administration. Gegen den Optimismus, dass die Welt nach 1989 ihre Konflikte friedlicher lösen werde, stellt Mearsheimer den Realismus des am historischen Beispiel geschulten Großmachtstrategen. Er wendet sich gegen die Vorstellung, dass inter- und supranationale Institutionen in Zukunft eine entscheidende Rolle bei der Verhinderung von Kriegen spielen könnten. Die Aufgabe der Vereinigten Staaten sieht Mearsheimer darin, kleinere Mächte einzudämmen und ein Abrutschen des globalen Systems in die Anarchie zu verhindern. Interessant ist, dass er einem Konzept rivalisierender Großmächte verpflichtet bleibt und die USA zwar als dominierende Macht, aber nicht explizit als Imperium beschreibt. In seiner Begriffswahl und seinem Verständnis internationaler Politik steht Mearsheimer damit außerhalb des Mainstreams, der hier beschrieben wird - er ist Vertreter einer älteren Schule.

2. Narrative des Niedergangs

Erzählungen vom Niedergang großer Reiche sind ein Topos der Geschichtsschreibung. Dass sich diese Narrative im Diskurs über Amerika wiederfinden, ist daher wenig verwunderlich. Eine kommerziell erfolgreiche, bei näherem Hinsehen jedoch konventionelle Erzählung vom Niedergang amerikanischer Macht bietet der französische Historiker Emmanuel Todd.12 Er operiert mit der Denkfigur der Hybris und unterstellt, dass die amerikanischen Eliten - im Gegensatz zur politischen Klasse im Rest der Welt - das Maß verloren hätten. Todd behauptet, die Welt demokratisiere sich, während sich die USA in eine Oligarchie verwandelten. Aus diesem Widerspruch erklärten sich die globalen Konfliktlagen. Amerikanische Probleme sind bei ihm strukturell bedingt, islamische Terrorakte nur temporär. In teils einseitiger, teils durchaus differenzierter Weise bedient sich Todd demographischer und geopolitischer Argumente. Am Ende beruhigt er alarmierte Leser: Ein amerikanisches Imperium sei keinesfalls im Entstehen; zu beobachten sei vielmehr sein Verfall. Zugleich sieht Todd den radikalen Islam im Niedergang begriffen, so dass seine Erzählung vom Abstieg des amerikanischen Imperiums letztlich in die Vision einer friedlicheren, multipolaren Welt mündet, die nur durch Amerika selbst bedroht werden könne.

Das Niedergangsnarrativ ist jedoch kein Spezifikum europäischer Beobachter. Auch amerikanische Autoren greifen auf diese Erzählung zurück - etwa Michael Mann, Benjamin B. Barber und Chalmers Johnson.13 Mann kritisiert einen neuen amerikanischen Imperialismus, der seit 1989 das Denken bestimmt habe und unter George W. Bush zum bestimmenden Paradigma amerikanischer Außenpolitik geworden sei. Manns Ziel ist eine Bilanz der militärischen, politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Macht Amerikas. Dabei kommt er - schon im Vorwort - zu einem vernichtenden Urteil: „Das American Empire entpuppt sich als militärischer Riese, ökonomischer Trittbrettfahrer, politisch Schizophrener und ideologisches Phantom.“ Im zweiten Teil seiner Abhandlung analysiert Mann die Kriege der USA in Afghanistan, gegen den internationalen Terrorismus, gegen Nordkorea und den Irak. Die Bush-Administration habe die Legitimität amerikanischer Hegemonie im Alleingang verspielt und den Anspruch verwirkt, als „wohlwollendes Imperium“ Konflikte zu lösen. Insgesamt zeichnet sich Manns Buch durch seinen Informationsgehalt und seinen sachlichen Duktus aus.

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Barbers Leitmotiv ist die Interdependenz in der globalen Welt. Auch er argumentiert, dass die USA ihr moralisches Kapital zunehmend verspielten. Wie bereits der Titel seines Buches verdeutlicht, kritisiert Barber, die Vereinigten Staaten vertrauten nach innen und nach außen auf Angst als Grundlage ihrer Macht. Energisch fordert Barber die Rückkehr seines Landes zu den Prinzipien multilateraler Politik. Letztlich geht es ihm primär um die innere Verfassung der amerikanischen Republik: „Das Imperium der Angst ist ein Reich ohne Bürger, ein Habitat von Zuschauern, Untertanen und Opfern, die ihre Passivität als Hilflosigkeit erleben [...].“ Johnsons Bücher bemühen ähnliche Erklärungen wie Barber und kommen zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Auch er sieht in der expansiven Außenpolitik eine Bedrohung für die demokratische Entwicklung im Inneren. Im Gegensatz zu Barber hofft Johnson jedoch nicht mehr auf eine bürgerschaftliche Erneuerung der amerikanischen Republik.

Antiimperial(istisch)e Diskurse waren im 20. Jahrhundert vornehmlich eine Domäne der Linken und sind es bis heute.14 Die teils positiv, teils negativ konnotierte Prophezeiung eines baldigen Untergangs amerikanischer Macht mag der Überzeugung der Verfasser entspringen - diese Diagnosen bedienen jedoch auch ein Bedürfnis bei Teilen des Publikums. Historisch-politische Analysen sollten freilich vorsichtig sein, voreilige Schlüsse zu ziehen und populäre Prognosen zu wagen. Sinnvoller als Szenarien des Niedergangs oder pauschale Kritik an amerikanischer Außenpolitik ist ein Zugang, der die Anforderungen an und die Leistungen von Imperien berücksichtigt.

3. Perspektiven imperialer Ordnung im 21. Jahrhundert

Einen nützlichen Überblick zur neueren Debatte bietet ein von Ulrich Speck und Natan Sznaider verantworteter Sammelband.15 Das Buch versammelt hochkarätige Autoren, die verschiedene politische Orientierungen repräsentieren und zu den Protagonisten der Debatte zählen. Amerikanische, britische und deutsche Stimmen kommen zu Wort. Das Spektrum reicht von Michael Ignatieff, Niall Ferguson und Max Boot, die von den Vorzügen amerikanischer Hegemonie überzeugt sind, über philosophische Beiträge wie von Dan Diner zur Andersartigkeit Amerikas bis zu Kritikern der USA wie Ulrich Beck und Richard Rorty. Der Politologe Herfried Münkler bietet eine überzeugende Charakteristik imperialer Herrschaft,16 und der Historiker Charles Maier analysiert den für Großreiche zentralen Aspekt der Grenze. Aufgrund der Qualität der Beiträge und des Spektrums der Autoren liefert dieser Band den besten Einstieg in die aktuelle Diskussion.

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Ähnlich umfassend, aber weniger überzeugend ist die von Andrew J. Bacevich herausgegebene Sammlung „The Imperial Tense“.17 Es handelt sich im Kern um eine inneramerikanische Auseinandersetzung mit der neuformulierten Sicherheitsdoktrin der Bush-Administration vom 17. September 2002.18 Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass George W. Bush selbst mit seiner Vorstellung der amerikanischen Mission den Band einleitet. Die Autoren sind Amerikaner, die die Überzeugung teilen, dass ihr Land nach dem 11. September 2001 eine Außenpolitik betreibt, die sich auf den Begriff „Imperium“ bringen lässt. Deepak Lal, Andrew J. Bacevich und Charles Krauthammer fordern die amerikanische Öffentlichkeit auf, in einen Dialog über die Fallstricke und Möglichkeiten eines American Empire zu treten. Doch der Band enthält auch kritische Stimmen - wie etwa einen Artikel von David North, der in den USA eine imperialistische Bedrohung des Weltfriedens sieht, oder einen Aufsatz von Stanley Hoffmann, der erklärt, warum die Welt einen Hegemon nicht lieben kann. Jedediah Purdy gehört zu den wenigen, die sich nicht nur mit militärischer und ökonomischer Macht im engeren Sinne beschäftigen. In seinem Beitrag „Universal Nation“ führt er Amerikas Macht auf die Allgegenwart seiner Kultur zurück. Amerikanischer Einfluss beruhe nicht nur auf Flugzeugen und Dollars, sondern ebenso auf Microsoft und Baywatch. Purdy sieht die USA als Repräsentation moderner, global erfolgreicher Konsumkultur. Insgesamt ist der Band vor allem als Abbild amerikanischer Verunsicherung nach dem 11. September 2001 interessant.

Ein von der amerikanischen RAND-Stiftung herausgegebener Band beschäftigt sich anhand von neun Beispielen mit amerikanischen Versuchen des nation-building.19 Die Autoren untersuchen als Fallstudien die Bundesrepublik Deutschland, Japan, Somalia, Haiti, Bosnien, Kosovo, Afghanistan und Irak. Vorgestellt werden jeweils die Herausforderungen, die Rolle der USA und ihrer Alliierten sowie die Ergebnisse der Intervention. Gesonderte Abschnitte behandeln die Lektionen, die die amerikanische Außenpolitik aus den einzelnen Fällen lernen könne. Ein zusammenfassendes Kapitel blickt auf die Probleme und Resultate amerikanischen Eingreifens zwischen 1945 und 2001 zurück. Die Studie verdeutlicht, dass nation-building ein langfristiger und kostspieliger Prozess ist, der über wenigstens fünf Jahre einen hohen Ressourceneinsatz erfordert.

Auch verschiedene Monographien beschäftigen sich mit den imperialen Perspektiven der internationalen Ordnung im 21. Jahrhundert. Der britische Historiker Niall Ferguson blickt auf die Geschichte seiner Nation zurück und plädiert energisch für ein „liberales Imperium“ der USA.20 Sein Buch fällt deshalb aus dem Rahmen, weil Ferguson nicht den „Imperialismus“ anprangert, sondern den amerikanischen Eliten vorwirft, nicht offensiv genug einem imperialen Projekt nachzugehen, das nach Ansicht des Verfassers nicht nur im Interesse der USA, sondern auch der restlichen Welt liegt. Doch dazu fehle den Eliten die „imperiale Geisteshaltung“. Ferguson glaubt nicht an den Wert kultureller Hegemonie - soft power - zum Erhalt eines Imperiums. Seine globale Vision ist ein Amerika, das sich selbst als Empire definiert, zu seiner Rolle als Ordnungsmacht steht und zum allgemeinen Nutzen die pax americana durchsetzt. Fergusons Buch ist nicht nur eine Apologie imperialer Friedensordnung, sondern zugleich eine Philippika für ein liberales, anglophones Imperium, das Ferguson als würdigen Erben britischer Macht betrachtet. Bezeichnend ist, dass Ferguson die innenpolitischen Konsequenzen außenpolitischen Machtstrebens nicht thematisiert; durch seine Fixierung auf das Vorbild Großbritannien (statt auf Rom) sieht er zwischen imperialer Außenpolitik und liberaler Ordnung im Inneren keinen Widerspruch.

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Dem britischen Publizisten und Historiker Timothy Garton Ash geht es in seinem Werk „Freie Welt“ weniger um den Aufstieg der Vereinigten Staaten als um das transatlantische Verhältnis und die Perspektiven einer globalen Ordnung der Freiheit.21 Das Buch bietet im ersten Teil eine Krisendiagnose des Westens und im zweiten Teil Garton Ashs eigene Lösungsvorschläge. Das Leitmotiv lautet, dass die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nur durch transatlantisches Handeln beantwortet werden können. Garton Ash vertritt die Vision einer dauerhaften westlichen Wertegemeinschaft, die aus den momentanen Erschütterungen der transatlantischen Beziehungen hervorgehen möge. Nicht ein amerikanisches Imperium, sondern eine euro-atlantische Allianz solle sich der Bedrohungen annehmen, die der Autor zwar „die neuen roten Armeen“ nennt, die aber keineswegs allein militärischer Natur seien: „[...] angefangen bei der Notwendigkeit, gegen Terrorismus, Genozid, nukleare, biologische oder chemische Kriegführung vorzugehen, über die Befriedung des Nahen, den Beitrag zum kontrollierten Aufstieg des Fernen Ostens und die Unterstützung des notleidenden Südens bis hin zur Wahrung der menschlichen Existenz auf der Erde. Diese globalen Aufgaben, von denen das Wohlergehen unserer Kinder abhängt, werden wahrscheinlich selbst dann kaum zu bewältigen sein, wenn Amerika und Europa kooperieren. Doch ohne eine solche Kooperation ist die Lage aussichtslos.“ Den Begriff „Imperium“ streift Garton Ash nur am Rande. Dies liegt daran, dass sein Thema nicht primär die Macht der Staaten, sondern die Herausforderung für freie und zivile Gesellschaften ist. Ähnlich wie Barber, der sich allerdings primär an seine amerikanischen Mitbürger wendet, sieht Garton Ash in bürgerschaftlichem Engagement eine wichtige Quelle für globalen Fortschritt. Er denkt transnationaler als Barber und bedient sich des World Wide Web, um die Leser über seine Ideen auf einer eigens eingerichteten Seite diskutieren zu lassen.22 So existiert die freie Welt, die Garton Ash beschreibt, wenigstens als Diskurs. Sein Buch überzeugt, weil es fulminante Sachkenntnis mit brillantem Stil verbindet; seine Argumentation leuchtet ein, weil er den Blick nicht nur auf die Vereinigten Staaten, sondern auf die globale Welt des 21. Jahrhunderts richtet.

4. Einige Schlussfolgerungen

Was können Zeithistoriker der Rede von Amerika als Imperium entnehmen? Wo liegen Vorteile des Begriffs und der imperialgeschichtlichen Perspektive? Eine Aufreihung militärischer und ökonomischer Ressourcen erscheint so wenig erkenntnisfördernd wie die weitverbreiteten Unkenrufe über die Hybris und den bevorstehenden Niedergang amerikanischer Macht. Hier handelt es sich entweder um gequälte Selbstvergewisserung, politisches Wunschdenken oder um den wohlfeilen Versuch, den Markt für diese Thesen zu bedienen. Interessant bleibt hingegen die Debatte, inwieweit das globale Engagement der USA ihre innere Ordnung beeinflusst. Auch der diachrone Vergleich verschiedener Imperien kann anregend sein. Noch interessanter wird die Diskussion, wenn der Begriff „Imperium“ und die Implikationen imperialer Politik auf verschiedenen Ebenen diskutiert werden. Dabei wäre eine thematische und theoretische Erweiterung wünschenswert: An Imperien sollte Historiker schließlich nicht nur interessieren, welche Machtmittel ihnen zur Verfügung stehen, sondern wie sie ihre Macht reproduzieren und repräsentieren, wie sie an verschiedenen Orten gedacht und wahrgenommen werden. Aus dieser Perspektive sind die hier besprochenen Studien eher Teil eines imperialen Diskurses, der ein Großreich konstruiert, als ein Versuch, die imperiale Ordnung der Dinge zu dechiffrieren.

Eine reflektierte Geschichte imperialer Ordnungen müsste immer auch transnationale Sozial- und Kulturgeschichte sein. So wären die vielfältigen Transfers, Interaktionen und Kommunikationen zwischen Zentrum und Peripherie in verschiedenen Großräumen zu untersuchen. Dazu zählen die diversen Prozesse der Aneignung und Ablehnung, in denen sich das Imperium selbst konstituiert.23 Von Anleihen bei den britischen Empire Studies oder vom Nachdenken in den Kategorien des postkolonialen Diskurses könnte die Debatte über Amerika profitieren. Hier eröffnet sich ein weites Forschungsfeld, das erst in wenigen Ansätzen - wie etwa der Amerikanisierungsforschung - beackert worden ist.

Anmerkungen:

1 Den Begriff „Amerika“ verwende ich hier in einem politischen Sinne, d.h. er bezeichnet die USA und nicht im geographischen Sinne den Kontinent.

2 Als deutsche Ausgabe siehe etwa Edward Gibbon, Verfall und Untergang des römischen Imperiums, 6 Bde., München 2003.

3 George Berkeley, On the Prospect of Planting Arts and Learning in America, 1752.

4 Claus Offe, Selbstbetrachtung aus der Ferne. Tocqueville, Weber und Adorno in den Vereinigten Staaten, Frankfurt a.M. 2004.

5 Rudolf Walter, Art. „Imperialismus“, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 3, Stuttgart 1982, S. 171-236. Vgl. zum weiteren Begriffsfeld auch Elisabeth Fehrenbach, Art. „Reich“, in: ebd., Bd. 5, Stuttgart 1984, S. 423-508.

6 Vgl. auch Jürgen Osterhammel, Europamodelle und imperiale Kontexte, in: Journal of Modern European History 2 (2004), S. 157-181.

7 Vgl. als einflussreiche Studien: Paul Kennedy, Aufstieg und Fall der großen Mächte. Ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt von 1500 bis 2000, Frankfurt a.M. 1989; Henry Kissinger, Die Vernunft der Nationen. Über das Wesen der Außenpolitik, Berlin 1994.

8 Siehe auch den Beitrag von Michael Hochgeschwender in diesem Heft.

9 Lothar Rühl, Das Reich des Guten. Machtpolitik und globale Strategie Amerikas, Stuttgart 2005; Detlev Junker, Power and Mission. Was Amerika antreibt, Freiburg i.Br. 2003.

10 Peter Bender, Weltmacht Amerika. Das Neue Rom, Stuttgart 2003.

11 John J. Mearsheimer, The Tragedy of Great Power Politics, New York 2001; Kennedy, Aufstieg und Fall; Kissinger, Vernunft der Nationen (beide Anm. 7).

12 Emmanuel Todd, Weltmacht USA. Ein Nachruf, München 2003.

13 Michael Mann, Die ohnmächtige Supermacht. Warum die USA die Welt nicht regieren können, Frankfurt a.M. 2003; Benjamin B. Barber, Imperium der Angst. Die USA und die Neuordnung der Welt, München 2003; Chalmers Johnson, Ein Imperium verfällt. Wann endet das amerikanische Jahrhundert?, München 2000; ders., Der Selbstmord der amerikanischen Demokratie, München 2004.

14 Vgl. zuletzt die Bücher von Michael Hardt/Antonio Negri, Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt a.M. 2002; dies., Multitude. Krieg und Demokratie im Empire, Frankfurt a.M. 2004. Von linker Seite wird auch die Europäische Union unter Imperialismusverdacht gestellt; vgl. Ilka Schröder (Hg.), Weltmacht Europa - Hauptstadt Berlin? Ein EU-Handbuch, Hamburg 2005.

15 Ulrich Speck/Natan Sznaider (Hg.), Empire Amerika. Perspektiven einer neuen Weltordnung, München 2003.

16 Siehe auch das Interview mit Herfried Münkler in diesem Heft.

17 Andrew J. Bacevich (Hg.), The Imperial Tense. Prospects and Problems of American Empire, Chicago 2003. Vgl. auch ders., American Empire, Cambridge 2003.

18 http://georgewbush-whitehouse.archives.gov/nsc/nss/2002/

19 James Dobbins u.a. (Hg.), America’s Role in Nation-Building. From Germany to Iraq, Santa Monica 2003. Zur Stiftung siehe: http://www.rand.org. Das Buch ist dort auch online verfügbar: http://www.rand.org/publications/MR/MR1753

20 Niall Ferguson, Das verleugnete Imperium. Chancen und Risiken amerikanischer Macht, Berlin 2004. Für eine eingehendere Auseinandersetzung mit Ferguson siehe den Beitrag von Jörn Leonhard und Ulrike von Hirschhausen in diesem Heft.

21 Timothy Garton Ash, Freie Welt. Europa, Amerika und die Chance der Krise, München 2004.

22 http://www.timothygartonash.com/oldforum/

23 Vgl. zur gegenseitigen Wahrnehmung Amerikas und Europas Rudolf von Thadden/Alexandre Escudier (Hg.), Amerika und Europa. Mars und Venus? Das Bild Amerikas in Europa, Göttingen 2004; am Beispiel des Antiamerikanismus in vergleichender Perspektive: Jan C. Behrends/Árpád von Klimó/Patrice G. Poutrus (Hg.), Antiamerikanismus im 20. Jahrhundert. Studien zu Ost- und Westeuropa, Bonn 2005.

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